DIE EU, DAS OKTOBERTHEATER UND SEIN ERGEBNIS: CETA 3

Was hat der heldenhafte Kampf des Paul Magnette nun also inhaltlich wirklich gebracht?

Man macht sich auf die Suche. Die erste Entdeckung ist: Nach all der Hysterie der letzten Tage ist es vorerst nicht wirklich zu eruieren, was die Ergebnisse sind. Und das ist kennzeich­nend. Eine Öffentlichkeit existierte während der Jahre der Verhandlung nicht. Es gibt sie auch nach wie vor nicht, obwohl nun das Argument nicht mehr gilt, dass dabei Verhandlungen „gestört“ werden. Und erinnern wir uns: Beim wichtigsten Abkommen überhaupt, bei TTIP nimmt dies skandalöse Formen an. Auch Abgeordnete dürfen nur unter ganz restriktiven Be­dingungen Einschau in die Ergebnisse halten. Sie dürfen sich dabei keine Notizen machen, in einem Vertrag, der wieder über hunderte von Seiten geht und nur von Spezialisten überhaupt durchschaubar ist. Vor vielen Jahrzehnten hat einer der heutigen Propagandisten der EU zu Recht festgestellt: Eien „bürgerliche“ Öffentlichkeit ist die Minimalvoraussetzung von Demokratie. Diese Minimalvoraussetzung gibt es nicht, und das sagt eigentlich schon SAlles über EU-Demokratie aus.

Das völlige Fehlen jeder inhaltlichen Information zeigt besonders deutlich, was dieses Herbst-Theater war: Ein Ablenkungs-Manöver, welches es den nationalen und regionalen Eliten erlauben soll, vor ihre Wähler zu treten und zu sagen: Wir haben uns für Euch eingesetzt. Und gleichzeitig mit Augenzwinkern zu ihren Peers: Ihr wisst ja – so ernst war dies nicht. Bei diesen Verhandlungen ging und geht es ganz offensichtlich nicht um die Inhalte. Es war ein Schein-Konflikt-

Nochmals: Was kam da heraus?

Mit einiger Mühe macht man zwei Punkte ausfindig:

(1) Die Wallonie hat eine Ausstiegsklausel während der Zeit der Ratifizierung.

(2) Der Bestellungsmodus der „Richter“ an den Schiedsgerichten soll definiert werden. „Ziel ist es nun, dass über kurz oder lang Vollzeitrichter diese Aufgabe übernehmen und genaue Standards und Verhaltens­regeln für diese erlassen werden“, schreiben die deutschen „Wirt­schaftsnachrichten“.

Zum Punkt 1: Es ist völlig undenkbar, dass eine Region isoliert aus dem Vertrag aussteigt. Das ist ein schlechter Witz, ein Pseudo-Ergebnis schlechthin. Allerdings sieht die Sache etwas anders aus, wenn man sich die Erklärung der belgischen Regierung ansieht, die ich vorerst nicht auftreiben konnte (und die ich inzwischen von einem Genossen zugesandt erhielt). Hier lautet dies so: dass Belgien (der Zentralstaat) nicht ratifizieren wird, wenn eine Region oder eine Sprachgemeinschaft die Zustimmung zurückzieht. Das ist immerhin juristisch möglich. Politisch kann es bedeuten: Entweder der Wallonie (oder auch Brüssel) ist es ernst mit den Einwänden. Dann ist die ganze Angelegenheit nur um ein Jahr verschoben. Oder aber die regionalen Eliten setzen darauf, dass man auf ihre (angeblichen) Widerstände vergessen wird, also das Herbst-Theater Theater sein lässt. Es wirkt ganz, als ob diese Möglichkeit gewählt würde.

