Wenige Tage vor der Vorstellung des Budgets im Parlament marschierten Tausende am Samstag, den 12. Oktober 2019 durch Rom. „Liberiamo l’Italia“ – befreien wir Italien von der Euro-Diktatur. Für die demokratische Souveränität des Volkes auf der Grundlage der Verfassung von 1948, die Ergebnis des demokratischen Befreiungskampfes vom deutschen Faschismus ist.
Tatsächlich war es die erste linkssouveränistische oder verfassungspatriotische Artikulation dieser Größenordnung. Möglich wurde das vor dem Hintergrund der existentiellen Krise der Fünfsternebewegung (M5S). Diese hat kürzlich einen fliegenden Wechsel von der populistischen Koalition mit der Lega zurück zur Zentralpartei des Establishments und der EU, dem Partito Democratico (PD), vorgenommen, dem die ehemalige Rebellenpartei nun als Mehrheitsbeschaffer dient.
Vergegenwärtigen wir uns nochmals dieser 180-Gradwende, die dramatischer nicht sein könnte: Vor einem Jahrzehnt war der Komiker und Kabarettist Pepe Grillo angetreten, um das Establishment, „die Kaste“, zu verjagen. Die starke Ansage: man würde niemals eine Koalition eingehen, mit keiner Partei, man sei ja eine Formation gänzlich neuer und unkorrumpierbarer Form. Mit vielen internetdemokratischen Illusionen gruben die Fünfsterne dem PD die Basis ab, sei es ganz unten, sozial wie geografisch gesehen, aber auch bei den Intellektuellen. Die von der EU verordnete und den Eliten exekutierte Austerität und die daraus resultierende wirtschaftliche Stagnation und der soziale Abstieg breiter Schichten taten das ihre. Zuerst die Niederlage des Berlusconi-Rechtspopulismus und dann die Niederlage von Renzis populistischen Autoritarismus machten die Cinquestelle 2018 zur mit Abstand wichtigsten Partei, ohne der keine Regierung mehr gebildet werden konnte.
Nicht nur die Basis der Partei, sondern die große Mehrheit des einfachen Volkes forderten eine Regierung unter Führung der Fünfsterne, die einen grundlegenden Wechsel weg vom Austeritätsdiktat vollziehen sollte. Nur mit großer Mühe gelang es die Lega von Berlusconi sowie dem Establishment des industriellen Nordens loszueisen. Schon damals war in der PD die kühne Idee aufgeblitzt, die Fünfsterne reiten zu können. Aber dazu musste sie noch gezähmt werden.
Nun sind die Grillini zurückgekehrt in die Arme des Systems, namentlich der PD. Vom Bruch mit dem Euro kann keine Rede mehr sein, im Gegenteil. Neben sozialen Phrasen im PD-Stil, die an der Realität des kommenden Budgets zerschellen werden, bleibt nur mehr das Hohelied auf die EU.
Die Fünfsterne sind der Schatten ihrer Vergangenheit. Spaltung ist keine zu erwarten, denn sie waren ja tatsächlich keine Partei, es gibt also nichts zu spalten. Vielmehr handelt es sich um Zerfall, freien Fall. Im Milieu gibt es große Enttäuschung, die sich bisweilen in Wut äußert und zumindest am Rande zu Widerstand führt. So hat sich vor kurzem in Florenz eine Cinquestelle-Basisplattform gegründet, die zurück zu den Wurzeln der Bewegung will. Weitere Beispiel sind der Journalist und M5S-Senator Gianluca Paragone, der die Demo politisch unterstützte oder auch die Journalistin und Kandidaten der Fünfsterne zum EU-Parlament, Tiziana Alterio, die sich sogar im Organisationskomitee der Demo engagierte. So gibt es zahllose weitere Figuren wie Blogger, Künstler, Aktivisten, Intellektuelle, die nach einer Alternative suchen und sich an der Demo beteiligten.
