Was ist neu an der Neuen Rechten – sprich AfD?
gehalten von Rainer Brunath am 14.11. 2019
Ich denke, wir hier in unserer Runde brauchen keine Erklärungen, wo die Gefahren der Rechten im allgemeinen und der AfD im speziellen liegen. Wir müssen aber verstehen, …. verstehen, warum … warum wählen – und gerade in den neuen Bundesländern – so viele Menschen diese Rechte. Die Geschichte Deutschlands, die mit den Nazis zu tun hat, ist den Wählern mit sehr wahrscheinlich bekannt und mit Sicherheit wollen die AfD-Wähler nicht eine Wiederholung dieser Geschichte. Etwas also muss neu sein an der Rechten. Was ist das?
Das Neue an den Neuen Rechten, sprich AfD, findet man nicht in ihren politischen Programmen. Die werden so abgefasst, dass sie den Eindruck machen sollen, bürgernah zu sein. Sie orientieren sich dabei an Vorbildern aus dem gesamten demokratischen Spektrum. Das entscheidende und nicht sofort erkennbare aber ist: Die Neue Rechte (in allen Ländern Europas) verdreht in verklausulierten Textblasen die Krise des Kapitalismus, lenkt die Erklärung dafür auf angeblichen und vermeintlichen Verlust nationaler Souveränität und auf ein vermeintlich verloren gegangenes Zeitalter einer kulturellen (gemeint ist völkischen) Identität. Der Begriff „völkisch“ wird weitgehend vermieden, und wird ersetzt durch „kulturell“!
Als Sündenbock dafür werden die seit einigen Jahren in Europa vor sich gehenden Migrationsentwicklungen benannt. Die Migranten werden als die politischen Gegner ausgemacht, die den „kulturellen Verlust“ verschulden.
Nichts ist an dieser Politik neu. Im Gegenteil: sie hat Vorbilder im europäischen Faschismus.
Neu ist das Auftreten, neu sind die öffentlichen Formen (freundliches Blau statt schwarz-rot-weiß und Runen), die Nutzung aufwendiger Darstellungen und die Strategien der Kommunikation. Neu sind folglich auch die Vertriebs- und Verteilungswege sowie die Techniken der Vermarktung. Mit anderen Worten: Das Neue an den Neuen Rechten ist ihr Design.
Was ist das, dieses Design?
Ein moderner Bereich der „Gestaltung“ nennt sich „Public Interest Design“. Politische Kräfte nutzen das, ein politisches Design zu entwickeln, damit die Auftraggeber – also die Parteien – vom Wahlvolk als Akteure gesellschaftlicher Veränderungen wahrgenommen werden können. Wir kennen das von den großen Parteien, die Vereinfachungen, Plattitüden erfunden haben (oder durch Werbeagenturen erfinden ließen) und auch pragmatische Versprechungen, die ins Gegenteil umgedreht werden können. Und unter diesem neuen, erweiterten Designbegriff stellt sich in der Konsequenz die Frage: Was heißt es, im Sinne eines öffentlichen Interesses zu gestalten? Und weiter gegriffen: Was heißt es, wie gelingt es, das öffentliche Interesse selbst zu gestalten?
An diesem Punkt sehen wir, wohin die Reise gehen soll.
Die Neue Rechte hat ihre strategischen Vordenker, die im Hintergrund, im Gegensatz zum öffentlich auftretenden AfD, agieren. Zu jenen „Vordenkern“ gehört u.a. auch die „Identitäre Bewegung“. Wikipedia schreibt darüber:
Als Identitäre Bewegung bezeichnen sich mehrere aktive und völkisch orientierte Gruppierungen, die ihrem Selbstverständnis nach die Ideologie einer geschlossenen, ethnisch homogenen „europäischen Kultur“ (der Europäischen Völker) vertritt, deren „Identität“ vor allem von einer Islamisierung bedroht sei. Wissenschaftler und Verfassungsschützer beschreiben solche Vorstellungen als Rassismus ohne Rassen und ordnen diese Gruppen dem Rechtsextremismus zu.
