Rede von Inge Höger, Mitglied des Bundestags für die Linke und der Strömung Antikapitalistische, auf der Zweiten Versammlung des CLN (Konföderation für die Nationale Befreiung), vom 1.-3- September 2017, Chianciano Terme, Italien
Die Partei DIE LINKE in Deutschland ist in diesem Jahr 10 Jahre alt geworden. Sie wurde gegründet weil die Sozialdemokratische Partei zusammen mit den GRÜNEN in ihrer Regierungszeit Kriegseinsätze und Sozialabbau beschloss, weil sie neoliberale Kürzungspolitik betrieb und Reichen und Konzernen die Steuern senkte.
Viele erinnern sich vielleicht noch an das Schröder-Blair-Papier aus dem Jahr 1999. Das Schröder-Blair-Papier orientierte die Sozialdemokratie auf neoliberale Politik. Es sprach sich für eine Überwindung sozialdemokratischer Grundsätze aus und positionierte sich gegen ,,massive staatliche Interventionen“, für eine ,,angebotsorientierte Agenda“, für die ,,notwendige Kürzung der staatlichen Ausgaben“, für ,,Steuerreformen und Steuersenkungen“, für die Senkung der sog. Lohnnebenkosten, für die Erweiterung des unternehmerischen Handlungsspielraums und für die Modernisierung des Sozialstaats. Dies war das Ende bisheriger sozialdemokratischer Politik sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland und die Unterwerfung unten den Zeitgeist des Neoliberalismus. Die französischen Sozialisten folgten diesem Beispiel unter dem Präsidenten Hollande.
Mit der Beteiligung am Krieg in Jugoslawien 1999 und in Afghanistan 2001 und dem folgenden Sozialabbau mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzten wurde das Schröder-Blair Papier in Deutschland von der SPD zusammen mit den Grünen umgesetzt. Kanzler Schröder sprach sich gegen Regulierungen der Finanzmärkte aus und erklärte, er würde nicht gegen die Wirtschaft regieren. Auf Kriegsbeteiligungen und Steuersenkungen folgte massiver Sozialabbau und die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Nur die Sozialdemokraten mit ihrer Verankerung in den Gewerkschaften konnten diese massiven Rentenkürzungen, den Abbau von Gesundheitsleistungen und den Umbau der Arbeitslosenversicherung durchführen, an der noch die CDU gescheitert war. Allerdings auf Dauer nicht geräuschlos. Die Zerstörung der Sozialversicherungen und der Abbau der öffentlichen Daseinsvorsorge führten zu bundesweiten Protesten und zur Gründung der Wahlalternative WASG.
Die Agenda 2010 war das größte Projekt aus Sozialraub und Umverteilung von unten nach oben in der Geschichte der BRD. Die SPD geriet durch diesen Verrat in eine tiefe Krise und verlor in den nächsten Jahren die Hälfte ihrer Wählerinnen und Wähler und auch ihrer Mitglieder. Die Sozialdemokratie hatte sich von einer sozialen Volkspartei zu einer Wirtschaftspartei gewandelt. Sie stand schon lange nicht mehr für soziale Gerechtigkeit, aber nun hatte sie sich unübersehbar auf die Seite des Kapitals gestellt. Sie hat die Worte „Reformen“ und „Erneuerung“ zu einer Bedrohung für viele Menschen werden lassen. Und immer behauptet, es gäbe keine Alternative zu ihrer Politik. Im Ergebnis haben wir heute in Deutschland einen der größten Niedriglohnsektoren in der EU und zunehmende Kinder- und Altersarmut.
Die Agenda 2010 war ein Generalangriff auf Errungenschaften der Arbeiterbewegung. Dagegen entwickelte sich eine der größten gesellschaftlichen Protestbewegungen im vereinigten Deutschland mit regelmäßigen Montagsdemonstrationen. Im Frühjahr 2004 demonstrierten 500.000 Menschen gegen den geplanten Sozialabbau. Aus diesen Protesten heraus entstand eine Sammlungsbewegung von linken Gewerkschaftsmitgliedern, sozialen Bewegungen und den Montagsdemonstrationen, aus der SPD und Grünen ausgetretenen Mitgliedern und Resten der 68er Westlinken. Ende 2004 wurde dann die „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ gegründet. Diese beteiligte sich bereits im Mai 2005 an den Landtagswahlen in NRW.
