Wirtschaftspolitische Realität: Lohndrücken durch Arbeitszuwanderung fördern
von Wilhelm Langthaler
Das vielleicht wichtigste politisch-kulturelle Element des Regierungsprogramms und auch des gesamten Wahlkampfs ist die Ausmachung eines Feindes, eines Schuldigen, der zu jagen und zur Strecke zu bringen ist. Es sind das die Flüchtlinge und insbesondere die Muslime.
Tenor: Deren Ziel sei das leistungslose Einschleichen in den Sozialstaat. Zum Dank dafür wollten sie sich nicht einmal integrieren und gefährdeten uns sogar noch mittels des Politischen Islam. „Aber so nicht – nicht mit uns! Wir stellen wieder Fairness her und verteidigen uns.“ Dieses Motto wird im Regierungsprogramm über dutzende Seiten wiederholt und breitgetreten.
Bei vielen Menschen aus den unteren Schichten (und nicht nur) fällt diese Rhetorik auf fruchtbaren Boden. Sie sehen sich mit Abbau von Sozialleistungen konfrontiert und gehen der neoliberalen Propaganda über dessen Notwendigkeit oft auf den Leim, während Flüchtlinge Leistungen erhielten, ohne zum Gemeinwesen etwas beigetragen zu haben oder diesem anzugehören.
In diesem Narrativ ist nicht enthalten, dass diese Ausgaben bei lediglich 1-2% des Budgets liegen und zudem in Zeiten der Stagnation noch eine konjunkturfördernde Wirkung haben. (Keynes sprach veranschaulichend vom Künettengraben und wieder zuschütten, nur um Menschen in Lohn zu bekommen und auf die belebende Wirkung der Brotnachfrage zu setzen.) Zudem können die einen Budgetposten nicht direkt anderen gegenübergestellt werden, sondern sie stehen nur per Saldo in einem Zusammenhang. Ganz zu schweigen vom einem auf westliche Herrschaft, Unterdrückung und Ausbeutung aufgebauten Weltsystem.
Jedenfalls kündigt die neue Regierung massive Schläge gegen diesen von außen eindringenden Feind an. Als unmittelbare Maßnahme wird die Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder gesenkt. Die Mindestsicherung (die in der Kompetenz der Länder liegt) wurde für Flüchtlinge bereits massiv verringert. Da geht es vor allem gegen Wien, wo sich die Stadtregierung bisher verweigert hat einen Elendssektor zu schaffen. Die mobilisierende Wirkung gegenüber der eigenen Klientel soll durch demütigende Symbolik wie Abnehmen von Bargeld, Umstellung auf Sachleistung, Massenquartiere usw. untermalt werden.
Den Feind schaffen – Kulturkampf
Dabei wird systematisch Missbrauch, Kriminalität, barbarische Kultur, feindliche Werte gipfelnd im islamistischen Terrorismus unterstellt. Kostproben: „kulturell bedingter Gewalt, Kinder-, Mehrfach- und Zwangsehen sowie der Praktizierung der Scharia“, „Ehemänner von Kinderbräuten mit der Obsorge zu betrauen“, „Islamisierung der Gesellschaft“, „der politische Islam, der zu Radikalisierung, Antisemitismus, Gewalt und Terrorismus führen kann“, „Parallelgesellschaft“ (ganze fünfmal). Nicht zu vergessen, es handelt sich um ein Regierungsprogramm und keine rechtsradikale Hetzschrift.
Ständig wird von der Wertevermittlung gesprochen, die, wenn nicht angenommen, mit Sanktionen wie Leistungskürzungen erzwungen werden soll: „Arbeits- und Teilhabepflicht“. Eine Orwell’sche Stilblüte aus dem Kapitel Elementarpädagogik (vulgo Kindergarten): „Genau definierter, verbindlicher Wertekanon (Bekenntnis zur Verfassungs-, Werte- und Gesellschaftsordnung, verbindliche Vermittlung)“ – wie darf man sich sowas bei fünfjährigen Kindern vorstellen? Und die gefährliche Parallelgesellschaft verhindert man scheinbar am besten, indem Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen in Ghettoklassen aussortiert werden. Ganz nebenbei will man die Möglichkeit für exklusive Eliteschulen schaffen: „Eingangsverfahren für Höhere Schulen im Rahmen der Schulautonomie“.
