von Cristina Assensi, KoordinatorInnen des Lexit-Netzwerks, aktiv bei Democracia Real Ya und in der Kommission für ökonomische Souveränität bei Attac Spanien
Quelle: mosaik-blog.at
Der Sommer begann für die Linke mit einem Erdbeben: Das Brexit-Ergebnis wurde mit Fassungslosigkeit aufgenommen. Doch die Zustimmung für den EU-Austritt konnte nur jene überraschen, die sich davor der Realität verweigert hatten. Leider kennzeichnet genau diese Realitätsverweigerung die Einschätzung eines Großteils der Linken zur europäischen Integration. Grob skizziert lässt sich der Mainstream-Diskurs in der Linken wie folgt zusammenfassen:
- Märkte sind völlig globalisiert und Staaten völlig machtlos.
- Wir brauchen internationale Institutionen, um die Macht der Märkte zu zähmen.
- Die EU (oder die Eurozone) ist eine solche Institution.
- Daher ist die EU (und die Eurozone) gut.
Punkt 1 beruht auf einer Fehlinterpretation des sogenannten Rodrik’schen Trilemmas. Dies wurde von unzähligen Artikeln überzeugend widerlegt (etwa hier und hier). Leider folgte daraus keine spürbare Veränderung der Argumentationslinie des Mainstreams linker Organisationen. Im Glauben, die EU könnte tatsächlich eine Zähmung der Märkte (oder gar eine soziale Angleichung Europas) erreichen, haben viele Linke ausgeblendet, was tatsächlich mit der EU durchgesetzt wurde. Sie waren blind für den Charakter der real existierenden Europäischen Union. Denn diese ist ein zutiefst autoritäres Gebilde, mit neoliberaler Wirtschaftspolitik als Kern. Nur die emotionale Bindung an die Geschichte von der „guten EU“ und dem „guten Euro“ kann erklären, warum weite Teile der Linken die negativen Folgen der EU-Integration nicht erkannt haben – und warum sie jetzt so überrascht reagieren.
Fakten-Check: Freiheit der Märkte
Wirkt die EU tatsächlich als Schutzschild gegen die neoliberale Globalisierung? Und wenn die Antwort auf diese Frage „Nein“ lautet: Kann die EU reformiert werden, um diese Funktion einzunehmen?
Analysieren wir kurz die Fakten: Bereits im Vertrag von Rom 1957 lag der Schwerpunkt auf den sogenannten wirtschaftlichen Freiheiten, also Rechten und Freiheiten im Sinne des Funktionierens der Märkte. Mit der Zeit erhielt die Europäische Union immer weitere Kompetenzen, doch dieser konstituierende Kern wurde beibehalten und zur wichtigsten rechtlichen Grundlage erklärt. Die Rechte von Menschen als politischen AkteurInnen, das heißt als BürgerInnen, deren politische Teilhabe und informierte Zustimmung die Grundlage demokratischer Legitimität sein müsste (ein konstitutives Element der Verfassungen auf staatlicher Ebene), wurde durch den Vorrang des Gemeinschaftsrechts in Frage gestellt und geriet immer mehr in den Hintergrund.
Die rechtliche Festschreibung neoliberaler Prinzipien wurde mit dem Vertrag von Maastricht 1992 besiegelt. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Systemalternativen zu Kapitalismus und Neoliberalismus eine historische Niederlage erfahren. Die neoliberalen Grundsätze wurden zum Kern der EU-Verträge, denen sich die nationalen Rechtssysteme unterordnen mussten. Gleichzeitig wurden die Verträge durch das Einstimmigkeitsprinzip immunisiert, um spätere Änderungen fast unmöglich zu machen. Für solche Änderungen bräuchte es die Zustimmung von allen mittlerweile 28 Mitgliedstaaten.
In anderen Worten: In EU und Eurozone wurde Wirtschaftspolitik völlig von politischer Teilhabe abgekoppelt. Es ist praktisch unmöglich, die zentralen Ziele der EU-Strukturen zu verändern, denen alle anderen Bereiche untergeordnet sind.
Ohne eigene Geldpolitik keine Alternative
Vor diesem Hintergrund sind die Strategien zur Demokratisierung der Europäischen Union und des Euro völlig abstrakt. Um zu bestimmen, ob eine Struktur demokratisiert werden kann, müssen wir zuerst ihren realen Zustand analysieren. Diese besteht aus den Verträgen, Verordnungen und Vereinbarungen des Binnenmarkts und der Eurozone – also der Achse, um die sich die Austeritätspolitik dreht.