Bei dieser Wahl in NRW verlor die SPD massiv Stimmen und fuhr das schlechteste Ergebnis in diesem Bundesland seit 50 Jahren ein. Sie verlor die letzte Beteiligung an einer Landesregierung und musste nach 39 Regierungsjahren in die Opposition. Nach diesem Wahldebakel versuchte die SPD bei vorgezogenen Bundestagswahlen im Herbst noch mal die Machtprobe. Vor allem aber versuchte Kanzler Schröder dem Aufbau einer neuen linken Partei zuvor zu kommen. Dies ist nicht geglückt. Zur Bundestagswahl 2005 traten PDS und WASG bereits gemeinsam als Linkspartei-PDS an. Die gemeinsame Wahlliste erreichte bei diesen Wahlen 8,6 % der abgegebenen Stimmen und damit 54 Parlamentssitze. Die SPD wurde auch auf Bundesebene abgestraft und ging eine große Koalition mit der CDU unter Kanzlerin Angela Merkel ein.
Mit diesem Erfolg der Linkspartei-PDS war mit einem Schlag im wichtigsten imperialistischen Land in Europa die größte parlamentarische Vertretung links von der Sozialdemokratie entstanden. Aus diesem Wahlzusammenschluss wurde dann 2007 nach vielen Diskussionen die Partei DIE LINKE gegründet. Die Gründung der LINKEN war das Ergebnis eines großen, wenn auch letztlich erfolglosen Klassenkampfes gegen die Agenda 2010. So ist eine Partei mit einem recht klaren linken Profil entstanden. Sie wurde gegründet im Kampf gegen die Agenda 2010, gegen den größten Sozialraub in der BRD, gegen die TINA-Politik und in der Auseinandersetzung mit dem neoliberalen Einheitsbrei der anderen Parteien.
DIE LINKE ist die wichtigste parteipolitische Neugründung in Deutschland seit dem Ende des zweiten Weltkrieges. Sie ist die erste wirklich gesamtdeutsche Partei. Und dies ist umso wichtiger, weil der Versuch in Ostdeutschland ein sozialistisches Land aufzubauen scheiterte, der Sozialismus in Misskredit kam und weil es in Westdeutschland seit Adenauer, der Wiederbewaffnung und dem KPD-Verbot einen massiv geschürten Antikommunismus gab.
Aufgrund ihrer Entstehung ist sie allerdings ein bunt schillerndes Projekt, indem unterschiedliche politische Ideen ihre Heimat haben. DIE LINKE ist zwar aus den Protesten gegen Sozialabbau in Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften entstanden, aber ihre Verankerung in den Massen, in den sozialen Bewegungen und Gewerkschaften könnte besser sein. Es geht ganz konkret um den Aufbau einer sozialistischen Massenpartei. Daran muss gearbeitet werden, anstatt immer nur auf Wahlen und Sitze im Parlament zu schielen und über mögliche Regierungsbeteiligungen zu diskutieren.
Gleich nach Gründung der LINKEN begann die größte ökonomische und politische Krise des Kapitalismus seit 1929. Das aufgeblähte System der Spekulations- und Bankengeschäfte brach zusammen. Nur mit massiven staatlichen Subventionen wurde der Zusammenbruch verhindert. Seitdem werden die Folgen dieser Krise der Arbeiter*innen-Klasse aufgebürdet. Und es entstand mit Blockupy eine neue soziale Bewegungen unter dem Slogan „Wir zahlen nicht für Eure Krise.“ Es wurde wieder über Kapitalismus und seine Krisenanfälligkeit gesprochen. Und mit dieser Krise kam das zentrale Projekt des europäischen Kapitals, die EU, ins Wanken. Die schwere ökonomische Krise, die Verwandlung privater Schulden in Staatsschulden, die Vertiefung der Ungleichheit unter den EU-Mitgliedsländern und die Entlarvung der politischen Strukturen der EU als Diktatur des reichen Deutschland über den Rest haben dieses Hoffnungsprojekt des Kapitalismus in eine schwere Krise gestürzt.
