Hat die EU die von Macron geforderte Reform und den bitter nötigen Aufbruch verpasst?
von Rainer Brunath
Eigentlich können die Schlagzeilen der Tageszeitungen den deutschen Leser nicht vom Hocker reißen – sollte man meinen, wenn man in den gleichen Zeitungen liest: „Die deutsche Wirtschaft wächst weiter mit hohem Tempo. Und die Deutschen seien in ihrer Mehrheit positiv zu Globalisierung und Freihandel eingestellt“. Ja was ist denn nun und was meinen die Vorbeter und Besserwisserschreiberlinge der Mainstream-Medien überhaupt?
Man kann doch nicht abstreiten, dass (deutsche) Manager in den Zentren deutscher Wirtschaft und ihre Mitspieler in den Chefetagen in Brüssel einigermaßen geschickt agieren, wenn es um den Zugang der weltweit größten Märkte USA und China geht. Es muss wohl etwas anderes dahinter stecken, als deren „Sorge um das Wohl der EU“. Könnte es sein, dass sie mit ihrer „Sorge“ etwas kaschieren, nämlich die Frage, ob Deutschland dabei ist, seine führende Rolle in Europa in Zukunft mit Frankreich, dem zweiten großen Mitspieler in der EU, teilen zu müssen? Das wäre fatal, um nicht zu sagen eine Niederlage im Gepoker um Märkte und Profit zwischen den großen EU-Staaten. Den Süden hat man ja schon ausgeschaltet, die kleinen Staaten zählen nicht, Skandinavien ist Randgebiet.
Und das UK? Britannien bereitet (den deutschen Politmanagern in Brüssel) keine Sorgen mehr. Es wurde von den Regierungschefs abgespeist. Ein Freihandelsabkommen wurde angeboten, was für Theresa May ein segensvoller Durchbruch war. Und man legte ihr noch ein kleines Bonbon in das Geschenkpaket. Man ist ja solidarisch, wenn es um einen Feind geht. Da steht man zusammen obwohl man sich untereinander nicht die Butter auf dem Brot gönnt. Aber in der Frage, ob Theresa May´s impertinente Schuldzuweisung an Präsident Putin in Russland bezüglich des Giftgasanschlags in Südengland zutreffend sei – da gab es kein Gezänke. Da stand man wie ein Mann an Ihrer Seite. Und auch das war Balsam für Theresa May und ihr Punktekonto auf ihrer Beliebtheitsskala – und es lenkte ab von der Frage, wie es denn nun weitergeht mit der „Weltmarktbedeutung“ der Insel. Denn in Politkerreisen in London ist man diesbezüglich immer noch unschlüssig, weil man fürchtet, dass die Brexit-Entscheidung, die ohne die Unterstützung durch die herrschenden Eliten Englands zustande kam, den im Land dominierenden Finanzsektor schaden könnte.
Das, was nun Macron versucht, in der EU gleichbedeutend zum deutschen Einfluss aufzuschließen, darum hatte sich Margaret Thatcher sich schon in den 1980er Jahren bemüht, indem es Bedingungen schuf, die Londons Bedeutung auf dem Finanzsektor führend machten. Heimlicher Wunsch ihrerseits war es, der wachsenden Bedeutung Deutschlands in der EU etwas entgegenzusetzen. Es war vergebliches Streben, wie wir heute wissen. England stand zum Brexit-Votum bei EU-Deutschland mit 50 Milliarden Euro in der Kreide was letzten Endes zum Bruch führte. Nun ist man in London ohne Strategie, wie die ganze Angelegenheit abgewickelt werden und wie es weitergehen soll.
So verfiel man einvernehmlich auf eine Übergangszeit, die nach den Austritt Britanniens im März nächsten Jahres, bis zum Ende 2020 gültig bleiben soll und in der alles so bleibt wie es ist: keine Zölle zwischen Britannien und der EU. Die Frage aber, wie es mit dem Finanzstandort London weitergehen soll, ist nach wie vor offen.
Die britischen Eliten gehen nach wie vor davon aus, dass britische Banken agieren können so als wären sie EU-Inländer und das Kapital auf dem Kontinent ist sich nicht sicher, ob es nicht auf den freien Zugang zur Londoner Finanzmetropole verzichten will und nicht lieber heimische Finanzzentren nutzen will. Und an diesem Punkt kann man Macrons Initiative verstehen. Er sucht den Schulterschluss mit Berlin um Kapital von London nach Paris und Frankfurt zu locken.
Zugleich soll das EU-Bündnis noch wettbewerbsfähiger gemacht werden. Man denkt daran, einen „Anerkennungsfond“ einrichten, der EU-Staaten zugeteilt werden soll, die „Reformen“ durchpeitschen. Was Reformen sind, bestimmt die Kommission und nicht das EU-Land: es sind Maßnahmen wie Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Senkung das allgemeinen Lohnniveaus, höheres Renteneintrittsalter. Vorbild ist die Schrödersche Agenda 2010 und die Art der Behandlung der Eurokrise 2012/13, als die „Troika“ im Auftrag des EU-Rates und speziell Berlins Maßnahmen gegen Hilfskredite in den südlichen EU-Ländern durchsetzte. Hier will Macron mithalten. Ob er Erfolg haben wird, hängt von der Entschlossenheit der französischen Arbeiter und Angestellten zur Gegenwehr ab.