von Stefan Hinsch, 17.6.2015
Nach dem Scheitern der „5 vor 12“ Verhandlungen, steigt am Donnerstag den 18.6. eine neue Griechenland Verhandlungsrunde der Eurogruppen Finanzminister. Diese wird ebenfalls scheitern, am Wochenende gibt es dann einen Not-Gipfel der Staatsoberhäupter. Eine „5 nach 12“ Einigung erscheint immer noch möglich, wird aber zunehmend unwahrscheinlich. Die Verhandlungen, ebenso wie die mediale Begleitmusik, werden zunehmend absurder.
Die Regierungen der Euro-Zone, ebenso wie die großen Medien, werden nicht müde die Geschichte der vertragsbrüchigen Griechen zu wiederholen, die ihre Aufgaben immer noch nicht gemacht haben, Vereinbarungen nicht einhalten, Reformen zurückweisen… Tatsächlich wurde das Land einer neoliberalen Rosskur der Sonderklasse unterzogen: Zwischen 2009 und 2014 verbesserte sich das Primärdefizit des Budgets (vor Zinszahlungen) um 12 Prozentpunkte. Das strukturelle Defizit verbesserte sich sogar um 20 Prozentpunkte – steckte die griechische Wirtschaft nicht in einer gigantischen Katastrophe, würde ein unglaublicher Budgetüberschuss (von etwa 10 Prozent des BIP) ausgewiesen. Die Leistungsbilanz verbesserte sich um 12 Prozentpunkte. Die Probleme der neoliberalen Rosskur sind mittlerweile auch bekannt: Seit 2009 ist das BIP um 27 Prozent gefallen, die inländische Nachfrage um 35 Prozent und die Arbeitslosigkeit hat 25 Prozent erreicht.
Die liberale Medizin hat den Patienten praktisch umgebracht, durch Not und Elend wurde aber tatsächlich eine Anpassung der griechischen Wirtschaft erreicht: Weder zur Finanzierung des staatlichen Budgets, noch zur Finanzierung von Importen bräuchte es im Augenblick „Hilfspakete“ und Kredite aus dem Ausland. Das Geld der Eurozone braucht man nur für den Schuldendienst.
Und hier liegt der Kern des Problems und der Absurdität begraben: Griechenland kann diese Schulden nicht bezahlen, sie müssen abgeschrieben werden, wenigstens zur Hälfte. Aber niemand gibt das zu und tatsächlich hat man sich auf einen Rahmen der Absurdität geeinigt: 2015 soll Griechenland einen Primärüberschuss von 1,5 Prozent des BIP aufweisen, 2016 einen von 2,5 Prozent – beides wird nicht möglich sein. Jetzt streitet man über den Weg zu diesem nicht erreichbaren Ziel. Die EU fordert ideologische Strukturreformen (Privatisierungen, Schwächung von Gewerkschaften…), vor allem aber eine weitere Pensionskürzung und ein Anheben der Mehrwertsteuer. Für die griechische Regierung ist das zu Recht nicht akzeptabel: Die Pensionen wurden in 6 Schritten bereits um mehr als 40 Prozent gekürzt (im Schnitt), die Pensionisten bereits völlig verarmt. Und ein weiteres Anheben der Mehrwertsteuer würde auch die Konjunktur noch einmal massiv schädigen: In der Folge liegen den Vorschlägen der Troika viel zu optimistische Wachstumsannahmen zu Grunde. Das ist wahrscheinlich bewusst: Ein Primärüberschuss in der von der EU geforderten Höhe ist im Augenblick nicht machbar – aber scheinbar ist das Ziel gar nicht ein realistisches Programm, sondern eine Demütigung Griechenlands und der Syriza-Regierung.
Die griechische Regierung hat dem „Spar-Ziel“ tatsächlich zugestimmt, will es aber mit echten Strukturreformen erreichen, durch eine effizientere Steuerverwaltung. Die EU hält dem entgegen, dass sich das nicht ausgehen kann, kurzfristig ist auch eine effizientere Steuerverwaltung nicht in der Lage die geforderten Summen aufzustellen. Da hat sie wohl Recht – allerdings sind die Budgetziele im Augenblick gar nicht zu erreichen.
Schulden von 175 Prozent des BIP sind für ein Land wie Griechenland nicht tragbar. Sie können nicht bezahlt werden, müssen abgeschrieben werden. Das war immer schon so: Wer nicht bezahlen kann, wird nicht bezahlen. Alle europäischen Nebelgranaten (etwa niedrigere Zinsen und längere Laufzeiten für die Kredite) helfen nicht wirklich – denn immer hängt das Damoklesschwert eines Zusammenbruchs der politischen Vereinbarungen, einer folgenden Staatspleite und ein mögliches Ausscheiden aus der Eurozone über Griechenland. Unter solchen Voraussetzungen ist keine Stabilisierung möglich, niemand investiert, niemand hält größere Einlagen in einer Bank, niemand vergibt Kredite. Der griechische Haushalt ist ein Zombie, künstlich vor einer Pleite gerettet, indem sich die Gläubiger ihre Zinsen selber bezahlen.
Die Eurozone scheint zu einer rationalen Politik nicht in der Lage. Das politische Gewicht des Neoliberalismus ist zu groß, die befürchtete politische Ansteckung einer vernünftigen Lösung lässt die Troika erzittern. Griechenland muss sich unterwerfen.
Griechenland hätte dem Euro nicht beitreten dürfen. Griechenland hätte 2011 austreten müssen, ordentlich abwerten und ordentlich Pleite gehen – eine isländische Lösung. Wenn sie zurecht nicht bereit ist sich von der Troika demütigen zu lassen und ein Hungerdiktat ablehnt, dann hätte Griechenland und die neue Syriza-Regierung das Primärüberschuss-Ziel bis 2016 nicht akzeptieren sollen – und sollte sich am Wochenende nicht auf einen deutschen Kompromiss einlassen. Denn ohne Schuldenstreichung kann dieser nicht endgültig sein. Und wird deswegen die Unsicherheit nicht aus der griechischen Wirtschaft nehmen