von Stefan Rossi*
Als EU-Kritiker werde ich oft mit dem Vorwurf konfrontiert politisch rechts zu stehen, während die EU selbst als politische Mitte oder sogar links bezeichnet wird. Vor allem junge Menschen verorten die EU wegen Integrationsprozess und Personenfreizügigkeit als links und beschuldigen die Kritiker Mauern zwischen den europäischen Völkern bauen zu wollen. Leider verkennen die Befürworter, dass dieser Völkerbund keine linken Werte verteidigt, sondern rechte Wirtschaftspolitik unter dem Deckmantel der Völkerverständigung transportiert und die Europäer im Interesse der Großkonzerne gegeneinander ausspielt. Die EU kann somit nicht als links, rechts oder Mitte bezeichnet werden, tatsächlich verfolgt sie einen bipolaren Ansatz der zwar gesellschaftspolitisch vermeintlich links ist aber wirtschaftspolitisch rechts. Dies gilt auch für die meisten Parteien Europas die sich selbst als politische Mitte bezeichnen.
Links oder rechts?
Ist es nicht so, dass linke Politik die Interessen des “kleinen Mannes” vertreten sollte, für gerechte Löhne und zeitgemäße Sozialstandards? Davon kann in der neoliberalen EU keine Rede sein. Der Lohnfindungsprozess hat sich im europäischen Binnenmarkt zu Gunsten der Arbeitgeber entwickelt und Gewerkschaften können ihre Lohnforderungen nicht einmal ansatzweise durchsetzen, da die Arbeitgeberseite regelmäßig damit droht die Produktion in ein anderes Mitgliedsland zu verlagern.[i] Besonders Großkonzerne haben hier einen Vorteil, da sie in der Regel bereits über mehrere Standorte in der EU verfügen und problemlos Teile der Fertigung in ein anderes Werk übertragen können. Durch die drohenden Arbeitsplatzverluste bleibt den Gewerkschaften nichts anderes übrig als das Angebot der Arbeitgeberseite zu akzeptieren da eine Lohnzurückhaltung das kleinere Übel darstellt. Mit dem gleichen Drohpotenzial werden die nationalen Regierungen unter Druck gesetzt die Unternehmenssteuern niedrig zu halten bzw. zu senken.[ii] Dadurch ist es den Unternehmen gelungen sich vor ihrem gerechten Anteil an der Finanzierung der von ihr benötigten Infrastruktur zu drücken,[iii] Arbeitnehmer werden schließlich in Schulen und Universitäten ausgebildet und pendeln zum Arbeitsplatz auf öffentlichen Straßen und Verkehrsmitteln. Aber nicht nur die drohende Auswanderung der Unternehmen hat zu einer Senkung des Lohnniveaus geführt, sondern auch die Personenfreizügigkeit die massive Migrationsbewegungen innerhalb der EU zur Folge hat.[iv] Durch die Auswanderung aus den osteuropäischen Ländern, die wirtschaftlich noch nicht aufgeholt haben, und dem krisengebeutelten Süden des Kontinents, wurden die Arbeiter in den Zielländern verstärkter Konkurrenz ausgesetzt, der sie sich nur durch Lohnverzicht zur Wehr setzen konnten. Einst riefen die Linken “Arbeiter aller Länder vereinigt euch”, doch momentan stehen sich die Arbeiter der EU-Länder feindselig gegenüber und kämpfen mit Lohnverzicht, um ihre Arbeitsplätze. Englische EU-Kritiker nennen das “The race to the bottom”, die kontinuierliche Abwärtsspirale aus sinkenden Löhnen, Renten, Sozialstandards und Unternehmenssteuern. Versucht ein Land sich dieser Entwicklung zu widersetzen hat es im Binnenmarkt und vor allem in der Eurozone keine Überlebenschance. Einst dienten die Wechselkurse bei Lohnsenkungen eines Handelspartners als Puffer, da die anderen Länder dies durch Abwertung ihrer Währung kompensieren konnten, mit einer Einheitswährung ist dies jedoch nicht mehr möglich. Die südeuropäischen Länder, die versuchten ihre Wirtschaft mit Konjunkturpaketen zu stimulieren mussten feststellen, dass mit dem Geld vor allem deutsche Produkte gekauft wurden, da Deutschland durch Lohnverzicht eine sogenannte innere Abwertung vorgenommen hatte.[v] Dieser Lohnverzicht war ein klarer Bruch der Verträge von Maastricht weil dadurch die deutsche Inflation über mehrere Jahre unter dem geforderten Zielwert von 2% blieb.[vi] D.h. also die Krisenländer haben sich verschuldet und statt der eigenen nur die deutsche Wirtschaft stimuliert, was mit einer eigenen Währung nicht passiert wäre. Griechenland war das erste Opfer dieser Wirtschaftspolitik, andere werden zwangsläufig folgen.
