Die Große Erzählung der neoliberalen Globalisierung verfängt immer weniger
Von Wilhelm Langthaler
Die Kandidatin der die Welt beherrschenden Elite wurde geschlagen – gegen die geballte Macht ihres Herrschaftsapparats. Diese gewaltige Erschütterung kann gar nicht anders, als weitere Schockwellen zu produzieren. Selbst in seinem Mutterland glauben immer weniger dem Narrativ des liberalen Kapitalismus. Dass sie dabei einem chauvinistischen Milliardär ihre Stimme gaben, ist zunächst zweitrangig. Denn die Infragestellung der Macht der kapitalistischen Oligarchie in den Zentren hat nach vier Jahrzehnten der Friedhofsruhe gerade erst wieder begonnen. Der Ausgang dieses Kampfes ist keine ausgemachte Sache.
Niederlage der Herrschenden
Das Entsetzen der Oligarchie und seiner Regimemedien könnte nicht größer sein und sagt alles. Wichtige Teile des Volkes in den USA und in den reichen Ländern des Westens im Allgemeinen haben das Vertrauen ins System verloren. Nicht nur in die Regierungen, sondern in das ganze Regime des Freihandels. Sie wollen weder Kriege für die US-Weltherrschaft führen und dessen Kosten begleichen, noch wollen sie die am unmittelbarsten sichtbare Folge der Globalisierung, die Massenimmigration, gegenwärtigen. Sie rufen nach Schutz, nach Protektionismus – und da ist gerade von einem sozialen Standpunkt aus ein richtiger Kern enthalten.
„Make America great again“ klingt nach dem altbekannten imperialen Chauvinismus und will diesen auch ansprechen. Doch gleichzeitig verdeckt er eine wichtige Nuance. Trump hat von einem Ausgleich mit Russland gesprochen und deutet den in vielen Teilen der Bevölkerung gewünschten Rückzug aus der Funktion des Weltpolizisten an. (Siehe die sensationelle Infragestellung der Nato.) Jedenfalls wird auch der diffuse Wunsch nach Rückkehr zum Nachkriegsamerika mit seinem Wohlstandsversprechen an einen überbreiten Mittelstand bedient. Trump gibt auch erste Schritt an – das Ende des Freihandelsregime und Infrastrukturinvestitionen. Absolut notwendige, aber keineswegs hinreichende Maßnahmen.
Destabilisierung durch eine Opposition mit reaktionären Momenten
Dass die von Trump mobilisierte Opposition, die nicht nur aber tendenziell in der unteren Hälfte der Gesellschaft angesiedelt ist, starke reaktionäre Charakterzüge trägt, ist offensichtlich.
Da ist der Milliardär und Steuertrickser, der sogar noch dazu steht und weitere Steuersenkungen fordert. Da ist die typische Feindschaft zu Gewerkschaft und Arbeiterbewegung. Da ist die Kampagne gegen den Sozialstaat, symbolisiert durch das mickrige Obamacare-Programm usw.
Nicht zu sprechen vom ungezügelten weißen Chauvinismus, gegen Muslime, Schwarze und Immigranten im Allgemeinen, die in aller Regel zu den untersten Schichten zählen. Und natürlich die machistisch zur Schau gestellte Frauenfeindlichkeit.
Die Trump-Wahl ist keine explizit soziale Revolte, sondern sie ist organisch verquickt mit einem politisch-kulturellen Zitat der White Supremacy als Gegenposition zum Obamismus der Eliten. Diese proklamierten die Emanzipation der Unterdrückten, um gleichzeitig die Macht der Oligarchie noch weiter zu verfestigen. Anders gesagt: Der weiße Mittelstand greift in seinem sozialen Abstieg nun selbst zum Heroin (zuvor eine weitgehend schwarze Sucht-Flucht) und spuckt dabei auf die soziokulturellen Minderheiten. Desto mehr sie auf deren Status herabgedrückt werden, desto mehr wollen sie sich von ihnen absetzen. Geht die soziale Überlegenheit verloren, wollen sie sich zumindest die vermeintliche kulturelle Überlegenheit sichern. Dieser weiße Mittelstand will zurück zur Welt der 1950 und 1960er, doch die Eliten spielen da aber nicht mit. Damals war die Wirtschafts- und Sozialpolitik keynesianisch (vulgo links), die Kultur weiß, reaktionär und konservativ (vulgo rechts). Heute ist es umgekehrt. Die Elitenkultur gebärdet sich linksliberal, während die soziale Verteilung ultraelitär ist – so wie im sozialdarwinistischen 19. Jahrhundert.
Was ist so viel schlimmer daran, wenn Trump das ins Positive wendet, was die Oligarchie als soziale Realität produziert: WASP-Chauvinismus, Ungleichheit der Geschlechter und der sozialen Schichten, sowie globalen Krieg und Imperialismus?
