Plan A, B, C und die Verteidigung der Mindestsicherung

von Boris Lechthaler

 

Das (euro-) linke komödiantische Treiben nimmt kein Ende

 

Als im Sommer 2015 die eurolinken Phantasmagorien über eine sozialere und demokratischere EU, oder auch nur ein Ende der Austerität, nach dem griechischen Referendum zusammenkrachten, konnten wir hoffen, dass das linke komödiantische Treiben rund um das goldene Kalb EU ein Ende nimmt. Immerhin wurde in einem Aufruf von „Europa neu begründen“, einem milieutypischen Dokument, bereits nach dem Wahlsieg Syrizas im Jänner 2015 artikuliert, wenn eine Neuorientierung der EU nur nach einem Ausscheiden aus der Währungsunion möglich sei, „werden die europäischen Institutionen für unvereinbar mit demokratischen Entscheidungen in den Mitgliedsländern erklärt.“1)

 

Varoufakis in Berlin

 

Doch dann kam der 9.2.2016. Der gescheiterte griechische Finanzminister Gianis Varoufakis verkündet in Berlin mit Mitstreitern aus 12 Ländern das „Democracy in Europe Movement 25“ (DiEM25). Es ist müßig, darüber zu spekulieren, woher das Gold stammt, das da nunmehr in ein neues Kalb gegossen wurde. Jede Menge klingende Namen, Toni Negri, James Galbraith, Srecko Horvat, sind da versammelt; aus Österreich ProponentInnen der „Europa anders“ Kandidatur, die 2014 mit einem Volksbegehren zum Angriff auf die letzten Reste genossenschaftlichen und kommunalen Bankwesens zugunsten der europäischen Finanzindustrie bliesen. Das Manifest selbst wurde, wie es sich für ein EU-Dokument gehört, in Hinterzimmern gekleistert, und so moniert der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold, dass nicht klar sei, wer eigentlich „die vielen Änderungen in den verschiedenen Versionen des Manifests verlangt und wer entschieden hat…“2) Von Austerität, Massenarbeitslosigkeit und Eurokrise ist keine Rede mehr. Stattdessen fordert man live-streams von den EU-Ratssitzungen und vor allem eine verfassungsgebende Versammlung. Martin Höpner, Sozialwissenschafter am Max-Planck-Institut, erklärt in einem hellsichtigen Blogeintrag den Zusammenhang von Demokratie und Euroregime: „Vor diesem Hintergrund ist es nur höchst konsequent, Verfahren zu errichten, die zum Ziel haben, das Fehlen transnationaler Lohnkoordination zu kompensieren, ja die Tarifautonomie der Sozialpartner in letzter Konsequenz zu brechen. Das ist der Preis des Euro….. Wenn der Euro denn verteidigt werden soll, seine Bestandsvoraussetzungen aber eklatant verletzt werden, solange die Euro-Teilnehmer Demokratien sind – dann ist es nur höchst konsequent, die Freiheitsgrade der Demokratien durch technokratische Interventionen immer weiter einzuschränken, bis hin zur faktischen Vollsuspendierung demokratischer Verhältnisse in den Krisenländern.“ 3)

 

Bereits bei den Auseinandersetzungen um den EU-Reformvertrag und den EU-Fiskalpakt gab es von eurolinker Seite den Versuch, die nationalen Demokratien auszuhebeln, indem man eine europaweite Volksabstimmung forderte. Im österreichischen Fall ist es jedoch geradezu eine hintervotzige Art von NS-Wiederbetätigung, wenn man fordert 80 Millionen Deutsche mögen über die immerwährende Neutralität abstimmen, und so beließ man diese Phantasien in rechtlichen Grauzonen. Es ging mehr um die Hoffnung auf ein eurochauvinistisches Erweckungserlebnis, dessen Sog skeptische Kräfte in einzelnen Ländern hinwegspülen würde, wenn eine derartige Volksabstimmung in allen Ländern am gleichen Tag durchgeführt werde. Doch diese Hoffnung wurde bereits 1999 enttäuscht. Damals sprach der deutsche Kanzler Schröder anläßlich des Beginns der Bombardierung Jugoslawiens von einem „europäische(n) Gründungsakt, der wie so oft „nicht im Jubel, sondern im Schmerz“ geschehe.

