Die traditionell herrschende Elite in Italien sucht gemeinsam mit Brüssel und Berlin nach einem Weg, die aufsässige Regierung aus Lega und Fünfsternen gefügig zu machen oder zu stürzen.
Wir fragen Leonardo Mazzei vom “Movimento Populare per Liberazione” (MPL), der das Projekt der „Patriotischen Linken“ betreibt, ob ein solcher Palaststreich denkbar ist. Albert F.Reiterer setzt nach.
[Bild: Republikspräsident Sergio Mattarella]
Tatsächlich hat der italienische Präsident mehr Macht als es scheint. Dennoch existieren die politischen Bedingungen für einen „Verfassungsputsch“, wie 2011 unter der Führung von Monti geschehen, heute nicht.
Klar ist, dass die Eliten keine Neuwahlen anstreben, sondern die Mehrheitsverhältnisse im bestehenden Parlament verschieben wollen.
Ein Teil der Lega, angeführt von Giorgetti, versucht die Regierung zu sabotieren, um die Allianz mit Berlusconi wiederzubeleben.
Doch um eine andere Mehrheit zu bilden, bedarf es einiger Dutzend Parlamentarier, die man nach Medienberichten in den Reihen der M5S zu finden versucht.
Aber das ist aus zwei Gründen unrealistisch: Einerseits ist das eine sehr große Zahl, andererseits weil der Premier Salvini wäre. Wenn der Zweck der Operation die Beruhigung von Brüssel ist, dann wäre damit nichts gewonnen. Es sei denn, dass Salvini sich beugen würde, was sein politischen Ende bedeutete – das wird er nicht so einfach machen.
Technisch-juristisch gesprochen hat der Staatspräsident jederzeit die Möglichkeit die Parlamentskammern aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Aber das hat noch kein Präsident vor ihm gemacht, zumal er ja mit Sicherheit über keine parlamentarische Mehrheit verfügt.
Die Regierung zu entlassen liegt jedoch nicht in seiner Macht. Aber bei der Regierungsbildung kann er nominieren wie man im Mai beim „Fall Savona“ gesehen hat. Zudem setzt er die vom Parlament beschlossenen Gesetze in Kraft.
Theoretisch könnte Mattarella dem Budgetgesetz die Unterschrift verweigern und an die Parlamentskammern zurückweisen. Das würde einen fast unlösbaren institutionellen Konflikt provozieren. Das scheint für die Eliten in diesem Moment nicht günstig. Aber wenn sich die Regierung hält und der Konflikt mit der EU vertieft, kann ein solches Szenario nicht ausgeschlossen werden.
Was die andere Seite, die gegenwärtige parlamentarische Mehrheit betrifft, gibt es nur eine einzige Möglichkeit der Absetzung des Präsidenten der Republik, nämlich ein Amtsenthebungsverfahren wegen „Hochverrat“ oder „Anschlag auf die Verfassung“. Im Mai, als er die Regierung nicht akzeptierte und andere Minister diktierte, hätte sich so eine Möglichkeit eröffnen können und Di Maio hat sie sogar angekündigt. Doch dann fand sich doch ein Kompromiss, der zur Formierung des Kabinetts Conte führte.
Gegenwärtig herrscht große Unklarheit. Es gibt starke Spannungen zwischen den Regierungsparteien und auch innerhalt ihrer. Aber auch für Mattarella stehen die Dinge nicht einfach, denn es ist von einer parlamentarischen Mehrheit sehr weit entfernt. Der Weg zu Neuwahlen würde für die Eliten zum Eigentor werden. Bleibt also nur das Navigieren auf Sicht.
Auf der anderen Seite kann die Regierung nicht so weitermachen und muss eine andere Gangart einlegen. Denn Brüssel will Italien isolieren und verweigert den Kompromiss.
Wir befinden uns an einem historischen Schnittpunkt, aber mit einer politischen Klasse, die dafür völlig ungeeignet ist.
Wenn die Regierung die nächsten Wochen überlebt, ist eine Umbildung und der Austausch mehrerer Minister möglich auf Basis der gleichen Koalition zu erwarten (jedenfalls spätestens nach den EU-Wahlen).
Anmerkungen von Albert F. Reiterer
Den Verfassungs-Putsch haben die Italiener ja schon hinter sich. Eines der Hauptargumente der Demokraten und auch des Mattarella gegen die derzeitige Politik ist der Verweis auf die geänderten Artikel der Verfassung (Art. 81 und ff.), wo sie 2012 mit ihrer manipulierten Mehrheit und Berlusconis Hilfe das festgeschrieben haben, was von EU und den politischen Klassen die „Schuldenbremse“ genannt wird. Das ist der eine Punkt.
Der zweite: Ein Absetzungsverfahren gegen den Präsidenten hat nicht die geringste Chance. Über die Absetzung entscheidet nicht das Parlament, sondern ein Richtergremium. Und eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Aber: Sie fürchten ein parlamentarisches Verfahren trotzdem. „Il presidente non si tocca!“ Und da gehen die Pseudo-Linken z. B. von „manifesto“ voll mit. Aber auch in der Regierung selbst schlägt dies ein. Als Beppo Grillo Mitte Oktober nur die Einschränkung der präsidialen Vollmachten ansprach, beeilte sich Conte sofort, abzuwiegeln: „Das steht nicht im Regierungs-Übereinkommen.“
Es ist eher die Intransigenz der EU-Leute: der Kommission und auch des Rats. Denn die sind offenbar der Meinung, sie könnten die Auseinandersetzung ohne weiteres gewinnen und treiben sie daher weiter und wahrscheinlich auf die Spitze. Das wird sich die Regierung in Rom aber nicht bieten lassen, können sie schon aus wahltaktischen Gründen nicht. Gegen dieses Verfahren hätten sie, wenn sie nur wollten, eine einfache Waffe: Sie bräuchten bloß die Arbeit des Rats in allen sonstigen Angelegenheiten blockieren.