Der Bundespräsident als Institution des politischen Systems in Österreich ist ein Resultat des aufsteigenden Austro-Faschismus. In der zweiten Hälfte der 1920er stießen die Christlich-Sozialen und die Großdeutschen sich immer wieder an der Unmöglichkeit, durch Wahlen die ganze Macht zu übernehmen. Immer lauter wurden daher die Putschdrohungen. Die Sozialdemokratie bekam es mit der Angst. Sie reagierte mit Pfeifen im Walde auf dem Linzer Parteitag. Da bot ihr die reaktionäre Regierung einen Kompromiss an: Wir wollen eine „Stärkung“ der Regierung, und die soll über eine Neudefinition des Bundespräsidenten laufen. Er bekommt, an der Oberfläche, neue Kompetenzen – aber alles, was er tut, muss von der Regierung abgezeichnet werden. Die Sozialdemokratie zog den Schwanz ein und nickte. So kam es zur Verfassungsreform von 1929. (Wer mehr Details will, kann bei Berchtold 1979 und Ermacora 1982 nachlesen, s. u.) Diese Verfassungsreform war der erste Schritt zur Diktatur des „Ständestaats“.
Heinz Fischer hatte in der SPÖ keinen besonders guten Ruf. „Aus dem Heinzi wird noch was. Immer wenn’s schwierig wird, ist er am Klo und kommt erst zurück, wenn die Sache ausgestanden ist.“ – Das soll Kreisky gesagt haben, Verifizieren lässt es sich nicht. Si non è vero, è ben trovato.
Aber nun wird er plötzlich mutig. Beim Juristentag 2017 hält er ein Referat und publiziert es bzw. Teile daraus in der Wiener Zeitung (15. November) und im Standard (19. November). Er stellt sich gegen die „Schwarz-Weiß-Demokratie“, gegen die „Ja-nein-Demokratie“. Was ist passiert?
Die politische Klasse fühlt sich bedroht. Volksabstimmungen gegen ihren Willen sollen möglich werden. Damit würde „die parlamentarische Willensbildung … übergangen“, also der Prozess, den die Eliten im Griff haben. Das „bringt nicht die besten Resultate“ (Standard). „Wenn das Volksbegehren von etwa 10 % der Wahlberechtigten – also einer deutlichen Minderheit der Bevölkerung – unterstützt wird, sind die Initiatoren dieses Volksbegehrens in einer stärkeren Position als die Mehrheit der gewählten Abgeordneten, denn bei der anschließenden parlamentarischen Beratung kann das Volksbegehren gegen den Willen der Initiatoren weder abgelehnt noch abgeändert werden, ohne dass eine Volksabstimmung über den von den Initiatoren verfassten Text durchgeführt wird. Auch wenn eine große Mehrheit im Nationalrat den Text für inakzeptabel hält; auch wenn wohlbegründete Abänderungsvorschläge eingebracht werden“ (WZ). Es ist fast schon amüsant, wie der Herr Fischer da zu manipulieren versucht: Eine „deutliche Minderheit“ gegen „eine große Mehrheit – wo? – im Nationalrat“ … Ja so was! Und was ist mit der Volksabstimmung? Entscheidet da auch eine Minderheit?
Aber da hat er sein Beispiel, und das zeigt, worum es ihm und der Elite und der politischen Klasse geht: der Brexit. „Ich glaube, dass das ein gutes Beispiel ist, dass ein Plebiszit einen Riesenschaden anrichten kann.“ Das können wir im Intelligenz-Blatt News vom 7. November lesen. Und im Standard legt er nach und weist auf das „Prinzip der lautesten Stimme in einem emotionalisierten öffentlichen Raum“ hin. Wozu hat er da die Volksabstimmung über den Vertrag von Lissabon 2008 verhindert, welcher den größten Schritt zur Zerstörung der Demokratie seit 1994 gemacht hat? Da könnt’ ja jeder kommen!
Die Begründung Fischers für seine Sicht entspricht exakt und wörtlich den Argumenten der extremen Konservativen des 19. Jahrhunderts gegen jede Beteiligung des Volks am politischen Prozess.