 

DiEM25 geht da einen Schritt weiter. Von Volksabstimmungen, ob national oder EU-weit, ist überhaupt keine Rede mehr. Die verfassungsgebende Versammlung selbst „wird die Befugnis haben, über eine künftige demokratische Verfassung zu entscheiden, die innerhalb eine Jahrzehnts die bestehenden europäischen Verträge ersetzen wird.“4) Man/frau traut seinen Augen nicht. In einem von Strippenziehern im Hintergrund erstellten Manifest wird ein europaweiter Verfassungsputsch gefordert und als demokratische Erneuerung verkauft. Was, wenn sich da im Ergebnis dann doch einzelne europäische Nationen verweigern? Wie geht man dann gegen diese vor? Genügt dann noch eine Troika mit ihren Memoranden oder benötigt man dann doch schon härtere Mittel? Wir müssten alarmiert sein, wäre das gesamte Manifest und seine ProtagonistInnen nicht so lächerlich. Martin Höpner bringt es auf den Punkt, wenn er in einem facebook-Eintrag schreibt: „Was von DiEM25 bleiben wird … sind Forderungen nach Livestreams von Sitzungen des Rats und ähnlicher Unfug.“

 

DiEM25 eigentlicher Zweck: ein Begräbnis für Plan B

 

Der eigentliche Zweck der Krawallveranstaltung in Berlin war, einer ernsthaften Initiative, die sich im Herbst 2015 rund um Oskar Lafontaine, Luc Melenchon, Stefano Fassina, u. a. herausgebildet hat, der so genannten „Plan B Initiative“ den Boden unter den Füssen zu entziehen. „Neben den südlichen Krisenländern durchlaufen auch Italien und Frankreich einen rasanten Prozess der Deindustrialisierung. …Wir müssen uns der Einsicht stellen, dass eine progressive Rettung des Euros keine Chance auf Verwirklichung hat…Aus diesem Grund müssen wir den Euro selbst zur Disposition stellen… Der Übergang in ein anpassungsfähiges Wechselkurssystem würde die Wechselkurse von den erratischen Ausschlägen der Finanzmärkte schützen, seinen Teilnehmern aber gleichzeitig die Möglichkeit von Auf- und Abwertungen eröffnen und eine auf die jeweiligen Problemlagen passende Geldpolitik erlauben.“5), heißt es im Aufruf vom Herbst 2015. Martin Höpner sieht vier Gründe, die für ein erneuertes Europäisches Währungssystem sprechen, wobei der Titel seines Beitrags gewisse Selbstzweifel offen anspricht.6) Zum Ersten das EWS existiert bereits, findet aber zur Zeit nur im Verhältnis von Euro und dänischer Krone Anwendung. Zum Zweiten, die Wirkungen der Wechselkursanpassungen lassen sich, entgegen neoliberaler Märchenerzählungen überprüfen. Zum Dritten, setzt sich damit die Plan B – Initiative deutlich von neoliberaler Eurokritik ab, die einzig im freien Spiel der Marktkräfte auf den Finanzmärkten, das Heil sucht. Zum Vierten wäre es kein Zurück in die „nationale Wagenburg“. Bei Drittens und Viertens geht es um entscheidende ideologische Fragen, die einer eingehenden Untersuchung bedürfen. Skepsis ist auch bezüglich Erstens und Zweitens angebracht. So kommt Klaus Dräger, auch in Reflexion der Erfahrungen der ersten Regierung Mitterand im Frankreich der frühen 80er Jahre zum Resumee: „Insofern: ein erneuertes EWS propagieren – ja. Aber reale und absehbare weitere Krisenentwicklungen könnten auch dazu führen, dass vor allem von Linksbündnissen geführte EU-Länder daraus ausscheren müssten. Sofern sie ihr Programm umsetzen wollten, mit dem sie demokratische Wahlen gewannen.“7) Aber das weiß auch Martin Höpner, wenn er zum Schluss kommt: „Andererseits waren, sind und bleiben die europäischen Produktions- und Verteilungsregime samt ihrer Inflationsdynamiken zu heterogen, als dass diese Stabilisierung friktionslos und vor allem dauerhaft gelingen könnte.“8) Der Nutzen der Plan B-Initiative ist m E. ein politischer. Ein erneuertes EWS ist ein geeignetes Verhandlungsinstrument in den Händen entschlossener emanzipativer Kräfte. Die Betonung liegt hier auf dem Adjektiv „entschlossen“. Es bedeutet nichts weniger als die Bereitschaft, mit dem Euroregime zu brechen, auch wenn der Verhandlungsgegner nicht bereit ist, auf die Ausgestaltung eines EWS einzusteigen. Das berührt auch die Frage eines Austritts aus der EU. Natürlich ist die Frage berechtigt, wie so etwas durchgeführt werden soll. Weder die Einführung eines EWS noch der EU-Austritt können jedoch im Sinne eines Fahrplans autonom definiert werden. Sie können das Ergebnis härtester Konfrontation und Brüche, sowohl mit den Eliten im Innern als auch mit den äußeren hegemonialen Kräften, wie das Ergebnis eines Verhandlungskonsenses sein.

