NUR DER EURO?

Oskar Lafontaines Brief und seine Vorstellungen einer neuen Politik

Oskar Lafontaine hat am 11. Oktober 2015 in il manifesto einen Offenen Brief an die italienische Linke geschrieben, dessen deutsche Fassung am 14. Oktober in der Jungen Welt vom 14. Oktober erschien. Der Brief könnte eine kleine Sensation darstellen. Wir müssen uns mit ihm auseinandersetzen – kritisch, aber ohne Häme und Bösartigkeit.

Oskar Lafontaine stellt die Frage, ob es eine Möglichkeit linker Politik „im Rahmen der Europäischen Union“ gebe. Seine Antwort ist eindeutig: NEIN. Und daraus zieht er die Folgerung: Es ist an der Zeit, den Aufbau einer Neuen Linken über- bzw. international anzustoßen. Sie soll sich nicht mehr als Gefangene des Eurosystems gerieren, wie die bis­herige alte (reformistische) Linke. Dazu gehört ganz offenbar auch die deutsche Partei DIE LINKE. Aber diese Neue Linke muss die Massen-Basis der alten Linken bewahren und ausbauen. Dazu gehört vorrangig auch die „Begegnung mit neuen Kräften jenseits des traditionellen Parteienspektrums“.

Das könnte eine Wende darstellen – wenn es richtig verstanden wird. Die Nennung von Bepe Grillo in einem Atemzug mit Silvio Berlusconi dämpft allerdings die Hoffnung gewaltig, die man auf diesen innovativen Politik-Vorschlag setzen könnte.

Damit sind wir bei den analytischen und politischen Schwächen dieses Weckrufs angelangt.

Oskar Lafontaine weist auf wesentliche strukturelle Faktoren des Euro-Systems hin. Zentral ist die Rolle der unverantwortlichen EZB und ihre Entschlossenheit und Möglichkeiten, jede Alternative zur gegenwärtigen Politik abzuwürgen. Aber unmittelbar darauf folgt die Fest­stellung, „dass die europäischen Verträge und das europäische Währungssystem fehlerhaft konstruiert sind. Das ist ein altes Motiv nicht nur Oskar Lafontaines, sondern der ganzen Richtung, für die er immer noch steht. Es ist der Stil, die Formulierung, die mehr als die nüchterne Aussage hier entscheidet. Denn die legt immer noch die Vermutung nahe: Das Euro-System war im Grund eine gute Idee, nur schlecht ausgeführt.

Aber der Euro ist nicht „fehlerhaft konstruiert“. Er ist so gewollt wie er ist. Das will Oskar Lafontaine nicht einsehen. Möglicherweise hängt er noch an seiner Vergangenheit. Immerhin war er deutscher Finanzminister, als die Transformation in den Euro erfolgte. Vor allem aber: Er hat seine Position ganz offenbar nicht zu Ende gedacht. Das zeigt sich an einem ganz fundamentalen Punkt-

Oskar Lafontaine schlägt nämlich als Ersatz für die heutige Einheitswährung die Rückkehr zu einem verbesserten EWS vor. Dieses System der „Schlange“ reduziert aber die Problematik des Euro auf die Fragen der fixen Wechselkurse. Die sind wichtig genug. Aber sie sind keineswegs alles und sie sind inzwischen nicht mehr der Kern des Euro-Systems. Der Kern sind heute alle Maßnahmen, welche die neoliberale und Austeritäts-Politik zur einzigen Möglichkeit, zum TINA aller Mitglieder in der EU machen. Man sollte nicht vergessen, dass das EWS, diese Schöpfung seines Vorgängers und parteiinternen Widersachers Helmut Schmidt seinerzeit durchaus als Fehlschlag betrachtet wurde. Dabei war allerdings der Gesichtspunkt jener eines Proto-Euro mit endgültig fixierten Kursen.

Trotzdem ist dieser Vorschlag erwägenswert. Aber was weiter? Bleiben wir dann beim EWS und der Schlange stehen, die eben von Zeit zu Zeit re-adaptiert wird?

Das ist vielleicht der fundamentale Punkt, wo sich unsere Vorstellungen und Wege teilen.

Und dann stellt sich eine triviale und gleichzeitig höchst entscheidende Frage. An wen richtet sich der Brief an die italienische Linke eigentlich? Manchmal hat man den Eindruck, es sind immer noch die Demokraten. Dann wieder denkt man doch eher an die Strömungen der Linken, von Fassina angefangen. Das aber ist entscheidend.

Oskar Lafontaines Brief ist eine wichtige Bewegung, könnte es jedenfalls sein. Man soll ihn daher nicht sosehr nach seinen Schwächen beurteilen. Eher ist es sinnvoll, den Brief als einen jener wichtigen Impulse zu sehen, wo endlich an ein breiteres linkes Spektrum die Anforde­rung gestellt wird: Beginnt endlich mit dem Denken! Löst Euch von Euren Illusionen! Spre­chen wir über Alternativen zum gegenwärtigen Bleimantel von Politik und ihrer neoliberal kontrollierten Medien-Öffentlichkeit! Überlassen wir eines der wichtigsten Themen der Bevölkerung doch nicht der Rechten und ihren Rattenfängern!

Aber zu Ende gedacht ist dies nicht. Wir müssen erst noch die Themen dieser Sonate, welche Oskar Lafontaine seit etwa einem Jahr anschlägt, gründlichst variieren und verarbeiten.

  1. Oktober 2015

Zwei Nachträge vom 19. Oktober:

„Der Brief ist von Fassina bestellt.

Es ist eine Medizin für ein Milieu, das bereits starke Resistenzen aufgebaut hat, wo die Medizin nicht wirken kann.

Fassina will das altlinke Milieu um SEL und Rifondazione auf Anti-Euro-Position bringen, dem es in Wirklichkeit darum geht, mehr Gewicht gegenüber der PD zu bekommen um sich dann wieder entsprechend an sie verkaufen zu können.“ (W. Langthaler)

Ein weiterer Hinweis: Im Neuen Deutschland von heute (19. Oktober) findet sich wiederum ein Interview mit O. Lafontaine. Zu den Aussagen von Lafontaine ist nur eine Frage zu stellen. Er bezeichnet sich selbst als „überzeugten Europäer“ und will „die europäische Idee und den europäischen Zusammenhalt retten“. Was bedeuten diese Gemeinplätze, Codeworte aller EU-Turbos, in Lafontaines Mund strategisch und taktisch konkret, welchen Inhalt transportieren sie?

Und noch eine Anmerkung zum Interview: Das eigentlich Interessante ist die Art, wie ND das Gespräch führt. Alle alten Versatzstücke der €- und EU-Retter tauchen da auf. Es ist aber die Linie DER LINKEN. Was will diese Partei wirklich? Wofür steht sie politisch?