von Paul Steinhardt
Trotz der vielen Jubelmeldungen über die erfolgreich praktizierte Wirtschaftspolitik in der Eurozone, lassen sich die Fakten nicht verleugnen. Das Eurozonen BIP hat bislang noch immer nicht wieder das Niveau von 2007 erreicht und die Arbeitslosigkeit beträgt noch immer nahezu 11%. In vielen südlichen Ländern der Eurozone, wie z.B. in Spanien, Portugal und Griechenland, droht gar einer ganzen Generation der unumkehrbare wirtschaftliche und soziale Abstieg und bleibt als Ausweg oft nur noch die Emigration. Die Deindustrialisierung in vielen Ländern der Eurozone – selbst von Gründungsmitgliedern der EU wie Italien und Frankreich – schreitet weiter voran und auch in den vermeintlichen nördlichen Siegerländern führt der neoliberale Wirtschaftskurs der dort Regierenden zu Sozialabbau und zunehmender sozialer Spaltung.
Kein Zweifel kann daran bestehen, dass für das wirtschaftliche und soziale Desaster der Eurozone die Medizin der von der deutschen Bundesregierung angeführten Marktradikalen mit Namen „Austerität“ dazu einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet hat, und dass in den „Programmländern“ elementarste Anforderungen an demokratisch legitimierte Entscheidungsprozesse verletzt wurden und diese Länder nur noch bloße Befehlsempfänger der Troika sind.
Bis hierhin dürfte es unter europäischen Linken kaum einen Dissens geben. Dissens aber gibt es darüber, welche politische Strategie unter den gegebenen Umständen als zielführend erachtet werden kann, um den Menschen gerade in den Krisenländern wieder die Möglichkeit zu geben, ihre wirtschaftliche und soziale Situation rasch zu verbessern und ihre demokratische Souveränität wieder herzustellen.
Ich habe in vielen Beiträgen kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich als einzig gangbaren Weg die Auflösung der Europäischen Währungsunion sehe (z.B. hier). Denn ohne dass diese Länder wieder über eine eigene Zentralbank verfügen, die es ihnen erlaubt, eine expansive Fiskalpolitik zu betreiben und durch Abwertung die entstandene Wettbewerbslücke mit kluger Wirtschaftspolitik zu schließen, wird es keinen wirtschaftlichen Aufschwung geben können, der die dort entstandene Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen imstande ist. Die Souveränität des Volkes wird durch die Macht von Kapitalmärkten und EZB massiv eingeschränkt bleiben.
Wer die Rückübertragung bestimmter Kompetenzen, wie z.B. der Währungssouveränität, von der EU auf die nationalstaatliche Ebene fordert, muss, wie die Reaktionen auf Wagenknechts entsprechenden Vorstoß zeigten, damit rechnen, von der politisch Linken entweder ignoriert oder gar als „sozialnationalistisch“ diffamiert zu werden (hier habe ich darüber berichtet und dazu Stellung genommen). Warum aber wird die Forderung nach der Übertragung von Kompetenzen von der EU- auf die Nationalstaatsebene abgelehnt und wie sieht eine realistische Alternative zu dieser Strategie aus?
Üblicherweise wird behauptet, dass die europäische Integration ein richtiger Schritt hin zur Überwindung des Nationalstaates sei, weil dieser in den Zeiten der Globalisierung ohnehin die vielen Probleme der Menschheit nicht zu lösen vermag. Zudem sagt man, mit der Integrationsleistung der EU sei die reale Gefahr innereuropäischer kriegerischer Konflikte gebannt worden. Kaum wird auf die Frage eingegangen, wie eine demokratische Ordnung jenseits des Prinzips der nationalen Souveränität genau aussehen soll und kann.
Vor diesem Hintergrund ist die von Yannis Varoufakis ins Leben gerufene Initiative DiEM25, deren primäres Ziel ja die Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“ ist, durchaus zu begrüßen. Denn anstatt nebulös über die Demokratisierung der EU zu reden, wird hier – wenn auch eher implizit – zuzugeben, dass ohne ein Parlament, das den Willen der europäischen Bürger repräsentiert und ohne exekutive Organe, die ihm entsprechend zu handeln in der Lage sind, von Demokratie keine Rede sein kann.
Freilich dürfte selbst von Berufsoptimisten der geplante Zeitpunkt der feierlichen Vereinigung der Völker der EU im Jahre 2025 als arg ehrgeizig erachtet werden und es stellt sich die Frage, was man in der möglicherweise doch auch sehr viel längeren „Zwischenzeit“ genau zu tun gedenkt, um den wirtschaftlichen und sozialen Problemen in der EU zu begegnen. In dem Manifest der DiEM25 (hier) liest man dazu, dass die „aktuelle Wirtschaftskrise mit den bestehenden Institutionen und im Rahmen der bestehenden EU-Verträge“ angegangen werden soll. Wie sich das mit der dort auch zu findenden Behauptung verträgt, dass für den erbärmlichen Zustand der Eurozone „eine gemeinsame Bürokratie und eine gemeinsame Währung“ verantwortlich zu machen sind, die „heute die europäischen Völker trennen“, bleibt das Geheimnis von Varoufakis und seinen Mitstreitern.
Der als radikal medial inszenierte Widerstand in der Berliner Volksbühne gegen die EU-Nomenklatura erweist sich damit aber als Theaterdonner. Er bietet der Empörung besorgter und wohlmeinender Menschen aus ganz Europa ein Ventil, um den aufgestauten Frustrationsdampf ablassen zu können. Während das für die Psyche dieser Menschen durchaus begrüßenswert ist, ist diese Initiative für die Organisation wirksamen politischen Widerstands fatal. Denn die EU und der Euro werden als alternativlos angesehen und man insinuiert gar, dass den Problemen der EU mit etwas gutem Willen selbst innerhalb der bestehenden Institutionen begegnet werden kann. Das Ergebnis dieser Dialektik von radikaler Rhetorik und neoliberaler Realpolitik lässt sich gerade in Griechenland bestaunen, wo eine sich selbst als linksradikal verstehende Partei die von der Troika vorgeschriebene Politik exekutiert. Vor diesem Hintergrund macht dann auch das auf der Eintrittskarte zur Auftaktveranstaltung der DiEM25 aufgedruckte Motto überraschend viel Sinn: „Announcing the Democrazy“.
Der Beitrag erschien erstmalig auf www.flassbeck-economics.de/diem25-was-helfen-uns-jetzt-die-vereinigten-staaten-von-europa/ Wir reproduzieren ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.