Deutlich geworden ist das besonders in Österreich, aber auch in Ungarn oder Polen.
Martin Sellner, der sich als strategischer Kopf der Identitären Bewegung gefällt, wird nicht müde, den Angriff auf die offene und multikulturelle Gesellschaft als ästhetisches Vorhaben zu beschreiben.
Und der identitäre Aktivist Mario Müller sekundiert: „Die Identitäre Bewegung schafft nun auch alltägliche Kultur-, Sozial- und Freizeitangebote von rechts.“
Demnach haben große Teile der Rassisten die Bomberjacken abgelegt. Und tausende Kasernenstiefel wurden durch Sneakers (Turnschuhe) ersetzt. Ihren Fremdenhass und aggressiven Nationalismus haben die Rassisten durch Anpassung ihrer ästhetischen Erscheinung kaschiert, verdeckt, übertüncht.
Mittlerweile geben sie sich als zugewandte und sorgende Mitglieder einer pluralistischen Gesellschaft. Ihr nach außen getragenes Engagement vermählt sich mit den dominierenden Themen der Zeit: z.B. dem Umwelt- und Klimaschutz. So gründen manche der Neuen Rechten NGO-ähnliche Zirkel, engagieren sich im Naturschutz und sorgen sich um den Erhalt nachhaltiger Lebensräume – wie sich überhaupt die allermeisten bei nahezu jeder Gelegenheit als intellektuell engagiert und emanzipatorisch bewegt ausgeben.
Ideologische Form gewinnt diese Auffassung eines kulturell (sprich völkisch) gesäuberten Zusammenlebens im Konzept des „europäischen, Pluralismus“ . Die europäischen Völker sollen ethnisch definiert werden und jede ein qualitatives Merkmal haben. Dieses Merkmal, in Deutschland ist das „Arische“ gemeint, soll bestimmend für die jeweilige nationale Kultur sein, während kulturelle Durchmischung Kulturverlust bedeute. Vermeidung, sich mit anderen Kulturen zu infizieren, gelinge nur durch Abgrenzung. Die schützenswerte eigene Volkskultur kann so zu einem „gesunden Volkskörper“ führen.
Das ist schlichtweg hirnkrank!
Wer dieses Potenzial gestalten will, d.h. innerhalb dieser Ideologie Politik machen will, muss sich überlegen, in welchem Design es erscheinen soll. Das Herangehen der Neuen Rechten an diese Aufgabe ist „Identität“. Durch sie – also die Identität – werden die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse, die äußerst komplex sind, auf die vorgeblichen Wesenskerne, nämlich Kultur, Nation und Volk reduziert. Die Vielschichtigkeit der modernen Gesellschaft wird somit vereinfacht dargestellt, und soll so für den Normalbürger (also für den irre geleiteten Wähler) angeblich durchschaubar dargestellt werden.
Die Neuen Rechten sind mitten unter uns, sie sind Kinder und Bewohner moderner Gesellschaften. Entsprechend geübt sind sie im Umgang mit den Mechanismen derselben. Sie, die Neue Rechte stellt die demokratischen und linken Kräfte vor die Aufgabe, die Gesellschaft präziser als bisher zu beschreiben und Politik daraus zu entwickeln. So scheint die ursprünglich erstmalig von sozialistischen Parteien erkannte „nationale Frage“, was mit der Sehnsucht der Menschen nach Heimat und Verbundenheit zusammenhängt, von der Neuen Rechten okkupiert worden zu sein, was dann zumindest in den Ländern der ehemaligen DDR zum Erfolg der AfD führte.
Die Solidarität der Völker kommt bei den Neuen Rechten nicht vor, die ja statt dessen das Konkurrenzprinzip zum Guru erhebt. Hier ist der Punkt, den die demokratischen Kräfte aufgreifen und mit der „nationalen Frage“ verbinden sollten.