Nichts zu lachen

von Wilhelm Langthaler

Die Wahl Van der Bellens zum Bundespräsidenten ändert nichts am Niedergang des Regimes der Großen Koalition und am Aufstieg der FPÖ

 

Der Jubel der Medien über den Erfolg Van der Bellens ist lächerlich, ja geradezu grotesk. Als habe vor dem drohenden Armageddon doch nochmals das Licht über die Finsternis obsiegt. Das Geschrei sagt vielmehr etwas über die Medien selbst aus, nämlich, dass sie unkritische Stütze des bestehenden Regimes sind. Und es spiegelt sich die Kurzsichtigkeit, der Selbstbetrug und die Selbstgefälligkeit mehr noch der Zivilgesellschaft als der Spitzen der politischen Macht wider. Denn letztere spüren sehr wohl, dass sich da etwas gegen sie zusammenbraut. Jedenfalls will man den Unmut und die Wut, sie sich in den unteren Teilen der Bevölkerung aufstaut, vor allem auf das dumpfe Ressentiment der Proleten zurückführen („bildungsferne Schichten“). Die politischen Spitzen Kurz und Kern versuchen als letzte Rettung dieses Ressentiment zu bedienen. Dass es jedoch handfeste sozioökonomische Gründe für den Hegemonieverlust gibt, hält man im Hintergrund. Dazu brauche man nur mehr Marktreformen – die letztendlich den Abwärtstrend und die Ungleichverteilung nur beschleunigen werden.

Gehen wir zurück zum Ausgangspunkt: VdB war unterwürfig für das ancien régime eingesprungen, das im ersten Wahlgang schwer gedemütigt worden war. Die Grünen waren nie ganz im Zentrum der Macht angekommen, obwohl sie sich sehr bemüht hatten sich anzudienen. Statt ihre vermeintliche Sauberkeit zu nutzen und gewisse Distanz zur Großen Koalition zu halten, sprangen sie als deren Vertreter ein, wenn sie sich auch als gute Seite der Macht darzustellen versuchten.

Hinter dem moralisierenden Theaterdonner wollen wir lediglich auf drei realpolitische Festpunkte hinweisen, die VdB klar als Retter des Regimes festmachen: Erstens die Tabuisierung der EU, die ja ihrerseits der Organisator des Neoliberalismus ist. Zweitens die klare Befürwortung der Sanktionen gegen Russland, die die Spannungen im globalen System verstärken und die Kriegsgefahr erhöhen. Drittens der Wille zu autoritären Maßnahmen gegen den Aufstieg der FPÖ, auch wenn VdB das im zweiten Wahlgang nicht mehr nannte.

Bei Hofer ist es übrigens nicht viel anders: Im Vordergrund die Kultur- und Werteblase, die sich als Gegenbild zum Politisch-Korrekten der Grünen geriert: Gegen die Hautevolee stehe das einfache Volk, das gegen Islamisierung mittels Massenmigration und die Privilegien der politischen Eliten eintrete. Wie VdB ließ auch Hofer eine autoritäre Interpretation des Präsidentenamtes anklingen, ebenso im Dienste des Volkes. Ein politisches und sozioökonmomisches Programm im Interesse der Unteren lässt sich nicht finden, nur Sozialneid auf Flüchtlinge. Im Hintergrund gab es indes das klare Signal an die Eliten, die EU nicht anzutasten. Bereits die neoliberale Koalition im industriellen Kernland Oberösterreich und die Zäune-hoch-Zusammenarbeit im Grenzland Burgenland haben unter Beweis gestellt, dass sich die Eliten von der FPÖ nicht fürchten müssen. Zudem hat die Situation der Stichwahl zu einer weiteren Moderation geführt, um über die angestammte Klientel hinauszukommen und einen Teil der ÖVP anzusprechen.