 

Aus dieser Perspektive hätte Plan B, bzw. ein erneuertes EWS, bedeutend gewichtigere Bedeutung für Frankreich, vor allem aber auch für eine österreichische EU-Austrittsbewegung, als für die südeuropäische Peripherie. Die Erosion französischer Hegemonie korreliert unmittelbar mit der Einbindung Österreichs bei der Entfaltung der deutschen Hegemonie in Europa. Griechenland, Portugal, ja selbst Spanien ist aus der deutschen Perspektive ein Nebenschauplatz. Das benennt die wesentlichste Schwäche der Plan B-Initiative: sie suggeriert, in Anlehnung an die Ideologeme der herrschenden Eliten, der Euro sei der Kern des europäischen Projekts. Die wesentlichste Auswirkung eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone für die Menschen in Griechenland wäre die Wahrnehmung der Tatsache, dass sie keine Deutschen sind. Punkt. Polen mit seinen 38 Mio EinwohnerInnen, Tschechien, Österreich mit seiner historischen Stellung in Mittel-, Ostereuropa ist von wesentlich zentralerer Bedeutung für die deutsche hegemoniale Entfaltung. Der wirkliche Grund für das Festhalten der südlichen Peripherie am Euro ist chauvinistischer Natur. Man will entgegen der wirtschaftlichen Fakten dazugehören zum Klub der Reichen und Schönen. Das ist verständlich schafft aber umgekehrt entwürdigende Abhängigkeiten. Dieser entwürdigenden europäischen Kastengesellschaft kann im Rahmen des Euroregimes nicht begegnet werden. Frederic Heine und Thomas Sablowski haben in einem Beitrag 2015 darauf aufmerksam gemacht.„Demnach ist der Anteil der Eurozone an den deutschen Exportzielen von 42,7% im Jahr 2008 auf nur noch 36,4%im Jahr 2014 gesunken. Die Krisenländer, auf die 2008 noch 12,9% der deutschen Exporte entfielen, haben dabei als Markt am stärksten an Bedeutung verloren und absorbieren nur noch 9,5% aller deutschen Exporte.“9) Umgekehrt ist in Bezug auf Mittel- u. Osteuropa die deutsche Importstatistik bemerkenswert: 2014 kommen 20,4% aller Importe Deutschlands aus den MOEL-Staaten, die jährliche Wachstumsrate beträgt 5%. Für Frankreich betragen die gleichen Zahlen 8,6% und 1%.9) Die Frage, ob sich diese Relationen durch die französische Rätätätä-Politik in Libyen, Syrien oder Nordafrika verändert hat, ist zynisch. „Der Unterschied ist, dass Deutschland die Importe aus den Krisenländern durch Importe aus anderen Ländern ersetzte,.. die peripheren europäischen Länder stärker unter einer neuen Konkurrenz im Segment der Produkte mittlerer technologischer Komplexität litten – namentlich aus China und Osteuropa – und ihre Anteile an diese verloren. Deutschland, in der Hierarchie des Weltmarkts am oberen Ende, konnte hingegen seine komplexen Produkte weiterhin sowohl in der Eurozone als auch global veräußern.“ resümieren Heine und Sablowski. 9) So berühren maues Wirtschaftswachstum und Eurokrise die deutsche Exportmaschine kaum. Die Wiener Zeitung berichtet am 9.2.2016 online: „Deutschlands Exporteure haben 2015 alle Rekorde gebrochen. Waren im Gesamtwert von Eur 1195,8 Mrd gingen ins Ausland… Die Bestmarke aus dem Vorjahr wurde nochmals um 6,4% übertroffen,…Die Handelsbilanz,…, schloss mit einem Rekordsaldo von 247,8 Mrd. Euro.“10) Österreich liegt im Schlepptau, trotz Leitls Gemosere vom abgesandelten Wirtschaftsstandort: „2015 war ein Rekordjahr für die heimische Exportwirtschaft. Der Außenhandelsüberschuss liegt bei 11 Milliarden Euro“ 11) Der Wert der Exporte der österreichischen Wirtschaft beträgt 2015 stolze 184 Mrd Eur. Das Wachstum wurde vor allem in den USA, Mexiko, Polen und Tschechien erzielt, während sie gegenüber Frankreich um 11% zurückgingen.

