Kurzthesen zum Wahlausgang vom 4. März 2018
von Wilhelm Langthaler
1) Kein Renzusconi
Die zwei zentralen Parteien des Systems, PD (Partito Democratico, ehemals die KP) und Forza Italia, die direkten Repräsentanten des Wirtschaftsliberalismus, wurden schwer geschlagen. Sie haben 14 Prozentpunkte verloren und kommen zusammen nur mehr auf weniger als ein Drittel der Stimmen. In den unteren Schichten sind sie noch schwächer. Damit ist die von den Eliten, den italienischen und den europäischen, bevorzugte Große Koalition, die de facto die letzten Jahre bestand, ohne dass sie gewählt worden wäre, unmöglich. In diesem Sinn sind die Wahlen eine Fortsetzung des historischen Neins beim Verfassungsreferendum 2016, bei der die autoritäre Absicherung des EU-Neoliberalismus mit großer Mehrheit abgelehnt wurde.
Hier die Resultate mit grafischer Aufbereitung durch das Innenministerium und durch La Repubblica.
2) Tiefe Spaltung in Nord und Süd
Doch der Protest dagegen hat sich je nach dem soziopolitischen Kontext grundlegend anders geäußert. Im exportindustriellen Norden hat sich die rechte Lega mit einer extrem chauvinistischen und polizeistaatlichen Kampagne gegen Immigranten festgesetzt, auch in den Unterklassen. Insgesamt kam sie auf 17% der Stimmen, im Norden zu relativen Mehrheiten.
Währenddessen wurde die M5S im dem Verfall preisgegebenen Süden zur mit Abstand stärksten Kraft, vielfach mit über 40%, in Neapel mit einer satten absoluten Mehrheit. Ihre Argumente sind oft mittelstandsdemokratisch (mit Internetblase) und sie nimmt jedenfalls den Platz der Linken ein. Sie ist klar für staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und gegen den Ultraliberalismus.
Beide haben eine gewisse Rhetorik gegen den Euro und die EU geführt und gleichzeitig gegenüber den Eliten klargemacht, dass sie es nicht ernst meinen. Und sie treten für die Begrenzung der Immigration auf (wenn auch auf unterschiedliche Weise). Sie treffen damit die Stimmung in den unteren Klassen.
3) Protest: ernster Kern, mit systemischen Antworten
Die Lega war immer eine systemische Kraft und mit der Rechten um Berlusconi alliiert. Sie vertritt die klassischen Themen der Rechten und ist zudem noch weitgehend wirtschaftsliberal (flat tax, etc). Beim Ruf nach dem starken Staat ist jedoch durchaus auch ein Element des politischen Eingriffs in die Wirtschaft enthalten, wenn auch in der Tendenz für das Kleinunternehmertum. Die signifikante Änderung der Parteilinie unter Salvini besteht darin, dass sie den Nord-Chauvinismus gegen einen italienischen Nationalismus ausgetauscht haben – auch wenn man ihr das im Süden nicht abnimmt. Ein plebejisch-sozialer Flügel so wie bei der FN in Frankreich ist kaum vorhanden.
Bei den 5-Sternen stehen die Dinge anders. Peppe Grillo führte jahrelang Kampagne gegen die „Kaste“, schränkte das aber plakativ-simplifizierend auf die Politiker ein. Damit bleibt die Kritik an der Oberfläche und lässt das sozioökonomische System aus dem Schussfeld. Eine Zeit lang forderten sie sogar ein Referendum über den Euro, bekamen dann aber kalte Füße. Sie haben sich immer wieder gegen den ungezügelten Liberalismus und für staatliche Intervention ausgesprochen. Die Mobilisierung von unten lehnen sie ab. Sie passt nicht in ihr legalistisch-parlamentarisches Weltbild.
Der Spitzenkandidat De Maio gehört jedoch dem rechten, Eliten-nahen Flügel an. Er hat das Dogma Grillos aufgeweicht, nach dem die Cinque Stelle keine Koalition mit der Kaste eingehen würden. Zudem hat er im Wahlkampf signalisiert, dass er sich für die Herrschenden dienstbar machen würde. Dennoch, diese bleiben skeptisch, denn die Erwartungen der Wähler gehen in eine andere Richtung.
Es ist klar, dass die M5S nicht in der Lage sind auch nur das Geringste an der sozialen Katastrophe zu ändern, denn das würde einen heftigen Konflikt und schließlich Bruch mit dem neoliberalen EU-Regime erfordern. Dazu sind sie weder fähig noch bereit. Klar ist dieser Zusammenhang für uns, aber für die große Mehrheit der Wähler ist es das keineswegs.
Fassen wir die zentralen Punkte der Protestwahl von unten zusammen: a) Der Staat muss gegen das Chaos und den Niedergang, den die Globalisierung und der Ultraliberalismus verursacht haben, in die Wirtschaft intervenieren. b) Die von Euro und EU diktierten Regeln sind wesentliche Ursache der Krise. Man muss sich gegen sie schützen und die nationale Souveränität möglichst zurückgewinnen. c) Die Immigration muss begrenzt werden.
