Werkkreis Literatur der Arbeitswelt

 

Veranstaltung mit:

Univ.-Doz. Dr. Albert F. Reiterer, Gesellschaftswissenschafter Geboren: 1948, somit in Pension nach einem bunten Lebenslauf in der Wirtschaft, der amtlichen Statistik und im akademischen Ambiente. Aktiv und interessiert an Theorie und Praxis von Wirtschaft und Gesellschaft: Politische Ökonomie und Historischer Materialismus. Fungiert als einer der Sprecher des Proponentenkomitees von Euro Exit:

Spricht zur

Politischen Ökonomie des Imperiums

Zeit: Dienstag,17.5.2016, 18.30

Ort: Projektraum MAG 3, Schiffamtsgasse 17, 1020 Wien

Erreichbar über U2 Taborstrasse oder U4 Schottenring (Ausgang U2 Herminengasse)

Veranstalter: Volksakademie in Kooperation mit webbrain, werkkreis Literatur der Arbeitswelt und MRP (Menschenrechtspartei

Wir danken Gue Schmidt (MAG 3) für die freundliche Unterstützung

  1. Thesen

(1) Die EWG entstand als superimperialistischer Pol zur Abwehr des damals für viele noch attraktiven Sowjetkommunismus. Nebenzweck war die Zähmung des nationaldeutschen Imperialismus. Die Politiker waren vorerst stärker am außenpolitischen und militärischen Aspekt interessiert (WEU!). Die Zollunion war für sie ein Substitut – nicht unwichtig, aber nicht prioritär.

(2) Doch die EWG war von vorneherein be- und geladen mit den Ambitionen der Ideologen. Alexandre Kojève, der sich selbst den letzten (bürgerlichen) Theoretiker des Stalinismus nannte, sah sie als wesentlichen Schritt zum platonischen Imperium. Über Gesinnungs­genossen wie Robert Marjolin erhielten sie unmittelbar Einfluss auf die Zentralbürokratie. Sie bestimmten die Rhetorik, welche die Politiker nicht, sie selbst aber ganz und gar ernst nahmen.

(3) Sie entdeckten schnell die Währungsunion als Hauptvehikel ihrerAbsichten. Einige Politiker sahen die Möglichkeiten einer Fundamentalpolitik ohne Kontrolle und sprangen auf und zogen die anderen mit. Die ersten Versuche in den 1970ern und 1980ernwaren allerdings ein jämmerlicher Misserfolg.

(4) Mit dem politischen Paradigmenwechsel vom Keynesianismus zum Monetarismus wurde die Währungsunion Hauptziel der EG-Politik. Dieser wirtschafts- und sozialpolitische Paradigmenwechsel wurde durch die neue weltpolitische Situation ermöglicht. Der Zusammenbruch des „Realsozialismus“ bot die Gelegenheit, ein „Ende der Geschichte“ nach konservativ-bürgerlichem Geschmack anzustreben. Das Zerbröseln der Diktaturen im Olivengürtel war eine weitere Gelegenheit. Nun hatte man die Möglichkeit, diese neue Politik der akzentuierten Ungleichheit und des übernational-bürokratischen Staats zu verwirklichen. Die Beuteareale waren einzusammeln.

(5) Insbesondere die Sozialdemokraten (Mitterrand / Delors, Brand / Schmidt; im Rahmen ihrer Möglichkeiten Soares, Gonzales, Vranitzky und Persson) wurden zu Janitscharen neoliberalen Imperiums-Bildung.

(6) Was man in Südeuropa erfolgreich und noch mit einer gewissen Schonung durch­exerziert hatte, wurde in den 1990ern mit aller denkbaren Brutalität in Osteuropa wiederholt: Die ganze Region wurde nun auf eine ganz neue Weise zur „Zweiten Welt“.

(7) Gleichzeitig ging es um den Aufbau des politischen Apparats, des nachnationalen bürokratischen Staats. Er sollte einen Verwaltungsföderalismus darstellen, in dem aber im wichtigsten Bereich, im wirtschaftspolitischen, das bürokratische Zentrum die Politik vorgab. Dazu war die Währungsunion unerlässlich. Dass sie eine Wachstums- und Wohlfahrts­bremse sein würde, war zumindestens Einigen der Protagonisten voll bewusst. Das aber nahm man in Kauf, zumal die Frage ja schließlich ist: Wohlstand für wen?

(8) Die Einheitswährung brachte zuerst und eher unerwartet einen Schub für die Peripherie – es war eine Blase, wie wir mittlerweile wissen. Die Finanzkrise ließ sie platzen. Mittlerweile ist der Euro Kern und Symbol des Ausbaus, noch mehr der Verteidigung des Imperiums EU. Gerade weil der Euro keine optimale Währungszone konstituiert, muss er erhalten werden. Daneben geht es natürlich um das von den Gläubiger-Banken eingeforderte Kleingeld.

(9) Die politische Klasse in Europa (Christlichsoziale, Sozialdemokraten, Grüne, Liberale), und zwar sowohl die Brüsseler Bürokratie als auch die nationalen Regierungen nützen die Gelegenheit in einer reaganistischen Strategie der Überrumpelung (so wie die Reagan-Regierung 1980) die Entdemokratisierung des Kontinents einen mächtigen Schritt weiter zu treiben. Das „europäische Semester“, die „Wirtschaftsregierung“ und der ESM (der so genannte „Euro-Rettungsschirm“) sollen gerade jene Politik unumkehrbar machen, welche zur derzeitigen Situation geführt hat.

(10) Diese Situation ergibt Chancen für die Linke, die sie seit Jahrzehnte nicht hatte. Allerdings wird dies keine klassische linke Politik sein, sondern ein unorthodoxer Kampf ungewohnter Bündnispartner.

MAG3

Schiffamtsgasse 17, 1020,Wien

Synonym Projektraum MAG3 Leitung 2006 – Fro, Fritz 2006 – Schmidt, Gue

Drittes Forum der Europäischen Anti-Euro-Koordination

Was kommt nach der EU?

16.-18. September 2016, Chianciano Terme, Siena, Italien

Mehrsprachige Website des Forums, die laufend aktualisiert wird: www.noeurointernationalforum.com

 

[dt_highlight color=““ text_color=““ bg_color=““]Freitag, 16. September[/dt_highlight]

10:00 Eröffnungsversammlung

Warum die EU nicht reformiert werden kann und aufgelöst werden muss

Tariq Ali, Julio Anguita, Luis Bernardo, Inge Höger, Dimitris Kazakis, Costas Lapavitsas, Leonardo Mazzei, Luka Mesec, Pedro Montes, Jacques Nikonoff, Jacques Sapir, Panagiotis Sotiris, Marco Zanni

15:30 Foren

1: Deutschland – wer ist gegen die gemeinsame Währung?

Inge Höger, Paul Steinhardt, Thomas Zmrzly

2: Spanien – linkes Dilemma mit EU und Euro

Josep Manel Busqueta, José Luis Centella, Diosdado Toledano

3: Griechenland – wie ein Nationalstaat zugrunde gerichtet wird

Giannis Rachiotis, Dimitris Mitropoulos, Themis Symvoulopoulos

21:30 Forum

4: Brexit

Tariq Ali, Giorgio Cremaschi, Costas Lapavitsas

[dt_highlight color=““ text_color=““ bg_color=““]Samstag, 17. September[/dt_highlight]

9:30 Foren

5: Frankreich: Bündnisse für die Deglobalisierung

Jacques Cotta, Michèle Dessenne, Joël Perichaud, Yves Rouillé

6: Wie einem neuen globalen Finanzsturm begegnen?

Pedro Montes, Ernesto Screpanti, Paul Steinhardt

7: Italien: Wer wird die Führung des Euro-Austritt übernehmen?

Alberto Bagnai, Luciano Barra Caracciolo, Alfredo D’Attorre

15:30 Foren

8: Osteuropa – Widerstand gegen die Euro-deutsche Herrschaft

Luka Mesec, Antti Pesonen, Wassili Wolga

9: Populismus – Anathema oder Chance für demokratische Veränderung?

Jacques Cotta, Carlo Formenti, Manolo

10: Euro-Oligarchie, nationale Souveränität und Demokratie

Gilles Amiel de Ménard, Ramon Franquesa, Mimmo Porcaro

 

21:30 Forum

11: Migration und das Ende von Schengen

Leonidas Chryssanthopoulos, Marco Mori, Marija Muratowa, Albert Reiterer, Panagiotis Sotiris

[dt_highlight color=““ text_color=““ bg_color=““]Sonntag, 18. September[/dt_highlight]

9:30 Schlussversammlung

Strategien und Allianzen für die Befreiung

Ramon Franquesa, Dimitris Kazakis, Willi Langthaler, Costas Lapavitsas, Jacques Nikonoff, Moreno Pasquinelli, Giannis Rachiotis

 

Der Verrat der Europäischen Union an ihren proklamierten Zielen von Gerechtigkeit, Brüderlichkeit, Freiheit, Kooperation, Solidarität und Frieden hat sich abermals an den kürzlich mit Großbritannien und der Türkei geschlossenen Verträgen gezeigt. Die Masken fallen und das wahre Gesicht wird immer deutlicher sichtbar.

Nur eine kleine Minderheit hatte sich seinerzeit gegen die „Absurdität“ aufgelehnt zutiefst ungleichen Volkswirtschaften eine gemeinsame Währung und so unterschiedlichen Gesellschaften gemeinsame Institutionen aufzuzwingen. Das Währungsregime ist heute in der Tat auf ein Monopol der Geldschöpfung durch ein supranationales, hyperfinanzialisiertes System gestützt, das gegen die Staaten und die Bevölkerungen spekuliert.

Doch was als „absurd“ erscheinen könnte hat tatsächlich seine eigene Rationalität: Die Schleifung der Nationalstaaten entspricht den konvergierenden Interessen der verschiedenen Bourgeoisien, in erster Linie den großen transnationalen Konzernen, den finanziellen wie industriellen, die seit langem zusammenwirken.

Die europäistische Erzählung verdeckte die neoliberale Ideologie (eingemeißelt in die Verträge der Union), die politisches Eingreifen in die Märkte zurückweist. Alle Hindernisse für die Diktatur des Kapitals über die Arbeit wurden niedergerissen, die unbegrenzte Bewegungsfreiheit des Kapitals hergestellt. Öffentliches Eigentum war zu privatisieren.

Die große Mehrheit der europäischen Linken ist schuldig dieses reaktionäre Konstrukt als fortschrittlich bezeichnet und verteidigt zu haben. Das war ein unerhörter Verrat an den Interessen und Aspirationen der Masse der Bevölkerung. Es handelte sich um einen zweiten „4. August“ (1), begangen im Namen einer neoliberalen Globalisierung die zynisch als internationalistisch „verkauft“ wurde.

Unter den Schlägen des aus den USA kommenden Finanzsturms stand die Europäische Union am Rande der Implosion. Der Zusammenbruch konnte nur mit extremen Notmaßnahmen verhindert werden, deren enorme soziale Kosten von der breiten Masse der als PIGS (2) und/oder „Peripherie“ bezeichneten Länder getragen wurden.

