Italien: Ist das auch scheußlicher Populismus?
In den deutschsprachigen Medien war Italiens Regierung bisher fast ausschließlich als Truppe rechtspopulistische Schreihälse präsent, die Flüchtlingsschiffen das Anlegen verweigert. Bei so viel Negativpropaganda lohnt es sich, auch einmal genauer hinzusehen.
„Regierung der Populisten“ ist das Label, das die Medien dem Duo Salvini (Lega)-Di Maio (Fünf Sterne Bewegung) verpasst haben. Damit weist man auf die Unverfrorenheit der aus den Wahlen am 4. März hervorgegangene Koalition hin, den Italienern einen Kurswechsel hin zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Situation des Landes zu versprechen. Reicht dieser Wunsch nach einem Kurswechsel aus, um das Negativ-Etikett Populismus zu bekommen? Rosig ist die soziale Situation in Italien mit 31 % Jugendarbeitslosigkeit und 8,4 % in akuter Armut offensichtlich nicht. Auch Lösungen für den anhaltenden Niedergang der einst starken Industrieproduktion im Land (-20 % seit dem Jahr 2000) zu suchen, drängt sich geradezu auf.
Aber… die beiden schieben doch die ganze Schuld für die italienische Misere auf den „äußeren Feind“, um von der eigenen Verantwortung und von ihrem Versagen abzulenken, die überbordenden Wahlversprechungen einzulösen. Typisch Populismus. Natürlich muss die widersprüchliche Lega-Fünf Sterne Koalition noch unter Beweis stellen, was sie von ihren Plänen (dem „Vertrag“) umsetzen wird – vor allem mit dem Budgetgesetz. Dass die angepeilten 2,4 % Defizit keine Revolution sind, ist nicht zu leugnen. Aber bereits dies reichte aus, dass Junker, Moscovici und „die Märkte“ zum Sturm auf Rom blasen, um den Defizit-Sündern die Leviten zu lesen und sie zu erinnern, dass die (mit den nicht gewählten Vorgängerregierungen unterschriebenen) Austeritätsvereinbarungen einzuhalten sind. Also ganz Unrecht haben die italienischen Populisten offenbar auch nicht, dass Brüssel ein signifikanter Faktor ist, der der Umsetzung eines sozialen und wirtschaftlichen Kurswechsels entgegensteht.
Ein jüngstes Beispiel zeigt plastisch, dass die neue Regierung in Rom durchaus konkrete Maßnahmen setzte, die einen Wandel andeuten. (Im Gegensatz zur Kolonne der nicht gewählten Vorgängerregierungen von Monti-Letta-Renzi-Gentiloni, die alle mehr oder weniger theatralisch einen Wandel versprachen, um dann sofort die alte neoliberale Agenda fortzusetzen; Populismus im wahrsten Sinne.)
Das Beispiel ist die vom belgischen Konzern Bekaert 2015 übernommene Pirelli Stahlcord-Fabrik in Figline Valdarno, Toskana. Der Konzern plante, die Fabrik mit Anfang Oktober zu schließen und nach Rumänien zu verlegen. 318 Arbeiter sollten entlassen werden. Nachdem der PD-Sozialdemokrat Renzi 2014 mit seiner Arbeitsmarktreform, dem Jobs Act, die Arbeitslosenunterstützung („Cassa integrazione“) abgeschafft hatte, wäre das für die Arbeiter und ihre Familien ein sicher Weg in die Armutsfalle. Derartige Kollateralschäden der Globalisierung interessieren die liberalen Medien heute freilich nicht, schon gar nicht die österreichischen. Daran konnte selbst das Solidaritätskonzert, das Sting im Juli vor der Fabrik für die Arbeiter gegeben hatte, nichts ändern.
Doch die Regierung der Populisten hat zwischenzeitlich begonnen, den PD-sozialdemokratischen Jobs Act rückabzuwickeln und die Arbeitslosenunterstützung wieder eingeführt (wie demagogisch!). Neben dieser sozialen Absicherung für die Arbeiter, hat die Regierung auf Bekaert Druck ausgeübt und gemeinsam mit der Gewerkschaft erreichen können, dass bis Ende des Jahres weiter produziert und einen Teil der Produktion in Figline Valdarno belassen wird. Zur Sicherung des Standortes wird soll staatliches Geld in die Hand genommen und ein Reindustrialisierungsprogramm aufgelegt werden. Selbst der Gewerkschaftsverband CGIL musste anerkennen, dass die Regierung diesen für die Beschäftigten positiven Ausgang entscheidend unterstützt hat und Vizepremier Di Maio sich persönlich in Figline Valdarno für eine Lösung einsetzte. Kein Wunder, dass die Umfragewerte der „grün-gelben“ Koalition mit 62 % Zustimmung auf einem Rekordhoch sind.
Zu wenig? Populismus? Für Brüssel genug, um der italienischen Regierung den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Die Frage in Italien ist heute eben nicht, ob eine umfassende anti-neoliberale Alternative wesentlich weiter gehen muss (natürlich) und andere Maßnahmen der Lega-Fünf Sterne Regierung nicht scharf abzulehnen sind (offensichtlich). Es geht um den Ausbruch aus dem Korsett der neoliberalen und anti-sozialen Politik des EU-Fiskalpakts und um die Seite, die man in dieser sich in Italien gerade rasant anbahnenden Konfrontation einzunehmen gedenkt. Welche Seite die Arbeiter von Bekaert in Figline Valdarno beziehen werden, steht jedenfalls fest.
Gernot Bodner