Der liberale Oligarch Haselsteiner (Besitzer der Strabag) gab mit seinem Komitee gegen den Öxit der FPÖ ungewollt plebejische Schützenhilfe. Gemeinsam mit Conrad (ehemaliger Raiffeisen-General), Ederer (ehemalige Siemens Österreich-Chefin und SPÖ) sowie Fischler (ehemaliger VP-Landwirtschaftsminister und EU-Kommissar) ordnete er Hofer und der FPÖ eine Anti-Euro/EU-Position zu, die sie in Wahrheit gar nicht vertraten. Damit konnten sie zusätzliche Stimmen bekommen ohne den politischen Preis dafür zahlen zu müssen.

Der Wahlausgang zeigte dann doch einen erheblichen Vorsprung VdBs von 350.000 Stimmen oder 8 Prozentpunkten.

Als Muster für das Wahlverhalten kann man drei Polpaare hernehmen, wobei die Stichwahlsituation doch einen erheblichen Unterschied zu Nationalratswahl bildet: Stadt vs. Land, Wohlstand vs. Niedergang (nicht ganz kongruent mit reich vs. arm), Liberalismus vs. Konservativismus. (Hier die grafisch dargestellten Ergebnisse auf Ebene der Bundesländer, der politischen Bezirke und der Gemeinden.)

VdB konnte praktisch alle Städte sowie deren Speckgürtel für sich gewinnen, wobei die suburbanen Regionen meist Hochburgen der ÖVP sind. Bezeichnend ist da vor allem das Wiener Umland, das sich fest in der Hand von VP-Landeskaiser Pröll befindet – alles satte VdB-Bezirke. Durch den Wohlstand sind sie Verteidiger des Regimes. Politisch lehnen sie die proletarischen Kulturreste der SPÖ mehr ab, als den Liberalismus der Grünen. Die wenigen Städte, die Hofer wählen, sind alles SP-Stammterritorien. Zum Beispiel Villach, die rote Eisenbahner-Hochburg Kärntens (während die bürgerliche Landeshauptstadt Klagenfurt gemeinsam mit dem traditionell politisch-katholischen Bezirk Kärntens, Hermagor – das sich eher wie Tirol verhält, die zwei Bezirke des südlichen Bundeslandes waren, die für VdB stimmten). Oder die Schwerindustriestädte der Mur-Mürz-Furche in der Steiermark und sogar Eisenerz, die Bastion der KP. Währenddessen sind die Städte entlang der Westachse, die mit der deutschen Industrie verwoben sind, allesamt mit VdB.

Das wohlhabende Westösterreich, wo es wenig sozialdemokratische Tradition gibt und sich der Liberalismus erst in den letzten zwei Jahrzehnten als innere Differenzierung der ÖVP entwickelte, hat mit den Grünen kein Problem – zudem stammt VdB aus Tirol. Das aufgrund der Agrarstruktur historisch sozialdemokratische Burgenland weist mit 60% Hofer den höchsten Wähleranteil eines Bundeslandes auf, auch weil Hofer von dort stammt. Das sich entvölkernde und niedergehende Land der Randbezirke Niederösterreichs, der Steiermark und Kärntens ist wiederum festes Hofer-Territorium. Da kombiniert sich traditioneller Konservativismus mit sozialer Marginalisierung. Dort ziehen auch noch Argumente aus dem Kalten Krieg – Hofer bezeichnete VdB als Kommunisten. In Pröllistan, das genauso antikommunistisch war und ist, hat der machiavellistische Landesvater die ehemals kommunistischen Künstler und Intellektuellen lieber auf der Payroll – zu beiderlei Vorteil.

Wie erklärt sich nun der spezifische Unterschied zwischen dem zweiten (annullierten) und dem dritten Wahlgang, der von einem fast linearen Zuwachs für VdB geprägt war?

Das Regime hat nochmals alle Kräfte mobilisiert und war dabei erfolgreich. Die Wahlbeteiligung stieg sogar um 3 Prozentpunkte auf 75%. Im Unterschied zu den südeuropäischen Ländern verfügen die Eliten noch über die Mehrheit. Zudem repräsentiert auch Hofer keine harte Opposition, sondern bietet das lediglich als eine Variante an. Noch haben sie die Mehrheit, auch wenn sich diese parlamentarisch über die Große Koalition immer weniger abbilden lässt. Trotzdem geht die Abwendung der unteren Schichten zügig weiter. Der Wahlsieg VdBs ändert daran nichts, eher im Gegenteil.