Die Völker versuchten auf verschiedene Weise dem sozialen Massaker Widerstand entgegenzusetzen, durch große Mobilisierungswellen von unten an den Wahlurnen, wodurch neue politische Bewegungen und Parteien entstanden. Diese, manchmal ohne ideologische Festlegung und oft transversal und sozial heterogen, haben nicht nur die Zurückweisung der Abbau- und Austeritätspolitik, der neoliberalen Erpressung, sondern auch den Wunsch nach Wiedergewinnung der verlorenen oder verratenen nationalen und Volkssouveränität zum Ausdruck gebracht.

Die „Rettungsoperationen“ der EU in Form von Austeritätsmaßnahmen, die bis heute in den Mitgliedsstaaten durchgeführt werden, haben zerstörerische Auswirkungen.

Tatsächlich zeigt der Gang der Dinge, dass der Euro und die Union sich in Auflösung befinden. Die Versuche der herrschenden Klassen dies zu verhindern verlängern nur die Agonie der EU. Ihr Ende ist unabwendbar. Die Pro-EU-Eliten, von unten immer mehr angezweifelt, werden ihren Platz soziopolitischen Kräften der Veränderung abtreten müssen. Diese werden morgen gefordert sein, die verschiedenen Nationen zu führen, die ihre Souveränität wiedergewonnen haben. Die Kräfte haben unterschiedlichen Klassencharakter und verfolgen unterschiedliche, in gewissen Fällen sogar entgegengesetzte Ziele. Während in einigen Ländern die Parteien der reaktionären und xenophoben Rechten (manche unter ihnen sogar noch wirtschaftsliberaler und antidemokratischer als die heutigen Regierungen) nach vorne drängen, steigen in anderen politische Massenbewegungen für die Wiederherstellung der Demokratie und die Reduktion von Ungleichheit auf… Mit den Letzteren ist es möglich eine Einheitsfront zur Sprengung des europäischen „Gefängnisses“ zu bilden, sowie Demokratie und soziale Gerechtigkeit herzustellen. Jedes Volk kann so seine Souveränität und Unabhängigkeit wiedergewinnen. Uns ist klar, dass die Befreiung nicht einfach sein wird.

Man hat erlebt in welcher Weise in Griechenland der Staat seiner Souveränität beraubt wurde und wie das griechische Volk in eine Masse von Individuen ohne Rechte verwandelt wurde. Die supranationalen neoliberalen Institutionen können als terroristisch bezeichnet werden.

Die Völker bedürfen politischer Parteien mit Mut, klaren Ideen und Zielen – anders als Syriza. Sie werden sich nicht befreien können, wenn sie den Prozess der demokratischen Revolution nicht bis zum Ende gehen. Andernfalls könnte uns das Zusammentreffen der Krise der neoliberalen Globalisierung und dem Zerbrechen der Europäischen Union sowie des Euro in eine neue Barbarei stürzen.

Das Dritte Internationale Forum will einen offenen Raum für Diskussionen zwischen den verschiedenen demokratischen Kräften bieten. Sie sollen der der Entwicklung einer gemeinsamen Strategie dienen, die die Basis für eine internationalistische Allianz der Völker und Nationen auf der Grundlage des Austritts aus dem Euro, der EU und der Nato legt. Angesichts der neoliberalen Globalisierung brauchen wir einen Prozess der Deglobalisierung, der in jedem unserer Länder konzipiert und ins Werk gesetzt werden soll.

Alle, die an dieser großen Aufgabe mitwirken wollen, laden wir zur Teilnahme am Dritten Internationalen Forum ein.

 

Europäische Anti-Euro-Koordination

Antikapitalistische Linke, Nordrhein-Westfalen
EPAM, Griechenland
Euroexit, Personenkomitee gegen Sozialabbau, Österreich
Initiative für eine Kommunistische Linke, Griechenland
Manifiesto Socialismo 21, Spanien
P101, Movimento di liberazione popolare, Italien
Pardem, Parti de la démondialisation, Frankreich
Salir del Euro, Spanien

1 Am 4. August 1914 verriet die Sozialdemokratie das Prinzip der Verteidigung des Friedens in dem sie für den Bruderkrieg zwischen den europäischen Völkern stimmte.

2 PIGS (wörtlich Schweine) ist eine Abkürzung die erstmals von Journalisten 2008 für folgende vier Länder der EU verwendet wurde: Portugal, Irland, Griechenland und Spanien.

 

Vorläufige Liste der Rednerinnen und Redner

Germany

  • Inge Höger, MP Die Linke
  • Paul Steinhardt, former Frankfurt investment banker, economist, editor makronom.eu
  • Thomas Zmrzly, activist of the German Eurexit committee

Great Britain

  • Tariq Ali, author

France

  • Jacques Nikonoff, economist, former speaker of Attac, president of Pardem (Party of deglobalisation)
  • Jacques Cotta, film maker, journalist with France Télévision and political author. Founder of the website “la sociale”
  • Jacques Sapir, economist and author
  • Yves Rouille, former leader of the union CGT
  • Gilles Amiel de Ménard, scientist, Pardem

Greece

  • Costas Lapavitsas, economist, former MP of Syriza and founder of the European Network Research Network on Social and Economic Policy
  • Costas Isichos, Popular Unity and ex minister of the first SYRIZA government
  • Alekos Alavanos, Plan B, economist, leading figure of the left movement
  • Nikos Galanis, Popular Unity and Initiative of Communist Left
  • Panagiotis Sotiris, philosopher and member of Popular Unity
  • Dimitris Mitropoulos, Popular unity and Initiative of Communist Left
  • Dimitris Kazakis, economist, leader of the United Popular Front EPAM
  • Leonidas Chryssanthopoulos, former ambassador for Greece
  • Themis Symvoulopoulos, employee of ERT (public media outlet), EPAM

Ukraine

  • Maria Muratova or Victor Shapinov, both leading members of Borotba exiled on Crimea and in Donbass
  • Vasilji Volga, Union of Leftist Forces

Italy

  • Mimmo Porcaro, intellectual of the no-euro left
  • Carlo Formenti, sociologist, university professor, scholar of populist phenomena
  • Alfredo D’Attore, MP, former Democratic Party, now one of the leading exponents of the nascent „Italian Left“ party
  • Vladimiro Giacchè, economist (Communist Left)
  • Giorgio Cremaschi, Ex-president of the FIOM (CGIL metalworkers‘ union), current spokesman for the National „Euro-stop campaign“
  • Alberto Bagnai, economist, editor Goofynomics
  • Luciano Barra Caracciolo, jurist and editor of Limes
  • Moreno Pasquinelli, Movimento di Liberazione Popolare – Programma 101
  • Leonardo Mazzei, Movimento di Liberazione Popolare – Programma 101

Spain

  • José Luis Centella, secretary general Communist Party of Spain
  • Josep Manel Busqueta, former MP for CUP, Catalonia
  • Pedro Montes, economist and president of Socialismo21
  • Diosdado Toledano González, Salir del Euro
  • Manolo Monereo, political analyst and candidate for Unidos Podemos
  • Ramón Franquesa, professor for world economy at the Universidad de Barcelona, co-ordinator Frente Cívico de Cataluña

Austria

  • Albert F. Reiterer, sociologist
  • Boris Lechthaler, Solidarwerkstatt
  • Leo Gabriel, social anthropologist and leading member of the World Social Forum
  • Wilhelm Langthaler, author, speaker of the Anti-imperialist Camp
  • Gernot Bodner, physician and founding member Euroexit.org

Portugal

  • Luís Bernardo, member editorial board Portuguese edition Le Monde Diplomatique. Previously member Attac Portugal. Co-initiated the European Lexit Nework

Slovenia

  • Luka Mesec, United Left (Združena levica)

Finland

  • Antti Pesonen, IPU (Independence party)

Site of the Second Forum

Die „Undenkbarkeit des Bruchs“ und seine Folgen: Stefan Hinsch / Wilhelm Langthaler (2016): Europa zerbricht am Euro. Unter deutscher Vorherrschaft in die Krise. Wien: Promedia. 204 Seiten. € 17,90

Die Euro-Krise stellt einen Bruch in der EG / EU-Entwicklung dar. Sie macht den bis damals verhüllten Gegensatz zwischen den Eliten samt ihrer Gefolgschaft in den (oberen) Mittel­schichten und dem immer stärker prekarisierten Unterschicht-Verband einer deutlichen Mehr­heit der Bevölkerung eklatant sichtbar, ebenso wie den Gegensatz zwischen dem Zentrum und den Peripherien im Süden und im Osten. Was aber heißt dies politisch für die, welche Partei für die „Erniedrigten und Beleidigten“, für die Unterschichten und Subalternen ergreifen? Noch folgt aus diesem Bruch nicht die weit verbreitete Notwendigkeit des Bruchs mit dem EU-System. Aber die „Undenkbarkeit des Bruchs“ (S. 48) ist keineswegs mehr so fixiert, wie noch vor zwei Jahren. Die Bevölkerung hat diese Notwendigkeit in starkem Maß bereits realisiert. Schwer tun sich dagegen die linksliberalen Intellektuellen.

Die beiden Autoren beschreiben die politische Entwicklung der EG/EU in den letzten Jahren und seit ihren Anfängen in ihrer Verschränkung von strukturell-ökonomischen und monetären Gegebenheit einerseits und der politischen Verarbeitung dessen. Im Zentrum steht deie Rolle der BR Deutschland. Die EWG entstand aus dem französischen Willen, ds neue Nachkriegs-Deutschland zu zähmen und gleichzeitig seine bewunderte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unter französischer Hegemonie zu nutzen.

In analoger Weise war die Währungsunion bzw. die EU nach der Einheitlichen Europäischen Akte bzw. Maastricht insgesamt von Paris us konzipiert. Sie wurde den damals sehr zögern­den Deutschen aufgedrängt. Heute ist die BRD oder vielmehr ihre Exportwirtschaft die große Gewinnerin. Aber nicht nur die Exportwirtschaft: Doie politischen Eliten haben einen Gewinn daraus gezogen, den sich Paris 1992 / 93 vermutlich nicht in den schlimmsten Träumen vorstellen konnte. Aber die Währungsunion musste „naturnotwendig“ die stärkere Wirtschaft begünstigen. Die Peripherisierung des Südens und die sich abzeichnende Abstufung der Rolle Frankreichs ins zweote Glied hätte sich eigentlich voraus sagen lassen.

Aber: Diese Entwicklung sprengt die Grundlage der E(W)G, den Historischen Kompromiss zwischen Frankreich und Deutschland. Damit wird aber die Geschäftsgrundlage der EG / EU selbst hinfällig. Das ist die zentrale Aussage des Buchs.

In einer kurzen Besprechung können die vielen Denkansätze in diesem Buch nicht einmal erwähnt werden. Nur noch zwei Hinweise:

Die sogenannte westeuropäische Integration ist Globalisierungsgeschichte. Globalisierung ist ein politischer Begriff, in Kontrast zum sozioökonomischen und kulturellen der Mondialisie­rung. Dieses Buch analysiert die Geschichte der EU und des Euro denn auch als regionalen Vorgang der Globalisierung. Der Europäismus ist eine Form des Globalismus, nicht etwa ihre Eingrenzung oder Regulierung. Daraus ergibt sich klar, wie grotesk die Hoffnung jener ist, die mittels EU die Globalisierung in den Griff bekommen wollen. Dieser Internationalismus der Eliten ist das gerade Gegenteil davon, was Internationalismus einmal war.