Und was die an der Oberfläche plausiblen Argumente gegen Ja-nein-Entscheidungen betrifft, so kann man nur auf zweierlei hinweisen: Wir haben im Österreich der Zweiten Republik noch keine so hoch stehende inhaltliche politische Debatte erlebt, wie sie in der Schweiz bei jeder mickrigen Volksabstimmung stattfindet. Das Niveau der Anschluss-Abstimmung von 1994 war gekennzeichnet durch Slogans wie „Gemeinsam statt einsam!“ Und die Auswahl des politischen Personals, die Wahlkämpfe? Der Bürgermeister Häupl hat sich bemüßigt, sie zu kennzeichnen: Sie seien Zeiten konzentrierter Unintelligenz. Aber da spricht er von der politischen Klasse und ihren Propagandisten, der Journaille. Wir gehören gewiss nicht zu den Leuten, die sagen, wie der unqualifizierbare Ex-Abgeordnete Voggenhuber: „Die Mehrheit hat entschieden, daher ich jetzt auch dafür.“ Demokratische Entscheidungen sind ein Prozess von Versuch-und-Irrtum. Aber das Fischer’sche Argument lautet anders: Da dekretiert ein Sprössling des „roten“ Wiener SP-Adels: Ich weiß, was gut ist für die Menschen und nur ich. Es ist die Haltung der schwärzesten Reaktion.
Wenn sich schon der Ex so äußert, darf sein Nachfolger dem nicht nachstehen. Er geht also einen Schritt weiter. Er will nicht nur die Demokratie abschaffen, sondern auch Österreich. Das ist durchaus logisch und entspricht der Bobo-Haltung seiner Partei. Im TV-Streit mit seinem ihm gleichwertigen Gegner meint er am 1. Dezember 2016: Österreich könnten allenfalls Minderheitenrechte zugestanden werden, denn Österreichs Bevölkerung von 8 Millionen sei ja eine „Minderheit“ in der EU.
Man kann von einem Politiker offensichtlich nicht verlangen, dass er so diffizile Begriffe versteht wie Souveränität, Minderheit oder Selbstbestimmung, insbesondere nicht, wenn dieser Politiker einmal Ökonomie-Professor war. Aber irgendwie hat da Van der Bellen das richtige Bauch-Gefühl. Alle nationalen Gesellschaften werden heute von der supranationalen Bürokratie zur „Minderheiten“ gemacht – mit einer Ausnahme, der BRD. Die spielt Mehrheit. Denn Minderheit und Mehrheit sind nicht vorrangig Probleme der Zahlenverhältnisse. Es sind Machtverhältnisse. Sie stellten sich im nationalen Rahmen als Zahlen-Beziehungen dar, weil sie dort mit einem entscheidungsorientierten System verbunden sind, welches auf Mehrheiten angewiesen ist. Im supranationalen Staat ist dies kein wesentlicher Punkt mehr. Weil aber mit den Mehrheiten im Nationalstaat eine gewisse Einflussnahme auch der Bevölkerung verbunden ist, müssen die Nationalstaaten und die Mehrheits-Entscheidungen weg. Deswegen der Hass auf Österreich bei van der Bellen, der ja Tradition hat in unserer Geschichte.
Es klingt, als ob er Félix Kreissler gelesen hätte. Er bürstet ihn aber konsequent in die Gegenrichtung. Kreissler hat den österreichischen Universitäten und insbesondere den Historikern, etwa dem Ritter von Srbik – Akademie-Präsident in der Ersten Republik und wieder unter den Nazis – Mitschuld am Untergang der Ersten Republik zugewiesen. Ihr Deutschnationalismus habe beigetragen, den Staat zu zerstören und ihn den Nazis auszuliefern. Es ist, als ob er die Situation von heute beschriebe. Nur haben die Intellektuellen von heute den offenen Deutschnationalismus durch Globalismus ersetzt. Sie wissen: Das souveräne, selbstbestimmte Österreich muss weg, wenn das Imperium und seine Eliten ihre Ziele erreichen wollen. Und die Hälfte der Wähler hat für diese Person in einer Entscheidung zwischen Pest und Cholera gestimmt, darunter nicht wenige Linke, welche der Antifa-Propaganda aufgesessen sind.
Wir bräuchten uns mit Heinz Fischer und A. van der Bellen als Personen nicht auseinander zu setzen. Sie werden bald nur mehr Fußnoten der Geschichte sein. Aber unglücklicher Weise gibt es ganze Massen solcher Fußnoten in der Politik, von Sinowatz über Vranitzky und Schüssel bis zu Kern und Strache. Und diese Masse wird es schaffen, dieses Land und 90 % seiner Bevölkerung endgültig zu ruinieren. Es sei denn, eine Mehrheit der Bevölkerung organisiert sich und räumt mit diesem Wust von Fußnoten endlich auf.
Ermacora, Felix / Wirth, Christiane, Hg. (1982), Die österreichische Bundesverfassung und Hans Kelsen. Analysen und Materialien. Wien: Braumüller.
Berchtold, Klaus (1979), Die Verfassungsreform von 1929. Dokumente und Materialien zur Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle von 1929. Teil I + II. Wien: Braumüller.
Kreissler, Félix (1980), La Prise de conscience de la nation autrichienne. 1938 – 1945 – 1978. 2 vol. Paris: PUF.