Zum Punkt 2: Es ist eine Pseudo-Errungenschaft. Denn ob die Teilnehmer an diesem Forum eine rechtswissenschaftliche Ausbildung haben werden, ändert keinen Punkt an der Macht der Schiedsgerichte jenseits staatlicher Gerichte und an ihrer den Interessen der Konzerne geneig­ten Stimmung. Es ist ziemlich selbstverständlich, dass die Konzerne ihre gefinkeltsten Rechts­anwälte in diese Schiedsgerichte entsenden werden und nicht irgendeinen unbedarften Men­schen. Und ob es ein Vorteil für die große Mehrheit wäre, dass der EuGH entscheidet, ist mehr als nur zweifelhaft. Gerade der EuGH hat in den letzten drei Jahrzehnten die Zentralisie­rung und den Abbau der nationalen Befugnisse im besonderen Maß und jenseits aller vertraglichen Vereinbarungen vorangetrieben. Der EuGH war es, der ständig die Arbeit­nehmerrechte abgebaut hat und auch das Streikrecht einschränkte. Der EuGH war es, der vor einem Jahr dem Rat den Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention verbot. Vom EuGH einen Schutz gegen die wildesten Auswüchse der Globalisierung zu erwarten, ist mehr als naiv. Das heißt wirklich, den Bock zum Gärtner machen.

Was hatte dann also das ganze Theater für einen Sinn? Es ist ganz offensichtlich der Trick des deutschen Sozialdemokraten Gabriel, den der österreichische Sozialdemokrat Kern so attrak­tiv fand, dass er ihn hier besonders ungeschickt nachzumachen versuchte: Man markiert Gegnerschaft, um die eigenen skeptischen Anhängerschaft zum Zustimmen zu bewegen. Auf gut Wienerisch: Es ist ein schlechter Schmäh, und ein ziemlich durchsichtiger dazu. Er ist auch schon halb und halb nach hinten losgegangen. Kern hat dabei sicher nicht gewonnen.

Warum kamen dann die Eliten so in Panik? Taten sie das wirklich? Ich habe den Eindruck, das Hauptziel war, die eigenen Propaganda-Medien zu mobilisieren, in Österreich den ORF, den „Standard“, und wie sie alle heißen. Einige von den unbedarften Journalisten glauben ja anscheinend wirklich, was sie da schreiben.

Es war ein ärmliches Manöver, um davon abzulenken, dass, wiederum in Österreich, 16 Leu­te, die Damen und Herren in der Bundesregierung, die ganze österreichische Bevölkerung in Geiselhaft nahmen und die Interessen und Ziele der großen Mehrheit an die EU verscha­cherten. Und anderswo ist es nicht anders, auch nicht in Belgien.

Es ist höchst unwahrscheinlich, dass dies funktioniert. Wir sehen ja, dass von Wahl zur Wahl die Regierungs-Parteien verlieren. ÖVP und SPÖ sind mittlerweile halbiert gegenüber ihren Ergebnissen in der Vor-EU-Epoche. Aber es ist ein schwacher Trost. Denn der Schaden ist mit der Unterschrift so oder so getan. Damit bauen diese Leute einen neuen „Sachzwang“ auf. Man kommt wieder nur mit Schaden heraus.

Einen positiven Effekt aber hat das Theater trotzdem. Es ist irgendwie außer Kontrolle geraten. Die Handelnden der Schmierenkomödie haben outriert. Selbst unter jener Minderheit der Bevölkerung, die ihnen noch immer glaubt, sind inzwischen viele nachdenklich geworden. Die EU-Skepsis ist mit Sicherheit gewachsen.

Umso unbegreiflicher wäre es, dass ausgerechnet jetzt, mitten in der Krise, sich der Herr Strache zum EU-Fan mausert – wenn man nicht über seine politische Unfähigkeit Bescheid wüsste.. Überall, wo er selber handelt, geht etwas für ihn und seine Partei schief. Nun, wir können uns darüber nur freuen. Es wird einigen unter den Parteigängern, die ja ohnehin nicht für die FP, sondern gegen die Regierung sind, die Augen öffnen. Und das wäre immerhin etwas

Albert F. Reiterer 1. November 2016