Eine Strategie daraus ist eine neue Betonung der nationalen Souveränität, die auch den Subalternen einen Einstie in die Teilnahme an Politik als selbstbestimmten Prozess bietet.

Es wären eine Reihe kritischer Anmerkungen fällig. Die Teile, die man eher als ökonomisch bezeichnen möchte, und jene zur politischen Analyse und Strategie sind mitunter nicht gut integriert. Die ökonomischen Ausführungen sind oft erstaunlich orthodox, während die politischen Passagen konsequent die Kritik am Euro-System durchhalten. Gerade im Diskurs um Geld- und Währungsfragen muss man sich vor ökonomistischen Zugängen hüten, vor solchen, welche Geld lediglich als ökonomisch-technische Kategorie auffassen. Die diversen sozialen Funktionen von Geld werden von der „Fach-Theologie“ z. T. vergessen, teils aber ideologisiert. Die ausgedehnten Passagen des Buchs, die sich mit der Währung befassen, gehen nicht selten in diese mainstream-Falle.

Das Buch kann als Ausgangspunkt einer gründlichen Debatte zum Thema EU und Euro sowie der damit verbundenen Problematiken – Demokratieabbau, Zerstörung des Sozialstaats, Finanzkapitalismus – dienen. Es ist keine Propagandaschrift, sondern von hoher analytischer Qualität. Man muss oder soll das Buch gründlich lesen und wird dabei eine Fülle an Anregungen erhalten!

Albert F. Reiterer, 24. April 2016

Podemos gegen die spanischen Eliten: Ein Lehrstück des modernen Klassenkampfes.

Chronologie des Weges zu Neuwahlen in Spanien

Spanien steckt in einer Situation, wie sie den europäischen Eliten in naher Zukunft öfters bevorstehen wird: breite Schichten der einfachen Bevölkerung wollen nicht mehr so weiter regiert werden wie bisher und die herrschenden Klassen können es nicht mehr. Konkret haben die spanischen Wahlen vom 20. Dezember eine parlamentarische Konstellation hervorgebracht, die die lange (für die Eliten) erfolgreiche Alternanz zwischen den beiden Großparteien PP (Partido Popular, Volkspartei) auf der Rechten und PSOE (Partido Socialista Obrero Español, Spanische Sozialistische Arbeiterpartei) auf der Linken durchbrochen hat. Stein des Anstoßes ist der Erfolg der neuen Protestpartei Podemos (Wir können) mit über 20 % der Stimmen. Die Großparteien verloren dagegen massiv an Zuspruch und konnten, trotz des Wahlgesetzes, das große Parteien deutlich privilegiert, keine Regierung im Sinne der Eliten bilden.

 

Regieren für die Eliten bedeutet im spanischen Kontext im Wesentlichen zwei Dinge: (i) Kontinuität in der Wirtschaftspolitik mit Austerität (konkret verlangt die EU-Kommission eine Reduktion des Budgetdefizits auf 2,8 % für 2016) und sozialer Härte (Beibehalten der prekären Beschäftigungsverhältnisse, die durch die Arbeitsmarktreformen von 2010 durch die PSOE und 2012 durch die PP fixiert wurden; weitere Kürzung der Pensionen) und (ii) Unnachgiebigkeit gegenüber den Unabhängigkeitsambitionen in den Regionen, allen voran Kataloniens und des Baskenlands.

Der Schreck der spanischen Eliten über den Wahlausgang war umso größer, also sie massiv durch Selbsttäuschung über den Erfolg ihres wirtschaftlichen „Reformpfades“ gedopt sind: die Wirtschaft wächst wieder mit 1,4 % 2014 und 3,2 % 2015 und die Arbeitslosigkeit fiel von ihrem Höchststand mit 25,8 % 2012 auf 20,9 % 2015. Die „Erholung“ führte aber auch rasch wieder zu einer Verschlechterung der Leistungsbilanz und ist wie in anderen Ländern eher durch äußere Einflüsse begründet (niedriger Ölpreis, niedrige Zinsen) denn durch eine irgendwie geartete Stärkung der wirtschaftlichen Fundamente des Landes. Seit Mitte der 1980er erodiert Spaniens wirtschaftliches Fundament: Ausbleibende Modernisierung der Industrie gefolgt von deren Abwanderung nach Osteuropa und Asien, mit dem EU-Beitritt Übergang zu einer peripheren Dienstleistungsökonomie mit ständig negativer Leistungsbilanz und einer chronischen Arbeitslosigkeit um die 20 %, unterbrochen nur durch den Rausch der Immobilienblase zwischen 2002 und 2008. Auch die Staatsverschuldung (127 % des BIP) und die private Verschuldung (228 % des BIP) sind weit weg, um den Jubel der Eliten zu legitimieren. Aber gerade in Wahlzeiten wird gerne mit der Aussicht auf ein Ende der mageren Jahre geworben und die Hoffnungsbotschaften der eigenen PR-Institute wurden wohl verinnerlicht. Man spürte richtig, wie hart es war, als Finanzminister Cristóbal Montoro (PP) am 31. März das klägliche Scheitern des Defizitziels (3,2 % für 2015, real 5,2 %) verkünden musste (um gleich den verschwenderischen Regionen die Spar-Rute in Fenster zu stellen; die rebellischen Katalanen sollten nicht denken, sie könnten im spanischen Rahmen Sozialstaat spielen!).

Schon vor den Wahlen war den Mächtigen in Spanien klar, dass stürmische Zeiten auf sie zukamen. Die erste Idee, um ihre Herrschaft abzusichern, war die Gründung der Newcomer-Partei Ciudadanos des eingeschworen pro-spanischen Katalanen Albert Rivera. Ciudadanos sollte einerseits mit einem modernen Flair die unzufriedenen Mitte-rechts Stimmen kanalisieren, die sich vorhersehbar von der durch Korruptionsskandale maroden PP abwenden würden. Andererseits hoffte man sie als Gegenpol zu Podemos aufbauen zu können, indem man mit dem jugendlich-smarten Parteichef Rivera einen neoliberalen Antipode zu Pablo Iglesias aufbaute, der ebenfalls gegen das verkrustete Establishment zu Felde zog. Das Manöver scheiterte jedoch: Ciudadanos blieb mit 13,9 % deutlich hinter den Erwartungen und konnte nicht zum Königsmacher einer der Altparteien werden. Versuch Nummer 1 der Eliten war damit gescheitert.

Nachdem der Scherbenhaufen des 20. Dezember klar war, lancierte man in Phase 2 die Notwendigkeit einer großen Koalition, indem man die Angst vor Unregierbarkeit an die Wand malte, welche die „Erfolge“ der ökonomischen Erholung zunichtemachen würde. Die EU und wohl auch Teile der spanischen Wirtschaftsgranden hätten dies gerne gesehen. Die Möglichkeiten der großen Koalition standen aber schlecht. Die PSOE konnte sich nach einem „linken“ Wahlkampf gegen die Kontinuität der PP – getrieben durch das Damoklesschwert Podemos – auf eine solche Regierungskonstellation schlecht einlassen. Es wäre ihr sicherer Weg zum PASOK-Schicksal gewesen. Und die PP begann bereits bald nach der offensichtlichen Unmöglichkeit einer von ihr geführten Regierung Rajoy II mit Neuwahlen zu liebäugeln. Prognosen ließen auf eine weitere Schwächung der PSOE und damit vielleicht doch noch eine Mehrheit PP-Ciudadanos hoffen.

Es begannen also Phase drei: Die Verhandlungen um eine Regierung unter PSOE Chef Pedro Sánchez. Dabei standen zwei Optionen zur Diskussion. Einerseits eine linke Koalition mit Podemos, IU (Izquierda Unida, Vereinigte Linke) und dem valenzianischen Linksbündnis Compromis. Andererseits eine Konstellation mit Ciudadanos im Boot. Der erste Weg einer „Regierung des Wandels“ bekam bald den Beinahmen der portugiesischen Option, die Sánchez selbst durch einen symbolischen Besuch Anfang Januar bei seinem dortigen Kollegen Antonio Costa, Ministerpräsident einer von Kommunisten und Linksblock gestützten Regierung, anzuvisieren schien. Podemos nannte es dann die valenzianische Option (Valencia wird durch eine Koalition aus Sozialisten, Podemos und Compromis regiert) oder den Weg der 161 (nach der Stimmenzahl der vier Parteien im Parlament). Für die Elite war diese Option jedoch nicht akzeptabel. Man wollte sich nicht auf die Unwägbarkeiten einer Regierung einlassen, deren Entscheidungen vom Goodwill von Podemos abhingen und schon gar keinen Vizepremier Pablo Iglesias.

Zunächst schickte man die PSOE-interne Rechte unter Führung der „Barone“ (jener Parteigranden aus den Provinzen unter Führung der andalusischen Regierungschefin Susana Diaz) in die Schlacht. Ihre Kampagne gegen eine von Podemos abhängige Koalitionsregierung fokussierte auf die Frage eines Unabhängigkeitsreferendums (das „Recht zu entscheiden“, wie es verklausuliert genannt wird). Es war die politische Phase, als in Katalonien die Regierungsbildung von der Entscheidung der radikal-linken CUP (Candidatura d’Unitat Popular, Kandidatur der Volkseinheit) abhing. Dies bot sich hervorragend an, gegen eine linke Koalition mit Podemos zu wettern. Podemos unterstützt, zwar in moderater Form und vielleicht vor allem aus Rücksicht auf seine regionalen Partner in Katalonien und im Baskenland, die der Partei ihr starkes Ergebnis bei den Dezemberwahlen brachten, das demokratische Recht, ein Unabhängigkeitsreferendum abzuhalten. Die „Barone“ marschierten daher unter der Fahne der Gefahr für die Einheit Spaniens auf, wohl wissend, dass dies eine rote Linie für weite Teile des Establishments darstellt und daher der Druck auf Sánchez entsprechend hoch sein werde.

Sánchez konnte sich jedoch durch ein geschicktes Manöver der Umarmung der „Barone“ entziehen, die mit dem Scheitern des Versuchs einer Linksregierung auch gleich seinen Kopf in der Partei rollen sehen wollten: er sicherte sich durch eine Befragung der Basis sein Mandat für weitere Verhandlung mit allen Parteien, stärkte damit seine parteiinterne Position und brachte das Manöver zum Scheitern.

Dennoch hatte dieser Angriff wichtige Nachwirkungen. Man soll sich keine Illusionen über Pedro Sánchez als linker Politiker machen, der etwa die sozialen und demokratischen Probleme des Landes konsequent anzugehen bereit sei. Sánchez ist sich durchaus bewusst, dass dies nur mit schmerzhaften Brüchen mit den Eliten des Landes und der EU machbar ist, dass es dabei „rote Linien“ zu überschreiten gilt und auch dass Podemos keine Kraft ist, die ohne weiteres vor den Karren eines leicht getarnten Programms der Fortführung des Status Quo gespannt werden kann.