 

Heine und Sablowski berühren in ihrem Beitrag eine Erkenntnis, deren Eingang in den Fundus angenommener Voraussetzungen im kritischen Diskurs vielfach suspendiert wurde: nämlich, „dass der Weltmarkt keineswegs eine homogene Entität ist, in der alle Unternehmen aller Länder auf gleicher Ebene miteinander konkurrieren. Der Weltmarkt ist auf vielfache Weise fraktioniert.“12) Dass der Weg der inneren Abwertung kein Weg aus der Krise für die südlichen Krisenländer ist, kommt in der Tatsache zum Ausdruck, dass „der Überschuss Deutschlands gegenüber den Krisenländern (…) sich auf nahezu null reduziert. (hat)…(Eine Folge) in erster Linie einer Kontraktion der Importnachfrage (die Frankreich viel härter getroffen hat, Anm. B.L.) 13) So kam es trotz der enormen Lohnsenkungen in Griechenland zu einer Verlagerung von Unternehmen aus Griechenland nach Bulgarien, einem Nichteuroland. Die Autoren kommen zum Schluss: „Es ist keineswegs notwendigerweise im aufgeklärten Eigeninteresse der Herrschenden in Deutschland, die wirtschaftliche Entwicklung und damit die Nachfrage in den Staaten Südeuropas zu fördern. Im Gegenteil profitiert Deutschland zu einem gewissen Grade von der rezessiven Entwicklung der EU. Die Schwäche des Euro verhilft zu einem kleinen Wettbewerbsplus,… da aber Frankreich und die Krisenländer einen viel größeren Anteil ihres Handels mit der Eurozone abwickeln, bleibt Deutschland der Hauptnutznießer des niedrigen Euro-Außenwerts.“ 14)

 

Das Gerede von der nationalen Wagenburg

 

All diese Überlegungen sprechen dennoch nicht dagegen, Plan B, bzw. ein erneuertes EWS als Verhandlungsoption in Stellung zu bringen. Sie sollen dazu anregen, ihn richtig in Stellung zu bringen. Das Argument, Plan B sei „kein Zurück in die nationale Wagenburg“ ist aus dieser Perspektive nicht nur überflüssig, sondern der Steigbügel für Varoufakis Scharlatanerie. Es kommt darauf an, das Gerede von der „nationalen Wagenburg“ als das zu enttarnen, was es ist: Kein Argument, sondern eine Erpressung.

 

