Regierung will zusperren, Belegschaft verstaatlichen
Gespräch mit Fabio Frati, einem der Köpfe des Widerstands und Vorsitzendem der Basisgewerkschaft CUB Trasporti
von Wilhelm Langthaler
Wider Erwarten haben mehr als Zweidrittel der Belegschaft der Fluglinie gegen den drakonischen „Rettungsplan“ gestimmt. Die Oligarchie, die italienische wie die europäische, sowie ihren Medien schreien „Selbstmord“. Seit zehn Jahren will man die nationale Industrieikone des Wirtschaftswunders durch Privatisierung, Personalabbau, Verkleinerung und Präkarisierung sanieren. Die Beschäftigen sind nicht mehr bereit der neoliberalen Erzählung Gehör zu schenken und fordern die Verstaatlichung – zur Rettung ihrer Würde.
Fabio Frati am 14. März 2017 in Rom bei der Eröffnung der Konferenz „Alitalia – Nationalisierung die einzige Lösung“ (italienisch)
Die Lage von Alitalia ist verzweifelt. Die Regierung hat mit der Schließung gedroht, sollte ihrem Programm nicht zugestimmt werden. Warum habt ihr trotzdem dagegen gestimmt?
Unsere Arbeitsbedingungen, unsere Situation insgesamt, ist dramatisch. Die Medien sprechen von Gehaltskürzungen von 8%. Aber für einige Berufsgruppen sind es bis zu 30% weniger. Zudem kommen die befristeten Arbeitsverträge und die Unsicherheit. Viele verdienen unter Euro 1000, einige sogar nur 700. Und trotzdem wird noch immer die Mär von den Privilegien verbreitet. Die Leute fühlen sich wie Sklaven und sie haben nun ihre Würde verteidigt.
Wie war dieser Erfolg möglich?
Es war auch für mich unglaublich. Die Wut hat überwogen. Trotz der Einschüchterungen haben viele öffentlich gewählt. Sie kreuzten Nein an und warfen es der Wahlkommission einfach hin.
Die Direktion hatte, neben der Pistole an unserer Schläfe, auch die typischen Spaltungsmanöver vorbereitet. Man hatte dem Bodenpersonal versprochen, sie würden verschont bleiben. Doch diese Spiele wurden schon zu oft betrieben. Seit dem ersten Krisenplan sind die Hälfte der Leute weg und ein Großteil hat prekäre Verträge.
Als sich die Niederlage der Herrschenden abzuzeichnen begann, wurden sie nervös. Denn die Abstimmung sollte ursprünglich dazu dienen, ihren Liquidationsschritten Legitimität zu verleihen. Es drohten drei Minister, der Ministerpräsident selbst und auch die drei Generalsekretäre der konföderierten Gewerkschaften. Manche unserer Aktivisten wurden richtig persönlich bedroht – ganz nach Mafiamanier. Und dann ist da die geschlossene Medienkampagne gegen uns. Aber letztlich ist das alles nach hinten losgegangen.
Gibt es Solidarität aus der Gesellschaft?
Wenn Silvio Berlusconi eine solche Schweinerei veranstaltet hätte, wäre es zu einer Explosion gekommen. Aber jetzt bleibt die Front geschlossen. Der PD-Minister für Transport, Graziano Delrio, hatte sogar die Chuzpe zu sagen, dass man Alitalia gar nicht brauche, sondern dass Ryan Air die Rolle übernehmen könne.
Und die Gewerkschaften?
Das sind nur mehr Totengräber. Die hätten eigentlich allen Grund unseren Kampf zu unterstützen. Die Geschäftsleitung hat vergangenes Jahr unilateral die Kollektivverträge gekündigt und ihnen ihre Rolle weggenommen. Jetzt glauben sie noch eine Funktion als Vermittler der Todesnachricht zu haben. Sie haben sich historisch verkalkuliert. Sie versprachen die Globalisierung kontrollieren, ja gestalten zu können. Nun sind sie selbst überrollt worden. Aber Einsicht zeigen sie keine.
Was schlägt die CUB vor?
Die einzige Lösung ist die Verstaatlichung! Die Belegschaft hat in dem Referendum dafür gestimmt. Aber es ist uns klar, dass wir der Gesellschaft gegenüber Schwierigkeiten haben. Da wird noch immer so getan, als wären wir in den goldenen Zeiten geblieben. Tatsächlich arbeiten wir unter extremen Verhältnissen und wir sind was die Arbeitskosten betrifft die billigste Fluglinie Europas. Das Problem sind nicht wir, es ist die Unternehmensstrategie sowie das neoliberale Modell als Ganzes.
Man sagte vor zehn Jahren, die Privatisierung sei die einzige Rettung. Es wurden in nunmehr drei Krisenplänen mehr als 10.000 Arbeitsplätze vernichtet, Tausende in die Prekarität gestoßen die Verdienste massiv gesenkt. Man hat an Etihad verkauft, Destinationen gestrichen und Leistungen gekürzt. Legitimiert wurde das mit den Sachzwängen des Marktes und den EU-Regeln. Aber man fand nichts dabei, den Low-Cost-Gesellschaften wie Ryan Air und Easy Jet versteckte öffentliche Subventionen zu gewähren, wie Werbepartnerschaften oder Steuererleichterungen.
Austerität und der extreme Liberalismus des Euro-Regimes haben Italien als Ganzes in die Katastrophe gestürzt.
Die Regierung hat auch nach der Abstimmung die Nationalisierung dezidiert ausgeschlossen.
Ich kann heute nicht sagen, was passieren wird. Zumindest hat der Abstimmungserfolg unser Leben verlängert. Es ist ein Hilfeschrei, ein Aufschrei, vielleicht ein Fanal. Alitalia ist kein normales Unternehmen, sondern ein Symbol. Wenn man das Hirn benutzt, müsste die Regierung ein Interesse an der Rettung haben. Aber wer weiß, der Kampf ist offen.
Was sind ihre nächsten Schritte?
Wir müssen unser Anliegen hinaustragen, denn es geht alle an, wir haben Symbolwirkung. Wir müssen nun auf die Straße, wir brauchen Solidarität. Aber das muss man politisch vorbereiten und Konsens schaffen.
Streik und demonstration bei Alitalia am 23. Februar 2017 mit Fabio Frati an der Spitze (italienisch)