Ein Arbeitspapier des CEP, Zentrum für Europäische Politik, wurde eben publiziert. Es handelt von den „Wohlstandswirkungen“ der Einheitswährung und zeigt an der Zahl BIP pro Kopf: Von acht untersuchten Ländern haben fünf massiv verloren; Griechenland sei pari ausgestiegen (!!!). Wirklich gewonnen habe einzig die BRD, die aber in großem Ausmaß (2 Billionen) , und in gewissem Ausmaß auch noch die Niederlande. Italien und Frankreich würden ohne € kumuliert um je etwa 4 Billionen besser gefahren sein, also um jeweils zwei Jahresproduktionen zu Preisen von 2017 (BIP 2017 Italien 1,725 Bill. €; Frankreich 2,292 Bill.). Anders ausgedrückt: Italiener und Franzosen hätten ohne den Euro bis heute insgesamt zwei Jahresergebnisse mehr zur Verfügung, haben also wegen des € zwei Jahre umsonst gearbeitet.
Man wundert sich. Das CEP ist nach eigenen Angaben ein „europapolitischer Think-tank“, ein „unabhängiges Kompetenzzentrum“. Und die sagen uns plötzlich, dass der € für einen Großteil der untersuchten Länder massive Nachteile habe? Das Papier richtet sich hauptsächlich an deutsche Politiker. Da muss man heute ab und zu den Vorteil der BRD schon betonen. Denn selbst dort wächst der Widerstand. Die eigentlichen Aussagen kommen weiter im Inneren: „Italien hat nach wie vor keine Möglichkeit gefunden, wie es innerhalb der €-Zone wettbewerbsfähig sein kann. … Statt [der Abwertungen] bedarf es nun Strukturreformen“ (10). Das ist eine wortwörtliche Wiederholung, was auf S. 8 bereits über Frankreich gesagt wurde. Dort haben die Autoren noch hinzugefügt: „Frankreich muss den von Präsident Macron eingeschlagenen Reformweg zwingend konsequent weitergehen.“ Damit ist die Katze aus dem Sack. Auch das wird bei Portugal wiederholt und ergänzt: „Portugal muss zwingend Reformen durchführen … und öffentliche Ausgaben weniger konsumtiv nutzen.“ Also: Fresst weniger und arbeitet mehr!
Der Zweck der Übung ist also klar: „Innere Abwertung!“ Im Gegensatz zu Puzzello / Gomes-Porqueras 2018, eine Untersuchung mit derselben Methode, versuchen diese Autoren nicht, ihre Berechnungs-Methode im Detail darzustellen. Aber sie erläutern sie kurz und geben immerhin die Kontrollgruppe und ihre Mitglieder für jedes Land an. Es ist ziemlich plausibel, dass man Länder ähnlicher Struktur und ähnlichen Entwicklungsstands zum Vergleich heranzieht.
Hier fangen die Probleme an. Diese Kontrollgruppe ist jeweils ein Sammelsurium völlig unverbundener Wirtschaften. Griechenland wird z. B. Barbados und Neuseeland gegenüber gestellt. Noch problematischer wird es, wenn die Schweiz heran gezogen wird. Gegenüber der Schweiz hat der € dauernd abgewertet. Damit hat er die Bedingungen des Schweizer Exports und des Schweizer Wachstums beschädigt. Auch die Schweiz wäre ohne Einführung des Euros im Nachbarland BRD schneller gewachsen. Anfang 2000 zahlte man 1,6 Franken für 1 €; inzwischen erhält man den € schon für 1,13 Franken – eine Abwertung des € gegenüber dem Franken um 42 %. Und mehr als die Hälfte der Schweizer Waren-Exporte (53 %) gehen in die EU, vor allem in die €-Zone. Wir wissen ja: Für die BRD bedeutet der € eine Abwertung, während er für die der Abwer¬tung bedürftigen Südwirtschaften eine Aufwertung darstellt.
Der zweite Punkt ist die zeitliche Abgrenzung. Schon im ersten Absatz wunderte ich mich: Griechenland, dessen Wirtschaft von der Troika – pardon: Tsipras und Varoufakis wollen, dass wir von den „Institutionen“ sprechen – platt gemacht wurde, sei pari ausgestiegen? Doch hier wird die griechische Blase bis 2009 voll mitgerechnet. Aber dann wird die Zeit bei 2017 abgeschnitten. Das ist im Design der Untersuchung völlig korrekt. Wenn man allerdings die Graphiken auf S. 15 und auf S. 9 vergleicht, dann ist völlig klar: Bereits 2018 würde sich der kumulierte Saldo drehen (-3,5 Mrd.) und ein negatives Gesamtergebnis heraus kommen. Wenn man noch einige Jahre dazu rechnete, wäre die Summe tiefrot. Einige Schlitzohren könnten nun sagen: Aber das sind ja dann Projektionen! Natürlich: Aber die ganze Methode ist auf Projektionen aufgebaut, die um nichts exakter sind als die eben vorgeführte. Man braucht hier nicht mehr viel dazu sagen.
