Welche Strategie?
Die Resultate der Griechischen Wahl sind noch nicht völlig fix. Aber das tut wenig zur Sache. Auf der Ebene der Bevölkerung stehen sie ebenso klar da wie in ihren institutionellen Folgen. Tsipras hat in seiner Weise gewonnen: Die Wahlbeteiligung ist so niedrig wie noch nie. Nicht viel mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten hat die Stimme abgegeben. An Stimmen hat er gegenüber dem Jänner mehrere Hunderttausend verloren. Das ist also sein erster Erfolg. Ein großer Teil der Menschen ist so enttäuscht, dass sie selbst diese bescheidene Möglichkeit, irgend einen Einfluss auszuüben, nicht mehr nützen.
Die Linke, die LAE, konnte offenbar keineswegs genug Überzeugungskraft aufbringen. Sie konnte die Enttäuschten nicht mehr motivieren, ihnen zu vertrauen. Zugegeben: Ihre Ausgangslage war nicht bequem. Gingen sie zu früh aus der Partei, so mussten sie sich den Vorwurf gefallen lassen, sie hätten nicht gekämpft. Aber sie gingen definitiv zu spät. Sie hätten gehen müssen, als die erste informelle Koalition zwischen den Memorandums-Parteien geschlossen und sie überstimmt wurden. Der Erfolg, wenn auch bescheiden, der KKE zeigt es deutlich. Trotz ihrer absoluten Verweigerung ist sie offenbar glaubwürdiger als die LAE.
Die griechische Linke als Massenbewegung ist also nahezu vernichtet – der zweite Erfolg des Alexis Tsipras. Mit dem betrügerischen Wahlrecht und dessen Prämie kann er sich nun die fehlenden nötigen Stimmen aussuchen, entweder wieder ANEL, die es auch wieder geschafft hat, oder aber eine der Kollaborationisten-Parteien, To Potami oder PASOK. Damit hat er sein wirkliches Ziel erreicht: Er kann Ministerpräsident bleiben.
Nicht nur die griechische Linke ist, kurz- und mittelfristig, fast vernichtet. Der Schlag traf auch die europäische Linke, ihre Hoffnungen, ihre Illusionen. Da gab es einige Fehleinschätzungen. Nicht dass wir Gregor Gysi falsch beurteilt hätten. Es liegt in der Natur des wendigen Rechtsanwalts aus der ehemaligen DDR, sich an Leute wie Tsipras zu halten. Aber auch der Sprecher von Podemos, Pablo Iglesias, hat in den letzten Tagen Wahlkampf für SYRIZA gemacht. Und auf den setzten viele bisher einige Hoffnung. Nun aber steht sonnenklar, wo er steht, und wahrscheinlich die Mehrheit von Podemos auch.
Nach diesem ernüchternden Ergebnis bleibt uns nur die Frage: Hat die Linke, die konsequente Linke, nicht jene Karikatur, für die SYRIZA nunmehr steht, irgend eine politische Chance in Europa?
Der Parlamentarismus wurde geschaffen, um eine Schumpeter‘sche Variante von „Demokratie“ zu verwirklichen. Kurz gesagt: Das Volk darf zum Demos werden, indem es sich seine Herren selbst aussucht. Aber dann hat es zu kuschen und sich nicht einzumischen. Es darf vor allem nicht bei den wirklich entscheidenden Fragen mitsprechen. Jede plebiszitäre Regung und jede politische Bewegung außerhalb der Eliten ist verpönt. Gerade in der BRD ist dies so ausgeprägt, wie sonst selten: Eine Volksabstimmung gilt dort unter den Eliten und ihren Intellektuellen als wahrhaft des Teufels.
Schumpeter hat dies vielleicht generalisiert. Erfunden hat er es nicht. Als er, sehr kurzfristig, nur wenige Wochen, Finanzminister der neu gegründeten Republik Österreich war, hat eben sein akademischer Kollege Hans Kelsen die österreichische Bundesverfassung entworfen. Und ein absolut zentraler Punkt dieses Kelsen’schen Rechtsstaats war das „freie Mandat“, die Möglichkeit jedes Abgeordneten, für oder gegen Alles zu stimmen, was ihm eben seine Partei befielt, ob das seinen Wählern gefällt oder nicht.
Bis vor wenigen Jahren und Jahrzehnten hat dies ganz gut funktioniert i. S. der Eliten. Sicher, vereinzelt kamen Unfälle vor. Aber die konnte man bereinigen: Als das Parlament in Chile nicht so wollte, wie es sollte, ließ man eben putschen und beseitigte es am 11. September, nicht 2001, sondern 1973.
Um mit dem Spuk ein- für alle Male aufzuräumen, wurde schließlich die EU gegründet und das Europäische Parlament instituiert. Nun konnten die nationalen Parlamente machen was sie wollten. „Es gibt keine Demokratie gegen die europäischen Verträge“ (Juncker).
Aber jetzt hat es in Griechenland auch national wieder einmal funktioniert. Der Großteil der Enttäuschten ging anscheined nicht mehr zur Wahl. Was wünscht man sich mehr, wenn man ein Schäuble, Juncker, Faymann oder Tsipras ist?
Nun könnte man mit einigem Recht sagen: Das ist doch nichts Neues! Marxisten haben dies schon immer gewusst. Das Parlament ist für den Hugo. Aber damit würden wir es uns denn doch entschieden zu leicht machen. Ein ohnmächtiger Stalinismus ist keine Alternative zu einer Politik des Konformismus.
Wir müssen unbedingt eine neue Strategie-Debatte aufnehmen. Es geht um eine Strategie zuerst einmal für uns selbst, in den hoch entwickelten Ländern, wo auf Grund der vergleichbar günstigen Situation die Bevölkerung in ihrer Mehrheit ganz und gar nicht links orientiert ist. Aber auch hier ändert sich die Situation, und die Proteststimmen für Strache und Konsorten zeigen deutlich genug, dass tiefe Unzufriedenheit herrscht.
Aber sich dabei entweder parlamentarischen Illusionen oder tiermondistischen Träumereien hinzugeben, ist das Verfehlteste überhaupt.
- September 2015, 21.00 Uhr