So begann die zweite Option zu reifen, deren Kernelement wiederum Ciudadanos war. Statt einer Linksregierung brachte Sánchez eine breite Koalition aus PSOE, Ciudadanos und Podemos ins Gespräch: der Weg der 199 (wiederum nach den Stimmen dieser drei Parteien im Parlament) statt des Wegs der 161. Im Wesentlichen sollte es darum gehen, ein gemeinsames Programm zu verhandeln und auf dieser Basis Sánchez zum Ministerpräsidenten zu küren. Dagegen war das Modell einer Linksregierung, das Podemos vorschlug, eine Koalition mit relevanten Ministerposten auch für die anderen beteiligten Parteien. Dagegen wurde das mediale Geschütz aufgefahren, Iglesias ginge es nur um Postenschacher statt um ein Programm des Wandels. Seine Forderung, Positionen zu verhandeln war jedoch äußerst intelligent, gab sie doch dem „Inhalt“ eine entsprechende „Form“: kein Verhandlungskompromiss ohne entsprechende Macht, die eigenen Forderungen auch durchzusetzen.

Die Elite schien sich recht rasch darüber im Klaren gewesen zu sein, dass die Dreierkoalition PSOE, Ciudadanos und Podemos nicht zustande kommen würde. Vielmehr dürfte diese Option für den Machtapparat eine Form gewesen sein, die Schlacht in Richtung Neuwahlen vorzubereiten und dabei Podemos möglichst großen Schaden zuzufügen. Ende Februar unterschrieben Pedro Sánchez und Albert Rivera einen Pakt für eine Regierungskoalition, der zu einer zentralen Waffe des Angriffes auf Podemos wurde. Es begann mit leichter Munition: Podemos als Verhinderer einer Regierung des Wandels, der mit überzogenen Forderungen das Spiel der PP mache.

Nach und nach brachte man schwerere Geschütze in Stellung. Ziel war es, interne Konflikte in Podemos medial zu tiefen Gegensetzen und Spaltungstendenzen aufzublähen. Es begann mit Schwierigkeiten in mehreren territorialen Sektionen in der ersten Märzhälfte, mit Rücktritten der Parteiführer in Galizien und Madrid. Im Zuge dieser territorialen Krisen wurde die Person des Organisationssekretärs Sergio Pascual abgesetzt. Dies wiederum wurde in den Medien zu einer Spaltung zwischen Pablo Iglesias und der „Nummer zwei“ von Podemos Íñigo Errejón gemacht, dessen Abteilung der Organisationssekretär zugehörte. Hier sei besonders auf El Pais hingewiesen, das „Zentralorgan“ der Machteliten der PSOE (inklusive dem immer noch sein Unwesen treibenden Ex-Premier Felipe Gonzales), das über Wochen über die bevorstehenden Spaltungen von Podemos sinnierte. Prompt erschienen dann auch erste Umfragen über die Stimmenverteilung bei eventuellen Neuwahlen, die ein Absinken von Podemos auf 16 % und damit deutlich hinter die PSOE und Ciudadanos prognostizierten.

Dieser letzte Akt der Offensive der Eliten war ein wahrhaftes Lehrstück modernen Klassenkampfes mit den Waffen der Medien und in einer Konjunktur, wo Wahlen zum wichtigsten Schlachtfeld zwischen den alten Oligarchien und den neu entstehenden Oppositionsströmungen geworden sind. Daher verdient dies etwas genauer kommentiert zu werden. Podemos ist keine Partei mit traditionsreicher und konsistenter ideologischer Ausrichtung, sondern ein „postmodernes“ Sammelsurium oppositioneller Ideen und Strömungen: Leute aus der KP/IU-Tradition (zu denen Pablo Iglesias zählt), die Strömung der „Anticapitalistas“ trotzkistischer Provenienz (die prominentesten Namen sind Teresa Rodríguez, Parteiführerin in Andalusien und der Europaparlaments-Abgeordnete Miguel Urbán; diese firmierten auch als Organisatoren des Plan-B Events im Februar 2016 in Madrid), Postmarxisten aus der Antiglobalisierungskultur mit starker Prägung durch die neue lateinamerikanischen Linken (Bolivien, Venezuela), zu denen Íñigo Errejón zählt, Teile des linken Nationalismus in den Regionen, und sicher eine Masse an ideologisch nicht festgelegten Krisenopfern und über die traditionelle Polit-Elite empörte Leute. Diese ideologische Vielfalt in Podemos und das rasante Wachstum seit den Europawahlen 2014 machen Konflikte unvermeidlich. Als wesentliche Fragen haben sich dabei herausdestilliert: (i) die Wahlallianzen (Wahlbündnisse gleichberechtigter Partner vs. Podemos mit Listenplätzen für die Kandidaten anderer Gruppierungen), (ii) die Struktur der Partei (starker zentraler Apparat mit dominanter Rolle der Abgeordneten vs. Einfluss der Basiskomitees), und (iii) die politisch-soziale Orientierung und der entsprechende Diskurs (Linke vs. „Transversalidad“, also gesellschaftliche Breite im Sinne des für Podemos konstitutiven Paradigmas „Volk gegen Kaste“). Diese realen Debatten und Konflikte, die es in der angespannten Situation der Nachwahlperiode auszubalancieren galt (was dem Organisationssekretär Pascual eben nicht gelungen war), wurden von El Pais aufgegriffen, mit dem Ziel sie in der Öffentlichkeit zuzuspitzen und als tiefe Krise von Podemos zu inszenieren – gespickt mit zahlreichen Seitenhieben gegen den autoritären Führer Iglesias und die Degeneration von Podemos zu einer hierarchischen Partei im alten Stil.

Trotz dieses massiven Angriffs und Druckes, schien keine Strömung oder Führungsfigur in Podemos eine bedingungslose Unterstützung einer PSOE-Regierung bzw. des Paktes PSOE-Ciudadanos in Betracht gezogen zu haben. Allen war wohl klar, dass dies den Untergang von Podemos eingeläutet hätte.

Nach dem Scheitern der Dreiergespräche PSOE, Ciudadanos, Podemos am 7. April (die PSOE beharrte auf ihrem mit Ciudadanos unterzeichneten Pakt) ist nun klar, dass es keine Regierung Sánchez geben wird. Die große Koalition, der Traum der Oligarchie, die die PP nun rhetorisch wieder aufs Tapet gebracht hat, ist nach wie vor unrealistisch. Es wird nun im letzten Akt vor der offiziellen Ausrufung von Neuwahlen wohl nur mehr darum gehen, wer den „schwarzen Peter“ für den neuerlichen Wahlgang umgehängt bekommt. Podemos hat bereits mit einer Basisbefragung gegengesteuert. Der offene Wahlkampf wird also in Kürze beginnen.

Abschließend seien zwei Dinge unterstrichen:

  • Die Angst der Elite ist mehr vor der politischen Situation, die eine Regierung mit Podemos eröffnen könnte, nicht so sehr vor dem Programm der Partei. Auch unter der griechischen Syriza steuerte das Land auf einen Bruch mit der herrschenden Ordnung zu, ohne dass das von der Führung so gewollt war (Juli-Referendum). Mit Podemos als nahezu gleichberechtigter Teil in einer PSOE Regierung, inklusive Minister, müsste die Elite mit Kräften ein Auskommen finden, die ihr noch nicht vertraut sind und die erst domestiziert werden müssen. Dieser Unsicherheit will sich die Oligarchie offenbar nicht stellen. Insbesondere die nationale Frage (Katalonien, Baskenland) könnte in einem solchen politischen Umfeld äußerst explosiv werden. Es ist also nicht Podemos als Partei und ihr Programm als solches, die einen Bruch mit der Oligarchie auslösen würde, sondern die politische Dynamik, die eine Regierungsbeteiligung von Podemos katalysieren könnte.
  • Wie in Griechenland müsste sich eine Regierung gegen die Eliten dem europäischen Korsett stellen, das die Austerität auch in Spanien in die Verfassung geschrieben hat (Artikel 135). Podemos ist wie Syriza weit davon entfernt, sich der Bedeutung dieses unvermeidlichen Konflikts bewusst zu sein und programmatisch darauf einzulassen. Dementsprechend ist auch in Spanien eine Situation möglich, wie in Griechenland zur Zeit des Juli-Referendums: die politische Dynamik drängt auf einen Bruch und die vorhandenen Kräfte können und wollen diesen nicht organisieren. Um dieses künftig mögliche politische Vakuum zu vermeiden, sind auch in Spanien die Kräfte der Anti-Euro-Linken entscheidend. Die Tragik, den Widerspruch zwischen objektiven Chancen und subjektiven Möglichkeiten nicht aufzulösen, könnte sich aber auch in Spanien wiederholen. Der Versuch einer europäischen Koordination der Anti-Euro-Linken ist ein Versuch, gegen die Wiederholdung der griechischen Geschichte koordiniert vorzuarbeiten.

 

Gernot Bodner, www.euroexit.org

Wien 10. April 2016

Buchvorstellung Berlin: „Europa zerbricht am Euro“

Anti-Kriegs-Cafe (Mitte)

Rochstraße 4, 10178 Berlin

Fr. 22. April 2016, 19h

 

Präsentation und Diskussion mit dem Autor Wilhelm Langthaler und der Journalistin Christiane Reymann

Moderation: Milan Markez, Aktivist und Journalist

 

Schäuble & Co versuchen die soziale Katastrophe an der europäischen Peripherie nach wie vor als Sachzwang darzustellen, so wie der Liberalismus insgesamt die Ungleichheit als für Entwicklung notwendig deklariert. Solange die Konterreform vor allem die unteren Schichten betraf, konnten deren Proteste als (Rechts)-Populismus an den Rand gedrängt werden.

 

Doch nun wird immer deutlicher, dass der Euro die Speerspitze eines ultraliberalen politischen Regimes ist, das im Dienste der deutschen Exportindustrie und seiner unmittelbaren Umgebung den Rest Europas deindustrialisiert, hinunter und an den Rand drängt. Die sozialen Auswirkungen sind verheerend. Politisch bedeutet es die Außerkraftsetzung der Reste formaler Demokratie zugunsten einer Brüsseler Oligarchie, zusammengesetzt aus den Vertretern der dominanten Staaten, der Finanzelite und der Großkonzerne. Die Unterwerfung Griechenlands ist dabei beredte Spitze des Eisbergs.

 

Nicht nur der diffuse Unmut und die stille Ablehnung wachsen, sondern auch der offene Widerstand. Überall kommt es zu Auseinandersetzungen mit Brüssel-Berlin: Neuwahlen in Spanien; Brexit-Referendum; dänische Ablehnung des EU-Polizeistaates; niederländische Abstimmung gegen den neokolonialen Assoziationsvertrag mit der Ukraine; deutsches Diktat in der Flüchtlingskrise; polnisch-ungarische Opposition gegen EU-Recht einschließlich Bankendurchgriff; permanenter französischer Ausnahmezustand ohne EU-Einspruch; Mehrheiten in Italien für den Euro-Austritt; prekäre Linksregierung in Portugal und zu guter letzt eine unhaltbare griechische Schuldknechtschaft, die selbst der IWF für unhaltbar hält.

