Eine Notiz und eine Nachfrage
Vor zwei Wochen stolperte ich in Le Monde (29. Juli 2015, p. 5) über folgende Meldung: Ex-Finanzminister Varoufakis habe einen €-Austritt vorbereitet. Dabei habe seine Task-Force, der u. a. der jüngere Galbraith vorsaß, folgenden Vorschlag gemacht – und jetzt zitiere ich wörtlich (bzw. in deutscher Übersetzung): „Man musste dazu an die Steuernummern im Ministerium herankommen, das von den Gläubigern Athens besetzt (occupée) ist. … Ein Jugendfreund, Informatikprofessor in Columbia, wurde beauftragt, den Rechner des Ministeriums zu hacken…“
Man reibt sich die Augen: Der Finanzminister, der Chef der Finanzverwaltung des Landes, will oder muss den Computer des eigenen Ministeriums hacken?
Die Geschichte machte die Runde. Der Spiegel kochte sein eigenes Süppchen daraus (25. Juli 2015, S. 108, unter „Kultur“, nicht etwa Politik; dann weiter im Spiegel online: 27. 7. 2015 – das Datum ist kaum sicher zu eruieren). Er macht Varoufakis zum künftigen Führer einer Euro-Linken, da der Ex-Finanzminister ja wegen seiner Konsequenz so glänzend geeignet ist: Beim ersten Paket nach der Wende war er abwesend; beim zweiten stimmte er dagegen, beim dritten dafür… Aber irgendwie scheint er der Journaille Angst zu machen. Auch der Artikel in Le Monde ist dazu bestimmt, den Politiker madig zu machen. Denn so günstig sind die Umfragen auch nicht, wie uns ORF und Zeitungen es täglich vorlügen.
Aber das lenkt nur ab. Wiederholen wir das Unfassbare: Der oberste Chef der Finanzen, in einer Regierung aus demokratischen Wahlen, muss offenbar auf quasi-kriminelle Weise den Zugang zum Computer des eigenen Ministeriums erschleichen. Denn dieses Ministerium ist von der Troika besetzt.
Nun fällt mir ein Text ein. Kurz zuvor erschien bei Campus, Frankfurt, ein dickes Buch über die Krise in Griechenland, herausgegeben von der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung – also offiziös. „Die wichtigste Neuerung [des Ersten Memorandums, 2010 / 11] war die Einrichtung eines unabhängigen Finanzsekretariats, das – nach dem Vorbild des Zentralbankpräsidenten – mit einem in seiner fünfjährigen Amtszeit nicht kündbaren Experten zu besetzen war“ (Kazakos 2015, 40). (Anzumerken ist, dass dieser Text von einem „deutschen Griechen“ stammt, also einem Verteidiger der offiziellen deutschen Politik.)
Sagen wir es ohne Umschweife: Die griechische Finanzpolitik ist nicht nur de facto, sondern formell und de jure, der griechischen Demokratie entzogen.
So ging Großbritannien seinerzeit im 19. Jahrhundert in Ägypten vor, als der britische Generalkonsul die dortige Politik leitete; oder etwa zur selben Zeit, zusammen mit Frankreich, im Osmanischen Reich; oder natürlich bald auch schon einmal in Griechenland: Δυστιχϖς επτοχεύσαμεν „leider sind wir bankrott“, sagte der Ministerpräsident Charilaos Trikoupis dem griechischen Parlament 1893. Ab 1898 nahm somit eine Internationale Finanz-Kommission (IFC) die Dinge selbst in die Hand. Darin saßen Vertreter Englands, Frankreichs, Russlands, Italiens, des Deutschen Reichs und der Habsburger.
„Wahlen ändern nichts“, sagen dazu Schäuble und Juncker. Wer dies nicht akzeptiert, muss nicht nur gehen. Er riskiert auch einen Prozess wegen Hochverrats.
Es stellt sich allerdings die Frage: Wie funktioniert dies in der Praxis? Ohne griechische Kollaboration geht dies nicht. Aber dazu gibt es die Tsakalotos und die Tsipras. Wenn man es aber genauer wissen möchte, erlebt man auch etwas Erstaunliches: Man erfährt schlicht nichts. Jedenfalls nicht aus öffentlich zugänglichen Dokumenten. Der Text des Ersten Memorandums bringt die Chose in ein vergleichsweise harmloses Umfeld. Im Annex 2: Financial Stability Fund, wird allerdings die „Unabhängigkeit“ nicht nur des Präsidenten dieses Fonds, sondern einer ganzen Reihe von Beamter und auch ihrer Aufpasser aus der EU heraus gestellt. Nur im Falle grober, verbrecherischer Verfehlungen dürfen sie entlassen werden. Aber was sie faktisch wirklich zu tun haben, kommt nicht heraus.
Ich muss nun allerdings eingestehen, dass meine paar Vokabel des Griechischen nicht im Entferntesten ausreichen, einen Text zu verstehen. Daher meine Bitte an Alle, die Griechisch beherrschen: Nachrecherchieren und eventuell bei Bekannten aus dem politischen Umkreis, und noch besser, aus dem Umkreis dieser Institutionen nachfragen!
Denn das ist ein Beispiel, wie es düsterer schwer vorzustellen ist: Wir haben bisher stets beklagt, dass die politische Praxis sich nicht um die demokratischen Ansprüche schert. Hier aber wird ganz formal und institutional die Zerstörung des Kernbereichs von Demokratie betrieben. Und Tsipras sowie die Mehrheit der SYRIZA decken inzwischen alle diese Verbrechen.
- August 2015
Literatur
Kazakos, Panos (2015), Griechische Politik 2009 – 14. Der Kampf um Kredite und der mühsame Weg zu Reformen. In: Klemm, Ulf-Dieter / Schultheiß, Wolfgang, Hg., Die Krise in Griechenland. Ursprünge, Verlauf, Folgen. Frankfurt / M., Bonn: Campus / Bundeszentrale für politische Bildung.
EC (2010), The Economic Adjustment Programme for Greece. Brussels, Occasional Paper 61.