Manifest

Weg mit dem Euro-Regime

Hinweis – Vorschlag – Einladung – Debatte – Position – Aktion

Der vorliegende Entwurf eines Manifests wurde über den Jahreswechsel 2014/15 von Albert Reiterer, Wilhelm Langthaler, Iriana Vana, Tiziana Fresu und Gernot Bodner diskutiert und geschrieben. Die Beteiligten arbeiten bereits seit Längerem an der Entwicklung einer politischen Initiative gegen das Euro-Regime in Verteidigung der Interessen der Mehrheit und vor allem der Unteren. Konkret schlagen wir ein Personenkomitee auf Basis dieses Texts vor, den wir zur Diskussion und gegebenenfalls auch Veränderung unterbreiten.

Zunächst geht es darum in der Gesellschaft eine Position zu etablieren, die derzeit vakant ist, für die wir jedoch meinen, dass es Platz gibt. Wir wollen eine Website betreiben und unsere Positionen über die verschiedenen Wege in die interessierte Öffentlichkeit tragen. Das Personenkomitee soll offen sein und die Beteiligung soll nicht im Gegensatz zum Engagement bei anderen politischen Organisationen stehen.

Wir fordern alle, die sich in den Positionen des Texts politisch erkennen können, zur Unterschrift und Beteiligung am Komitee und / oder zur Stellungnahme auf.

Wien, Ende März 2015

1) Die Situation: Die Katastrophe des Euro
2) Die EU – Wegbereiter der Diktatur des Kapitals
3) Die globale Krise und ihr EU-Katalysator
4) Schulden, Staatsschulden, „Schuldenkrise“
5) Zentrum Deutschland: national vor imperial
6) Nationalismus? Der Vorwurf fällt auf seine Urheber zurück!
7) Rechtspopulismus
8) Auflösung der Euro-Zone: Ziel und Ausgang
9) Sofortmaßnahmen

1) Die Situation: Die Katastrophe des Euro

Der europäische Süden liegt in Trümmern. Griechenland, Spanien, Portugal, auch Irland erleben einen sozialen Niedergang wie man ihn sonst nur im Gefolge von Kriegen kennt. Italien ist auf dem Weg in diesen Club. Frankreich sucht mit viel Mühe und nicht ohne eine gewisse tragische Komik den Schein aufrecht zu erhalten. Es spielt mit kurzfristigen militärischen Abenteuern europäische Großmacht in Afrika und dem Nahen Osten. Gleichzeitig bettelt es in Deutschland um Wirtschafts­hilfe und Investitionen.

Selbst die Mittelschichten in diesen Ländern müssen bestürzt konstatieren: Die Eurokrise und die Stagnation der Weltwirtschaft spart auch sie nicht aus. Ihre Reihen schrumpfen, und auch ihr Wohlstand nimmt ab, zumindest in den unteren Segmenten – eine allgemeine Tendenz des globalen Neoliberalismus. Aber durch das Euro-Regime wird sie vor allem an der europäischen Peripherie extrem verstärkt, aber nicht nur dort. So schließen sich denn auch gewichtige Teile des Mittelstandes dem allgemeinen Protest gegen den Euro und seine Folgen an. Die Unterschichten rebellieren. Sie alle werden durch so unterschiedliche Phänomene wie den Cinque Stelle, Podemos, aber auch dem Front National Teil des Widerstands gegen die Eliten. Sie wollen ihren Absturz im Namen des Euro nicht weiter hinnehmen.

Die Versprechungen und Hoffnungen auf sozialen Ausgleich zwischen Zentrum und Peripherie waren groß. Die EG / EU und insbesondere der Euro würden die stets abwertungsgefährdeten Lira, Peso und Drachme sanieren und eine lichte Zukunft bringen. So kann man es in den Manifesten der End-90er für den Euro auch und nicht zuletzt in den angeblich seriösen Zeitungen lesen. Aber die Entwicklung der Peripherie wurde zum Strohfeuer, zur Finanzblase. Umso enttäuschter sind nun die Menschen des Südens. Langsam begreifen sie, dass die „Transformation“ des Ostens der Probelauf für ihr eigenes Schicksal war. Entgegen der Versprechung auf „blühende Landschaften“ bedeutete die Eingliederung in die EU-Ordnung die Zerschlagung der eigenen Industrie, Installierung verlängerter Werkbänke und vor allem die Reduktion auf einen Absatzmarkt für das Zentrum. Der Mittel­schicht geht nun die Luft aus wie einem angestochenen Ballon.

Der Euro hat die Gegensätze vergrößert, die Konflikte verschärft; die Gräben vertiefen sich. Anstel­le des Ausgleichs des Wohlstandsgefälles steht der Kontinent vor den Trümmern des Projektes seiner Eliten. Diese Eliten sind nicht in der Lage und vor allem nicht willens, die Notbremse zu ziehen und die gescheiterte Währungsunion zu beenden: Zu groß ist die Angst vor der „Finanzmarktinstabilität“ die ihre Geldvermögen bedroht. Zu groß die Angst vor den politischen Auswirkungen, wenn man gezwungen wäre die Niederlage einzugestehen. Zu groß das institutionelle Beharrungsvermögen der Eurobürokraten. Statt dem Schritt zurück die Flucht nach vorne, die Radikalisierung, die immer weniger eingeschränkte Herrschaft der Eliten.

In der allgemeinen wirtschaftlichen Katastrophe waren das Zentrum Deutschland und der Nordwesten – vor allem die Exportindustrie – die relativen Gewinner. Ihre Eliten und deren sozialer Block feiern; er verfügt auch nach unten hin über erheblichen Ein­fluss, obwohl jene Schichten durch die Reallohnverluste, euphemistisch Lohndeflation genannt, geschädigt wurden.

Statt zu einen, spaltet das Euro- und EU-Regime den Kontinent. Nachdem der Süden und der Osten einvernahmt waren, sollte überhaupt niemand mehr sich dieser Wohltaten erwehren dürfen. Das Projekt des Friedens, der Völkerverständigung, der Überwindung des alten Nationalismus war stets eine Propaganda-Floskel. Schon in den 1990er ging man einen entscheidenden Schritt weiter. Unter der Regierung der Sozialdemokraten und Grünen führte Deutschland auf dem Balkan im Namen von Demokratie, Menschenrechten und Humanitarismus seinen ersten Angriffskrieg seit dem Zweiten Weltkrieg. Tatsächlich ging es bei der Zerschlagung Jugoslawiens und dem Krieg gegen Serbien darum, die Herrschaft des Zentrums mit seinem sozioökonomischen Modell durchzusetzen, notfalls eben mit Gewalt. Doch nun erleben wir einen logischen weiteren Schritt: In der Ukraine stützt man ein willfähriges neoliberales und nationalistisches Regime. Dieses verweigerte einem wichtigen Teil seiner Bevölkerung, die den antirussischen Kurs nicht mittragen will, die demokratische Willensäußerung. Der Protest des Ostens wurde zum Bürgerkrieg hoch geschaukelt und als Hebel gegen Russland genutzt. Mit Sanktionen glaubte man Moskau in die Knie zwingen zu können. Erst heute merkt das Zentrum: Man schadet sich selbst mehr, vertieft die Krise der westlichen Wirtschaft und fördert in Russland jene, die stets einen eigenen antiwestlichen Kurs wollten.

Graphik:Der Anteil des obersten Prozent am Gesamteinkommen, in %

Quelle: PikettyQuelle: Piketty

Die USA spielen den Vorläufer und geben den Ton an. Hier liegt der Anteil des obersten Prozents tatsächlich bereits höher als 1915 (17,6 %). 2007, unmittelbar vor Ausbruch der Finanzkrise aber stand er auf 23,5 %, und 2010, mitten in der Krise, wieder bei 19,8 %. Nur einmal in der Zwischenzeit im Jahr 1928, direkt vor dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise mit ihren Katastropen, lag er mit 23,9 % auf derselben Höhe. Diese Parallele in der extremen Ungleichheit und der Explosion der Krise ist kein Zufall, wie der konservative Raghuram Rajan betont.

Großbritanniens aristokratisch-bürgerliche Gesellschaft hielt länger an. Daher hatte der Anteil der Super­reichen noch zu Beginn des Zweiten Weltkriegs einen besonders hohen Wert (1940: 15,4 %). Direkt vor Thatcher erreichte der Anteil mit 5,7 % (1978) einen untersten Wert, und seither geht es nahezu unaufhaltsam in die Höhe (2010: 14,7 %).

Schweden schließlich ist gegen die beiden anderen Gesellschaften zwar noch immer vergleichweise egalitär. Aber die allgemeine Ungleichheit steigt noch schneller als dort. Hier ist der Anteil der Superreichen mit 7,1 % im Jahr 2008 fast schon bescheiden, aber im Vergleich zu 4,4 % 1990 um so stärker gestiegen. Schweden hat ein eigenes Modell: Die dortigen politischen Eliten haben nicht zuletzt die Ungleichheit im Rahmen der Mittelklasse gefördert.