 

Doch während Merkel und Juncker verleugnen, erhöhen sie die Dosis der immer selben Medizin – der Patient ist bereits moribund. Selbst für die Eliten vernünftig wäre Lafontaines einvernehmliche Trennung und Rückkehr zum Europäischen Währungssystem. Doch Schäubles Linie führt in das deutsche Europa, dessen Verhinderung die EU einst sein wollte. Insbesondere an der Peripherie eröffnen sich indes auch Chancen, die Oligarchie überhaupt von der Macht zu entfernen und (neosozialistische) Experimente im Interesse der Mehrheit zu unternehmen.

 

Buchintro:

www.mediashop.at/typolight/index.php/buecher/items/stefan-hinschwilhelm-langthaler—europa-zerbricht-am-euro

DAS NIEDERLÄNDISCHE REFERENDUM, DIE EU UND DIE REAKTION DARAUF

Die EU hat, wieder einmal, einen mächtigen Eselstritt bekommen. Nun mobilisiert sie ihre Hilfstruppen. Sie findet sie in den Medien in der BRD und in Österreich, in Österreich nicht zuletzt im ORF. Wenn wir uns in den folgenden Absätzen Gedanken über die Folgen machen, so ist dies nicht zuletzt eine Reflexion über diese Reaktionen.

Da erklärt uns im ORF-Mittags-Journal ein gewisser Stefan Lehne, früher Beamter des Außenamts und nunmehr “Experte“ beim „Think Tank“ Carnegie, wie problematisch die Demokratie auf nationaler Ebene ist. Er hat tatsächlich die Chuzpe, zu sagen: Da sieht man ja, was rauskommt. 27 Länder haben zugestimmt, und ein einziges Land hält den Prozess auf.

Überall, wo die Bevölkerung in den letzten Jahren die Möglichkeit hatte, etwas zur EU zu sagen, bekam diese eine schallende Ohrfeige. Wir brauchen nicht an Griechenland im Juli 2015 zu denken. Am 3. Dezember stimmten die Dänen über ein so technisches Thema ab, ob das Land sich enger an Europol binden solle. Und mitten in der Terror-Hysterie stimmte eine Mehrheit dagegen. Denn es ging gegen die EU. Was würden sie wohl tun, wenn sie über die dänische Politik der bedingungslosen Bindung an den Euro abstimmen könnten?

Und dann wird Orwell’sche Bedeutungsumkehr und Sprachregelung betrieben. Volksabstim­mungen galten früher einmal als Muster-Beispiel direkter Demokratie. Heute murmeln Rechts- und Linksliberale, der sozialdemokratische Gewerkschafter und die rechtsorientierte Journalistin, gemeinsam dumpf vor sich hin: Das ist ein Merkmal rechten Gedankenguts! Die Leute wissen ja gar nicht, was sie da abstimmen; usw. Volksabstimmungen, also Demokratie, sind des Teufels. Insbesondere die Eliten in der Bundesrepublik haben eine heillose Angst vor direkter Demokratie. Eine Journalistin der Springer’schen „Welt“ vom 11. April 2006 überschreibt ihren Kommentar dazu mit „Die Misere der direkten Demokratie“ und meint dann: „… ein gefährlicher Trend … Immer häufiger lassen Regierungen ihr Volk über außenpolitische Grundsatzfragen abstimmen…“

Volksabstimmungen kann man manipulieren, im administrativen Weg, indem man z. B. willkürliche Schwellen einzieht. Und mit viel Geld! Wir wissen dies gut genug. Das Ergebnis von 1994 mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für die EG / EU ist auf diese Weise sowie unter dem Partei-Terror der SPÖ und des ÖGB zustande gekommen. In den Folgejahren aber waren Volksabstimmungen verboten, oder höchstens über so wesentliche Dinge wie Hundstrümmerl und Hausmeister erlaubt. Der Herr Fischer, noch ein paar Wochen Bundespräsident, meinte zur Frage des Lissabonner Vertrags, des wichtigsten Themas für Österreich seit Langem: Aber eine Volksabstimmung ist da doch wirklich nicht nötig! Er hat sich damit unter den Totengräbern der österreichischen Demokratie einen Ehrenplatz gesichert.

Doch zurück zu den Niederlanden. Die Volksbefragung war glücklicher Weise keine rein rechtspopulistische Frage. Die Sozialistische Partei hat im Nein-Lager gestanden. Man muss fast sagen: Aus­gerechnet die Sozialistische Partei! Denn diese ehemals maoistische Gruppe ist heute im Wesentlichen eine Sozialdemokratie, aber der alten Prägung; so wie die PvdA vor 30 Jahren vielleicht war. Heute heißt dies: „linkspopulistisch“. Immerhin. Sie hat offenbar begriffen, vielleicht nur aus taktischen Überlegungen: Man darf die Unzufriedenheit mit den Herrschenden nicht den Rechten überlassen. Das ist jedenfalls mehr, als z. B. der Großteil der LINKEN in Deutschland begriffen hat. Die macht sich damit mitschuldig am schnellen Wachstum der AfD, insbesondere in der ehemaligen DDR.

Die Sozialistische Partei wird bei uns und in Deutschland in diesem Zusammenhang systematisch verschwiegen. Das war ja auch das Rezept der niederländischen Politik, das da mit Eklat gescheitert ist: Totschweigen! Damit wollte man die Beteiligung unter 30 % drücken.

Diese ominösen 30 %! Für Schweizer Verhältnisse, dem Musterland der direkten Demokratie, wäre dies zwar keine hohe, aber eine honorige Stimmbeteiligung. Die Partizipation der letzten Jahre wächst eher, weil immer mehr Bürger begreifen, dass es doch um was geht. Und in den Niederlanden wird dies in einem Kontext verächtlich gemacht, der den Leuten suggeriert: Ist eh nicht verbindlich, wozu hingehen? Und im Hintergrund gibt es eine diskrete Kampagne der Nichtbeteiligung. Um es klar zu sagen: Die 32 % sind unter diesen Umständen beachtlich.

Ebenso kennzeichnend war die Brüsseler Reaktion. Ihr könnt’s uns! „Weiter wie bisher!“ Wir haben das Abkommen faktisch ja schon in Kraft gesetzt. Und wörtlich: Es wird sich nichts daran ändern! Das ist vielleicht sogar nützlich. Es zeigt: Innerhalb dieser EU lässt sich nichts machen und bewegen. Das einzige, wovor sich die Brüsseler Bürokratie und die nationalen politischen Klassen fürchten, ist ein Austritt. Das zeigt sich besonders deutlich gegenüber Großbritannien.

Aber ist die britische Volksabstimmung denn nicht reaktionär motiviert? Den Konservativen dort gehen doch bereits die minimalistischen Sozialstandards der EU gegen den Strich.

Das ist die alte verquere Logik, die bereits in Österreich 1994 funktioniert hat. Eine reaktio­näre Partei nutzt taktisch die Unzufriedenheit der Menschen und vertritt ausnahmsweise einmal etwas, womit wir übereinstimmen. Und deswegen sollen wir jetzt das Hirn ausschalten und sagen: Wir sind jetzt für das Gegenteil, was wir sonst immer vertreten.

Jetzt geht es um ein konkretes Ziel, und das halten wir für richtig: Raus aus der EU!

Es gebe für Großbritannien wahrhaftig viel zu sagen. Das passt Alles nicht hierher, zum Anlass der Niederlande.

Der entscheidende Punkt ist: Gerade weil die Bevölkerung systematisch gehindert wird, ihre politische Mitbestimmung geltend zu machen, vor allem wenn es um die EU geht, wird auch in Hinkunft jede Gelegenheit genützt werden, der EU einen Tritt zu versetzen. Wir werden ja sehen, wie es mit TTIP laufen wird. Die Niederlande aber haben uns einen Dienst erwiesen. Sie zeigen, dass man selbst mit sehr stumpfen Waffen der Bürokratie, den politischen Klassen und den Eliten ziemlich weh tun kann. Wir sollten diese Lehre beherzigen.

Albert F. Reiterer, 8. April 2015

WÄHRUNGSUNION UND DIE VERELENDUNG DER EUROPÄISCHEN PERIPHERIE

Nicht nur von Verteidigern dieses Systems und der EU im Besonderen, auch von Kritikern können wir hören: Die Finanzkrise ab 2008 habe sich insofern in Grenzen gehalten, als die ökonomische Kernschmelze wie 1929 / 30 durch rechtzeitiges Eingreifen der Zentralbanken und der nationalen Regierungen verhindert worden sei. Es muss in aller Klarheit gesagt werden: Dies gilt nur für das Zentrum. Dessen Banken wurden „gerettet“. In der EU geschah dies auf Kosten des Olivengürtels und Osteuropas. Man „löste“ das Problem, indem man den Süden zerstörte. Sehen wir doch hin! Die Rückgänge im Sozialprodukt, die soziale Katastrophe in Griechenland und anderswo hat durchaus die Größenordnung der seinerzeiti­gen Weltwirtschaftskrise erreicht bzw. übertroffen: Laut Rechnungen von Maddison ging das BIP Österreichs vom Jahr 1929 auf 1933 um -22,5 % zurück, jenes des Deutschen Reichs bis 1932 um -16 %. Dann begann dort wie übrigens in den meisten anderen Volkswirtschaften und Staaten, bereits wieder ein Wachstum, . (vgl. auch März 1990).

Wirklich schlimm betroffen, noch ärger als Österreich, waren die USA. Sie zahlten nun die Zeche dafür, dass sie keinen institutionalen Apparat aufgebaut hatten, der ihnen eine ziel­führende Wirtschaftspolitik überhaupt erlaubte. Ihr BIP sank, im Vergleich zu 1929, auf 71,5. Dagegen sind die Werte von Großbritannien (1932: 94,9) und Frankreich (85,3) schon fast harmlos. In Gro0ßbritannien war übrigens Churchill einer der Verantwortlichen für den Wahnsinn, nicht nur den Goldstandard nach dem Weltkrieg wieder aufzunehmen, sondern auch noch das Pfund mit einem viel zu hohen Kurs an das Gold zu binden.

Vergleichen wir dies mit dem Verlauf von seit 2007 in der EU-Peripherie. Das letzten Jahr vor der Finanz- und Euro-Krise soll uns Ausgangsbasis bis zur Gegenwart sein. Die Zahlen stammen von EUROSTAT (Verknüpfte Volumens-Indizes). Griechenland stürzte von 100 (2007) auf 74 (letzte verfügbare Daten für 2014), Italien auf 91, Spanien und Portugal auf 93,8 bzw. 93,2. Dagegen tauchte die BR Deutschland zwar im Jahr auf 95,4 ab, steht aber 2014 wieder auf 105,4. Bei Österreich lauten die Zahlen 97,7 und 103,9.

