Die Institution des Imperiums und ihre Rollen
Das EP ist ein Pseudo-Parlament, das sich mit einem gewissen Erfolg auf die optische Täuschung von allgemeinen Wahlen und damit auf einen Anschein von Legitimität und Demokratie beruft. Es ist eine optische Täuschung, weil wir sehr wohl wissen: Alle Themen bei den sogenannten „Europa-Wahlen“ sind ausschließlich von nationaler Relevanz, und auch die Ergebnisse werden nur national interpretiert. Am Wahlabend wird dies von den supranationalen Protagonisten auch gar nicht bestritten. Am nächsten Morgen allerdings beginnt die Umdeutung in eine Legitimierung des Globalismus …
Dieses EP hat nun als Hauptfunktion den Flankenschutz der supranationalen Bürokratie für deren von einem wichtigeren Sachverhalt abzulenken. Gerade eben hat es eine Resolution beschlossen (2019/2819(RSP)) mit den üblichen ideologischen Stilübungen zu „Menschen¬rechten“ (!) und „Demokratie“ (!!! ausgerechnet!). In diesem speziellen Fall wärmt es die alte Totalitarismus-Ideologie wieder auf und vergisst auch nicht, auf ähnliche Resolutionen aus früheren Sitzungen hinzuweisen: Sozialismus und Faschismus sind nur zwei Formen des „Totalitarismus“ und müssen daher gleichermaßen bekämpft werden. Es war ein Schlachtross der US-amerikanischen systemfrommen Akademiker, das seine Kraft aus dem Stalinismus bezog. Heute wagen sie es eigentlich nicht mehr, dies zu wiederholen. Nur zurückgebliebene Politiker und Journalisten dürfen dies noch wiederholen, die aber mit größter Inbrunst. Für sie ist es eine Art Glaubensbekenntnis und politischer Katechismus geworden, den alle abbeten müssen, die man in den eigenen Kreis aufnimmt. Mich würde nicht wundern, wenn neben den konservativen Parteien, der EVP, der SP, den Liberalen und den Grünen, auch die deutsche LINKE mit gestimmt hätte. Die glauben ja immer noch, sie müssten ihre „demokratische Glaubwürdigkeit“ durch solche Exerzitien im politisch-korrekten Stil der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ legitimieren.
Das EP hat hauptsächlich eine ideologische Funktion, obwohl es mit bemerkenswerter Zähigkeit sich bemüht, sich reale Kompetenzen anzumaßen. Trotzdem finden die eigentlichen Entscheidungen anderswo statt. „Und die einen steh’n im Dunkeln, und die andern steh’n im Licht. Doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ Wir sollten uns also nicht durch diese Worthülsen dieser fragwürdigen Körperschaft ablenken lassen. Denn um Ablenkung geht es. Die Herrschafts-Institutionen müssen aber immer durch Hegemonie-Apparate ergänzt werden. Dazu gehört ziemlich weit oben, wenn auch insgesamt nicht so effizient, das EP.
finden gleichzeitig nämlich wesentlichere Prozesse statt. Und einen dieser Prozess können wir eben, gleichzeitig mit der Ideologie-Übung des EP, mitansehen:
Der EuGH für Sozialabbau hat wieder zugeschlagen. „Die im Dunkeln“ agieren und zwar mit schwerwiegenden Konsequenzen. Es ist dem EuGH unerträglich, dass auch Manager dazu gebracht werden, die noch geltenden nationalen Gesetze zu beachten. Sozialschutz – pfui! Da seien die vier Freiheiten davor!
Es ging um die Einhaltung minimaler Lohnstandards durch kroatische Arbeitskräfte in Österreich. Österreichische Führungskräfte wurden zu Geldstrafen dafür verurteilt, dass sie sich nicht an österreichische Gesetze gehalten hatten. Geklagt haben dann typischer Weise nicht nur die betroffenen österreichischen, sondern auch nichtösterreichische Manager, die von den Staaten Kroatien, Slowenien, Polen, Tschechien und Ungarn unterstützt wurden.
Dem EuGH für Sozialabbau scheint es unerträglich, „unverhältnismäßig“, dass die Österreicher zu fühlbaren Geldstrafen und im Nichteinbringungsfall zu Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt wurden, nur weil sie sich nicht an die gesetzlichen Standards hielten. Da gibt es zum Inhalt gar nichts zu sagen, denn das reiht sich ein in eine Fülle von Erkenntnissen in dieselbe Richtung. Das ist eben EU und EuGH. …
Das Ergebnis des Urteils ist nicht nur, dass der Strafbescheid gegen die Andritz-Manager aufgehoben werden muss. Auch bei zukünftigen Entsendungen dürfen die Behörden und Verwaltungsgerichte keine Strafen für die Nichteinhaltung der Aufbewahrungs- und Meldepflichten nach dem LSD-BG und dem AuslBG mehr verhängen. Damit würde aber eine wesentliche Abschreckungsfunktion des gesamten Lohndumping-Regimes wegfallen. Dieses ist zwar vor allem dazu gedacht, Entlohnungen unterhalb des Kollektivvertrags zu verhindern. Aber bisher haben die Behörden nur selten Strafen für Unterentlohnungen an sich verhängt; sie haben sich damit die mühsame Berechnungen erspart, ob der den ausländischen Arbeitskräften bezahlte Lohn dem inländischen KV entsprach. ….
STEFAN KÜHTEUBL ist Partner und Arbeitsrechtsexperte bei Schönherr.