Die BRD hat durch den Anschluss der DDR eine starke Störung zu verzeichnen und überdies fehlen in Zwischenjahren Daten. Daher ist das Muster erst gegen Ende zu erkennbar.

Aber machen wir uns keine Illusionen! So wie die Transformation des Ostens in einen wilden, peripheren Korruptions-Kapitalismus der Probelauf für den Süden war, so ist nun der soziale Crash des Südens ein Probelauf für die Politik, die auch in den Zentren, in Deutschland, Österreich, Skandinavien, in den Nie­derlanden und Belgien, auf die Bevölkerung zukommt. Mit dem „euro­päischen Semester“, dem Eingriff des Brüsseler Zentrums in die nationalen Budgets, und dem Fiskalpakt sind die Weichen gestellt.

In den 1970er versprach die Sozialdemokratie, alles mit Demokratie zu „durchfluten“. Inzwischen ist Demokratie und Parlamentarismus hauptsächlich eine Fassade für Sonntags-Redner. Die EU hat kein Demokratie-Problem ˗ sie ist ein Demokratie-Problem. Sie dient dem Abbau der mit einander verbundenen sozialen und politischen Rechte. In den 1970ern übte die Linke Kritik am Integrationsmodell Sozialstaat ˗ heute müssen wir ihn wohl oder übel verteidigen.

 

2) Die EU – Wegbereiter der Diktatur des Kapitals

Das Ziel der Globalisierung und ihres europäischen Ausdrucks, der EU und des €, ist die unum­schränkte Herrschaft der kapitalistischen Eliten. Ihr supranationaler Zusammenschluss will die demokratischen und sozialen Errungenschaften der Nachkriegszeit rückgängig machen. Sie wurden im Rahmen der Nationalstaaten errungen. Der Rückbau des Sozialstaats zur Armutsverwaltung kann aber nur gegen die große Mehrheit der Bevölkerung erfolgen. Um deren Widerstand und deren Erwartungen zu überwinden, braucht es aber eine politische Transformation. Hinter dem schritt­weisen Prozess der Verlagerung der Macht von nationalen Institutionen auf die supranationale Ebene der EU, lässt sich die politische Enteig­nung der Unter- und Mittelschichten verstecken. Der supranationale Staat bietet den angepassten Intel­lektuellen Karrieremöglichkeiten und der oberen Mittelschicht weitere Aufstiegschancen. Den Großteil der Bevölkerung, die im Rahmen der nationalen Sozialstaaten eine gewisse Sicherheit vorfanden, schließt er indes aus.

Maastricht mit seinen teils bedrohlichen, teils aber auch lächerlichen, rein ideologischen Kriterien wurde zum Fanal. Die wichtigsten Regeln betreffen die Staatsschuld. Die hat aber mit der Produktivitäts-Ent­wick­lung nichts zu tun. Die Staatsschulden sollen abgebaut werden? Noch nie waren sie sie groß wie heute. Die Zinsen sollten ein vereinheitlichtes niedriges Niveau erreichen? Als es so war, wurde das zum Treiber einer Immobilien- und Finanzmarktblase; und heute ist der Spread, der Zinsunterschied zwischen den wohlgelittenen Ländern und den peripheren, stets die ärgste Drohung im Hintergrund. Die Inflation müsse mit allen Mitteln eingebremst werden? Heute versucht die EZB ganz verzweifelt mit untauglichen Mitteln eine Deflations-Krise wegzuschieben. Auf die exorbitanten Preissteigerungen von Vermögens­wer­ten, den Wertpapieren und Immobilien, hatte sich die Inflationsparanoia sowieso nie bezogen, sondern auf die Löhne.

An die Stelle von Wohlstand trat Austerität. Der Neoliberalismus war und ist das Programm von EZB, Kommission und Rat.

Die Blase auf den Finanz- und Immobilienmärkten in den 2000ern hat der Bevölkerung vorgegaukelt, der € würde nun endlich das bringen, was man sich stets gewünscht hat. Zwar: Die Ungleichheit der Einkom­men stieg. Die Differenzen zwischen Oben und Unten sind nun wieder so groß wie vor einem Jahrhun­dert. Man überspielte dies mit einem Kreditboom und mit niedrigen Zinsen. Man hatte den Menschen versprochen: Wir werden der „wettbewerbsstärkste Wirtschafts­raum“ nach dem Muster der USA. Dort war die Kreditexpansion auch im Konsumentenbereich am größten. Dort haben die Banken die Menschen in die Falle gelockt, mit dem Versprechen, es könne nur immer aufwärts gehen. In Europa waren es die Staaten und die EZB selbst, ebenfalls mit der Politik der Niedrig-Zinsen und mit dement­sprechenden Krediten an Unternehmen und an die Staaten selbst. Was man den Menschen an Einkommen wegnahm, versprach man ihnen via Krediten wieder zu geben.

Im Zentrum dieser Politik stand das neue Deutschland mit seiner Lohndeflation, seiner Repressions-Poli­tik gegen einen erheblichen Teil der Bevölkerung mit Agenda 2010 und Hartz IV-„Reformen“. Das hohe Produktivitätswachstum vor allem in der Export-Wirtschaft erreichte man durch niedrige Beschäftigung, d.h. strukturell hohe Arbeitslosigkeit. Die überflüssigen Arbeitskräfte der Unter­schichten ernährt man gerade noch mittels Hartz-IV und Ein-€-Jobs. Die besser Qualifizierten aus dem Osten, aus der ehemali­gen DDR, die exportierte man nach Österreich, in die Schweiz und sonst wohin – zumindest bis zum Krach 2008. Und die anderen, die aus Polen, Rumänien und dem Balti­kum kommen, die kann man gut zum Lohndrücken unten einsetzen. Für das deutsche Kapital ist die Freizügigkeit der Arbeitskräfte tatsächlich unentbehrlich[1].

Graphik: „Let Them Eat Credit!“

Graphik: „Let Them Eat Credit!“

 

Quelle: OECD

Bei den Privatschulden handelt es sich zum größten Teil um Hypotheken für Haus bzw. Wohnung. Es sind langfristige Schulden, die aber gröbste Folgen haben, wenn sie „notleidend“ werden, also die Schuldner mit der Rate in Verzug kommt. Die Folge ist faktisch Enteignung und nicht selten Obdachlosigkeit. Der Ver­such, mittels Krediten über fallende Einkommen hinwegzutäuschen, ist ein gewöhnliches Phänomen einer sich aufbauenden Krise. Wir können dies bereits in den End-1920er sehen, vor dem großen Krach.

 

Auf der anderen Seite befanden sich die Peripheriestaaten, die durch das Kreditbonanza einen Konsum­boom der Ober- und Mittelschichten erlebten, an dem die Unterschichten auch mitnaschen zu können hofften. Damit erklärt sich auch der überwältigende Europäismus des Südens während des vergangenen Jahrzehnts. Der Preis- und Lohnauftrieb war indes stärker als das Produktivitätswachstum. Die Außen­handelsdefizite explodierten, wurden jedoch durch die Kapitalschwemme ausgeglichen. Die heraufzieh­ende Krise, die ohne Euro durch eine Abwertung bewältigt worden wäre, wurde in diesem rauschhaften Kasinokapitalismus verdrängt.

 

3) Die globale Krise und ihr EU-Katalysator

Die Kreditblase des aufgeblähten Finanzsektors als Folge der Unterkonsumtion (in Bezug auf das wachsende produktive Potential) war in den USA als Sub-prime-Krise explodiert. Nachhinkende Nachfrage konnte man eine Zeitlang mit Ninja-Krediten (No Income No Job No Assets) überspielen. Wie bei jedem Kettenbriefspiel war das Ende unvermeid­lich. Als Rettungsmaßnahmen reagierte die dortige Regierung mit „quantitative easing“, dem Transfer von Geld-Kapital an den Bankensektor, der seinerseits vor der Kreditschöpfung zurückschreckt. Die Unterschichten konnten nicht mehr weiter auf Pump konsumieren, denn sie waren als erste insolvent und flogen aus ihren gepfändeten Wohnungen massenweise auf die Straße. Und weshalb hätten die Unternehmen der Real­wirtschaft investieren sollen, wenn weiterhin Nachfrageschwäche zu erwarten ist? So nährt die Geldflut seit mehreren Jahren nur wieder den Finanzsektor mit seiner Spekulation und eine weitere Kreditblase, während in der Realwirtschaft gedämpfte Stimmung vorherrscht.