Die SPÖ befindet sich auch unter Kern am Nasenring der Raiffeisen-Partei ÖVP. Der Bundeskanzler wollte mit der Anti-Ceta-Stimmung spielen, doch musste er schließlich klein beigeben. Jede Form von staatlichen Investitionen werden von der ÖVP mit Hinweis auf die von der EU vorgeschriebene Austerität unterbunden. Nicht einmal eine bundeseinheitliche Höhe der Mindestsicherung konnte durchgesetzt werden, was zu einem enormen Zug der Flüchtlinge nach Wien führt. Kern blinkte etwas links, repräsentiert aber keinen Linksschwenk. Er setzt auf den traditionellen Manager-Stil, auf Enttabuisierung der FPÖ um nicht zu sehr an die ÖVP gebunden zu sein, sowie auf Migrationsbeschränkung. Gemeinsam mit Kurz schlägt er auch den chauvinistischen Unterton gegen die Türkei an, den man sonst von der FPÖ kennt – wo es nur vordergründig um die Demokratie geht. Ob sie mit der Nachahmung Straches Stimmen machen können, bleibt zweifelhaft und abzuwarten.

Es ist wahrscheinlich, dass bei den nächsten Nationalratswahlen die FPÖ die stärkste Partei werden wird, so dass der Ausschluss der Freiheitlichen aus der Regierung kaum mehr möglich sein dürfte. Strache wird wohl versuchen Avancen gegenüber der SPÖ zu machen, um eine plebejische Koalition zu formieren.

Der SP-Flügel um die Gewerkschaften und den Staats- und Repressionsapparat könnte sich sogar damit anfreunden, doch der liberale städtische Mittelstand nicht. Dessen Mantra der letzten 25 Jahre war der Ausschluss der FPÖ und damit die sich daraus ergebende Unterordnung unter die ÖVP. Sie selbst und der Medienapparat bezeichnet das gerne als linken Flügel. Eine Spaltung der Partei würde drohen, zumal die SPÖ als Juniorpartner in ein gemeinsames Kabinett müsste. Die Variante bleibt also unwahrscheinlich. Doch allein der Versuch der plebejischen Einheitsfront von rechts würde der FPÖ weitere Unterstützung von unten bringen.

Wahrscheinlicher ist letztlich eine schwarz-blaue Raiffeisen-Regierung in Tradition Schüssels, so wie sie bereits in Oberösterreich am Werken ist, allerdings mit Umkehrung der Mehrheitsverhältnisse. Zu erwarten sind die Fortsetzung des Neoliberalismus, kombiniert mit kulturchauvinistischer Symbolpolitik und autoritärer Umbau – alles in voller Kontinuität zum bestehenden Regime.

Eigentlich keine schlechte Konstellation, um den Rechtspopulismus zu entzaubern – würde man meinen. Die Haider-Partei musste damals nach nur wenigen Jahren Regierung ums Überleben bangen.

Doch das Problem ist die zu erwartende mistige Anti-Schwarz-Blau-Opposition, die einen auf Antifa macht und zu nichts Anderen dient, als das alte Regime zurückzuholen. Statt das Sozioökonomische in den Vordergrund zu rücken und sowohl politisch als auch symbolisch gegen die neoliberalen Institutionen zu richten, einschließlich der EU, sehen sie die Globalisierung als Schutz vor dem drohenden Nationalismus und Faschismus an.

Ohne eine echte soziale und demokratische Systemopposition, die den Bruch mit dem neoliberalen Regime in Österreich wie der EU sich zum Ziel setzt und sich die Volkssouveränität im Rahmen des Nationalstaates gegen die Globalisierung auf die Fahnen schreibt, kann der jämmerlichen österreichischen Dichotomie aus neoliberalem EU-Regime von SP/VP/Grünen und identitärem Rechtspopulismus der FPÖ nichts entgegengesetzt werden.