Die Eliten und ihre Intellektuellen haben einen großen Erfolg eingefahren. Daran ist nicht zu rütteln. Die Wahlbeteiligung war zwar etwas niedriger, 74,7 % gegen 77,7 % im ersten Wahlgang. Sie liegt somit aber nur wenige Punkte unter jener vom letzten Mal. Die ungültigen und weißen Stimmen allerdings erreichen 4,1 Mill. und damit 11,5 % der abgegebenen Stimmen. Das ist tatsächlich eine relevante Größenordnung. Eine Delegitimierung des Macron aus diesen Daten zu konstruieren, bleibt bei seiner Mehrheit trotzdem schwierig. Noch immer sind es 66 % der Wahlberechtigten, aber immerhin hat es diese massive Willensäußerung noch bei keiner Präsidentenwahl gegeben. Laut Innenministerium macht also der Stimmanteil Macrons 44 % der Wahlberechtigten aus. Unsere hiesigen Medien verschweigen die doch massive Protestgeste.
Der „republikanische“ Schulterschluss hinter dem extremistischen neoliberalen Kandidaten hat somit funktioniert. Damit stellt sich die Frage nach einer linken Strategie, welche klar gescheitert ist.
Warum hat Mélenchon nicht eindeutig gesagt: Keine Stimme für Macron! Wir gehen nicht hin!?
Er hätte damit einen guten Teil seiner Wähler und Anhänger verprellt, so sagt man uns. Die halten immer noch Macron für das kleinere Übel. Aber das ist ja kein Argument, das ist doch das Problem! Denn diese versimpelte Sicht baut auf einer von Grund auf verfehlten politischen Analyse. Und die hat die Linke in völliger geistiger Trägheit seit Jahrzehnten mitgeschleppt. Sie macht sich nicht die Mühe, die Verhältnisse neu anzusehen. Le Pen = „Faschismus“. Selbst auf einer Wahlversammlung ist dieser Slogan gar zu einfältig.
Dabei ist diese Sorte von Antifaschismus die einzige Basis, auf Grund welcher die Eliten ihre Welt noch zusammen halten. Dass sie damit erfolgreich sind, ist fast schon grotesk. Ihre sozialen und politischen Vorfahren waren es schließlich, welche zum Faschismus als ihrer Rettung gegen die Arbeiter-Bewegung griffen.
Aber anstelle einer Dekonstruktion fällt die Linke auf ihren eigenen abgegriffenen Mythos aus einer Tradition hinein, welche schon seit Jahrzehnten nicht mehr greift. Und ist dabei noch bereit, die Trümmer der Sozialdemokratie zu retten. Die schaffen sich mit (z. B.) En Marche eine neue Organisation oder versuchen es wenigstens, um weiterhin ihre Politik für die Eliten und Obere Mittelschichten weiterführen zu können.
Aber, so sagt man uns, passt bloß auf: Ihr findet Euch im selben Eck wieder wie Horst Mahler oder in Österreich jener Günter Rehak, der in den 1960er als Linker im VSStÖ begann und mittlerweile bei der deutschnationalen Rechten landete und dabei Otto Bauer zitiert – letzteres übrigens mit einigem Recht!
Die Warnung mag zu Recht kommen oder aber ein schmutziges politisches Manöver sein. Worum es geht, ist in historisch-theoretischer Sicht das alte Problem des Verhältnisses von Unterschichten und Intellektuellen, von Massen und aktiven Militanten. Dieses Problem haben wir nicht in Ansätzen bewältigt. Wenn wir nicht eine Karikatur des Leninismus, wenn wir nicht in der guten Gesellschaft der Neuen Rechten von Glucksmann und Lévy enden wollen, geht es um diese Frage, die in aller Offenheit endlich diskutiert werden muss. Ich gebe zu, es ist ein schwieriges Problem, es ist Dialektik pur, welche da auf uns wartet.
Aber einfach so weiter zu tun wie bisher, das führt zu Mélenchon – und damit auch zu Macron.
Albert F. Reiterer, 8. Mai 2017