Graphik: Ungleichheit im internationalen Vergleich

Quelle: Piketty, website

An diesem Vergleich kann man die unterschiedlichen Modelle der Ungleichheit erkennen. Die USA stechen in allen Kategorien heraus. Von den Entwicklungsländern, die gewöhnlich eine besonders hohe Gesamt-Ungleichheit zeigen, unterscheiden sie sich dadurch, dass sie ihre Unterschichten nicht verhungern lassen. Aber sie bilden das Muster der Ein-Viertel-Gesellschaft. Die Früchte des Produktivitätsgewinns gehen ausschließlich an die obersten Gruppen. Von jedem Dollar, den sie seit 1976 zusätzlich erwirtschaftet haben, gingen 58 Cent an das oberste Prozent, und der Rest fast zur Gänze an die 9 % darunter, die Obere Mittelschicht.

Die Europäer, die BRD, Frankreich, Skandinavien, sind ein gewisses Alternativ-Modell. Hier bevorteilt die Ungleichheit die gesamte obere Mittelschicht. Allerdings wachsen auch hier die Anteil des obersten Prozents bzw. des obersten Promilles. Das US-Modell setzt sich langsam durch.

China ist aus Datenmangel nicht unmittelbar vergleichbar. Soweit man erkennen kann, nimmt dort aber die Ungleichheit langsam die Ausmaße von Chile, Brasilien und Südafrika an.

Die Ursache der Krise, die global steigende soziale Ungleichheit und das damit verbundene strukturelle Nachhinken der Nachfrage, wurden nicht nur nicht gelöst, sondern verschärft sich ungebremst. Die Krise kann gar nicht anders als nochmals ausbrechen ˗ sie muss Überkapazitäten aus dem Markt nehmen, Kapital vernichten – mit katastrophalen sozialen Folgen.

Globalisierung und Freihandel sind wesentliche Elemente des historischen Programms der US-geführten kapitalistischen Eliten und daher kein neues Phänomen. Sie sind Ursache und Wirkung der zunehmenden weltweiten Ungleichheit der Verteilung. In gewissem Sinne gehen sie sogar über die US-Herrschaft hin­aus und sind dem Zentrumskapitalismus eigen. Neu aber ist, seit einigen Jahrzehnten, dass Staaten selbst aktiv und forciert die Globalisierung vorantreiben und sich dabei selbst bewusst entmachten. Zu wessen Gunsten? Die Frage ist rhetorisch. Staatliche Regulierung bedeutete stets eine gewisse, bescheidene Kon­trolle über die großen privaten, machtvollen Akteure. Das soll mehr und mehr fallen; und es soll ein für alle Male unmöglich gemacht werden. In allen Dokumenten von EG / EU können wir es nachlesen, dass sie sich selbst als Teil und Akteur in diesem Prozess sieht. Die EU ist damit der europäische Ausdruck der Globalisierung.

Starke Grenzen und Staatlichkeit waren Teil der realen Globalverfassung der Nachkriegszeit. Diese war zwar von der US-Vorherrschaft geprägt, aber gleichzeitig auch vom Bipolarismus mit der Sowjetunion, den (nationalen) Befreiungsbewegungen und der Arbeiterbewegung im Westen – allesamt vermittelter Ausdruck von Gegenmacht oder zumindest Begrenzung der Macht der kapitalistischen Eliten. Es handelt es sich um die Hochzeit der parlamentarischen Demokratien, zumindest in den Zentren. Innerhalb dieser Grenzen war sozioökonomische Steuerung möglich, die oft Ergebnis eines Kompromis­ses repräsentierte, in dem die Interessen der subalternen Klassen zumindest mit einflossen. Ein Teil des Instrumentariums staatlicher Wirtschaftspolitik war die Geldpolitik, Zinssteuerung, Währungsabwertung usw, die noch nicht vollständig den Regeln des globalen Finanzmarktes ausgesetzt waren.

Nicht dass Abwertungen stets und überall angebracht wären. Nicht zufällig haben sich Entwicklungslän­der immer wieder gegen die grob dimensionierten Abwertungen gestellt, welche ihnen der IMF befahl. Denn das bedeutete Wohlstands-Verluste und Ressourcen-Transfer[2].

Wir kennen dies auch aus den diver­sen Krisen des letzten Jahrhunderts. Der Mechanismus ist von der Asien-Krise und der Tequila-Krise, auch aus Afrika bekannt. Abwertungen hatten dort katastrophale soziale Folgen. Es waren stets Rossku­ren, die für die Unteren Blut und Tränen bedeuteten, mit welchen die kapitalistische „Wettbewerbsfähig­keit“ wieder hergestellt wurde.

Statt den verpönten Kapitalverkehrskontrollen wurde und wird der Peripherie das Exportmodell der Entwicklung aufgezwungen.[3].

Laut herrschender ökonomischer Theorie sollte Kapital in diese Länder fließen. Die Wirklichkeit sah und sieht anders aus, als konstant erweisen sich lediglich die unberechen­baren Schwankungen. Unter dem Strich fließt Kapital aus den kapital­armen Entwicklungs-Ländern ab und vor allem ins anglosächsische Zentrum des Kapitalmarktes. Ideologieverblendete Ökonomen erklär­ten dies zum unlösbaren Rätsel („Lucas-Paradoxon“, „Feldstein-Horioka-Paradoxon“). Die Staaten der Peripherie sind jedoch im Rahmen des globalen Freihandelsregimes strukturell gezwungen Kapital im zweistelligen Prozentbereich des BIP als Schutz gegen Kapitalflucht und Abwertungs­krisen vorzuhalten, d.h. in US-Staatsanleihen anzulegen. Sie entziehen der eigenen Volkswirtschaft damit wichtiges Kapital, das den USA und anderen Zentrumswirtschaften praktisch zinsenfrei für deren Konsum zur Verfügung gestellt wird.[4].

Umgekehrt waren Aufwertungen den „Export-Weltmeistern“ stets zuwider. Natürlich: mindern sie doch kurzfristig ihre Gewinne, weil sie den Absatz durch höhere Preise behindern. Die deutschen Exporteure und die österreichische Landwirtschaft haben stets mit Grimm auf die italienischen Abwertungen gesehen. In Italien schuf man das eigene „Wirtschaftswunder“, ein eigenes Entwicklungsmodell für die Zentrumsperipherie, – und das langjährige Wachstum war bis 1990 größer als nördlich der Alpen ˗nicht zuletzt mit häufigen Abwertungen. Ab und zu wurden die deutschen Regierungen gezwungen, selbst auf­zuwerten. Seit 1990 haben sich die italienischen Regierungen unterschiedlicher Couleur auf die Währungsunion orientiert, was Abwertungen verunmöglicht. Seit damals stagniert das Land und seine Wirtschaft.

In einer Währungsunion kann es per Definition keine Wechselkursbewegung geben. Das war selbstverständlich das Ziel insbesondere der deutschen Exporteure. Was aber macht man, wenn die Produktivitäts-Unterschiede zunehmen? „Innere Abwertung“, dieser zynische Begriff für das Hinunterfahren des Lebensstandards der Arbeitenden, ist keine Erfindung der letzten Jahre. Es handelt sich um nichts anderes als Reallohnsenkungen, die die Produktion verbilligen sollen. Das Vokabel findet sich prominent in der Dis­kussion um die Einführung der Einheitswährung. Gegenüber dem Publikum hat man sie strikt abgeleugnet. Für die Bevölkerung ist sie wesentlich schmerzhafter als eine („äußere“) Abwertung. Sie trifft praktisch nur die arbeitende Bevölkerung. Um die soziale Degradierung dennoch möglich zu machen, müssen eben die demokratischen Rechte eingeschränkt werden.

Zurück zur historischen Entwicklung. Das Kreditbonanza verstellte den Blick auf diese dennoch im Hintergrund wirkenden Mechanismen – nicht nur bei der breiten Bevölkerung, sondern selbst bei einem Teil der Eliten. Als mit dem Zusammenbruch von Lehman die spekulative Blase platzte, herrschte in Europa zunächst die blanke (Finanzmarkt)-Panik. Nicht nur der Traum der Bevölkerung vom allgemeinen Wohl­stand war gefährdet. Die Oligarchien waren mit der akuten Gefahr von Bankrotten an der Peripherie konfrontiert. Das drohte die Randstaaten sowie die dort investierten Zentrumsbanken in ernste Schwierigkeiten zu bringen. Die Einheitswährung und damit das dahinter stehende politische Projekt standen zeitweise auf der Kippe.

