Oder: Kosten von Tsipras’ Kehrtwende
von Wilhelm Langthaler
Das griechische Drama hört nicht auf, immer weitere Steigerungsstufen zu erklimmen. Hat sich Tsipras von der Mehrheit der Griechen und insbesondere der unteren Schichten ein kräftiges Nein zum Austeritätsdiktat geben lassen, nur um eine Woche später dieses doch zu unterschreiben? Steht eventuell nochmals ein jäher Kurswechsel bevor oder ist der Endpunkt nun wirklich erreicht?
Die sich abzeichnende Kapitulation von Syriza ist enttäuschend. Das mutige und überwältigende Nein hätte um einiges mehr hergegeben. Es hätte als Mandat nicht nur gegen die Austerität, sondern auch für den Bruch mit der Oligarchie interpretiert werden können. Nach einem halben Jahr der vergeblichen Versuche einen „würdigen Kompromiss“ zu erzielen, wäre das für die subalternen Klassen durchaus verständlich gewesen. Tatsächlich weckte es bei vielen Hoffnung und auch Kampfbereitschaft für eine echte Änderung weg vom Neoliberalismus, die nur mit einem heftigen Zusammenstoß mit den kapitalistischen Eliten des Zentrums denkbar ist.
Stattdessen verwendete Tsipras das Votum als Unterpfand für die Verhandlungen mit der Euro-Oligarchie – absehbar erfolglos. Letztlich hat er – wie schon mehrfach zuvor – Angst vor dem eigenen Mut. Sie wollen den Bruch unbedingt vermeiden und meinen sich damit auf die Mehrheit stützen zu können, die in „Europa“ bleiben wolle.
Syrizas Kurs erscheint als extremer Zickzack – und ist es auch. Aber es findet sich dennoch eine Logik dahinter, die Kontinuität hat. Es ist die unmögliche Formel der Wahl vom vergangenen Januar: Nein zur Austerität, ja zum Euro-(Regime). Diesen Widerspruch will die Syriza-Führung nicht auflösen und hält kontrafaktisch unbeirrbar daran fest. Daran werden sie letztlich auch scheitern. Denn wenn sie sich selbst zum Exekutor der Troika machen, dann sind sie innerhalb weniger Monate erledigt.
Noch gibt es zwei Hindernisse für eine Verlängerung der Oligarchie-Programme:
Einerseits die Syriza-Linke: 10 Abgeordnete von Syriza stimmten im Parlament mit nein oder enthielten sich der Stimme. Der hochrangigste unter ihnen ist Energieminister Lafazanis, der auch die Unterschrift unter den Vorschlag an die Troika verweigerte. Sein Rücktritt wird erwartet. Prominent sind auch die Parlamentspräsidentin Konstantopoulou, sowie der stellvertretende Arbeitsminister Stratoulis. Weitere sieben nahmen nicht teil. Angeblich soll der zurückgetretene Finanzminister Varoufakis unter ihnen sein.*
Damit war Tsipras auf die Stimmen des alten Regimes angewiesen, ein überdeutliches Symbol des Einknickens.
Doch wie konsequent wird die Syriza-Linke vorgehen? Die Frage ist, wie sehr sie sich trauen den notwendigen Bruch, der mitten durch Syriza führt, aktiv zu betreiben. Mit Wahrscheinlichkeit wird es zu Neuwahlen kommen, bei denen sich Tsipras ein neuerliches Mandat holen will und dabei die Linke ausschalten muss. Diese muss daher sofort zum Gegenangriff übergehen: Sie müsste nun eine breite Mobilisierung einleiten und mit Mut und Weitsicht eine offene und breite Kandidatur mit einem klaren Programm für und mit den Subalternen für einen Bruch mit der Oligarchie vorbereiten. (Den Plan B, den Tsipras verweigerte.) Dabei darf sie sich nicht davor scheuen, in die Minderheit zu gelangen.
Bei einem solchen Szenario kann nicht ausgeschlossen werden, dass die rechte Mehrheit um Tsipras nicht doch noch Brücken zu schlagen versuchen wird, um die Spaltung abzuwenden – wahrscheinlich erscheint das allerdings nicht.
Auf der anderen Seite muss befürchtet werden, dass die Syriza-Linke an den eroberten Positionen festhalten wird wollen. Man hatte bei der Teilnahme und beim Aufstieg von Syriza gerade in der Frage des Verbleibs unter dem Euro-Regime schon einiges an Opportunismus gesehen, was ja von der Extra-Syriza-Linken richtigerweise angekrittelt wurde. Dieser alte sozialdemokratische Geist des Verbleibens in den scheinbar mächtigen Formationen, könnte die Bildung einer kräftigen Opposition behindern.
Das andere mögliche Hindernis könnten die deutschen Hardliner sein. In der Berliner Regierungskoalition gibt es einen chauvinistisch-austeritären Flügel, der Griechenland ohne Rücksicht auf das komplizierte und auf gewisse Kompromisse beruhende Machtgefüge der EU hinausschmeißen will. In ihrem sozialen Block haben diese eine erhebliche Bedeutung. Schon vor dem Referendum hatte Schäuble & Co mit ihrer überharten Linie eine Einigung verhindert, die Tsiras mit dem Votum im Rücken nun erzwingen will. Allerdings muss man davon ausgehen, dass der Druck der politischen Eliten (einschließlich Washingtons) für eine Einigung übermächtig sein wird.