Die EU hat, wieder einmal, einen mächtigen Eselstritt bekommen. Nun mobilisiert sie ihre Hilfstruppen. Sie findet sie in den Medien in der BRD und in Österreich, in Österreich nicht zuletzt im ORF. Wenn wir uns in den folgenden Absätzen Gedanken über die Folgen machen, so ist dies nicht zuletzt eine Reflexion über diese Reaktionen.
Da erklärt uns im ORF-Mittags-Journal ein gewisser Stefan Lehne, früher Beamter des Außenamts und nunmehr “Experte“ beim „Think Tank“ Carnegie, wie problematisch die Demokratie auf nationaler Ebene ist. Er hat tatsächlich die Chuzpe, zu sagen: Da sieht man ja, was rauskommt. 27 Länder haben zugestimmt, und ein einziges Land hält den Prozess auf.
Überall, wo die Bevölkerung in den letzten Jahren die Möglichkeit hatte, etwas zur EU zu sagen, bekam diese eine schallende Ohrfeige. Wir brauchen nicht an Griechenland im Juli 2015 zu denken. Am 3. Dezember stimmten die Dänen über ein so technisches Thema ab, ob das Land sich enger an Europol binden solle. Und mitten in der Terror-Hysterie stimmte eine Mehrheit dagegen. Denn es ging gegen die EU. Was würden sie wohl tun, wenn sie über die dänische Politik der bedingungslosen Bindung an den Euro abstimmen könnten?
Und dann wird Orwell’sche Bedeutungsumkehr und Sprachregelung betrieben. Volksabstimmungen galten früher einmal als Muster-Beispiel direkter Demokratie. Heute murmeln Rechts- und Linksliberale, der sozialdemokratische Gewerkschafter und die rechtsorientierte Journalistin, gemeinsam dumpf vor sich hin: Das ist ein Merkmal rechten Gedankenguts! Die Leute wissen ja gar nicht, was sie da abstimmen; usw. Volksabstimmungen, also Demokratie, sind des Teufels. Insbesondere die Eliten in der Bundesrepublik haben eine heillose Angst vor direkter Demokratie. Eine Journalistin der Springer’schen „Welt“ vom 11. April 2006 überschreibt ihren Kommentar dazu mit „Die Misere der direkten Demokratie“ und meint dann: „… ein gefährlicher Trend … Immer häufiger lassen Regierungen ihr Volk über außenpolitische Grundsatzfragen abstimmen…“
Volksabstimmungen kann man manipulieren, im administrativen Weg, indem man z. B. willkürliche Schwellen einzieht. Und mit viel Geld! Wir wissen dies gut genug. Das Ergebnis von 1994 mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für die EG / EU ist auf diese Weise sowie unter dem Partei-Terror der SPÖ und des ÖGB zustande gekommen. In den Folgejahren aber waren Volksabstimmungen verboten, oder höchstens über so wesentliche Dinge wie Hundstrümmerl und Hausmeister erlaubt. Der Herr Fischer, noch ein paar Wochen Bundespräsident, meinte zur Frage des Lissabonner Vertrags, des wichtigsten Themas für Österreich seit Langem: Aber eine Volksabstimmung ist da doch wirklich nicht nötig! Er hat sich damit unter den Totengräbern der österreichischen Demokratie einen Ehrenplatz gesichert.
Doch zurück zu den Niederlanden. Die Volksbefragung war glücklicher Weise keine rein rechtspopulistische Frage. Die Sozialistische Partei hat im Nein-Lager gestanden. Man muss fast sagen: Ausgerechnet die Sozialistische Partei! Denn diese ehemals maoistische Gruppe ist heute im Wesentlichen eine Sozialdemokratie, aber der alten Prägung; so wie die PvdA vor 30 Jahren vielleicht war. Heute heißt dies: „linkspopulistisch“. Immerhin. Sie hat offenbar begriffen, vielleicht nur aus taktischen Überlegungen: Man darf die Unzufriedenheit mit den Herrschenden nicht den Rechten überlassen. Das ist jedenfalls mehr, als z. B. der Großteil der LINKEN in Deutschland begriffen hat. Die macht sich damit mitschuldig am schnellen Wachstum der AfD, insbesondere in der ehemaligen DDR.
Die Sozialistische Partei wird bei uns und in Deutschland in diesem Zusammenhang systematisch verschwiegen. Das war ja auch das Rezept der niederländischen Politik, das da mit Eklat gescheitert ist: Totschweigen! Damit wollte man die Beteiligung unter 30 % drücken.
Diese ominösen 30 %! Für Schweizer Verhältnisse, dem Musterland der direkten Demokratie, wäre dies zwar keine hohe, aber eine honorige Stimmbeteiligung. Die Partizipation der letzten Jahre wächst eher, weil immer mehr Bürger begreifen, dass es doch um was geht. Und in den Niederlanden wird dies in einem Kontext verächtlich gemacht, der den Leuten suggeriert: Ist eh nicht verbindlich, wozu hingehen? Und im Hintergrund gibt es eine diskrete Kampagne der Nichtbeteiligung. Um es klar zu sagen: Die 32 % sind unter diesen Umständen beachtlich.
Ebenso kennzeichnend war die Brüsseler Reaktion. Ihr könnt’s uns! „Weiter wie bisher!“ Wir haben das Abkommen faktisch ja schon in Kraft gesetzt. Und wörtlich: Es wird sich nichts daran ändern! Das ist vielleicht sogar nützlich. Es zeigt: Innerhalb dieser EU lässt sich nichts machen und bewegen. Das einzige, wovor sich die Brüsseler Bürokratie und die nationalen politischen Klassen fürchten, ist ein Austritt. Das zeigt sich besonders deutlich gegenüber Großbritannien.
Aber ist die britische Volksabstimmung denn nicht reaktionär motiviert? Den Konservativen dort gehen doch bereits die minimalistischen Sozialstandards der EU gegen den Strich.
Das ist die alte verquere Logik, die bereits in Österreich 1994 funktioniert hat. Eine reaktionäre Partei nutzt taktisch die Unzufriedenheit der Menschen und vertritt ausnahmsweise einmal etwas, womit wir übereinstimmen. Und deswegen sollen wir jetzt das Hirn ausschalten und sagen: Wir sind jetzt für das Gegenteil, was wir sonst immer vertreten.
Jetzt geht es um ein konkretes Ziel, und das halten wir für richtig: Raus aus der EU!
Es gebe für Großbritannien wahrhaftig viel zu sagen. Das passt Alles nicht hierher, zum Anlass der Niederlande.
Der entscheidende Punkt ist: Gerade weil die Bevölkerung systematisch gehindert wird, ihre politische Mitbestimmung geltend zu machen, vor allem wenn es um die EU geht, wird auch in Hinkunft jede Gelegenheit genützt werden, der EU einen Tritt zu versetzen. Wir werden ja sehen, wie es mit TTIP laufen wird. Die Niederlande aber haben uns einen Dienst erwiesen. Sie zeigen, dass man selbst mit sehr stumpfen Waffen der Bürokratie, den politischen Klassen und den Eliten ziemlich weh tun kann. Wir sollten diese Lehre beherzigen.
Albert F. Reiterer, 8. April 2015