Allerdings begriffen einige unter ihnen schnell, einer Traditionslinie der Ökonomen folgend (Joseph Schumpeter): Never waste a crisis! In einem atemberaubenden raid brachten sie einen größeren Macht-Transfer an die Brüsseler Bürokratie und die dahinter stehenden deutschen Eliten zustande, als es vorher in zehn Jahren gelungen war. Die Abläufe in der €-Zone wurden zu diesem Zweck noch weiter dramatisiert. Auf Ausnahme-Situationen muss man mit Ausnahme-Mittel reagieren. Schon Carl Schmid, der Kronjurist der Nazis, wusste: Die Souveränität hat, wer über den Aus­nahme-Zustand entscheidet. In der Krise zeigte sich also der wahre Souverän: Es ist die Finanz­oligarchie, institutionalisiert in der EZB mit ihrem Personal aus den großen Spekulationsbanken und anderen Finanz-Unternehmen, der Goldman-Sachs-Mario Draghi an der Spitze.[5].

Das Dogma der „Unabhängigkeit“ der Zentralbank entpuppt sich als direkte Diktatur der kapitalistischen Eliten.

Nehmen wir abstrakt an, man wollte wirklich einen einheitlichen Wirtschaftsraum mit sozialem Aus­gleich, wie es die EU der Bevölkerung mit den Konvergenzprogrammen suggeriert. Dann wären massive Ausgleichszahlungen erforderlich (ganz abgesehen von den Garantien für die Staatsschuld, dazu weiter unten). Ob dies funktionieren würde, steht auf einem anderen Blatt. Man denke nur an die Entwicklung der Ex-DDR, trotz der riesigen Transfers seit 1992. Die westdeutsche Bevölkerung hat dafür gezahlt, dass der innerdeutsche Export stattfinden konnte. Die ostdeutsche Wirtschaft hat dies nicht belebt. Die DDR-Betriebe wurden abgewickelt um Platz zu schaffen für westdeutsche Produkte. Der angebliche soziale Ausgleich, der den Westdeutschen so teuer kam, hat keineswegs zur Anglei­chung des Lebensstandards geführt. Überhaupt lösen regionale Transferzahlungen keine wirtschaft­lichen Strukturprobleme. Sie ver­festigen letztendlich die Peripherisierung. Den Westkonzernen erwächst keine unerwünschte Konkurrenz.

Gegenüber den nachhinkenden Wirtschaften des Südens und des Ostens verweigert Deutschland diese Transfers. Die Bevölkerung hat nach ihren Erfahrungen mit dem Anschluss der DDR allen Grund dazu. Dass hier Sozialchauvinismus durch kommt, wissen wir natürlich. Die rechten €-Gegner von der AfD sind weitgehend national-reaktionäre Gruppen. Aber die Bevölkerung, soweit nicht neoliberal indoktri­niert, der „Politik“ müde und passiv, macht da wenig Unterschiede.

Wenn aber die sozialdemokratische Linke auf genau diese neoliberale €-Politik setzt und in deutschen Bundesländer-Regierungen den antisozialen Kurs mit trägt und durchsetzt, braucht sie sich weder über die Zu­wendung der Unterschichten zu den altkonservativen €-Skeptikern noch über den Fast-Zusammen­bruch der Linken in solchen Ländern wundern.

 

4) Schulden, Staatsschulden, „Schuldenkrise“

Die Euro-Oligarchie spricht von der Schuldenkrise als Ursache allen Übels. Das ist ebenso simpel wie eingängig. Die Erzählung wirkt plausibel: Die Peripherie lebte über ihren Verhältnissen. Doch dabei han­delt es sich um eine Halbwahrheit, die den Blick auf den Kern der Sache verstellt. Trotz der Überflutung mit Kapital (günstigen Krediten) sanken bis 2007 im Allgemeinen die Staatsschuldenquoten. Doch das billige Geld führte vor allem bei den Ober- und Mittelschichten zu einem Konsumboom. Auch die Löhne stiegen mit – zwar nicht im gleichen Ausmaß, aber doch. Was die USA privat mit den Wohnungskrediten zuließen und förderten[6], haben insbesondere Spanien und Irland nachvollzogen: Die Ungleichheit steigen zu lassen und die Bevölkerung doch zufrieden zu stellen. Währenddessen sanken im und um das deutsche Zentrum die Löhne und die Produktivitätsdifferenz vergrößerte sich immer weiter. Deutsche Produkte verdrängten die Industrie des Südens und die Handelsbilanzdefizite wurden immer gefährlicher, eben aus­geglichen durch manischen Kapitalzufluss (vielfach von großen europäischen Banken), charakteristisch für eine Blase.

2008 platze die Blase. Das Kapital zog schlagartig ab, die Zinsen schossen in die Höhe, die Kerditvergabe kam zum Erliegen. Um die privaten Kapitalien und insbesondere Banken und Spekulanten vor dem Bank­rott zu retten, wurden ihnen systematisch Geldgeschenke in zweistelligen Prozentbereich des BIP ge­macht – was die Schulden der öffentlichen Hand wiederum schlagartig erhöhte, die Staaten an den Rande des Defaults brachte und damit den Euro gefährdete.

Graphik: Die angebliche Homogenität des Euroraums

 

 

Quelle der Daten: EUROSTAT-Datenbank Die Zinssätze sind neben der Inflationsrate und natürlich der längerfristigen Stabilität des Wechselkurses ˗ und längerfristig heißt nicht zwei Jahre, sondern mindestens fünf ˗ die einzigen sinnvollen Kriterien, die spezifisch das Währungsproblem betreffen. Denn sie leiten die Kapitalströme und sind damit entscheidend für die Stabilität. Ein Blick auf die Abbildung genügt, um die Verrücktheit einer Einheitswährung im Sinne der eigenen sonst so hoch gehaltenen Theorien der Befürworter zu erkennen. Zwischen 2000 und 2006 allerdings funktionierte die Angelegenheit, weil die Banken auf das Bail-out  setzten. Und das kam auch, gegen jede Vereinbarung und das eigene EU-Recht.

Quelle der Daten: EUROSTAT-Datenbank

Die Zinssätze sind neben der Inflationsrate und natürlich der längerfristigen Stabilität des Wechselkurses ˗ und längerfristig heißt nicht zwei Jahre, sondern mindestens fünf ˗ die einzigen sinnvollen Kriterien, die spezifisch das Währungsproblem betreffen. Denn sie leiten die Kapitalströme und sind damit entscheidend für die Stabilität. Ein Blick auf die Abbildung genügt, um die Verrücktheit einer Einheitswährung im Sinne der eigenen sonst so hoch gehaltenen Theorien der Befürworter zu erkennen.

Zwischen 2000 und 2006 allerdings funktionierte die Angelegenheit, weil die Banken auf das Bail-out[7]. setzten. Und das kam auch, gegen jede Vereinbarung und das eigene EU-Recht.

Die Staatsschuldenkrise ist also wesentlich Folge der globalen, mit Kreditexpansion verzögerten Nachfra­gekrise, radikal verschärft durch die Konstruktion des Euro, der keine Abwertung zulässt, keinesfalls ihre Ursache.

Und die Antwort der Eliten? Auf die Spitze getriebene Austerität. Die Politik wird mit einer Reihe von Vokabeln um den Zentralbegriff „Sparen“ legitimiert. Der hatte im privaten Bereich gerade bei den be­scheidenen Unterschichten immer einen guten Klang. Man spricht nicht von Leistungsabbau und sozialer Repression – „sparen“ bezieht sich natürlich nur auf die Unter- und Mittelschichten, nicht auf die Banken; „sparen“, bei den Pensionen und in der Gesundheitsversorgung, aber nicht bei den Subventionen an Großunternehmen und Großagrarier; „sparen“ in Grundschulen und bei der Erziehung, aber nicht etwa bei der Milliarde an die Atomindustrie.

Das Zentrum und seine Banken drängte der Peripherie billiges Kapital mit verführerisch niedrigen Zinsen auf. In der lateinamerikanischen Schuldenkrise 1982 war es nicht so anders. Damals kam die Geld­schwemme von den Ölgeldern, die rezykliert wurden. Heute sind es die Gelder aus den überschießenden Gewinnen der Unternehmen im Westen, inklusive der unverschämten Mana­ger-Gehälter („Bonusse“). Die westlichen Banken wussten: Es wird Schwierigkeiten mit der Rück­zahlung geben. Sie hatten den griechischen Regierungen der Konservativen und der PASOK gehol­fen ihre schmutzigen Tricks zu verschleiern. Man setzte jeweils auf das bail out – und man behielt recht, für die Banken jedenfalls. Als die Blase platzte und die Zinsen in die Höhe schossen, änderte sich der Ton. Wurden vorher Waren aus dem Zentrum gekauft, unausgelastete Hochgeschwindig­keitszüge an der Costa Brava und Straßen von deutschen Firmen gebaut, so hieß es nun: Die Menschen haben über ihre Verhältnisse gelebt. Die Produk­tivitätsschere zwischen dem nordwestli­chen Zentrum und den ein­heimischen Kleinunternehmen aber wurde nicht abgebaut; das konnte auf diese Weise auch nicht gehen. Gegen die großen Konzerne des Zentrums hatten die einheimischen Unternehmen nie eine Chance. Vielmehr ging es der EU letztlich um genau diese „Marktbereinigung“, denn staatliche Hilfen sind laut Union verboten da „wettbewerbsver­zerrend“. Der klientelistischen Überbeschäftigung der jeweiligen Parteigänger von griechischen, italienischen und spanischen Regierungen in den öffentlichen Diensten aber sah man gerne zu. Das erhöhte die Stimmung, und die Menschen dort waren die begeistertsten „Europäer“.