Weder die Forderung nach Auflösung der Währungsunion noch die Forderung nach Austritt aus der EU haben irgendetwas mit der Sehnsucht nach einer nationalen Wagenburg zu tun. Die Wagenburg ist nichts anderes als die Drohung der hegemonialen Mächte, wie mit einem unbotmäßigen Staat umgegangen wird. Es ist die Drohung ihn zu isolieren, ihn abzuwürgen, die ihn gefügig machen soll. Ebenso ist das Gerede vom „Rückfall in den Nationalismus“ unsinnig. Man kann nicht zurückfallen in etwas, was gar nie verlassen wurde. Was auf den Bildern aus Athen nach dem Referendum vom 5. Juli 2015 ins Auge stach, waren doch die Unmengen an griechischen Fahnen, mit denen die Menschen ihren kollektiven Willen unterstrichen. Das im linksliberalen Eurodiskurs gepflegte Theorem von der Überwindung des Nationalismus durch die EU-Integration ist der Versuch einer eleganten Umschreibung der Tatsache, dass man die Bindung der eigenen Politik an die Interessen und Haltungen der Mehrheit der Menschen überwunden hat. Das Europagedusel der linksliberalen Schickeria hat nichts zu tun mit einer Überwindung des Nationalismus, sondern ist die Hoffnung chauvinistische Grundhaltungen auf eine europäische Ebene heben zu können. Die aktuelle Flüchtlingskrise hat das unmittelbar sinnlich vor Augen geführt. Der Ruf nach „no border, no nation!“ hat einer Politik die Tür geöffnet, mit der das nationale Asylrecht ausgehebelt wird, um vice versa eine Festung Europa zu errichten. In dieser Frage kann es kein taktisches Wegducken geben. Freilich muss jegliche Form nationalistischen, ethnizistischen Chauvinismus im Geiste eines Internationalismus überwunden werden. Wenn wir aber darum kämpfen, dass die Arbeitenden, die Ausgestoßenen, die an den Rand gedrängten wieder zu Subjekten der Geschichte werden, kann dies nur ausgehend von den historisch gewordenen Nationalstaaten geschehen. Die antinationale Phrase ist der Versuch einer innerlich ausgehöhlten linken Ideologie, das Überleben als dienstbarer Geist der herrschenden Eliten zu sichern. Sie ist ein Angriff auf das Politische schlechthin in der irrigen Annahme, der Staat, die Politik sei den ökonomischen Verhältnissen aufgepoppt. Diese Auseinandersetzung muss in aller Entschiedenheit geführt werden, wenn wir um gesellschaftliche Emanzipation streiten wollen. Wenn wir damit nicht beginnen, werden wir noch viele DiEM25 erleben. Hans Rüdiger Minow hat es in einem Interview auf den Punkt gebracht: „Aber auch der Austritt aus dem Euro ist keine Perspektive, wenn die sozialpolitischen und geostrategischen Fundamente dieselben bleiben. Überstaatliche Verschmelzungen in einem föderalen Bundesstaat EU bringen weder Frieden noch soziale Gerechtigkeit, solange das Grundübel, die Gesamtrationalisierung des Kontinents, unangetastet bleibt.“15)

 

Die Verteidigung der Mindestsicherung

 

Klaus Dräger stellt die Frage: „Glauben die auf der Pariser Plan B Konferenz versammelten Kräfte daran, es ließe sich eine europäische oder nationale Massenbewegung für ein ‚neues EWS’ erzeugen? Vermutlich nicht. Für Erwerbslose, Arme, ArbeitnehmerInnen und selbst die Mittelschichten sind Fragen nach einem anderen Währungsregime in Europa allein zu komplex und von ihrer Lebenswirklichkeit soweit entfernt, dass sie solche Alternativen bestenfalls in den Grundzügen (und eher auf einer sozialen Werteebene) nachvollziehen und bewerten würden.“ 16) In Österreich erleben wir zur Zeit heftige Angriffe auf die Mindestsicherung. Die Angriffe begannen bereits vor der aktuellen Flüchtlingskrise. Mit dieser ist es der extremen Rechten gelungen, den Angriffen auf die Mindestsicherung einen ethnizistischen Drall zu verleihen. Die herrschaftlichen Bemühungen um die Schaffung eines Niedriglohnsektors wird von der extremen Rechten übernommen, indem sie gegen die Schwächsten gewendet wird. Es droht eine gesellschaftliche Spaltung. Die rechtsextreme Propaganda hat den Zusammenhang der Angriffe auf die Mindestsicherung mit der neoliberalen EU-Agenda fast vollständig überdeckt. Wenigen, die dagegen aktiv werden, ist bewusst, dass es ihn überhaupt gibt, und allzu wenige tragen dazu bei, dass er bewusst wird. Austerität sei eine Veranstaltung in den Krisenländern der südlichen Peripherie und nicht im Zentrumsland Österreich. Es erfordert taktisches Geschick diesen Zusammenhang zur Sprache zu bringen, ohne den Eindruck zu erzeugen, den Menschen werde etwas aufs Auge gedrückt. Franz Stephan Parteder ist recht zu geben, wenn er in einem Debattenbeitrag formuliert: „Wir müssen darum kämpfen, dass es den Herrschenden immer schlechter gelingt, ihren Zorn über die Verhältnsisse auf noch Ärmere abzulenken. Diese Auseinandersetzung können wir nur bei uns, in den Gemeinden, in den Betrieben, wir können sie nur vor Ort führen. Es geht darum, in Bewegungen aktiv zu sein und dort einen Lernprozess über die grundlegenden Widersprüche in unserer Gesellschaft einzuleiten. Jede positive Veränderung der Kräfteverhältnisse wird dabei auch auf die europäische Ebene wirken.“17) Die aktuelle Auseinandersetzung um die Mindestsicherung lässt in diesen Überlegungen jedoch eine große Leerstelle, eine klaffende Lücke, sichtbar werden. Wir können auf europäischen Konferenzen Plan A, B oder C entwerfen. Wir können in Betrieben und Gemeinden den Widerstand organisieren. Entschieden wird im österreichischen Fall in wesentlichen politischen Fragen nach wie vor in Wien. Wir brauchen ein nationales Projekt zum Ausstieg aus dem EU-Konkurrenzregime.