Standard, 23. September 2019
Aber wir sollten ein paar Nebenaspekte ins Auge fassen.
Der erste davon ist eigentlich kein Nebenaspekt. Das EuGH-Verfahren wurde initiiert als Vorabentscheidung. Will ein nationales Gericht sich nicht an die gegebenen nationalen Gesetze halten, dann holt es vor seinem Urteil die verbindliche Meinung des EuGH ein. Ein Anlass findet sich immer, denn man kann immer mit den „Freiheiten“ argumentieren. Das ist eines der Haupteinfallstore des sogenannten europäischen Rechts. Damit wird von vorneherein die nationale Souveränität belanglos; eine auf nationaler Ebene getroffene politische Entscheidung in Rechtsform – das Hauptinstrument von Politik – verliert ihre Kraft und Wirkung. „Vorabentscheidungen“ wären vorab einmal zu verräumen, wollte man sich selbst noch ernst nehmen, etwa auch, wenn die Idee des „strategischen Ungehorsams“ wirklich seriös genommen würde, wie es attac vorgebracht hat. – Auch hier hat also die nationale Bürokratie, in diesem Fall die Justiz-Bürokratie, der steirische Verwaltungsgerichtshof, das Hölzl geworfen.
Und nun noch zwei wirklich eher nebensächliche, aber interessante und sogar ein wenig amüsante Details:
Das österreichische Zentralorgan der neoliberalen EU-Fanatiker, der „Standard“, bringt einen kurzen Bericht über diesen Fall, wo ein klein wenig Kritik anklingt. Wie das? Hat da der zuständige Redakteur geschlafen? Oder gibt es neuerdings im „Standard“ einen kritischen Maulwurf?
Zweites Zuckerl:
Vertreten wurde die Klage gegen den Bescheid der österreichischen Behörden gegen einen kroatischen Betroffenen von einer Kärntner Rechtsanwaltskanzlei. Sie wird vom ehemaligen Vorsitzenden des Rates der Kärntner Slowenen, M. Grilc, geleitet – er muss übrigens schon ziemlich alt sein. Und da scheint auch als Teilhaber auf: Rudi Vouk. Vouk hat seinerzeit durch bewusstes Schnellfahren jenes Erkenntnis des österreichischen Verfassungs-Gerichtshofs provoziert, welches dem verblichenen Jörg Haider über Jahre den Schaum vor den Mund trieb. Denn da war plötzlich von 10 % Minderheitenanteil die Rede, nicht mehr von 25 %.
Man kann da natürlich sagen: Das ist nun einmal der Job von Rechtsanwälten. Sie verteidigen ja auch Mörder und sonstige Schwerstverbrecher…
Die Resolution des EP ist im Einzelnen uninteressant. Diese überflüssige Versammlung von Ex- und Möchtegern-Politiker in ihrem bequemen Elfenbeinturm spricht vor allem für sich und ihre Polit-Kollegen. Es wäre vielleicht ganz günstig, sich einmal im Detail für ihre Funk¬tion zu interessieren – wäre eine sinnvolle Dissertation für kritische Politikwissenschafter (oder für solche, die gerade viel Zeit haben). Aber sehr wohl ist sie interessant im Zusammenhang mit der Politik des EuGH. Denn zur Politik gehören immer zwei Seiten: Die Diktatur, hier der Bürokratie, und die Hegemonie. Und um die will sich das EP kümmern.
Damit kommen wir zum Punkt, den beide Episoden gemeinsam haben. Die EU hat eine Kompradoren-Struktur auf nationaler Ebene hervorgebracht. Sie wird einerseits von jenem Teil der politischen Klasse angeführt, welche sich in erster Linie und hauptsächlich Brüssel verpflichtet fühlen und nicht ihrer nationalen Bevölkerung. Da aber „Brüssel“, die supranationale Bürokratie, nicht zuletzt auch im Interesse der Hegemone arbeitet, vor allem der BRD, haben wir da eine Situation, ,die nicht so unterschiedlich ist von der alten kolonialen Kompradoren-Bourgeoisie. Das waren jene Gruppen in den Kolonien, die offen und ganz klar für die europäischen Kolonialmächte arbeiteten und so die Ausbeutung vor Ort ermöglichten.
Dazu gehören an erster Stelle die Abgeordneten zum EP. Sie haben ja üblicher Weise nach der EP-Wahl, die überall ein nationaler Wahlersatz ist, wo die Bevölkerung ihren Unmut über die nationale Politik kundtut, keinerlei Kontakt mehr mit der Bevölkerung – außer mit einigen Gruppen, welche systematisch zur Indoktrination nach Brüssel geschickt wird: Studenten, Höhere Schüler. Wenn diese Abgeordneten nach Hause kommen, sind sie sich meistens nicht zu blöd stolz zu erzählen, wie sehr sie von ihren Kollegen geschätzt werden – weil sie immer devot nicken.
Und dann gehören die mittleren und höheren Beamten zur Kompradoren-Bourgeoisie, die ständig nach Brüssel oder Luxemburg oder sonst wohin unterwegs sind, um dort direkt ihre Anordnungen abzuholen. Der Großteil der österreichischen Beamtenschaft steht nicht mehr im Dienst der Republik Österreich oder gar der österreichischen Bevölkerung. Er hat sich direkt dem supranationalen Imperium untergeordnet, und zwar meist freiwillig. Verwunderlich ist es nicht. Verkörpert doch dieses Imperium die unverantwortliche Herrschaft der Bürokratie, und davon träumt diese seit Josef II.
AFR, 25. September 2019