Kann man also diese EU als links bezeichnen? Wirtschaftspolitisch jedenfalls nicht und die gesellschaftspolitischen Aspekte, vor allem die Personenfreizügigkeit, wären eigentlich eine linke Position, wenn die Unternehmen sie nicht zur Lohndrückerei nutzen würden. Alle EU-Migranten die ich in England und Deutschland kennengelernt habe wollten ihre Heimat nie verlassen, waren aber aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation dazu gezwungen. Es ist eine (vor allem deutsche) sozialromantische Verklärung wenn die Menschen glauben, dass die EU-Bürger aus Abenteuerlust oder kulturellem Interesse umsiedeln. Die EU kann also durchaus als rechts bezeichnet werden, da selbst die gesellschaftspolitischen linken Merkmale nur der Durchsetzung einer rechten Wirtschaftspolitik dienen. Dies sollte bedingungslosen EU-Unterstützern aus dem vermeintlichen Mitte-Links-Lager zu denken geben, allen voran den Wählern der sozialdemokratischen und grünen Parteien. Bei diesen wird zwar Reformbedarf angemeldet aber es darf auf keinen Fall Druck, z.B. durch eine Austrittsdrohung, ausgeübt werden, doch ohne diesen Druck wird sich die EU sicherlich nicht reformieren lassen. Vor allem Deutschland profitiert momentan von Binnenmarkt und Währungsunion, warum sollte es also einer Reform zu seinem Nachteil zustimmen? Da eine Änderung der europäischen Verträge Einstimmigkeit erfordert ist davon auszugehen, dass es zu solch einer Reform nicht kommt. Auch die Steueroasen innerhalb der EU (z.B. Luxemburg und die Niederlande) profitieren von der nationalen Steuersouveränität gepaart mit dem freien Kapitalverkehr und haben kein Interesse an einer Änderung des Status Quo.
Was tun?
Gibt es überhaupt einen Ausweg aus der derzeitigen Situation? Die vielzitierte Transferunion die momentan bei Macron und den deutschen Grünen hoch im Kurs steht halte ich nicht für eine geeignete Lösung. Transfers sind nur eine Mittel gegen die Symptome doch die ursächlichen Probleme werden dadurch nicht gelöst. Es gibt genügend europäische Beispiele die belegen, dass Transfers zu Unmut bei den Geberregionen und zu keiner Besserung in den Regionen der Empfänger führt, z.B. Nord-/Süditalien, Nord-/Südspanien, West-/Ostdeutschland, Süd-/Nordengland. Besser wäre die Rückkehr zu nationalen Währungen und Kapitalverkehrskontrollen, was jedoch in krassem Gegensatz zu den Interessen der deutschen Exportindustrie steht. Nur eine Austrittsdrohung hätte eventuell das Potential Deutschland zum Einlenken zu bewegen und falls nicht, muss das jeweilige Land auch bereit sein seine Drohung umzusetzen. Hier sind besonders die Netto-Zahler Frankreich und Italien gefragt, warum sollen sie eine Union mitfinanzieren die ihre Wirtschaft schwächt? Bei Netto-Empfängern wie Spanien wird es wahrscheinlich schwer die Bevölkerung von einem Austritt zu überzeugen. Die spanische Wirtschaft leidet zwar auch unter dem deutschen Lohndumping und der von der EU verordneten Austerität, aber solange EU-Gelder ins Land fließen wird sich kein Widerstand mobilisieren lassen.[vii] Dasselbe gilt auch für die osteuropäischen Länder, noch dazu verfügen sie über eine eigene Währung wodurch ihre Wirtschaften etwas mehr Luft zum Atmen haben. Diese Länder sind zwar formal verpflichtet den Euro einzuführen sobald sie die Konvergenzkriterien erfüllen, doch eines dieser Kriterien ist allerdings die Teilnahme am Wechselkursmechanismus II. Da sie eine Teilnahme verweigern haben sie die Möglichkeit ihren Beitritt zur Eurozone auf die lange Bank zu schieben. Das heisst nach dem Austritt Großbritanniens liegt es vor allem an Frankreich und Italien Druck auf Deutschland auszuüben und zu einer Reform zu bewegen. Leider waren die Bemühungen beider Länder in den letzten Jahren nicht von Erfolg geprägt. Frankreich entschied sich mit der Wahl von Macron für den Weg der Kooperation mit Deutschland doch wurden seine Vorschläge von deutscher Seite freundlich aber bestimmt zurückgewiesen.[viii] In Italien scheint die Anti-EU-Stimmung ausgeprägter zu sein, doch solange seine Geldversorgung von der EZB abhängt ist ein Austritt unmöglich. Durch die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die sogenannten Mini-Bots, könnte Italien diese als Ersatzwährung für den Euro verwenden und somit von der EZB unabhängig werden, zumindest theoretisch ein potentielles Druckmittel.[ix] Da zur Zeit die EU-freundliche PD in der Regierungskoalition vertreten ist wird ein solches Szenario wahrscheinlich nicht intern diskutiert.