Der Euro als Automatisierung für die weitere und verschärfte Peripherisierung der bisherigen Peripherie durch die Währungsunion funktioniert. Der Euro ist ein Erfolg für die Kernländer. Sie kämpfen nicht ausschließlich aus politischen Gründen für seinen Weiterbestand. Die sind überragend wichtig. Aber Deutschland, Österreich, im unauffälligen Schlepptau das Nicht-€-Land Schweden, weniger gut die Niederlande, gewinnen offenbar auch ökonomisch. Aller­dings ist dies schon wieder so ein schlampiger Ausdruck. Es gewinnen nicht Deutschland und Österreich: Es gewinnen jene wichtigen Kapitalfraktionen, die im Export tätig sind.

Die anderen Kapitalfraktionen gehen allerdings auch nicht leer aus. Denn der Euro ist nicht nur ein Automatismus der Peripherisierung. Er ist auch ein Automatismus des Sozialabbaus. Lässt sich das im Euro-Regime verhindern? Die naiven Spätkeynesianer wollen ja bekanntlich mit einer Ausweitung der Verschuldung und einer Aufweichung der entsprechenden Maastricht-Kriterien einen Neustart.

Die politische Auseinandersetzung ab den 1980er Jahren, die neoliberale Wende im Westen, lief ideologisch nicht zuletzt als ein Kampf zwischen Keynesianismus und Monetarismus ab, oder wie sich Michael Mann (2001) ausdrückte: „Keynes pretends to rule within the nation-state, Adam Smith still rules without.“ Mit dieser passenden Wendung stellt sich die Frage: Kann es einen transnationalen oder supranationalen Keynesianismus überhaupt geben? Welche strategische Bedeutung diese Frage hat, ergibt sich schon aus einer spezifischen heutigen Situation: Die Oppositionellen des Systemimmanenten ziehen mit Keynesianismus als Alternative durch die Lande, ob im deutschsprachigen Raum oder auch in Südeuropa.

Eine keynesianische Wirtschaftspolitik ist in einem supranationalen Staat und auch in übergroßen Nationalstaaten jedenfalls auf Marktbasis unmöglich. Jede Investition würde es dorthin ziehen, wo ohnehin die Gewinne blühen. Der Keynesianismus ist vielleicht noch eine sozialpolitische Beruhigungs-Pille und ein Propaganda-Floskel. Er hat als politisches Programm einer systemimmanenten Wirtschaftspolitik in einer globalen Welt ausgedient.

Dazu kommt noch als mindestens ebenso wichtiger Punkt: Keynesianismus i. S. dessen, was (angeblich) „linke“ Sozialdemokraten und Grüne möchten, die Aufblähung der Staatsschuld, heißt den Teufel mit Belzebub austreiben. Denn er befördert durch die massive Vergrößerung der Kreditwirtschaft die Finanzialisierung. Auch die hat mehrere Ebenen. Die auf dem ersten Blick eher harmlos erscheinende Ebene der Inhaber von Staatsschuldscheinen ist mittel- und langfristig einer der Wege in die Katastrophe.

Den wichtigsten Punkt können woir hier aber nur kürzest andeuten. Wir werden ihn ein anderes Mal ausführen. Hier stehen sich zwei Prinzipien der Politik gegenüber. Nationale Politik bedeutete den umfassenden Vorsorgestaat. Mit ihm wollte man die Unter- und Mittelschichten integrieren, und das ist auch gelungen.

Dem steht die globale Politik des Kapitals als eigenständig Handelnden gegenüber. Aber das wäre ein Widerspruch in sich. Das Kapital kann nicht sein eigener handlungsfähiger Gesamt­kapitalist sein. Dazu sind die inneren Widersprüche zwischen den „feindlichen Brüdern“ zu groß. Es muss sich also seinen eigenen rudimentären Staat aufbauen. Das ist der Supra-nationale Staat, das regionale Imperium EU.

Albert F. Reiterer, 6. April 2016

Mann, Michael (2001), Globalizatio Is (Among Other Things) Transnational, International and American. In: Science and Society 65, 464 – 469.

März, Eduard (1990), , Die große Depression in Österreich, 1930 – 1933. In: Wirtschaft und Gesellschaft 16, 409 – 438-

DER NATIONALSTAAT UND DIE BERLINER REPUBLIK DES GERHARD SCHRÖDER UND FRANZ JOSEF FISCHER. Der Nationalismus und das Imperium

Der chauvinistische Nationalismus der Weltkriege wurde dem Nationalismus zugeordnet, schreiben W. Langthaler / S. Hinsch in ihrem Buch (2016, 42) über den Euro. Zu Unrecht? Nein. Denn der Nationalstaat war und ist, wie Staat immer und auch das EU-Imperium heute, das Instrument der herrschenden Klassen, der dominierenden und hegemonialen Eliten. Damals aber waren die Eliten chauvinistisch. Sie orientierten sich teils, vor allem in der Politik, auf eine angeblich heroische Vergangenheit, Und gleichzeitig spielten sie die gesamtkapitalistischen Geschäftsführer ihrer national verankerten herrschenden Kaste.

Eine einfache „Rückkehr“ zum Nationalstaat ist nicht nur unmöglich, sondern kommt nicht in Frage. Übrigens will dies auf der Linken sowieso niemand. Aber was heißt das? Dass wir das Imperium weiterführen sollen? Auf diese simple Auffassung kommen mit Frau Zimmer (Abgeordnete der LINKEN im EP) nicht wenige andere reformistische Sozialdemokraten. Man muss sich die Aussage auf der Zunge zergehen lassen. „Es lohnt sich, für eine EU zu kämpfen, die in der Lage ist, den sehr komplizierten globalen Fragen – ob Flüchtlingskrise, Klimawandel, Energie- und Umweltpolitik, militärische Konflikte – andere Werte zugrunde zu legen …“ (Neues Deutschland, 21. März 2016).

Doch nichts könnte abwegiger sein.

Und trotzdem müssen wir zurück in die Zukunft! Eine linke Strategie muss wieder überschau­bare Räume der Politik schaffen. Nur dort können selbstbestimmte Vorgangsweisen auch unteren und mittleren Schichten der Bevölkerung (wieder??) Zugang zu Möglichkeiten sozialer und politischer Partizipation schaffen. Denn die gehen mit dem Imperium endgültig verloren. Wer dies leugnet, muss eine ziemlich abgehobene Intellektuelle oder ein unreflek­tierter Apparatschik sein. Beide Typen halten sich für die Verkörperung des Weltgeists.

Anknüpfungspunkt aber kann und muss der Nationalstaat sein. Die vergleichsweise Übersichtlichkeit eines Systems mittlerer Reichweite macht ihn zum quasi technisch notwendigen Ausgangspunkt. Aber dazu kommt ein ganz wesentlicher politischer Aspekt.

Um die Jahrtausend-Wende kam es in den Sozialwissenschaften zum viel gepriesenen identity turn. Die Entdeckung der unterschiedlich möglichen sozialen und politischen Identitäten – ethnisch, national; Geschlecht, Klasse – schien endlich einen Ausweg aus den leeren Abstrak­tionen der Altliberalen zu bieten. Aber auch die Arbeiter-Bewegung mit ihrer eindimensiona­len Festlegung auf das Interesse – dem die Arbeiter dann unglücklicher Weise nicht in der Art folgten, welche Intellektuelle von ihnen erwarteten – steckte und steckt in einer Sackgasse. Identität war ein mächtiges und viel versprechendes Vokabel. Das spielte sich aber fast ausschließlich im englischen Sprachraum ab. Denn die europäischen und hier nicht zuletzt die deutschen Intellektuellen bekamen schnell eine heillose Angst vor diesem Konzept. Nicht nur erinnerte es sie an die eigene chauvinistische Geschichte. Waren es doch die bürgerlichen Intellektuellen gewesen, welche in besonders wüster, ja furchtbarer Weise die überzogenen aggressiven Thesen vertreten hatten. Heute aber glauben sie erst recht eine gute Rechtfertigung zu haben: Die neuen plebeischen Bewegungen der europäischen Rechten setzten, so schien es, auf diese Strategie. So ist für die Vertreter des mainstreams das Konzept der Identität tabu.

Der Front National, die AfD bauen ihre Politik schlicht auf den alten rassistischen Gedanken­gängen auf. Dass aber sogar sie aus Angst vor dem Zeitgeist nicht mehr von Rasse sprachen, sondern auf der Suche nach einem neuen, unverdächtigen Konzept die Identität entdeckten, übersahen die naiven Linksliberalen. Dabei müssen sie nur die US-amerikanischen und noch mehr die britischen Zeitschriften lesen, sogar die (natur-) wissenschaftlichen: Wenn dort ein politisch korrekter Autor ohne viel Hirn „rassisch“ sagen will, es sich aber doch nicht traut, dann sagt er neuerdings „ethnisch“. Das findet man selbst in grotesken Zusammensetzungen: „ … the ethnicity of this skull “. Die linksliberalen Intellektuellen unterschätzen ihren eigenen Einfluss. Ihre Sprachregelung der politischen Korrektheit hat sich flächendeckend durchgesetzt.

Doch Identität ist ein potenzielles Mobilisierungs-Vehikel gerade der unteren Schichten. Was ist Klassenbewusstsein Anderes als eine soziale Identität? Was ist die ethnische Identität der Minderheiten Anderes als ihr mächtigstes Instrument, sich gegen Dominanz seitens der herrschenden Eliten und ihrer Unterstützer aus den Mittelklassen zu wehren? Und darüber hinaus ist nationale Identität die unerlässliche Grundlage jenes (Um- und Rück-) Verteilungs­systems, des europäischen Sozialstaats, das wir vor Jahrzehnten als Integrationsmittel der Herrschenden bekämpften, und das wir heute verteidigen müssen, weil die Eliten selbst diese bescheidene Ausgleichs-Politik nicht mehr zu brauchen glauben? Der Sozialstaat war die eigentliche Existenz- und Ausdrucksweise des Nationalstaats in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Und mit dem Nationalstaat soll vor allem der Sozialstaat auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt werden, wenn es nach den Brüsseler und Berliner Eliten geht.

Freilich war der Nationalstaat der 1970er oder 1980er kein Mittel der Revolution und kein Staat der Unterschichten. Es ist der Zynismus des Herrn Varoufakis, welcher in diesem Punkt analytisch durchaus stimmig ist, wenn er sagt: „Mit der Drachme hatten wir auch keinen Sozialismus.“ Es geht also keineswegs darum, diesen alten Nationalstaat wieder aufzurichten. Die Linke hat den Sozialstaat seinerzeit, wie auch den Nationalstaat, mit ebensolchem Recht bekämpft, wie sie ihn heute verteidigt.

Dass (Links-) Liberale die Globalisierung zu einer Ideologie des Globalismus machen ist wenig verwunderlich. Sie und die Eliten leben politisch von dieser Art von Universalismus der Gewinner im neuen Klassenkampf. Dass aber Linke den Globalismus der Oberschichten mit dem Internationalismus verwechseln, den die Subalternen tatsächlich bräuchten, aber in völlig anderer Form, das ist schon wieder grotesk. Es ist eine Vertauschung von Schwarz und Weiß. Die Ideologie der Unterdrückung wird für die Strategie der Befreiung ausgegeben.

