(Un-) Systematische Bemerkungen zu Griechenland-Nichtverstehern
Bevor die Liberalen und sodann die Konservativen den Wert von Political Correctness für die Disziplinierung der Bevölkerung entdeckten – die Altreaktionäre sind noch immer zu blöd dazu – , gab es in den USA und auch in Frankreich den Ausdruck „weiße Neger“. Gemeint waren jene überangepassten Menschen dunkler Hautfarbe, die sich bemühten nur ja keinen Anschein der Solidarität mit ihren Genossen gleicher Herkunft aufzubringen. Sie wollten „integriert“ sein in der herrschaftlichen weißen Gesellschaft, und dazu mussten sie beweisen, dass sie überangepasst waren.
In einem vergleichbaren Sinn gebrauche ich nun die Wendung „deutsche Griechen“. Davon gibt es genug, denn es gibt immerhin auch viele Gewinner der derzeitig katastrophalen Situation. Und darüber hinaus haben viele Griechen aus „guten Familien“ in Deutschland und Österreich studiert und dort die hegemoniale Ideologie eingesogen, vor allem, wenn sie Ökonomie studierten.
Die Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn hat nun ein umfangreiches Buch veröffentlicht: Die Krise in Griechenland. Das wird zum größten Teil von solchen deutschen Griechen bestritten. Herausgegeben wird es allerdings von einem ehemaligen deutschen Botschafter in Griechenland: Man muss schließlich vorsichtig sein; den Griechen kann man nicht trauen. Die schreiben u. U. tatsächlich etwas, was sie nicht sollen.
Trotz des allzu offensichtlichen Zwecks und trotz dessen, dass auf den 546 Seiten ausgiebig das Blabla der deutschen Zeitungen wiederholt wird, ist es doch nützlich, dieses Opus zu lesen. Es gibt auf vereinzelt gute Beiträge, z. B. jener von Korinna Schönhärl über frühere Fälle von Staatsbankrott in Griechenland (182 – 197). Und vor allem gibt es eine ganze Menge an Informationen und Daten, die man als Einzelheiten trotz allem hier findet. Wer weiß schließlich, dass bereits mit dem ersten Memorandum 2010 ein „unabhängiger Finanzstaatssekretär“ mit einer unkündbaren fünfjährigen Amtszeit eingesetzt wurde, also ein de facto-Finanzminister, der niemandem außer natürlich dem Geist seiner Auftraggeber verantwortlich ist?
Auf diese Weise findet man eine Menge von Einzel-Informationen und wird auch weiter geleitet, zu Daten aus internationalen Organisationen, die von großem Wert sind. Man sieht da etwa, dass der griechische Schuldenstand im Jahr 2000, vor der Einführung des Euro, 104,6 % des BIP betrug; aber auch 2007, im letzten Jahr vor der Finanzkrise, war er nur 107,2 %, ist also in dieser Zeit nur sehr geringfügig gestiegen. Dann allerdings schoss er trotz eines Schuldenschnitts in die Höhe, auf 177,2 % im Jahr 2014. Zu diesem „Schuldenschnitt “ ist allerdings noch etwas zu sagen: Er war im Grund die Reduzierung der privaten Schulden auf einen Stand, der über den damals (2012) auf dem Markt für die griechischen Papiere erhältlichen Werten lag. Er war im Wesentlichen eine Übernahme der privaten Schulden durch die öffentlichen Hände der anderen EU-Staaten zu einem Preis, der für die Privaten sehr günstig war.
Aber zurück zu den Zahlen: Kann es etwas Aussagekräftigeres über das Crash-Programm („Sparen“) geben, als die Tatsache, dass in der Zeit der angeblichen Verschwendung die öffentliche Schuld als Anteil am BIP kaum zunahm, dann aber in untragbare Höhen aufstieg?
Doch es geht mir hier um etwas viel Grundsätzlicheres. Im privaten Bereich, der in der Regel ja völlig ausgeblendet wird, stieg der Schuldenstand im Süden enorm. Wenn man da näher hinsieht, ist man vorerst etwas verwirrt. Ein Großteil der privaten Schulden wurden investiert. Das wäre doch genau das, was die ökonomischen Lehr- und Traumbücher sich wünschen. Aber man muss noch etwas genauer hinsehen. Diese „Investion“ ging nämlich in Spanien und Irland vor allem, fast ausschließlich, in den Wohnbau. In Griechenland geschah dies auch, aber nicht ganz im selben Ausmaß.
Und damit sind wir beim Thema. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) benutzt Kategorien, die in Wirklichkeit oftmals unbrauchbar sind, insbesondere in Zeiten von Krisen. Wohnbau wird, nach dem Alltagsverständnis, doch wohl am besten als Ankauf eines langlebigen Konsumguts zu betrachten sein. Allerdings ist jedes Gut, jede Ware, in einem System auch eine Investition, die Geld grundsätzlich als Kapital betrachtet. welches Ertrag bringen muss. In einer bestimmten Perspektive hat dies also Sinn.
Wenn man allerdings Wirtschaft immer vor allem als Realwirtschaft betrachtet, nichts sosehr als Ansprüche der Finanz-Oligarchie, dann werden sollche Kategorien nutzlos.
Das mag als eine recht technische Erörterung erscheinen. Da aber die VGR das empirische Um und Auf der Ökonomie ist, da sie im Grund die einzige Basis ist, auf der wir durch Daten gesichert diskutieren können, sit das von ganz basaler Bedeutung.
Den klügeren Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnern in den Statistischen Ämtern braucht man dies übrigens nicht zu sagen. Die wissen über die Defizienzen ihres Faches recht gut Bescheid. Aber der Öffentlichkeit werden die Ergebnisse dieser Schätzungen stets als Moses und die Propheten vermittelt. Das gilt nicht zuletzt auch für die Angehörigen der halb-offiziellen Wirtschaftsforschungs-Institute. In Österreich ist das das WIFO. Man soll gar nicht mehr auf die Idee kommen, die Qualität, die Grundlage ihrer Aussagen, die oft genug nichts als neoliberale Ideologie sind, in Frage zu stellen.
Auf die Beiträge in diesem Buch möchte ich gesondert noch einmal zurück kommen.
- Juli 2015