Weiter so?
Da sich die europäischen Mitte-Links Parteien nicht zu einem Anti-EU Kurs durchringen können, ruhen die letzten Hoffnungen auf linken EU-kritischen Parteien oder Bewegungen wie z.B. La France insoumise oder Liberiamo l’Italia, ansonsten müssen wir wohl oder übel mitansehen wie rechte Parteien immer mehr Zulauf erhalten und die heute noch bipolare EU irgendwann nicht mehr nur wirtschaftspolitisch sondern auch gesellschaftspolitisch auf der rechten Seite steht. Das ganze Drama, dass Europa glaubte hinter sich gelassen zu haben, könnte wieder von vorne beginnen.
* Stefan Rossi – Tontechniker, geboren 1974 in München, als Produktionstechniker für Sportübertragungen tätig. Ende der 90er bis 2008 positiv gegenüber EU und Euro eingestellt, doch nach der Eurokrise, den fortwährenden Problemen Südeuropas und den Wahlerfolgen rechter Parteien intensiver mit dem Thema beschäftigt.
[i] Die Metall- und Elektroindustrie hat im vergangenen Jahr mit einer Netto-Umsatzrendite von 3,6 Prozent ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Und trotzdem drohen die Unternehmer mit der Abwanderung von Investitionen und Arbeitsplätzen. Dass die Beschäftigten an den satten Gewinnen beteiligt werden sollen und müssen, lehnen die Arbeitgeber strikt ab.
[ii] Die mittlere Steuerbelastung für Unternehmen in der EU liegt derzeit bei 22 %, während die deutschen Firmen durch Körperschafts- und Gewerbesteuer mit durchschnittlich 30 bis 32 % belastet werden. Als Folge verstärkt sich die Abwanderung deutscher Industriefirmen ins Ausland.
[iii] Die Gesamt- einnahmen aus Steuern auf Unternehmens- und Vermögenserträge, um die es in der vorliegenden Studie geht, betrugen dabei rund 156,8 Milliarden Euro und damit 22,2 Prozent des gesamten Steueraufkommens.
[iv] Die gewerkschaftsnahe Hans Böckler-Stiftung hat errechnet, dass die Löhne und Gehälter in Deutschland zwischen 1995 und 2004 um – preisbereinigt – 0,9 Prozent gesunken sind. Seit 1992 gab es (bis 2016) keine Reallohnerhöhung. Das ist freilich nicht nur dem ständigen Zufluss billiger Arbeitskräfte im Gefolge des Zusammenbruchs von Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und Sowjetunion sowie Bürgerkriegen und NATO-Intervention in Jugoslawien et cetera geschuldet, aber die Migration trägt ihr Scherflein dazu bei.
[v] Deutschland hat die Euroeinführung genutzt, um 2002 und 2003 eine Abwertungsstrategie zu fahren und die anderen Euroländer unter Druck zu setzen. Zehn Jahre vorher hätten Frankreich und Italien in einer solchen Situation ihre Währung abgewertet, und die Sache wäre erledigt gewesen. Aber mit dem Euro ging das nicht mehr.
[vi] https://www.iwipo.eu/arbeitsfelder/europaeische-integration/die-eurokrise-am-beispiel-griechenlands/
[vii] https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/europa/70580/nettozahler-und-nettoempfaenger
[viii] Vor allem Deutschland steht Fuchs zufolge auf der Bremse, was eine Vertiefung der deutsch-französischen Beziehungen angeht. Macron hingegen habe diesbezüglich am Anfang Schwung gehabt.
[ix] Sie ermöglichen es, schleichend eine Ersatzwährung für den Euro einzuführen. “Es geht um die Stärkung der Verhandlungsposition gegenüber Brüssel und Frankfurt”, sagt Mayer. In Rom habe man sich genau angeschaut, wie es der Syriza-Regierung in Griechenland im Streit mit der EU-Kommission und der EZB erging – und daraus Lehren gezogen.