Als aber die Bankenkrise im Gefolge der Subprime-Krise aus den USA nach Europa überschwappte, be­gannen die Banken in Südeuropa hinzusehen. Und nun sahen auch die Regierungen hin, alarmiert von ihren Bankern, die um die Gewinne und bald um die Banken überhaupt fürchteten. Jetzt wollten die Eli­ten unbedingt ihren Bankrott vermeiden. Ob sie alle so „systemrelevant“ waren oder sind, ist eine ganz andere Frage. In Zypern konnte man sehen: Wenn man einem ungeliebten Konkurrenten eines auswischen will, den Russen diesmal[8], kann man schon auch bail-in[9] spielen. Aber damals ging es um das Kleingeld der westlichen Spekulanten und Aktionäre. Der Bevölkerung in Deutschland, Österreich, Finnland freilich verkaufte man dies als Grie­chenland-Rettung, als €-Rettung, die ganz Schlimmes, einen unkontrollierten Crash, vermeiden wolle. Das hatte den unschätzbaren Vorteil, den Zorn des Publikums auf die „faulen“ Griechen und Spanier abzulenken.

Gleichzeitig setzte man mit den Rezepten der Troika die neue Crash-Politik in Gang. Schon die Bezeichnung ˗ Troika ˗ ist ein Betrug. Es ist schlicht die EU und ihre EZB, die sich als Aufputz noch den Internationalen Währungsfonds (IWF) umgehängt hat, der für die Spur der sozialen Verwüstung in den peripheren Ländern bekannt ist. Und selbst jenem wurde die verordnete Austerität zu hart. Die rezessive Spirale, die Verarmung, die folgte, kennen wir nun gut genug. Laut neoklassischer Theorie war dies unumgäng­lich. Preissenkung, nämlich der Arbeitskraft, steht nun einmal als Standard-Rezept in den Traumbüchern der Ökonomie.

Die Schulden und die Schuldenpolitik ist also das Haupt-Vehikel der Elitenpolitik. Einerseits wird damit die Austerität legitimiert. Andererseits geht es um gewaltige staatliche Geschenke an das Finanz-Kapital. Die Rettungsprogramme kommen den Spekulanten und Banken zugute, nicht der Bevölkerung. Es ist das alte Spiel: Privatisierung der Gewinne, Vergesellschaftung von Verlusten und Risikoübernahme. So dürfen sie ihre gewohnte Zockerei auf dem Rücken der breiten Masse ungestraft fortsetzen: Die Börsenkurse und ihre Indizes steigen wieder von Rekord zu Rekord.

Doch zunehmend zeigen sich Risse auch in der einstmals geschlossenen Eliten-Gruppe. Der € wird auch von Teilen der Elite inzwischen als Prokrustesbett[10] betrachtet. Zwar erschienen die EU, deren zentralisie­rende Institutionen und die von ihnen propagierte extreme neoliberale Ideologie als formidables Instru­ment im Klassenkampf von oben. Zum Teil glaubten und glauben die Eliten selbst die neoklassischen Dogmen, sind selbst Opfer ihrer Ideologie. Doch gerade an der Peripherie kommen sie selbst immer mehr unter die Räder. Ihre Industrie wird zerstört und ihr politisches System immer rachitischer bis zu dem Punkt, an dem sie die Kontrolle zu verlieren drohen. Mit dem Stimmungsumschwung in der Bevölkerung gegen die EU und gegen Deutschland müssen sie entweder die Macht an links- oder rechtspopulistische Stellvertreter übertragen. Mit Syriza oder Lega Nord nennen wir stellvertretend zwei gegensätzliche.

Populistisch meint übrigens nicht, wie im Jargon der Mainstream-Medien, gegen die als alternativlos betrachtete Austerität zu sein. Es heißt, sich gegen die Austerität auszusprechen, ohne den systematischen Bruch mit der Elite anzustreben. Für Syriza folgte die Stunde der Wahrheit auf den Fuß, als sie zum Ver­bleib unter dem Euro-Regime auch deren Bedingungen akzeptieren musste.

Autoritäre Veränderungen sind eine andere realistische Möglichkeit, die wir keineswegs ausschließen können.

Einige europäistische Extremisten wollen die Gelegenheit nutzen. Sie treten die Flucht nach vorne an und zentralisieren die politische Macht noch stärker in Brüssel und in Frankfurt. Dazu zählen die Sozialdemo­kraten. Es ist ein besonders schmutziges Manöver. Es läuft unter der heuchlerischen Vorgabe „Solidarität für den Süden“. Der noch etwas wackelige und angesichts der Krise von nationalen Interessen gefährdete supra-nationale Staat soll zu den Vereinigten Staaten von Europa ausgebaut werden, zum möglichst ein­heitlichen Superstaat.

Aber auch der Weg zurück ist versperrt. Dessen Kosten sind zumindest sehr hoch. Die „europäische Einigung“ war der Slogan, das Projekt der europäischen Eliten des letzten halben Jahrhunderts. Der Zerfall des Euro und der EU wäre für die Oligarchie eine historische Niederlage größten Ausmaßes.

5) Zentrum Deutschland: national vor imperial

Wir haben uns bisher auf die sozioökonomischen Aspekte der EU und der Währungsunion konzen­triert. Doch diese sind auch immer mit zwischenstaatlichen, internationalen Aspekten verbunden, die durch die Krise einen außerordentlichen Wandel erfahren haben. Die Gemeinsamkeit der Herrschenden der zentra­len Länder, insbesondere Deutschlands und Frankreichs, ist zerbrochen. Deutschland dominiert und ruft mit seiner national-egoistischen Politik im Dienste seiner kapitalistischen Eliten nationale Gegenreaktio­nen in der Union hervor. Vertieft sich die soziale Krise weiter, was anzunehmen ist, steht der Euro und die gesamte EU vor dem Zerfall. Sehen wir uns die Vorgeschichte an:

Das französische Nachkriegsmodell, das auf einen starken, in die kapitalistische Wirtschaft tief eingrei­fenden Staat setzte, war der relativen Schwäche der Kapitalistenklasse geschuldet, die noch von vergan­gener Größe lebte. Diese Schwäche bezog sich nicht nur auf den Großen Bruder über dem Atlantik, des­sen Herrschaft angesichts der Stärke der Sowjetunion bereitwillig akzeptiert wurde, sondern vor allem auf den großen Nachbarn und historischen Feind Deutschland. Deutschland hatte zwar die größte denkbare Niederlage erlitten. Doch als Frontstaat des Kalten Krieges erhielt es vom transatlantischen Sieger eine großzügige Sonderbehandlung, die rasch die alte wirtschaftliche Stärke und Überlegenheit – zumindest im europäischen Kontext – wiederherstellte. Unter diesen Bedingungen der überwältigenden US-Vorherr­schaft und der gemeinsamen Feindschaft zur UdSSR stülpten die französischen Beamten ihr staatsinter­ventionistisches Modell nun einem europäischen Bündnis über, das die deutsch-französische Achse als Zentrum hatte. Damit sollte der potentiell gefährliche und überlegene Nachbar im Zaum gehalten werden.

Noch waren die Tendenzen zum übernationalen Zusammenschluss verglichen mit der Zeit der Globali­sierung nach dem Zusammenbruch des Systems fixer Wechselkurs von Bretton Woods 1973 bescheiden. Das globale Herrschaftssystem der USA war auf starke Nationalstaaten aufgebaut, die insbesondere in den Frontstaaten zur Sowjetunion und in Europa bisher unbekannte soziale und demokratische Zugeständnisse für die breiten Massen gewährten.

Der in den 80er Jahren einsetzende Neoliberalismus und die damit verbundene Globalisierung ließen die europäischen Vereinigungstendenzen stark an Fahrt gewinnen. Das Fiasko der Mitterand-Regierung, des letzten keynesianischen Versuchs, der die Grenzen zum Schutz der nationalen Wirtschaft nicht mehr einsetzen konnte[11], schob die verbliebenen Hindernisse beiseite. Gemeinsam wollten die europäischen Eliten es Reagan und Thatcher gleichmachen und die Sozialstaaten, die mit dem Ende der Sowjetunion und dem Zusammenbruch der Arbeiterbewegung an politischer Bedeutung als Gegengewicht verloren hatten, wegräumen.