Oder vielmehr doch, nämlich das Wichtigste. Hier wird ständig von „Wohlstandswirkungen“ gesprochen; aber verwendet wird das BIP pro Kopf, also ein Durchschnitt. Die Verteilung wird nicht einmal angesprochen. Dabei kommt in einem Nebensatz sogar der Konsum vor. Der aber sinkt im Anteil sogar in Österreich seit den 1990ern, seit dem EU-Beitritt, also in einem Land, das angeblichvon der Währungsunion „begünstigt“ ist.
Das ist der gewöhnliche Trick von Ökonomen. In den Einführungs-Vorlesungen bringen sie den Studenten bei, dass mit den Gossen’schen Gesetzen und dem „abnehmenden Grenznutzen“ – also mit nicht beobachtbaren Effekten – der Wohlstandsgewinn bei jeder zusätzlichen Einheit sinke, und (das sagen sie sicherheitshalber schon nicht mehr dazu) dass damit Gleichverteilung eigentlich den höchsten Wohlstand ergäbe. In der Praxis vergessen sie sehr schnell darauf. Da braucht es dann Incentives für die Leistungswilligen und daher Ungleichheit. Gewonnen haben in Österreich wie in der Bundesrepublik die Exporteure, allgemein die Bezieher hoher Einkommen, nicht „Österreich“ oder „Deutschland“. Das ist das Um und Auf.
Dass diese Studie politische Bedeutung hat, ersieht man auch daraus, dass der Sprecher des doktrinären EU-skeptischen Flügels der deutschen Ökonomen sofort reagiert. Hans Werner Sinn versucht in einem kurzen Kommentar im „Handelsblatt“ (28. Feber 2018) die Sprengladung zu entschärfen. U. a. meint er: „Tatsächlich wurden die deutschen Exportüberschüsse (oft) … für windige Vermögenstitel im Ausland verwendet. Milliarden Euros [wie viel???] waren abzuschreiben … Auf den riesigen rechnerischen Nettobestand an Auslandsvermögen (erzielt man) generell nur mickrige Zinsen.“ Abgesehen, dass dies weitgehend falsch ist, weil das argumentiert, als ob die Spekulanten ihr Geld auf Sparbücher legen würden, ist es auch wirklich frech: Weil sich einige Kapitalisten verspekulieren, behauptet er, die Gelder, die für die Spekulation eingesetzt wurden, seine vorher gar kein Gewinn gewesen. Aber eines hat der ex- oder vielmehr em. Professor gut genug verstanden: Das ist ein heißes politisches Thema. Er fürchtet, die BRD (! – die Arbeitenden) hätte mehr zu zahlen.
Und noch etwas. Wir können zu Recht argumentieren: Der € bildet keine „Optimale Währungszone“. Das geben die ökonomischen Doktrinäre sogar selbst zu. Zu denen, die am meisten leiden, gehören ironischer Weise jene, die in ihrer Verblendung am stärksten auf die Euro-Einführung gedrängt haben. Es war Mitterrand und mit ihm die französischen Sozialdemokraten. Sie hatten die Währungsunion zur Bedingung gemacht, dass sie dem Anschluss der DDR an die BRD zustimmten. Mitterrand ist tot. Die französischen Sozialdemokraten, der PSI, aber ist zur Kleinpartei verkommen, soweit nicht Macron einigen unter ihnen gnädig Unterschlupf in seiner Führer-Partei gewährte.
Aber unser Haupt-Motiv gegen den Euro ist nicht die OCA, die optimale Währungszone, Unser Hauptmotiv ist: Die EU, das Imperium macht den bescheidenen Ansatz zu einer politischen Demokratie kaputt, schafft die Demokratie ab. Sie macht eine sozialistische Politik unmöglich, eine Politik für eine große Mehrheit der Bevölkerung. Die EU wurde dazu gegründet, und der Euro ist der Mechanismus, welcher dies Tag für Tag ohne viel Aufsehen erledigt.
Solche Arbeiten sind für uns trotzdem nützlich. Denn sogar die Ideologen des Euro müssen zugeben: Für die Bevölkerung war die Währungsunion keine gute Idee.
AFR, 28. Feber 2018
Gasparotti, Alessandro / Kullas, Matthias (2019), 20 Jahre Euro: Gewinner und Verlierer. Eine empirische Untersuchung. CEP Studie.
Puzzello, Laura / Gomis-Porqueras, Pedro (2018), Winners and losers from the €uro. In: European Economic Review 108, 129 – 152