Selbst jene Teile der Linken, die für eine Reform der EU eintreten, gestehen zumeist ein, dass diese Struktur nicht durch den normalen legislativen Prozess in der EU verändert werden kann. Dies könne jedoch, behauptet etwa der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, durch „vorsätzlichen Ungehorsam“ innerhalb von EU und Eurozone erreicht werden. Was dabei unbeantwortet bleibt: Wie soll ein Land gegen die politischen Vorgaben der EU handeln, wenn es keine eigene Geldpolitik machen kann und wenn seine Liquidität folglich von der Europäischen Zentralbank abhängt? Mit der Einführung des Euro wurden wirtschaftspolitische Entscheidungen an technokratische Institutionen übertragen. Innerhalb dieses Rahmens ist es nicht mehr möglich, eigene Liquidität zu schaffen oder die Währung anzupassen, um eine andere Wirtschaftspolitik zu ermöglichen.
Dies sind objektive Bedingungen, die nicht umgangen werden können. Die Erzählungen von der „guten EU“ bzw. vom „guten Euro“ klammern diese Fragen einfach aus. Sie haben daher auch keine Strategien, wie diese objektiven Bedingungen überwunden werden könnten. Stattdessen fordern sie, wie etwa Varoufakis‘ Bewegung DiEM25, die Gründung supranationaler Bewegungen, die dann die gleiche, in Griechenland gescheiterte Strategie des Widerstands innerhalb des Euro anwenden sollen. Doch nur die Ebene zu verschieben ändert nichts an den objektiven Bedingungen. Solange die EZB entscheiden kann, ob Geld in ein Land fließt oder nicht, kann Widerstand nicht aufrechterhalten, können die Verhältnisse nicht verändert werden.
Rechtsextremes Monopol auf EU-Kritik
Um DiEM25 nicht Unrecht zu tun: Sie sind nicht die einzigen, die unrealistische Vorschläge machen. Ein Großteil der Linken war in den letzten Jahren nicht in der Lage, eine glaubwürdige und umsetzbare Alternative zum Neoliberalismus zu entwickeln. So genießt die extreme Rechte zunehmend das Monopol auf Opposition und, noch wichtiger, das Monopol auf den Bruch mit einem System, das immer mehr Entscheidungsmacht an die Eliten überträgt.
Es geht also nicht darum, abstrakt zu entscheiden ob wir auf der lokalen oder auf einer gedachten supranationalen Ebene kämpfen sollen. Wir sollten immer dort kämpfen, wo die Chancen am größten sind, dass gesellschaftliche Mehrheiten sich politisch einbringen können. Es geht darum, demokratische Spielräume zurückzuerobern. Dafür müssen sich unsere Kämpfe gegen die neoliberale Integration richten, angefangen mit dem Regime des Euro.
Bedeutet das, dass ein linker Austritt aus dem Euro als Alternative zum Neoliberalismus ausreicht? Nein. Der Austritt ist nur eine notwendige Bedingung, um Entscheidungen im Sinne der gesellschaftlichen Mehrheiten überhaupt erst zu ermöglichen. Der Austritt ist somit die Bedingung für jeden Kampf gegen die herrschende Politik.
Die Zeit drängt
Diese Kämpfe können nicht warten, denn die bittere Wahrheit ist: Wenn wir die Ausstrahlungskraft der extremen Rechten brechen wollen, müssen wir schnellstmöglich die neoliberale Verarmungspolitik und die autoritäre neoliberale Globalisierung beenden und alternative Politik umsetzen.
Die fehlende Glaubwürdigkeit linker Politik lässt sich nicht durch Kampagnen herstellen, die weiterhin, wie manche vorschlagen, für eine soziale EU „im Jahr 2025“ eintreten, „auch wenn wir nicht daran glauben, dass die EU in ihrer jetzigen Form überleben kann, oder soll“. Vielmehr müssen wir die Realitätsverweigerung beenden und erkennen, dass die neoliberale EU unsere Loyalität nie verdient hatte. Wir müssen damit beginnen, die existierenden konkreten Alternativen zu diskutieren, wie dies international etwa auf den Plan B-Treffen oder im Lexit-Netzwerk getan wird.