 

1) www.europa-neu-begruenden.de

2) Birgit Baumann „der Standard“, 9.2.2016

3) Martin Höpner (www.flassbeck-economics.de/diem25-was-helfen-uns-jetzt-die-vereinigten-staaten-von-europa?)

4) zitiert nach 3)

5) Europa braucht einen „Plan B“, gemeinsame Erklärung v. Herbst 2015, www.euroexit.at

6) Martin Höpner: Voran in ein erneuertes Europäisches Währungssystem – und alles wird gut?, www.flassbeck-economics, 3.2.2016

7) Klaus Dräger: „Krise der Weltwirtschaft, erneute Eurokrise: Ein Plan B für Europa?“

8) siehe 6)

9) Frederic Heine und Thomas Sablowski, Zerfällt die europäische Union? Prokla, Verlag Westfälisches Dampfboot, Heft 181, 45. Jg. 2015, Nr. 4, 563-591

10) Wiener Zeitung online, 9.2.1016

11) Wiener Zeitung online, 22.2.2016

12) siehe 9)

13) siehe 9)

14) siehe 9)

15) www.german-foreign-policy.com, 26.1.2016

16) siehe 7)

17)Franz Stephan Parteder, eh. Vors. Der KPÖ-Steiermark (12.2.2016), www.euroexit.at

LUGER, KHOL, HUNDSTORFER, HOFER, VAN DER BELLEN, WABL, AWADALLAH, GRISS, … Was geht die Bundespräsidentenwahl die Linke an?

Am 24, April 2016 wird in Österreich die Wahl des Bundespräsidenten stattfinden; der erste Wahlgang jedenfalls. Ein zweiter wird aller Voraussicht nach zwei Wochen später abrollen. Die Zeitungen, vor allem das Intelligenzler-Blatt „Österreich“, sind voll davon. Was geht das die Linke an? „Müssen“, dürfen, sollen sich Linke mit einer Wahl auseinandersetzen, die zur reinen Ablenkung von wesentlichen politischen Fragen dient? Solange wir in diesem politi­schen System leben und arbeiten, sind solche Events eines durchgestylten Manipulations-Prozesses Teil unserer täglichen Erfahrung und ziemlich wichtig. Wir müssen uns also damit auseinandersetzen, wenn wir uns von der politischen Wirklichkeit nicht abkoppeln wollen. Oder ist jemand allen Ernstes der Ansicht: Manipulation braucht man nicht analysieren?

Unter allen möglichen Kandidaten / Kandidatinnen ist Alexander van der Bellen für Linke der am wenigsten akzeptable. Er hat sich geoutet, als potenzieller Putschist. Die FPÖ würde er angeblich nicht angeloben. Weil sie EU-kritisch sei. Lassen wir den Wirklichkeitsgehalt dieser Behauptung einmal beiseite. Damit wird dann eine legitime politische Haltung, vertreten von einer Mehrheit der österreichischen Bevölkerung, in die Illegalität gerückt. Wir selbst sind davon besonders stark betroffen.