Beim Lackmus-Test sind sie sowieso wieder vereint: beide haben sich fest auf die Seite Israels gestellt, dem wichtigsten Vorposten des US-Imperialismus.
Nein, wir machen bei der Austreibung der Fratze nicht mit, sondern zielen auf die Veränderung der gesellschaftlichen Realität selbst: In diesem Sinn ist die Destabilisierung der Oligarchie, so partiell sie auch sein mag, grundsätzlich positiv.
Man darf sich nicht von den Faschismus-Schreiern einlullen lassen, die letztlich das Spiel des Regimes spielen. Denn es besteht die Gefahr des Faschismus nicht. Die herrschenden Eliten, auch wenn sie eine Schlacht verloren haben und schwächeln mögen, sind noch immer an der Macht. Und sie bedürfen keiner reaktionären Massenmobilisierung, denn die ist nur die ultima ratio der Herrschenden. Noch haben sie viele andere Optionen. Trump & Co sind unsere Gegner, doch der Hauptfeind bleibt das liberale Zentrum.
Den Tsunami der Rebellion reiten und lenken
Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, wohin Trump geht. Nimmt er im Sinne der Eliten Vernunft an oder kann ihn der allmächtige Staatsapparat zumindest zügeln? Nachdem Trump sozial Teil der Elite ist und mit den Instrumenten des Herrschaftsapparates ins Amt gekommen ist, spricht vieles für eine solche Zähmung.
Doch auf der anderen Seite gibt es einen wachsenden Druck der Unzufriedenen. Und die Wahlmonarchie gibt dem Präsidenten eine außerordentliche Machtfülle, die Obama als letztlich treuer Diener der Oligarchie für seine Reformprojekte nicht einsetzen wollte. Es sind seitens Trump durchaus auch Überraschungen möglich, zumal reaktionäre Antielitentendenzen sehr breite Verankerungen in Teilen der USA haben, auf die er für Kampagnen sich stützen könnte.
Entscheidend ist, dass die Bevölkerung politische Erfahrungen mit rechtspopulistischen Kräften machen kann. Dabei ist die zentrale Aufgabe in allen westlichen Ländern die implizit vorhandenen sozialen und auch demokratischen Interessen der unteren Schichten gegen die reaktionären populistischen Führungen stoßen zu lassen. Die Massen müssen in der Praxis sehen, erfahren, begreifen, was Trump & Co machen.
Nicht, dass keine Veränderungen im System durch Rechtspopulisten möglich wären. Im Gegenteil, das ultraliberalistische Regime ist auf die Dauer nicht zu halten. Partielle Verbesserungen für ihre Klientel wären durchaus möglich, insbesondere in den Zentrumsländern. Aber sie schaffen keine für die Mehrheit der Subalternen akzeptable Verbesserungen, sondern heizen die Konflikte unter diesen nur weiter an.
Zudem würde ein Ende der harten neoliberalen Diktatur, selbst durch Rechtspopulisten, neue soziopolitische Spielräume eröffnen. Dieser Schritt scheint als notwendiger Durchgang bei der Ablösung sowohl von den Eliten und in der Folge auch von den Rechtspopulisten selbst. In diesem Spalt müssen und können sozialrevolutionäre Kraft gegen den Kapitalismus entwickelt werden. Dass selbst in den USA dafür Platz ist, hat die Kampagne von Bernie Sanders eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Wir können uns die Form des Hegemonieverlusts der Eliten nicht aussuchen und sie verläuft auch nicht überall gleich. Es ist aus historischen, sozioökonomischen und kulturellen Gründen auf der Hand liegend, dass er in den USA andere Formen annimmt als in Großbritannien (Brexit), Griechenland (Referendums-Nein und Syriza-Ja) oder Italien (Grillo). Aber es ist eine Ablösung: und das ist ein grundsätzlich notwendiger und unterstützenswerter Prozess.
Unsere Aufgabe ist es, das Aufbegehren wirklich gegen die Eliten zu lenken, es dabei zu formen, zu verändern und die reaktionären pro-kapitalistischen von den sozialrevolutionär-demokratischen Elementen zu trennen. Abseits zu stehen oder gar die Seite der Eliten zu beziehen, verfestigt die Funktion der gewendeten Linken als Ideologen und Apologenten des Systems, was die Massen so gegen sie aufbringt.
Den oppositionellen Tsunami zu reiten, darf nicht verwechselt werden mit einer Unterstützung für Trump & Co. Im Gegenteil: Es gilt das aufkeimende und eruptierende oppositionelle Potential der unteren Schichten, das in deren Basis vorhanden ist und dort gebunden wird, anzuzielen, abzuziehen und damit zu befreien.