In dieser Situation hätte eine sozialistische, antikapitalistische Partei eigentlich viel Aufwind verspüren müssen. Leider wurde die LINKE dem Anspruch nicht gerecht, sie konnte sich nicht mehrheitlich zu einer durchgehenden Kapitalismus- und EU-Kritik durchringen, sondern schürt in Teilen nach wie vor große Illusionen über die Reformierbarkeit des Kapitalismus und den Charakter der EU.
Allerdings erreichte sie in den Bundestagswahlen 2009 mit ihrer Kritik an der Krisenbewältigung durch die damalige große Koalition von CDU/CSU und SPD einen Zuwachs auf 11,9 % der Stimmen und 76 Parlamentssitze.
Mit einer Politik, die diesen Aufschwung nicht für eine radikale Kritik am Privateigentum und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem nutze, sondern eher auf Stellvertretung setzte, konnten diese Erfolge allerdings nicht gehalten werden. 2013 erhielt DIE LINKE nur noch 8,6 % der Stimmen und 64 Sitze. Im gerade laufenden Wahlkampf fehlt radikale Kapitalismuskritik fast vollständig. Es werden wieder Illusionen in die Reformierbarkeit des Systems und ein mögliches linkes Regierungslager geschürt. Nach aktuellen Umfragen kann DIE LINKE in den westdeutschen Bundesländern mit ähnlichen Ergebnissen rechnen wie 2013, während sie in Ostdeutschland Stimmen verlieren wird. Der Stimmenverlust in den einstigen Hochburgen in Ostdeutschland hängt zusammen mit der dort ausgeprägten Orientierung auf Regierungsverantwortung.
Die Partei DIE LINKE ist als Partei aufgrund der Kriegs- und Sozialraubpolitik der SPD entstanden. Trotzdem wird von führenden Personen immer wieder die Illusion eines linken Lagers, einer Rot-Rot-Grünen Regierung genährt. Immer dann, wenn die LINKE sich an Regierungen mit der SPD beteiligt hat wie in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg oder jetzt einer Rot-Rot-Grünen Regierung in Thüringen gar mit einem linken Ministerpräsidenten, hat sie ihre Ziele aus den Augen verloren und sich in den ganz normalen Regierungsbetrieb eingeordnet. Sie hat ihre Glaubwürdigkeit und in der Regel massiv Stimmen der Wählerinnen und Wähler verloren. Es gibt viele historische und aktuelle Beispiele vom Mitregieren und Koalitionszwängen und Anpassung an kapitalistische Sachzwänge. Deshalb hat DIE LINKE keine Chance als neue sozialdemokratische Partei sondern nur als sozialistische Partei mit einer klaren Oppositionshaltung gegen das Europa des Kapitals, gegen die EU und gegen den Kapitalismus.
Es gibt kein linkes Lager, mit dem DIE LINKE einen Politik- oder Machtwechsel erreichen kann. Es ist ihre Aufgabe gesellschaftliche Gegenmacht zu organisieren, Abwehrkämpfe gegen neoliberale Projekte zu organisieren, den Kampf um konkrete Verbesserungen auf der Straße und in den Betrieben zu führen und das Parlament als Bühne für die konkreten Kämpfe nutzen. Die neoliberale Politik kann nicht einfach abgewählt werden, sondern muss in langen Kämpfen um Reform und Revolution gestoppt und bezwungen werden. Es geht ganz konkret um den Ausbau von Gegenmacht und die Bereitschaft zum Bruch mit dem Kapital. Ohne breite gesellschaftliche Massenbewegungen sind Veränderungen der Kräfteverhältnisse für einen Systemwechsel hin zu einem demokratischen Sozialismus nicht möglich. Diese Aufgabe stellt sich sicherlich in allen Ländern der EU.