Es geht darum, das Imperium abzuwickeln, und dazu brauchen wir den Anknüpfungspunkt Nationalstaat. Erst von ihm aus können wir ein neues und hoffentlich weniger brutales und weniger machtorientiertes Konzept des Internationalismus entwickeln. Wenn Marx und Lenin irgendwo recht hatten, dann war es die Einsicht: Die Linke kann nicht den bestehenden Staat einfach nehmen und aus ihm ein Mittel ihrer Politik machen. Den Staat der Eliten müssen wir zerschlagen – dieser Staat ist im Europa von heute aber das EU-Imperium.

Das EU-Imperium kann nicht der Ausgangspunkt einer emanzipativen Politik werden, so sehr es sich manche auch wünschen. Darüber sind wir uns auf der Linken eigentlich einig. Ich möchte sagen: Gerade dieser Punkt ist die entscheidende Linie, die in Europa die konsequente Linke von den Reformisten in der sozialdemokratischen Tradition trennt.

Aber da sind wir bereits wieder mitten im unfruchtbaren Diskurs des Salon-Sozialismus. Wir brauchen diesen Punkt gegenüber einem erheblichen Teil der Bevölkerung nicht des Langen und des Breiten zu argumentieren. Die geht von vorneherein davon aus. Diejenigen, die nachhinken, diejenigen, die vielfach eine Nachtrab-Politik führen, das sind zum Großteil die Sprecher von Parteien, die sich als links bezeichnen. Das allerdings scheint sich gegenwärtig doch zu ändern. Immer größere politische Segmente sehen ein, dass dies eine Sackgasse ist. Aber diese Einsicht wächst verzweifelt langsam, und hinkt immer den Ereignissen hinterher.

Gerade in der BR Deutschland hinkt die Stimmung nach, und nicht nur bei den Reformisten. Das hängt teils damit zusammen, dass dieses Land am ehesten noch Profiteur des Imperiums ist, bis weit in die Mittelschichten hinein.

Es hängt aber auch mit der politischen Organisation der Opposition zusammen. Nach den bleiernen Jahren von Helmut Kohl richteten viele ihre Hoffnung auf die SPD und die Grünen. Und es kam tatsächlich ein Bruch. Das, was die Konservativen unter Kohl nicht gewagt hatten, das machten nun Schröder, Fischer und Konsorten. Die Berliner Republik ist recht eigentlich das Ergebnis dieser Politik. Es war die Berliner Republik des Gerhard Schröder und des Franz-Josef Fischer. Mit Hartz IV entwarfen sie den brutalsten Anschlag auf den deutschen Sozialstaat. Das war nur als ersten Schritt geplant. Merkel wagte nicht mehr, dem dann neue Schritte derselben Qualität folgen zu lassen. Es waren auch die SPD und die Grünen, welche in einer neo-bismarckianischen Politik den ersten deutschen Angriffskrieg nach dem Nazi-Reich führten. Sie haben noch den unüberbietbaren Zynismus, ihre Gegner vor Gericht stellen zu lassen. Damen und Herren in Richter-Roben erledigen nun die schmutzigen Geschäfte der Aggressoren. Nicht dass wir um Miloševiċ und Karadziċ weinen. Wer aber verurteilt Clinton, Schröder und Fischer? Die reisen unbehelligt herum, um hoch bezahlte Vorträge vor ihren eigentlichen Auftragsgebern zu halten.

Es war also nicht „der Nationalstaat“, welcher wieder den Krieg als Mittel der Politik in Europa rehabilitierte. Es war die Berliner Republik als Kern des neuen Imperiums, welche diese Politik wieder salonfähig machte. Haben das die Damen und Herren von der reformistischen Linken, vom systemaffinen Flügel z. B. der LINKEN, alle vergessen?

In der EU-affinen Integrations-Theorie, man müsste eher sagen: Integrations-Ideologie (z. Scharpf oder Zürn), ist seit mehreren Jahrzehnten die Behauptung ein Stehsatz: Es gebe eine Inkongruenz zwischen den Möglichkeiten des Nationalstaats und den Regulierungs-Notwen­digkeiten einer globalisierten Gesellschaft. Halten wir erst einmal fest, dass diese Regulie­rungs-Notwendigkeiten erst hauptsächlich durch die De-Regulierungspolitik des Imperiums geschaffen wurden. Allein hier liegt schon ein gerüttelt Maß an Heuchelei. Dann aber ist weiter festzuhalten: Es gibt tatsächlich eine ganze Anzahl von Inkongruenzen zwischen der politischen Organisation des neoliberalen Systems. Eine dieser Inkongruenzen wird gerade gegenwärtig sichtbar: Es ist die Inkongruenz zwischen dem auf das Weltsystem ausgerichte­ten Politik der politischen und bürokratischen Eliten und den Lebenswelten der großen Mehrheit der Bevölkerung. Die sind nämlich noch immer in hohem Maß lokal, regional und national verankert. Die inter- und übernationale Komponente kommt vorrangig bei den oberen Mittelschichten (und natürlich den dünnen Oberschichten) zum Tragen, aber sie bestimmt die ganze Ausrichtung der Politik. Die politischen Eliten nehmen diese Inkongruenz nur zur Kenntnis, wenn sie eine Folge hat, welche die Bevölkerung ganz aktuell nicht mehr tragen will. Das ist gegenwärtig in der Migrations-Krise der Fall.

Der neue Nationalstaat, den wir erst wieder entwerfen müssen, ist der Ausgangspunkt einer neuen Politik für die Subalternen. Es wäre entscheidend, dass ihn die Linke nicht verschläft. Das wird, unter Anderem, darüber entscheiden, ob es in Hinkunft überhaupt noch oder vielmehr: wieder, eine Linke geben wird und nicht nur Grüppchen mit linkem Hintergrund, die sich an einer oder zwei Händen abzählen lassen. Das gilt für Europa überhaupt. Wie sehr es aber auch für Deutschland gilt, haben wir nicht erst an den letzten Landtags-Wahlen gesehen. Dort haben die AfD und ähnliche Kräfte den Protest gegen dieses System abgeräumt – und jetzt versucht Frau Petry, ein „soziales Programm“ nachzuschieben. Dass ihr thüringischer Spitzen-Kandidat, ein Kleinunternehmer, mit dem Rest des Sozialstaats aufräumen möchte, stört sie dabei wenig.

Die LINKE aber hat nicht nur in Sachsen-Anhalt schwer verloren. Sie hat schon vorher und noch viel massiver in Berlin und in Brandenburg die Früchte ihrer verfehlten Politik, der Koalition mit dem Neoliberalismus der SPD, geerntet. Dort wurden ihre Stimmenanteile hal­biert. Und weil das so erfolgreich war, strebt sie dieselbe Konstellation auch auf Bundesebene an, am besten sogar mit den konservativen Grünen, welche die eigene Klientel besonders ablehnt. Man fragt sich: Wollen diese Leute das Geschäft ihrer Gegner nun selbst besorgen? Über Jahrzehnte hat es die geballte Staatsmacht des bundesrepublikanischen Konservativis­mus nicht geschafft, die LINKE zu zerdrücken. Nun gehen die Führungskräfte der Partei selbst tatkräftig an diese Aufgabe …

Doch das ist die Angelegenheit der Deutschen. Wir hier sehen mit Bedauern, wie damit eine Debatte verunmöglicht wird, die für die ganze europäische Linke von Bedeutung wäre

Albert F. Reiterer ,29. März 2016

Einen Blick auf die Entwicklung des Imperiums:

Stefan Hinsch / Wilhelm Langhtaler (2016), Europa zerbricht am Euro. Unter deutscher Vorherrschaft in die Krise. Wien: Promedia.

DER EURO UND DIE EUROPÄISCHE PERIPHERIE. Die konservative Euro-Kritik und die Linke.

Die europäischen Eliten beschlossen Anfang der 1990er auf dem Rat in Madrid und Dublin die Konstruktion des Euro und fixierten diesen Beschluss im Vertrag von Maastricht. Dabei konten wir ein seltsames Phänomen beobachten: Die Bevölkerung in jenen Staaten, welche sich die Einheitswährung leisten konnten und dann von ihr weniger beschädigt wurden oder teils sogar Nutzen daraus zogen, war gar nicht begeistert. Die Deutschen hätten den Euro mehrheitlich abgelehnt, hätten sie nur die politische Möglichkeit dazu gehabt.

Dagegen waren die Italiener, die Spanier, bald auch die Griechen mehrheitlich enthusiasmiert. Sie drängten in die Union, die sie bald irreparabel beschädigen und radikal zur Peripherie abstufen sollte. Wie passt das zusammen?

Währungen, „Geld“, stellen komplexe Erscheinungen dar. Sie haben eine technisch-ökonomische Seite. Aber im Blickpunkt steht häufig mehr die symbolisch-politische. Für die Deutschen war die DM das Zeichen ihres Nachkriegserfolgs. Nach dem NS-Wahn mussten sie sich machtpolitisch bescheiden. Die Bevölkerung dürfte damit ganz zufrieden gewesen sein, und die politische Klasse wurde von außen dazu gezwungen. Umso größer war der Stolz auf das „Wirtschaftswunder“. Die DM und ihre Aufwertungen zeigte: Man war wieder wer.

Im Süden dagegen lag die Chose umgekehrt. Die italienische Bevölkerung erlebte ein ständiges Staatsversagen. Am Wertverfall der Lira, z. B. gegenüber der DM, glaubte sie das ablesen zu können. Übersehen hat sie freilich, dass nach den üblichen Kennzahlen (BIP und BIP p.c.) die italienische Entwicklung seit 1950 besser war als die deutsche. Aber die Lira sank und sank. Und das politische System brach 1990 zusammen, von der DC über den PSI bis zur KPI. In Spanien ging es mit der Peseta nicht viel anders. Sagen wir es in aller Deut­lichkeit: Für die Südländer und gut ein Jahrzehnt später für die Oststaaten war der Euro die Verkörperung des Zentrums, der dominanten und hegemonialen Stellung. An dieser zentralen Position wollten sie teilhaben; und die Bevölkerung ging dabei mit.

Im Jahr 1960 bekam man für 7 Drachmen eine DM, 1983 musste man schon 56 Drachmen zahlen, und 1998, also vor dem Start der Währungsunion, 168 Drachmen. Für die Peseta waren die entsprechenden Werte 14, 57 und 85; für die Lira 149, 595 und 988. Mit einer solchen längerfristigen Kurs-Entwicklung in eine Währungsunion zu gehen, ist eine solche Leichtfertigkeit, dass einem die Luft weg bleibt – Leichtfertigkeit der politischen Eliten in Griechenland, Spanien und Italien; aber auch Leichtfertigkeit in Berlin und Brüssel.

Die Kursentwicklung sagt nichts über den Sinn der nationalen Politik. Eine inflationäre Wirt­schaftspolitik hat z. B. für Italien hohe Wachstumsraten gebracht und war einer deflationären, nur auf Preisstabilität ausgerichteten, wie in der BRD, auf jeden Fall vorzuziehen. Die Graphik zeigt aber, für Italien im richtig lesbaren Maßstab, für Spanien leider schlechter erkennbar, aber inhaltlich ununterscheidbar: Nach einer solchen Entwicklung in eine Währungsunion mit der Bundesrepublik zu gehen, war völlig unverantwortlich!