Regierung will Arbeitsimmigration fördern
Das Infame dabei ist aber, dass gleichzeitig vom „Fachkräftemangel“ (sechsmal) insbesondere im Tourismus schwadroniert wird. Nicht, dass das Problem auf die geringen Löhne oder menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen zurückgeführt würde. Umgehend wird von der Notwendigkeit von weiterer Zuwanderung gesprochen. Gemeint sind damit weiße, christliche Osteuropäer. Mittels EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit werden seit vielen Jahren die Löhne heruntergedrückt. Als Ablenkung schlägt VP-FP umso heftiger auf die kulturell und oft auch der Hautfarbe nach als anders gekennzeichneten Flüchtlinge meist aus Nahost ein. Am Arbeitsmarkt sind diese als Konkurrenz jedoch viel weniger wirksam, nur am untersten Ende, wo die Flüchtlinge alteingesessene Türkisch- und Jugoslawischstämmige verdrängen. Entsprechend stellen sich viele von den Betroffenen nicht nur gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge, sondern kaufen auch das zugehörige chauvinistische Narrativ mit, auch wenn sie zum Teil selbst diskriminiert werden.
Integration durch Verarmung, Zwang und Gewalt?
Die globalen Eliten im Allgemeinen (man erinnere sich an Samuel Huntington) und Schwarzblau spezifisch in Österreich versuchen ihre Herrschaft mit einem Kulturkampf zu stabilisieren und zu legitimieren. Solche Impulse gibt natürlich auf der Seite des globalen Südens und der Marginalisierten bei uns ebenso – es wirkt wechselseitig.
Die symbolische Demütigung und Unterwerfung der Flüchtlinge und Einwanderer, ihre Verarmung und soziale Ausgrenzung, die Verschlechterung ihrer Lebenschancen, der Zwang zur kulturellen Assimilation, die repressiven Maßnahmen und der Generalverdacht führen zum genauen Gegenteil dessen, was die Regierung vorgibt erreichen zu wollen („Wertevermittlung“). Einerseits schafft sie soziales Elend in dem Lohndruck, Konkurrenz, Kriminalität, Bandenwesen organisch werden. Andererseits heizt sie den Kulturkampf weiter an.
Es ist diese Zangenbewegung von sozialem und kulturellem Ausschluss, die die „Parallelgesellschaft“ erst erzeugt. Lebenschancen bieten wäre indes der zentrale und sehr wirkungsvolle Hebel zur Integration. Die Regierung will und macht das Gegenteil.
Wie die Nuss knacken?
Wir wissen aus der Geschichte, dass das chauvinistische Narrativ, wer immer auch als das Böse herhalten musste, rational und frontal kaum zu zerlegen ist. Zudem ist der Herrschaftsapparat immer wesentlich daran beteiligt, das Feindbild andauernd zu speisen und zu bestätigen. Antirassistische Denunziation ist also politisch sinnlos und als moralisierende Selbstbeweihräucherung oft sogar kontraproduktiv.
Klassisch wird von links dem die Konzentration auf die soziale Frage gegenübergestellt. Das ist zwar ganz allgemein richtig, aber muss auch politisch-symbolisch gefasst werden. Heute geht das nur gegen die Globalisierung, die grenzenlose Freiheit der Eliten Waren, Kapital und Arbeitskraft weltweit zu bewegen. Dagegen setzen wir die demokratische Souveränität des Volkes, die die Gesellschaft umfassend nach ihrem Willen mittels des Nationalstaates gestalten will.
Das heißt auch, dass das Problem der extremen globalen Ungleichheit und ungerechten Herrschaft nicht mit Migration gelöst werden kann, sondern nur mit dem Ende des Freihandelsregimes und der selbstbestimmten Entwicklung. Der Schlüssel ist das kollektive Recht auf Selbstbestimmung, nicht auf individuelle Flucht. Ein politisch entscheidendes Element in diesem Kontext ist die Regulierung des Arbeitsmarktes. Denn nur so kann dem Druck nach unten in den unteren Segmenten entgegengewirkt werden. Zweites Element ist, dass Flucht und Asyl jeweils politisch auszuhandeln ist.
Ausgehend von diesen Grundprämissen ist der Weg frei, verständlich zu machen, dass jene, die ihren Lebensmittelpunkt bereits hier haben, volle Lebenschancen erhalten sollen. Denn sonst dienen die Immigranten zur Spaltung der unteren Hälfte der Gesellschaft. Das führt nicht nur zum Aufgehen der sozialen Schere, sondern befördert auch der Entdemokratisierung und exklusive Elitenherrschaft, mit der wir heute konfrontiert sind.