Dann kam die deutsche Wiedervereinigung. Die Möglichkeit eines neuen deutschen Großmachtstrebens ließ in Paris die Alarmglocken läuten. Die französischen Bürokraten sahen sich gezwungen zu handeln und traten die Flucht nach vorne an: Mittels eines qualitativen Schritts in der europäischen Vereinigung sollte Deutschland unter Kontrolle gehalten werden. Die Währungsunion wurde beschlossen. Erster Akt war gleich die Krise des Europäischen Währungssystems (EMS) 1992/93, die zur Aufhebung der fixen Wechselkurse zwang. Eigentlich hätte diese Episode als frühe Warnung vor der Unvernunft einer gemeinsamen Währung dienen müssen. Aber sie wurde zum Anreiz einer neuen brutalen Umverteilungs-Politik nach oben ˗ siehe Stichwort „Innere Abwertung“!

Deutschland willigte trotz erheblicher Bedenken seiner Wirtschaftseliten in die gemeinsame Währung ein, um sich die Zustimmung zur Wiedervereinigung zu sichern. Man wollte zeigen, dass man keine Großmachtpläne im Schilde führte und nur im europäischen Verbund und im Gleichklang mit den USA globale Ambitionen verfolgte.

Im Gegenzug musste der Rest Europas die wirtschaftpolitischen Leitlinien der deutschen Eliten akzeptieren. Durchgesetzt wurde das mit dem symbolisch wichtigen Prinzip der absoluten Unabhängigkeit der EZB vom Volkswillen, Im Interesse der Finanzkapitalisten (Gläubiger) wurde die Geldwertstabilität dogmatisiert. Hinzu kommen die ordoliberalen[12] Wettbewerbsregeln, die staatliche Interventionen verbieten.

Für mehr als ein Jahrzehnt schien der Euro eine Erfolgsgeschichte zu sein. Insbesondere in Südeuropa machte man sich Hoffungen, den historischen Rückstand zum Zentrum in kurzer Frist aufholen zu können. Man glaubte, einem vereinigten Europa des freien Marktes und Wohlstands entgegen zu gehen. Es war die Hochzeit des Kasinokapitalismus: Die Hohepriester des Systems verstiegen sich sogar dazu, mit dem Ende der Geschichte auch das Ende der kapitalistischen Krisen zu proklamieren.

Dann kam 2008 mit dem Zusammenbruch von Lehman – und der Traum zerplatzte. Er stellte sich als Blase heraus. Innerhalb kurzer Zeit wandelte sich Deutschland vom primus inter pares zum alles dominierenden Herrscher über Europa.

Denn das von allen Regulierungen befreite Kapital flüchtete ins deutsche Zentrum. Der Rest Europas trocknete bis an den Rande des Bankrotts aus. Doch Berlins Daumen zeigte nach unten. Die deut­schen Eliten weigerten sich Risiko für die Peripheriestaaten zu übernehmen, Garantien auszusprechen, geschweige denn gemeinsame Schuldentitel aufzulegen. Sie verschlimmerten dadurch die Krise noch weiter. Der deutsche Terror äußerte sich in Form des Zinsen-Spreads[13].

Berlin handelte weder im gemeinsamen Interesse der europäischen Eliten, noch in einem deutsch-imperialen, sondern entsprechend national-egoistischen Konzepten. Die deutschen Eliten sind nicht bereit die Kosten für eine Ordnung zu tragen, von der sie profitieren und die sie nolens volens ins Zentrum der Macht gerückt hat.

Bevor es tatsächlich zum Zusammenbruch kommen konnte, sprang Berlin mit seinen Hilfstruppen vom ehemaligen DM-Block wie Zocker in letzter Sekunde doch ein. Doch waren und sind die Bailouts von extremer austeritärer Härte geprägt. Sie setzten eine unkontrollierte rezessive Spirale in den betroffenen Ländern in Gang. Die geldpolitischen Maßnahmen der amerikanischen Fed und ihrer britischen und japanischen Pendants wurden nur im Zinsbereich nachgeahmt. Der Ankauf von Staatspapieren widerspräche dem dogmatischen Verbot der Finanzierung von öffentlichen Schulden durch Geldschöpfung.

Staatliche Nachfragestimulierung werden in den krisengeschüttelten Ländern der EU immer lauter auch von Teilen der Eliten gefordert, um aus der fünfjährigen Rezession herauszukommen. Das kommt für Berlin nach wie vor nicht in Frage. Die logische Idee wäre, als Ausgleichmaßnahme die „innere Auf­wertung“ in Deutschland zu vollziehen. Sie würde den Lebensstandard der breiten Massen erhöhen, die Produkte verteuern und die Exportüberschüsse senken. Aber das ist erst recht eine Schreckens-Idee. Ein Ende der Lohndeflation will nicht nur die Exportlobby nicht. Es wäre gegen das Dogma der Inflationsbe­kämpfung, selbst wenn die EU sich in einer Deflationskrise befindet. So wurde es in der Konstruktion der EU auf deutsches Geheiß hin festgeschrieben.

Neben deutscher nationaler Interessenspolitik lässt sich diese Weigerung mit einem Element der ideologi­schen Verblendung erklären. Das Moment gesteigerter Konsumnachfrage mittels Reallohner­höhungen und Sozialtransfers könnte die Verschlechterung der globalen Wettbewerbsposition wett machen. Ein solcher keynesianistischer Schwenk könnte bei entsprechender politischer Steuerung auch zu einem zusätzlichen Produktivitätswachstum führen.[14] Ganz zu schweigen von der integrativen politischen Wirkung durch das Ende der sozialen Rosskur. Aber das ist nicht zu erwarten.

Noch verteidigt Berlin und mit ihm die europäischen Eliten das Euro-Regime. Sie haben allesamt keine Alternative. Der Zerfall, die Auflösung wäre eine gewaltige historische Niederlage. Sie könnte die politische Herrschaft der kapitalistischen Eliten schwer erschüttern und unkontrollierbare Oppositionsströmungen hervorbringen.

Und doch würde Berlin wohl eher in dieses kalte Wasser springen und einzelne Länder aus der Euro-Zone austreten lassen, als eine keynesianische Nachfragebelebung zu akzeptieren, so wie sie der Süden brauchen würde und Teile ihrer Eliten auch zunehmend fordern. Sie riskieren sonst, von der Macht verdrängt zu werden. Wer weiß: Das Euro-Regime wird vielleicht überleben, wenn im europäischen Süden offene Diktaturen des pro-deutschen Kapitals errichtet werden. Solche vermögen den Widerstand der subalternen Klassen zeitweise zu brechen. Wir kennen das von der griechischen Militär-Diktatur 1967 bis 1974. Doch das ist glücklicherweise unwahrscheinlich. Wahrscheinlich ist das Ende des Euros – in welcher Form auch immer.

6)Nationalismus? Der Vorwurf fällt auf seine Urheber zurück!

Es ist schon merkwürdig: Die Erben jener Tradition, die seinerzeit die Arbeiter-Bewegung nicht genug als vaterlandslose Gesellen beschimpfen konnte, beschuldigen die Kritiker des Euro-Regimes nun des Natio­nalismus. Die alten Liberalen und Konservativen (die organisch national eingestellt waren) haben sich ge­wendet. Zusammen mit den Sozialdemokraten spielen sie nun die Speerspitze des neoliberalen Internatio­nalismus. Und diesen neuen wilden Internationalismus der Deregulierung und der Starken sollen wir be­grüßen? Er wird auch nicht besser, wenn er sich nun mit der hohlen Phrase des „sozialen Europa“ schmückt – nur zynischer! Dieses Europa wurde für harte Elitenpolitik gegründet, für Sozial- und Demokratie-Abbau. Und das soll sich nun zu einer Idylle des „sozialen Europa“ wandeln? Geradezu lachhaft ˗ wenn nicht so viele, die sich persönlich links von der Sozialdemokratie positionieren, darauf einstiegen! Ein Apparat, der für die brutalste Politik der Eliten gegründet wurde, kann nicht plötzlich für die Interessen der Masse der Bevölkerung umgebaut werden. Man muss ihn zerschlagen, einen anderen neu aufbauen.

Ja, aber mehr Investition und Konsum in Deutschland wäre doch möglich? Ohne Zweifel, aber die fran­zösische oder griechische Regierung, die möglichen Konkurrenten und die Opfer der globalen Konkur­renz werden dies nicht durchsetzen. Die deutschen Eliten mit ihrer Exportfixierung und Lohndeflation können nur von der deutschen Bevölkerung dorthin gebracht werden. Der Druck in diese Richtung ist zumindest groß genug, dass die politische Klasse es für notwendig erachtet präventiv zu handeln: So schickt sie die „linke“ Sozialdemokratin Andrea Nahles vor, um Gewerkschafts- und Streikrechte abzubauen.