Der Mainstream, sowohl die Medien als auch die etablierte Linke, setzt auf Verschweigen, gelegentlich auch auf Verleumdung. Direkt wurde über den Aufruf und die Demo nicht berichtet, die sich zunächst sogar gegen die populistische Regierung gerichtet hatten, sie zur Einlösung ihrer Versprechen aufforderte. Das Flaggschaff des Linksliberalismus „La Repubblica“ schreibt dennoch ganz nebenbei in einem Artikel zum „Flop der 10-Jahresfeier der Cinquestelle“: „Heute artikuliert sich die „Rechte“ [der Fünfsterne] mit Senator Paragone auf der Straße. Dieser hat einen Aufruf für eine Demonstration unterschrieben, „Liberiamo l’Italia“, die heute in Rom stattfindet unter deren Organisatoren sich alles befindet: die Kommunisten der CARC, die Rotbraunen von Vox Italia und verschiedene Souveränisten, die nicht direkt mit der Lega verbunden sind.“
Vox Italia ist eine Gründung des marxistischen Fernsehphilosophen und Schülers des verstorbenen Costanzo Preve, Diego Fusaro, der von einer Talkshow zur nächsten geschleppt wird. Mit der Formel „Linke Ideen, rechte Werte“ versucht er in vielen Wassern zu fischen und gibt vor allem den Gegnern eine Steilvorlage – was von dem Demo-Organisatoren auch kritisiert wurde. Aber selbstverständlich unterstützt Fusaro die protosozialistische und antifaschistische Verfassung von 1948, auch wenn er es nicht für wert befand zur Demo zu erscheinen.
Tatsächlich wurde die Demo von der souveränistischen Rechten boykottiert, nicht nur weil sie die Tradition des vorwiegend kommunistischen Partisanenwiderstands verabscheut – es waren nur italienische Fahnen sowie Symbole des historischen CLN, des Nationalen Befreiungskomitees unter dessen Führung Italien die Nazi-Herrschaft abschüttelte, zugelassen. Es gab aber auch dutzende sardische Fahnen, ein Zeichen für den einschließenden, Diversität und Autonomie zulassenden demokratischen Charakters des Konzepts der nationalen Souveränität, wie es in die 48er-Verfassung herausgelesen werden kann. Den Rossobunismo (rotbraun) gibt es nicht. Er ist eine Erfindung der linksliberalen Eliten gegen die Verfassungspatrioten.
Die soziokulturelle Zusammensetzung der Demo war vielversprechend. Nicht nur alle Altersklassen waren vertreten, sondern die sonst dominante Linkskultur, die von der Mehrheit zunehmend isolierend wirkt, war nur eingesprenkelt vorhanden.
Zu Abschluss auf der Piazza Venezia beim Forum Romanum sprachen allzu zahlreiche, die bunte Mischung der Bewegung repräsentierende Exponenten, wie beispielsweise der auch hierzulande bekannte Giullietto Chiesa, Starjournalist des Manifesto, sowie Vertreter des Europäischen Komitees gegen Euro, EU und Nato aus Frankreich, Spanien und auch des österreichischen Personenkomitees Euroexit. Armanda Hunter, Linksaktivistin und Kandidaten der Brexitpartei, erklärte ihre Solidarität genauso wie Manolo Monereo, ehemaliger Abgeordneter von Podemos und politischer Ziehvater von Julio Iglesias sowie eine Vertreterin der Gelbwesten. Paul Steinhardt von Makroskop schickte eine Großbotschaft aus Deutschland. Wichtig auch der Beitrag von Mohamed Konarè, des Sprechers der Panafrikanischen Bewegung in Italien. Die Organisatoren betonten, der der Kampf für die Volkssouveränität in Form der nationalen Selbstbestimmung gegen die globalistische und europäistische Oligarchie die heutige konkrete Form des Internationalismus sei. Moreno Pasquinelli, Sprecher von „Liberiamo l’Italia“, meine zum Abschluss in der Assemblea-artigen Versammlung, dass man das großartige Momentum nutzen würde, eine Basisbewegung mit Komitees im ganzen Land zu bilden. Denn die Demo hat zwar in Rom stattgefunden, doch es gab Teilnehmer aus allen wichtigen Teilen des Landes vom Norden bis zum Süden.
Wilhelm Langthaler