WAHLEN 2017 IN ÖSTERREICH UND DIE LINKE

Die österreichische Sozialdemokratie ist nicht zusammengebrochen. Das ist nach diesem Wahlkampf schon fast eine Meldung, wert zu bringen. Gerettet wurde sie möglicher Weise von Herrn Fellner und seinem unsäglichen „Österreich“. Als Kern sein Schutzgeld – die mafiöse Wendung ist völlig angebracht – in Form von generösen Inseraten vor 2 Wochen nicht mehr zahlte, entfesselte er eine wilde Kampagne gegen ihn. Das hat sicher in Wien, u. a., dazu beigetragen, den berühmten „Jetzt-erst-recht“-Effekt auszulösen. Denn hier, im Verbreitungsgebiet von „Österreich“, hat die SPÖ ansehnlich gewonnen. Wie üblich war dies wiederum hauptsächlich in den Innen-Bezirken der Fall; diesmal aber gab es Gewinne sogar in gewissen Außen-Bezirken. Aber die Stimmen der Arbeiter hat die SP trotzdem nicht zurückbekommen. Die findet man solide, mit 3 Fünftel Anteil, bei der FPÖ.

Wenn wir uns an die politische Bedeutung dieser Wahlen annähern wollen, dürfen wir nicht auf die Prozent- und Mandats-Stände starren. Wir müssen die Ströme ansehen. Die SPÖ hat sich in den Wahlen nicht zuletzt gehalten, weil sie von den Grünen massiv Stimmen abzog. Untere und mittlere Mittelschichten, Beamte, Angestellte, ältere Menschen haben die Partei gerettet.

Die Grünen sind zusammen gebrochen. Ich muss sagen, mich persönlich freut das nicht nur klammheimlich. Es gibt eine Kompradoren-Politik, wie es eine Kompradoren-Bourgeoisie gibt und in Österreich vor allem Kompradoren-Intellektuelle. Frau Lunacek ist die muster­gültige, geradezu reine Verkörperung dieser Kompradoren-Politik, wie es schon ihr Vorgän­ger Voggenhuber war. Sie freuen sich überaus, wenn ihnen seinerzeit Cohn-Bendit und heute Frau R. Harms sagen: „Ihr seid’s gescheite Leute“. Gemeint ist: Ihr stimmt uns unterwürfig in allem zu. Ob die Wähler zu Hause dies auch wollen, steht da nicht mehr zur Debatte. Übri­gens wollte ein Großteil der Grün-Wähler dies ohnehin. Die sind ja selbst völlig dependent von der BRD. Die bilden heute die Kompra­doren-Intellektuellen. Aber nun haben sie Angst vor ihrer eigenen Phantasie bekommen und sind zur SPÖ gewechselt.

Es gibt einen zweiten Punkt, der uns interessieren sollte – deswegen der lange Sermon über die Grünen. Als die Partei ins Leben trat, hatten sie einen erfrischenden Umgang mit den bürokratischen Prozessen anderer Parteien. Der hat sich längst überlebt und wurde zum Selbstzweck. Ein Typ, dessen einzige Qualifikation sein Auftreten als Küsserkönig ist, wirft einen gefinkelten und in seinem Rahmen höchst nützlichen Abgeordneten, den Herrn Pilz, aus dem Rennen. In diesem Moment müssen auch wir uns fragen: Wie können alternative Prozeduren aussehen, ohne dass völlig irrelevante Grüppchen und Überlegungen zum Zug kommen?

Der Aufstieg der FPÖ ging weiter. Gespeist wurde er diesmal von der Rückkehr der Stronach- und BZÖ-Unterstützer. Das dürften, soweit wir wissen, teilweise Schichten sein, die ans Lum­pen-Proletariat grenzen, teilweise aber auch Leute, die im ländlichen Kleinstbürgertum kultu­rell verankert sind. Aber dazwischen lag der große Aufstieg der FPÖ in den Umfragen. Zwei Jahre lang lag sie stabil an der Spitze. Trauen wir dem einmal – Zweifel sind allerdings ange­bracht. Dann müssten wir feststellen: Die Arbeiter sind nicht zur SPÖ zurückgekehrt, wohl aber Schichten und Gruppen des Kleinbürgertums zur neuen ÖVP der Kurz, Blümel und Co.

Damit sind wir beim eigentlichen Rätsel dieser Wahl angelangt. Die neue ÖVP stieg aus der Asche des Beinahe-Zusammenbruchs noch einmal empor. Nun hat diese Partei und ihre neue Führung fast ein Drittel der abgegebenen Stimmen. Es ist tatsächlich schwer zu begreifen. Ein erkenntlich hartes neoliberales Programm mit sozialem Leistungsabbau erhält 36 % der Stimmen älterer Frauen (ab 60 Jahren). Die müssten doch besonders die bevorstehenden Pensions-Kürzungen fürchten. Selbst in manchen Arbeiterkreisen soll es Sympathien für diesen Schnösel mit seinem Arbeitszeit-Verlängerungs- und d. h. Lohn-Kürzungs-Programm gegeben haben.