Für die Bevölkerung der anderen Länder wäre es aber selbstmörderisch, auf den Klassen­kampf im deutschen Zentrum zu warten. Es ist für sie allemal vernünftiger – und erfolgverspre­chender – selbst zu handeln, sich von der deutschen Vorherrschaft und der EU zu befreien und ihre sozialen Interessen gegen die eigenen, nunmehr geschwächten Eliten durchzusetzen.

Völkerverständigung? Europäische Demokratie? Nicht nur, dass die Merkels, Steinmeiers und Gabriels Europas Bevölkerungsmehrheit Austerität, sprich Verarmung, verordnen und die EU-Institutionen Demo­kratie richtiggehend verhöhnen. Berlin ist nicht einmal bereit, die unvermeidlichen imperialen Kosten[15] seiner Vorherrschaft zu tragen (wie beispielsweise Euro-Bonds) – ganz abgesehen davon, dass die EU-Konstruktion dies überhaupt nicht vorsah. An diesem Punkt steht die Elite zusätzlich von der AfD unter Druck, die einen Teil der Mittelklasse und auch der frustrierten Arbeiter repräsentieren. Deutschland solle keine Garantien für die Schulden der Peripherie übernehmen, selbst wenn dabei der Euro zerbrechen sollte. Nicht nur wenden sie sich nicht gegen die neoliberale Austerität. Sie fürchten sogar, dass diese gegenüber dem Süden in den Bailouts nicht hart genug durchgesetzt würde. Hier mischt sich ideologische Schrulle der schwäbischen Hausfrau – die fast deckungsgleich mit dem neoliberalen Dogma ist –, mit einem Reflex jener gegen imperiale Kos­ten, die nicht über die Exportwirtschaft mit­profitieren, und einem Kultur- und Sozialchauvinismus gegenüber dem Süden. Erinnern wir uns daran: Der Grexit kam ironischer Weise von Deutschland aus ins Spiel, nicht sosehr von Griechenland her. Dass die EU und insbesondere die deutsche Politik nationale Reaktionen, und bisweilen auch neuen Nationalismus hervorrufen, ist angesichts der Notlage der Peripherie und auch des peripheren Zentrums logische Folge. Das kann die verschiedensten Spielarten und Formen annehmen:

7) Rechtspopulismus

Neben jenen, die sich für die Interessen der Unter- und Mittelschichten gegen den Europäismus und Internationalismus der Eliten einsetzen, bilden sich auch Kräfte, die zu einem nationalen Kapitalis­mus liberalistischer oder selbst faschistischer Prägung zurück wollen. Die faschistische Schläger- und Polizistenpartei Goldene Morgenröte in Griechenland; Viktor Orban mit seiner autoritär-nationalistischen Verteidigung der ungarischen Ober- und Mittel­schichten gegen die globale Oligarchie und die eigenen Unterschichten oder das neue ukrainische Regime, das das neoliberale Programm der EU mittels Nationalismus durchsetzt: Das sind die ominösen Vorläufer. Das Phänomen gibt es noch massiver in den Zentrums- und Zentrumsperipheriestaaten: die wiedererstarkende rechtsnationale und wirtschaftsliberale Lega Nord; der französische Front National, der mehr staat­liche Intervention fordert und auch den Arbeitern Versprechungen macht; die nationalchauvinis­tische UKIP in Großbritannien; schließlich in Deutschland der Mittelstandsprotest AfD und die kulturchauvinistisch-antiislamisch PEGIDA, die auf der Straße Zuspruch von unten sucht.

Der Rechtspopulismus ist die Folge der sozialen, demokratischen und kulturellen Katastrophe. Ver­antwortlich dafür ist das (neo-)liberale oligarchische Zentrum in der EU mit seinem Hauptinstru­ment, dem Euro. Das ist unser Hauptgegner. Die Neofaschisten und Rechtsnationalisten werden als Perchten[16]
von den Herrschenden in den Vordergrund geschoben. Mit besonderer Liebe widmen sich jene Intellektuellen diesen Popanz, die auf dem Langen Marsch durch die Institutionen dort stecken blieben. Lassen wir uns nicht ablenken von diesen Inszenierungen! Natürlich ist es den Eliten lieber, wenn sich eine soziale Systemopposition auf einen solchen Feind konzentriert und dabei aufhören würde, das Zentrum als den viel gefährlicheren Hauptgegner zu bekämpfen.

Der Nationalstaat ist gegenwärtig der einzige Rahmen, in der Demokratie und soziale Interessen der Unter- und Mittelschichten artikuliert und durchgesetzt werden können. Der Neoliberalismus gewinnt seine Wucht durch die Globalisierung und geht einher mit einem kapitalistischen Internationalismus unter der Führung der USA. Auch deswegen ist der Nationalstaat die Basis, auf die eine solidarische internationale Kooperation gegen das monopolare Zentrum aufbauen kann.

Furchterregende Maske des ostalpinen Brauchtums, mit dem böse Geister ausgetrieben werden sollen. Besser geeignet zur Charakterisierung des Rechtspopulismus als das Bild der Marionette, denn die Perchten können bisweilen unerwartete, aggressive und gegen die Gepflogenheiten und guten Sitten gerichtete Handlungen setzen. Sie enthalten ein Moment der Unberechenbarkeit und Selbständigkeit.

8) Auflösung der Euro-Zone: Ziel und Ausgang

Die Peripherie muss sich vom Diktat des Zentrums, vom Euro und vom Euro-Regime befreien. Aber auch die Mehrheit der Bevölkerung, die arbeitenden Klassen des Zentrums, brauchen die Befreiung von diesem Eliten-Programm. Es geht um das Ende der Lohndeflation, die den unteren und den Mittelschichten verordnet wurde.

Gewöhnlich entgegnen die Eliten, dass durch den Austritt aus dem Euro mit einem katastrophalen Zusam­menbruch zu rechnen sei. Selbst in Griechenland, das unter dem Titel der Euro-Rettung rund 25% seines BIP einbüsste und dessen Unter- und Mittelschichten noch viel stärker verarmten, zieht das Argument noch immer.

Klar, ein unkontrollierter Staatsbankrott kann zu einer schockartigen Kontraktion und einem noch tieferen Fall führen. Es geht darum den Austritt politisch zu gestalten, wobei die Oligarchie und die Mehrheit natürlich sich widersprechende Interessen haben.

Doch selbst bei einem Austrittsprozess unter vollständiger Kontrolle der Eliten – im griechischen Fall ein von Berlin und Brüssel vollzogener Rauswurf mit der darauf folgenden “Anpassung„ (structural ad­justment nach dem Modell des IWF) – würden die Vorteile die Nachteile aufwiegen. Die unumgäng­liche „äußere“ Abwertung ist nicht schmerzlos. Doch im Unterschied zur nun laufenden „inneren“ Abwer­tung (Austerität) verteilt sie die Lasten über den gesamten gesellschaftlichen Stufenbau und erleichtert den unteren und mittleren Schichten das Leben. Abwertung an der Peripherie bedeutet gleichzeitig relative Aufwertung im Zentrum. Damit entsteht automatisch eine neue Lastenverteilung zwischen den Volkswirtschaften. Es wird Schluss sein mit den exorbitanten deutschen Überschüssen, Sie entstanden ja hauptsäch­lich durch die Abwertungswirkung des Euro für die deutschen (und österreichischen) Exporteure.

Abstrahiert vom politischen Moment, schwankt eine Währung um die gesamtwirtschaftliche Produktivität in Relations zu den Leitwährungen der Metropolenstaaten. Doch je mehr sich die Subalternen politisch Gehör zu verschaffen vermögen, je mehr es der Mehrheit gelingt, den Prozess des Austritts selbst zu steuern, desto besser können die Ergebnisse sein. Im Zentrum steht die unilaterale Annullierung der Schulden. Das kann in ein Moment der politischen Stärke und Verhandlungsmasse mit den Gläubigern umgewandelt werden. Denn natürlich sind Währungen keine rein technische Frage, sondern vor allem Ausdruck von Machtverhältnissen.

Austerität ist kein Naturgesetz, als das es die Oligarchie darstellen will. Sie ist nicht alternativlos. Es ist eine gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Produkts möglich. Allerdings zieht man sich dadurch die Feindschaft der globalen Oligarchie und auch jene der verschiedenen Schichten der nationalen Eliten zu. Massive politische Eingriffe, wie Kapitalverkehrskontrollen und Verstaatlichun­gen im Finanzsektor, werden notwendig, die unter gewissen Umständen zum Ausschluss vom globalen Kapitalmarkt führen können. Das wiederum könnte noch radikalere Schutzmassnahmen erfordern (siehe weiter unten). Je größer und wohlhabender eine Volkswirtschaft ist, je mehr sie alternative internationale Partnerschaften entwickeln kann, desto leichter und schmerzloser wird ein solches Projekt durchführbar.