Geld ist schließlich der Steuerungs-Mechanismus von Marktwirtschaften. Eine Währung, ein Geldsystem bestimmter Nomination ist aber immer bezogen auf ein realwirtschaftliches Sys­tem. Seine Grenzen werden von den Grenzen des Gelds teils nachvollzogen, teils vom Geld selbst konstituiert- Hat also ein nationales Wirtschaftssystem im Vergleich zu einem anderen eine niedrigere Produktivität, eine andere Struktur und führt eine andere Politik, so braucht es eine Währung für sich. Was passiert, wenn Deutschland mit seiner hohen industriellen Pro­duktivität und seiner Außenorientierung mit Spanien und dessen Tourismus-Abhängigkeit sowie der auf niedrige Löhne setzenden Landwirtschaft in ein Währungs-System geht, geschehen am 1. Jänner 1999? Lassen wir für einen Augenblick die Finanz-Spekulation beiseite. Die stärker international orientierte Wirtschaft mit der höheren Produktivität wird dominieren. Die schon vorher angelegte Zentrum-Peripherie-Struktur wird verschärft. Der Euro wurde zum Hauptvehikel des neuen deutschen Imperialismus, der Berliner Republik.

Im 19. Jahrhundert schon hat Friedrich List darauf verwiesen: Die Smith’sche Freihandels-Idee ist eine politische Ökonomie des Starken, damals Großbritanniens. Aber wozu ins 19. Jahrhundert gehen? Die Deutschen haben seit 1990/91 die Wirkung eines solchen Währungs­union am eigenen Leib erfahren: Die Wirtschaft der DDR wurde nach ihrem Anschluss voll­kommen zerstört. Der Osten wurde abhängig, die Bevölkerung wanderte in den Westen und nach Österreich aus, und die Bevölkerung im Westen beglich die Kosten, durch Transfers und durch niedrigere Löhne.

Hier ist eine Bemerkung zur Produktivität nötig. Die wird meist aufgefasst wie eine einzel­wirtschaftliche Größe. Der Weg zu den faulen Griechen und Spaniern ist dann nicht mehr weit. Aber eine gesamtwirtschaftliche Produktivität ist von der Wirtschaftsstruktur abhängig. Produktivitäts-Steigerung erfolgt hauptsächlich durch Umstrukturierung in Branchen höherer Wertschöpfung. Die einzelwirtschaftliche Entwicklung macht den kleinsten Teil aus. In der direkten Konkurrenz geht der Teil mit der niedrigen Produktivität im einzelwirtschaftlichen Bereich unter. Das heißt nüchtern: Mit der Produktivität steigtd ie Arbeitslosigkeit. Umstruk­turierung aber braucht Zeit und politische Unterstützung. Gerade diese soll in der EU verhindert werden, denn das ist „nicht marktgerecht“.

Damit sind wir bei einem entscheidenden Punkt. Die konservative Euro-Kritik argumentiert von der Idee der Optimalen Währungsraums her (OCA-These). Eine Währung soll nur ein Gebiet etwa gleicher Produktivität, somit auch ähnlicher Inflations-Entwicklung, ähnlicher Zinssätze und ähnlicher Struktur umfassen. Das ist keineswegs falsch. Aber den Kern der Angelegenheit bildet es nicht mehr. Das ist nach dem Crash-Kurs der Schäuble’schen EU seit 2008 augenfällig. Es geht heute hauptsächlich darum, dass mit einer Einheitls-Währung jede eigenständige (Wirtschafts-) Politik unmöglich wird und werden soll. Eine Alternative zum neoliberalen Brüsseler-Berliner Kurs muss ausgeschlossen werden. Darauf waren bereits die berüchtigten Maastricht-Kriterien angelegt. Die Staats-Schulden haben mit einer Währung nicht mehr zu tun als jede beliebige andere Kennzahl auch. Aber sie sollen ein Gegensteuern gegen den dogmatischen Kurs aus dem Zentrum verhindern. Nur beiläufig: Das kann mit rein fiskalischen Maßnahmen auf Dauer sowieso nicht funktionieren. Die Entwicklung von 2000 bis 2008 hat dies deutlich genug gezeigt. Die pseudokeynesianische Konzentration auf die Schuldenpolitik lenkt davon nur ab.

Trotzdem haben wir hier einen fundamentalen Unterschied zwischen der konservativen Euro-Kritik und der linken. Man muss ja nicht gleich Bruno Bandulet, ehemals leitender Redakteur der „Welt“ und Strauss-Mitarbeiter, heranziehen. Der will zurück zum Goldstandard und sieht das Kaiserreich als seine Traum-Periode. Wir hingegen kritisieren das Eurosystem u. a. des­wegen, weil es eine neue, neoliberale Form des Goldstandards ist. Das gilt auch gegen die „Gemäßigten“ wie H.-W. Sinn und den politisch fast verblichenen Gründer der AfD, den Prof. Lucke. Doch wir werden nicht so hirnlos sein, wie eine Kollegin mit einem klingenden Namen in der SPÖ: Weil solche Konservative gegen den Euro sind, müssen wir dafür sein. Wir lassen uns unsere Ziele nicht von unseren Gegnern vorschreiben, auch nicht negativ!

Diese ausschließlich ökonomische Argumentation darf unseren Blick auf die politische Entwicklung nicht verstellen. Griechenland hat uns vorgeführt, wohin die quasi system­immanente Euro-Kritik führt ̶ in die Katastrophe. Infolge des Wahl-Kalenders ist nun Spanien an der Reihe. Podemos scheint kaum was gelernt zu haben aus der SYRIZA-Pleite. Die Frage, die sich uns stellt, geht weit über den Anlass hinaus: In welchem Ausmaß dürfen und können wir uns durch solche nur auf Wahlen abgestellten Prozesse einschränken lassen? In Podemos finden wir Strömungen und Gruppen, die weit über die kastrierten Partizipations-Möglichkeiten der Wahlen hinausgehen. Vielleicht ist das ein Anlass, unsere interne Strategie-Debatte neu aufzunehmen. Denn das Verhältnis von allgemeinen Wahlen und zivilgesell­schaftlich-politischen Prozessen ist ein Kernpunkt einer linken Strategie.

Feber 2016 für Solidar-Werkstatt: werkstatt blatt 1 / 2016.

(Hier wurde eine Graphik nicht aufgenommen, dafür ein entsprechender kurzer Textabsatz eingefügt)

 

Es macht Sinn, eine extrem reaktionäre Euro-Kritik zu lesen. Sie sollte allen jenen klarmachen, wodurch wir von der Linken uns von dieser Strömung unterscheiden:

Bandulet, Bruno (2010), Die letzten Jahre des Euro. Ein Bericht über das Geld, das die Deutschen nicht wollten. Rottenburg: Kopp.

EPA: Ein Handelssystem, wie Krieg gegen die Armen

mabanza

Vortrag von Boniface Mabanza, Mi, 8. 6. 2016 um 19:00, Ort: Gudrunstraße 133, 1100 Wien

Das EPA (Economic Partnership Agreement) ist ein, seit 2003 von der EU gefordertes Freihandelsabkommen mit den AKP-Staaten (Afrika-, Karibik*-, Pazifikstaaten), darunter 48 Staaten Afrikas südlich der Anrainerstaaten des Mittelmeeres.

*Kuba ausgenommen

 

Dr. Boniface Mabanza studierte Philosophie, Literaturwissenschaften und Theologie in Kinshasa und promovierte 2007 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Er ist Koordinator der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) in Heidelberg. Für seinen konsequenten Einsatz für afrikanische Perspektiven in Europa erhält Boniface Mabanza im Juni 2015 den „Dorothee Sölle-Preis für aufrechten Gang“, den das Ökumenische Netzwerk „Initiative Kirche von unten“ vergibt.

 

Warum leistet ein Großteil der afrikanischen Bevölkerung und auch dessen Regierungen seit nunmehr schon 13 Jahren Widerstand gegen dieses Abkommen?

Mit welchen Mitteln und warum zwingen die EU-Handelsstrategen die betroffenen Staaten zur Aufgabe?

Was haben TTIP und EPAs für Gemeinsamkeiten und was hat TTIP für eine Auswirkung auf Afrika?

Welche Folgen hat dies für die Ökonomie und die Bevölkerung Afrikas?

Werden dadurch soziale Konflikte vorgezeichnet und Fluchtursachen verstärkt?

Was können wir gegen dieses Weltmachtstreben der EU-Eliten tun?

Sind gerechte Wirtschaftsbeziehungen mit afrikanischen Ländern im Rahmen der EU möglich?

Wie könnten wirtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil aussehen?

 

Um Antworten zu finden und weitere kritische Auseinandersetzungen darüber zu führen haben wir Dr. Boniface Mabanza, der sich kritisch über die Auswirkungen der EU-Freihandelsverträge auf Afrika auseinandersetzt, eingeladen.

 

 

Zitate von Dr. Mabanza:

„Die EU-Kommission verfügt über einen Riesenapparat um in verschiedenen Regionen gleichzeitig zu verhandeln und hat die Kapazitäten zur Durchschlagskraft. Diese Stärken haben wir nicht. Die EU wollte uns Verhandlungsexperten zur Verfügung stellen. Diese von der EU bezahlten Experten wollten wir nicht. Das würde bedeuten, daß die EU mit sich selbst verhandelt. Der aktuelle Präsident, damals (2009) Handelsminister von Namibia machte darauf aufmerksam, daß die AKP-Unterhändler von den EU-Verhandlern respektlos behandelt wurden. Wir wollen keine Praktiken die uns in die Kolonialzeit zurückführen.“

 

„Von Fluchtursachen zu sprechen und ein Handelssystem zu ignorieren, das sich wie Krieg gegen die Armen auswirkt und wie jeder Krieg, Flüchtlinge produziert, kann nur mit einer gestörten Selbst- und Fremdwahrnehmung erklärt werden. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen von heute sind ein Teppich für die Flüchtlinge von morgen.“

 

Subtext

Ein emanzipatives Programm für das 21. Jahrhundert – Fairhandel statt Freihandel!

Der Neoliberalismus hat die Herrschaft über die Köpfe verloren. Er wird von einer Mehrheit der Menschen in Frage gestellt. Viele lehnen ihn offen ab und fragen nach einer Alternative zur Herrschaft der Eliten. Allein, praktisch erscheint er unerschütterlich und beherrscht nicht nur die wirtschaftliche und politische Sphäre, durchdringt alle Lebensbereiche. Für ein emanzipatives Programm wird es notwendig sein, das verklärende legitimatorische Bild von der Globalisierung in Frage zu stellen. Wir müssen der Frage nachgehen, welche Art von internationalen – auch wirtschaftlichen – Beziehungen wir aufbauen wollen. Insbesondere auch mit den Ländern des Südens. Die Vortragsreise mit Dr. Boniface Mabanza sehen wir in diesem Zusammenhang.

 

www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=1405&Itemid=1

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