Klar reicht das als Programm nicht aus und ist die Wendung vom legitimen Schutz des Arbeitsmarktes zum antidemokratischen Chauvinismus leicht gemacht. Aber im Kern ist es ein Programm, an dem man ansetzen kann und muss. Es geht in die richtige Richtung und zeigt abermals an, dass der Liberalismus die Hegemonie verloren hat.
4) Moslems und Immigranten als Feindbild
Die Immigration ist ein Symbol der Globalisierung. Sie eignet sich hervorragend zur Ablenkung vor der Verantwortung der Eliten für die soziale Katastrophe. Der kulturell-identitären Konflikt zwischen den Armen – den autochthonen auf der einen und den eingewanderten auf der anderen – kann nur gedämpft und verhindert werden, wenn eine umfassende Antwort gegen die Globalisierung gegeben wird, nämlich die politische Kontrolle über die Wirtschaft im Rahmen der Nationalstaaten. Die Bewegung von Waren, Kapital und Arbeitskraft muss dem politischen Willen der Mehrheit unterworfen werden. Nur so kann die wachsende soziale Ungleichheit innerhalb und zwischen den Staaten gedämpft und damit auch die Ursache für die Migration und die Grundlage für die identitäre Mobilisierung bekämpft werden. Nur ein demokratischer Souveränismus, der einerseits den Zugang zum Arbeitsmarkt reguliert, andererseits die Einheit der Arbeitenden gegen die Eliten herstellt, kann die identitären Konflikt zwischen den Armen beenden.
Die Forderung nach offenen Grenzen ist voll im Sinne der liberalen Eliten und treibt die Spaltung der Armen weiter voran. Denn er forciert den Kampf um Arbeitsplätze und Sozialleistungen.
5) Totale Leere auf der Linken
Es ist ein gutes Zeichen, dass die Regimelinke am Sterben ist. Sie war für drei Jahrzehnte das Herz des neoliberalen Systems. Die Renzi-Medienblase hat nur ganz wenige Jahre angehalten.
Aber auch für die radikale Linke sind die Wahlen eine Katastrophe mit dem schlechtesten Ergebnis in ihrer Geschichte. Grund dafür ist, dass sie als Anhängsel der globalistischen Eliten erscheint (und es letztlich auch ist). Sie ist weder bereit noch fähig, am vom Volk geforderten Programm anzusetzen und es zu entwickeln. Der Einstieg wäre klar: Partei des Bruchs mit Euro und EU und für einen keynesianischen Linkssouveränismus, der den Zugang zum Arbeitsmarkt schützt und damit wirksam der identitären Spaltung entgegentreten kann. Und nicht zu vergessen, die radikale Linke spricht gerne phrasenhaft von Klassenkampf von unten. Doch derzeit ist das eine Illusion, was sich deutlich am Fall Alitalia zeigt. Es geht nur mittels Wiederverstaatlichung, was nach EU-Regeln streng verboten ist. Es bedarf daher einer politisch-staatlichen Lösung, der extremistische neoliberale Rahmen muss zerbrochen werden. Daher auch richtigerweise die überragende Bedeutung der staatlichen Intervention.
Leider ist es bisher nicht gelungen, die Systemsperre mit einem linkskeynesianischen und souveränistischen Projekt zu durchbrechen, das die Lehren aus dem griechischen Desaster ziehen würde. Platz dafür wäre. Haupthindernis dazu ist allerdings die radikale Linke selbst, ganz abgesehen von der Panzerung des Systems (Medien, materielle Mitteln, Kulturindustrie, etc.)
6) Regierungsbildung als Quadratur des Kreises
Die Elitenparteien sind in der klaren Minderheit. Und nicht nur das, sie sind untereinander tief zerstritten, auch wenn das teilweise auch Bestandteil der Politshow ist. Die Formierung einer Regierung im Dienste der Euro-Elite wird also äußerst schwierig werden.
Als Wahlsiegerin mit einem Drittel der Stimmen, ca. genauso viel wie PD und Forza Italia zusammen, kommt den Fünf Sternen natürlich die zentrale Rolle zu. Für die Herrschenden drängt sich eine Koalition M5S mit PD auf, wobei das Kommando bei der zertrümmerten PD liegen muss. Ob De Maio und Grillo ihnen wirklich die Dorftrottel spielen? Das bezweifeln viele, auch die Herrschenden selbst.
Doch was bleibt sonst? Die PD mit der Rechten unter Führung von Salvini und der Lega? Schwer vorstellbar und eine Steilvorlage für den weiteren Aufstieg der Cinque Stelle.
Wir wollen hier mit den Spekulationen nicht weitermachen. Die italienischen Eliten waren immer gut darin, irgendeine unerwartete Lösung aus dem Hut zu zaubern. Nämlich um den Preis, dass es keine wirkliche Lösung ist.
Eins ist jedenfalls unumgänglich: Das einfache Volk, das die Fünf Sterne gewählt hat, will und soll diese demnächst auf die Probe stellen. Spaltung und Zerfall sind vorprogrammiert. Darin liegt sowohl für die Eliten als auch für die bisher stimmlosen Linkssouveränisten eine Chance.