Varoufakis wurde in Deutschland zum Star, nachdem er als griechischer Finanzminister gescheitert und zurück getreten war. Noch im Juli hat der Spiegel (25. Juli 2015) in Zusammenspiel mit anderen europäischen Medien (Le Monde etwa, 29. Juli 2015) versucht, ihn zu kriminalisieren. Diese europäische Mustermedien versuchten damit das schmutzige Spiel einiger erzreaktionärer Griechen auf die europäische Ebene zu heben. Denn Varoufakis hatte, viel zu spät und mit ungeeigneten Mitteln, versucht, Vorsorge gegen die Erpressungen der EZB und Brüssels zu treffen. Wenn das kein Verbrechen ist!
Zwei Monate später, liest sich das, wieder im Spiegel (Online, 8. Oktober 2015), deutlich anders. Jetzt wird Varoufakis schön langsam zum politischen Heros. Nun bekommt der eitle Professor das, was er schon in seiner Minister-Zeit mit einer skandalösen Home-Story versucht hatte: persönliche Aufmerksamkeit.
Da kommt nun ein kleines Büchlein eben recht. Varoufakis erklärt seiner Tochter die Welt im Allgemeinen und die Wirtschaft im Besonderen. Im Stil eines Fürstenspiegels aus dem 18. Jahrhunderts, oder der Unterweisungen des Fénelon an seine Tochter, entwickelte er eine getragene Rhetorik mit sozialen Rücksichten, und wie man halt heute so was in der oberen Mittelschicht heute zartfühlend macht.
Über die Welt oder die Ökonomie weiß man nach der Lektüre nicht mehr, wohl aber über Varoufakis. Und das ist auch eine Information. Denn er gehört inzwischen zu jener Gruppe von „Ex“ (-Ministern und -Politiker), die sich Lafontaine gerade bemüht zu organisieren. Ob Lafontaine wohl dieses Büchlein gelesen hat? Wenn nicht, sollte er es unbedingt tun. Vielleicht überlegt er sich seine Zusammenarbeit mit dem Griechen nochmals.
Varoufakis steigt in sein Thema ein, indem er ziemlich genau Jared Diamond und dessen Erfolgsbuch („Germs, Guns, and Steel“) vor zwei Jahrzehnten kopiert, in der wichtigen Frage: Warum Ungleichheit? Im Unterschied zu Diamond, der zwar verzerrt und einseitig schreibt in seinem Versuch, verständlich zu sein, der sich aber doch halbwegs an den Stand seiner Disziplinen und der Archäologie hält, stimmt bei Varoufakis gar nichts. Nun mag es für das Verständnis der Weltwirtschaft einiger Maßen gleichgültig sein, wenn man da liest: „Die Sprache wurde vor 82.000 Jahren erfunden. Oder: In der nahöstlichen Bronzezeit wurde „Herr Nabuk“ für seine Arbeitskraft mit Muschelgeld bezahlt. Usw. Aber es geht um die Haltung, einen solchen Unsinn frei und unbekümmert hinzuschreiben,
Vor allem aber: Der Mist hat einen präzisen Sinn. Er dient Herrn Varoufakis dazu zu behaupten: „Ich sage, [dass] die Menschen schon Märkte hatten, als sie noch auf den Bäumen lebten“. Mit anderen Worten: Mit den Altösterreichern Menger und Wieser etc., den Ideologen des altliberalen Bürgertums im 19. Jahrhundert, stellt Varoufakis moderne ökonomische Kategorien als ewige und somit auch unveränderliche Tatsachen hin. Friedrich von Hayek, der Begründer und härteste Vertreter des Neoliberalismus, ist da sehr viel weiter und fortschrittlicher als Varoufakis. Hayek hat nämlich sehr gut begriffen, dass solche Institutionen, Märkte, Preise, Kredit, etc., historische Entwicklungen im Prozess der Moderne, als Marxisten würden wir sagen, der Ursprünglichen Akkumulation, waren. Von ihm trennt uns nicht sosehr die Diagnose, sondern die unumschränkt positive Beurteilung.
Eigentlich reicht es, wenn man an dieser Stelle abbricht. Denn das ist nicht ein Fehltritt der Einleitung. Das geht so weiter. Der Sonnenuntergang ist ein „Gut“. „Die Menschen haben schon immer Schulden gemacht.“ Faust setzt seine Seele als „Zins“ gegen 20 Jahre gutes Leben ein. Der Imperialismus „bedarf keiner wirtschaftlichen Analyse“. Usf.
Es ist eine wirklich widerwärtige Lektüre, die man sich da zumutet. Sogar einzelne geglückte Formulierungen („Man muss [in dieser modernen Wirtschaft] über die Verteilung des Überschusses schon entscheiden, bevor er produziert ist“) gehen in dieser geballten mainstream-Ideologie, stark gewürzt mit historischem Unsinn, unter.
Aber die „Links“liberalen und die EU-Turbos wissen, was sie an Varoufakis haben. Ihnen gefällt er. So kommt er also morgen Abend (4. November) an die Wirtschafts-Universität zu einer Veranstaltung. Und diese Veranstaltung ist ausgebucht. Wenn man verspätet davon Kenntnis erhielt, hat man auch keine Chance mehr, mit diesem Helden zu diskutieren. Nicht dass dies in der Sache was brächte. Aber vielleicht könnte es vereinzelt doch der Einen oder dem Anderen die Augen öffnen.
Und das wäre der eigentliche Punkt. Menschen, die sich mit Varoufakis auf ein politisches Bündnis einlassen, wissen entweder nicht, wen sie da vor sich haben. Oder aber sie wissen es sehr wohl. Dann allerdings sind sie für ehrliche Militante nicht so sonderlich interessant.
Zu welcher Kategorie gehört wohl Oskar Lafontaine?
- November 2015
Varufakis, Yanis (2015)., Time for Change. Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre. München: Hanser. (Aus dem Griechischen von Birgit Hildebrand)