Es ist der neuen ÖVP-Gruppe mit ihrer Gallions-Figur offenbar auf eine paradoxe Weise gelungen, die weit verbreitete Unzufriedenheit mit der derzeitigen Politik bis zu einem gewissen Grad für sich zu nutzen. Zwar muss man auch hier etwas relativieren. Die letzten Umfragen vor dem Kurz-Coup gaben der ÖVP 20 %. Das dürfte die Kernwählerschaft aus altem Mittel­stand, höheren Angestellten, den wenigen verbliebenen großen Bauern und ähnlichen Sozial-Charakteren sein. Die gehen durch dick und dünn mit den Konservativen. Dazu kommen nun rund 12 Prozentpunkte. Hier sind sicher die Kinder von Maggie Thatcher und (heute nicht mehr Coca Cola sondern) Red Bull drinnen. Die Ich-Generation glaubt, demnächst zu den Gewinnern zu gehören, die jetzt noch durch erzwungene Rücksicht eingebremst sind. Man braucht nur auf den Herrn Blümel hinzuhören. Bei den Neos und bei den Grünen fühlten sie sich vielleicht noch etwas behindert. Aber das reicht nicht für 12 % aus. Und, wie gesagt, die Pensionistinnen, bei denen Kurz so Zuspruch findet, werden mit Sicherheit nicht zu den Gewinnerinnen gehören. Wer sind also jene, welche den mindestens ebenso großen Rest stellen?

Die Linke hat es in dieser Auseinandersetzung nicht gegeben. Die KPÖ – Bundespartei – hat ihren Charakter als Wurmfortsatz der Grünen noch einmal betont. Sie hat weiter verloren. Aber verloren hat sie auch dort, wo sie wirklich Politik macht, in Graz z. B. Die steirische KP wird sehr darauf achten müssen, dass sie nicht in den Untergang dieser Partei hinein gezogen wird.

Düringer ging ebenso unter in diesem Kampf der „drei Lager“.

Wir müssen immer wieder darauf verweisen: Der Abbau des Sozialstaats in Österreich geht nicht in der kämpferischen Weise vor sich, welche die Eliten der BRD gewählt haben, und die eine Zeitlang dort ja bestens funktioniert hat. In Österreich hat die politische Klasse eine ganz andere Rhetorik. Hier heißt es stets, dass der „Sozialstaat gerettet“ werden muss, indem man ihn von ungerechtfertigten Auswüchsen reinigt. Dazu kam in den letzten Jahren noch der Hinweis auf die Kosten der „Flüchtlinge“, also der Immigration. Beides hat gegriffen. Über­dies war bisher der Sozialabbau tatsächlich eingebremst. Er hat in erster Linie die Pensionis­ten betroffen. Auch das Gesundheitssystem bröselt sehr stark – deswegen hat sich ja in Wien die Frau Wehsely davon gemacht. Aber bisher hat dies einigermaßen noch gehalten. Die Pensionisten und vor allem die Pensionistinnen kann man offenbar ziemlich leicht befriedigen und ruhig stellen, wie sich zeigt. Die Angst und damit die Unzufriedenheit wachsen zwar, haben aber noch verhältnismäßig wenig an handgreiflichen Belegen aufzuweisen.

Die Frage ist, ob sich dies in Hinkunft ändert. Es sieht sehr danach aus. Die jungen Hyänen nicht nur der ÖVP sind ungeduldig geworden. Sie wollen jetzt endlich Resultate auf der Hand sehen. Aber noch sind wir bei weitem nicht in Griechenland und werden auch nicht so bald dahin kommen. Wir sind in einer Situation, die man seinerzeit, vor vielen Jahrzehnten mit „Arbeiteraristokratie“ beschrieben hat. Wir leben ziemlich gut, und zwar nicht zuletzt von den Billig-Produkten aus China und Vietnam. Mit anderen Worten: Wir leben stärker von der Dritten Welt als je zuvor. Es gibt Leute, die dies regelrecht zur Ideologie ausbauen und uns einreden, dies würde auf Dauer so halten. Sind doch ohnehin nur Kanaken, die dort…

Solange dies aber wirklich hält – und ein paar Jahre wird es schon noch gehen – dürfte eine Linke in Österreich keine Chancen haben. Wir sind Teil des Zentrums einer ziemlich brutal globalisierten Welt. Wenn wir auch von unserer eigenen politischen Klasse, nicht nur den Voggenhuber und Lunaceks, sondern auch den Swobodas, Leichtfried und Doskozil inzwischen zur politischen Peripherie der BRD, Westeuropas und der NATO gemacht wurden, noch kommen materielle benefits der zentralen Position auch den österreichischen Unterschichten zugute. Das ist die eigentliche strukturelle Erklärung dieses Wahlausganges.

Albert F. Reiterer, 16. Oktober 2017