Es geht also um wesentlich mehr als nur um Währungspolitik. Wir müssen die Entwicklungs-Perspektive unserer Gesellschaften offen halten, oder erneut öffnen. Sie wurde von der kapitalistischen Oligarchie verbaut. Ausgangs­punkt ist der Kampf um die Reste der Selbstbestimmungs-Möglichkeiten, welche in den nationalen parlamenta­risch-demokratischen Systemen noch enthalten waren, und die man uns mit dem Pseudo-Parlament der EU-Bürokratie nimmt.

Es gibt heute noch und wieder eine Chance auf die Änderung der Machtverhältnisse. Angesichts des Scheiterns des €-Projekts, dieses Parade-Unternehmens der EU, haben sich die Verhältnisse gelockert. Sobald dieses Scheitern auch hierzulande politisch-institutionell manifest wird – denn derzeit üben sich die Eliten noch in der Linie des Augen-zu-und-durch – wird das zu schweren Erschütterungen und noch weiterem Hegemonieverlust der Machtsysteme führen. Sie werden nicht so schnell wieder durch klas­sisch-repressive Politik versteinert werden können. Selbst die Versuche der Repression in Spanien sind eine politische Dummheit der altfranquistischen Regierung. (Mit dem Gesetz Mordaza, das der Staatsge­walt außergewöhnliche Befugnisse gegen die wachsende politisch-soziale Opposition einräumt, hofft die Partido Popular in überkommener Weise das alte Regime verteidigen zu können.) Sie werden sich gegen sie selbst zurück wenden und sie weiter isolieren. Es gilt, ein völliges soziales Desaster für die Unter- und Mittelschichten zu verhindern, von ihnen selbst, nicht von angeblich wohlwollenden poli­tischen Vormündern aus welchen Parteien immer. National­staatliche Intervention wird aber erst wieder effizient, wenn sich die Staaten ihre Macht, ihre Kompetenzen, ihre Souveränität von Brüssel (Kommis­sion), Luxemburg (EuGH), Frankfurt (EZB) und Berlin, der Macht im Hintergrund, zurückholen.

9) Sofortmaßnahmen

Selbstbestimmung der Mehrheit der Bevölkerung muss von Anfang an und in jeder Maßnahme das eigentliche Ziel dieses Programms bilden. Die Eliten erpressen die Völker mit der Behauptung, dass ihre Rosskur für die unten und die Geschenke für die oben notwendig sind, um ihr Werkel vor dem kata­strophalen Zusammenbruch zu bewahren. Das ist eine Lüge. Es geht auch anders, nämlich im Interesse der Mehrheit. Um die Katastrophe, die für weite Teile Südeuropas bereits schleichende Realität ist, tatsächlich abzuwenden, bedarf es einer Reihe großer und radikaler Schritte.

  • Schuldenstreichung: Diejenigen, die sich in den letzten Jahrzehnten ohne Arbeit und Leistung bereichert haben, die Nutznießer des Kasino-Kapitalismus, die legale und illegale Pyramidenspiele betrieben und betreiben und bei Verlust die Hand gegenüber dem Staat aufhalten, werden enteignet!
  • Aufkündigung des Fiskalpakts, der Verträge von Lissabon und Maastricht und der unmittelbar darauf aufbauenden Politik der eisernen Austerität.
  • Rückzug der nationalen Gelder aus den „Rettungsschirmen“ ESFS / ESM.
  • All das geht einher mit der möglichst geordneten Auflösung der €-Zone und der Ausgabe neuer natio­naler Währungen.
  • Einseitige Nichtanerkennung der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs. Der EuGH war jene Institution, die am meisten für die beschleunigte und stets über die Vertragstexte hinaus gehende Inte­gration gewirkt hat.
  • Vergesellschaftung der Zentralbank: Schluss mit der Herrschaft der Finanzoligarchie mittels „Unab­hängigkeit der Zentralbank“, einer Unabhängigkeit von jeder demokratischen Einflussnahme; ein neuer Zentralbankrat aus Volkswahlen.
  • Verstaatlichung der Banken und des Finanzsektors. Beschränkung des „Kapitalmarktes“, das heißt des freien Fließens des Kapitals zu den höchsten Profiten zugunsten der Regulierung und Steuerung ent­sprechend demokratischer Entscheidungen im Sinne der Interessen der Mehrheit.
  • Deglobalisierung: Kapitalverkehrskontrollen (auch über den Devisenhandel, um Währungsspekulation im Zaum zu halten), Zölle, Schluss mit dem Freihandelsregime im Dienste der Starken!
  • Staatliche Investitionsprogramme zur Vollbeschäftigung sind an der Peripherie, aber auch in den Zentren notwendig.
  • Internationale Kooperation mit der Perspektive der Überwindung von Kapitalmarkt und Herrschaft des Zentrums.

Es versteht sich: Solche grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen sind nur in Wechselwirkung mit der Umwälzung der politischen Machtverhältnisse möglich. Diese ur-demokratische Gestaltung der Gesellschaft durch und für die Mehrheit braucht die tiefgreifende Politisierung der Gesellschaft. Demokratie erfordert die Verfügungsgewalt über die produktiven Kapazitäten. und das bedarf es einer wirklichen Revolution.

 


1. [Die anfänglichen Zugangsbeschränkungen für Arbeitskräfte aus dem Osten kamen vor allem auf Druck der Gewerkschaften zustande.]

2. Währungsrelationen sind der offensichtlichste, formale Ausdruck der ungleichen Terms of Trade zugunsten der Metropolen. Starke Währungen machen die Waren der Schwachwährungsländer billig und verringern Kapitalkosten (niedrigere Realzinssätze durch geringere Risikoaufschläge).

3. Das Exportmodell kann nur für einige wenige Länder funktionieren, basierend auf den billigen Kapitalfluss ins anglosächsi­sche Zentrum des Kapitalmarktes, das sich Handelsbilanzdefizite ohne Gefahr leisten kann. Im weltwirtschaftlichen Krisenmodus schränkt sich der Kreis weiter ein. Vor allem kann nicht ganz Europa Deutschland werden, denn die Überschüsse der einen sind die Defizite der anderen.

4.Zudem: Dass es in solchen Ländern z. B. korrupte Eliten, Kleptokratien gibt, die ihre Gelder in Sicherheit bringen wollen, scheint die Mainstream-Ökonomen zu überraschen. Kleptokratien wollen sie nicht sehen.

5. Und doch hat sich der reale Souverän auch wieder nicht so eindeutig gezeigt, blitzte gleichsam nur auf. Man hat ihn immer nur in einem verschwommenen Ausdruck berufen. Wenn die Parlamente und einige nationale Politiker doch einmal kurz zögerten, hieß es immer: Aber die Finanzmärkte! Der Mechanismus der Versachlichung und Anonymisierung sozialer Verhältnisse bleibt weiterhin aufrecht.

6. Kreditvergabe an nach traditionellen Kriterien nicht kreditwürdige Kunden, siehe NINJA-Papiere weiter oben.

7. Staatliche Übernahme von Schulden oder Haftung.

8.Insbesondere russische Oligarchen benutzten Zypern als Fluchtort zur Steuerhinterziehung.

9.Haftung von Gläubiger über das Eigenkapital hinaus bei Insolvenz.

10. Prokrustes: Gestalt der griechischen Mythologie, dem die Beine abgeschnitten wurden um ihn in ein nicht passendes Bett zu zwingen.

11. Die soziale Maßnahmen, die die Massenkaufkraft stärkten, zeitigten nicht die stimulierende Wirkung für die französische Wirtschaft, weil sie durch billigere Produkte aus dem Ausland abgesogen wurde. Inflation war die Folge.

12.Nach dem deutschen Ordoliberalismus muss der Staat lediglich den Rahmen dafür bieten, in dem das private Kapital sich frei entfaltet.

13. Zinsendifferenz zu 10jährigen deutschen Bundesanleihen, die als Referenz dienen.

14. Zum Beispiel gezielte klassisch-orthodoxe Technologieförderung. Oder heterodoxe Maßnahmen wie Arbeitszeitverkürzung, umfassender Kinderbetreuung oder Bildungsförderung für die unteren Schichten.

15. Jede Herrschaftsstruktur, jedes Reich erfordert soziale Ressourcen, die auch als Kosten auftreten und nicht unmittelbar als Profit erscheinen – beispielsweise die Infrastruktur von Kolonialreichen.

16.Furchterregende Maske des ostalpinen Brauchtums, mit dem böse Geister ausgetrieben werden sollen. Besser geeignet zur Charakterisierung des Rechtspopulismus als das Bild der Marionette, denn die Perchten können bisweilen unerwartete, aggressive und gegen die Gepflogenheiten und guten Sitten gerichtete Handlungen setzen. Sie enthalten ein Moment der Unberechenbarkeit und Selbständigkeit.