Dies entspricht aber ganz der Haltung der politischen Klasse nicht nur in Österreich. Mit einer ähnlichen Begründung hat der portugiesische Präsident über Wochen und Monate die dortige Regierungs-Bildung behindert, bis er aufgegeben hat. Und Giorgio Napolitano, bis vor etwa einem Jahr Oberhäuptling in Italien, zumindest dem Protokoll nach, hat seine ganze Amtszeit hindurch einen permanenten Staatsstreich verkörpert. Sein (ex-) christlich-demokratischer Bruder im Geist bestimmt heute die italienische Politik. Der permanente Staatsstreich heute heißt Matteo Renzi.

Dies sind also die Vorbilder, denen der grüne Kandidat nacheifert. Dazu gehört auch noch Franz Josef Fischer, der den ersten Angriffskrieg der Bundesrepublik seit dem Nazi-Reich zu verantworten hat. Van der Bellen nennt ihn immer wieder als Busenfreund und Berater.

Na und? Wir wissen schließlich: Das ist ja der Sinn dieses schönen Amtes, und so entstand es. In den 1920ern wurden die Christlichsozialen zusammen mit den Heimwehren immer unge­duldiger. Mit Wahlen erreichten sie ihr Ziel einfach nicht. Immer lauter wurden die Putsch-Drohungen der Heimwehren. Die Sozialdemokratie bekam es mit der Angst zu tun. Der rechte Karl Renner und der angeblich linke Otto Bauer waren schließlich zu einem Kompromiss bereit. Kern der Vereinbarung war die Präsidentschaft. Allerdings wurde nicht etwa der Präsident gestärkt. Die Regierung muss für Alles, was der Präsident tun soll, das Skript schreiben. Fast Alles: Bei der Regierungs-Bildung selbst hat er einen gewissen Spielraum.

Diese Präsidentschaft übernahm dann auch die SPÖ 1945 unter der falschen Flagge, die Verfassung von 1920 würde wieder hergestellt. Als besonderes Gustostückerl kam noch der Gesslerhut der Wahlpflicht für diese realpolitisch unbedeutendste Wahl überhaupt dazu: Es ist eine reine Schikane. Der Staatsbürger soll sich vor dem Staatsgötzen verneigen. – Im übrigen stellte dann eine der diskreditiertesten Figuren der Ersten Republik den ersten, nicht vom Volk gewählten Präsidenten: Karl Renner hatte freiwillig und ohne die geringste Not, aus reiner Wichtigtuerei und offensichtlich aus Übereinstimmung den Nazi-Anschluss Österreichs ebenso wie der Überfall auf die Tschechoslowakei öffentlich begrüßt und sogar eine Rechtfertigungs-Broschüre dazu geschrieben. Diesen vorbildlichen Österreicher machte man also zum ersten Bundespräsidenten.

Alexander van der Bellen steht ganz und gar in der Tradition des Austrofaschismus und des Karl Renner.

Und die anderen Kandidaten?

Selten zeigte sich die Situation der classe politique in so grellem Licht. Die anderen Regie­rungs-Kandidaten könnten sogar den Einzug in die Stichwahl verfehlen, nach heutigem Stand, nur wenig mehr als ein Monat vor der Wahl. Ein Wunder? Hundstorfer hat als Sozialminister das gemacht, was ihm die harten Neoliberalen vorschrieben. Schon heute trauern sie ihm nach. Als Gewerkschafter hat er mitgeholfen, die Gewerkschafts-Bank zu verjankern. Als guten Abschluss seiner Tätigkeit werden wir ihm wahrscheinlich den Verlust von ein paar Hundert Millionen Euro zu verdanken haben. Aus Unfähigkeit? Aus Absicht? Er hat eine rechtzeitige Vorsorge gegen ein unglaublich freches Manöver der Bank Austria verschlampt. Selbst wenn der materielle Schaden dieses Raubzugs noch zu verhindern sein sollte, bleibt ein sehr unangenehmer Nachgeschmack. Der Rechtsstaat lebt davon, dass man sich auf seine Regeln verlassen kann, solange sie gelten. Eine Rückwirkung, ein Bruch dieser Rechtssicher­heit, gehört zu jenen Missachtungen, mit denen die politische Klasse seit Langem den Geist der österreichischen Verfassung ruiniert.

Andres Khol schließlich gehörte in der Zeit der VP-FP-Koalition zu jenen Politikern, wo seine Partei stets um ein paar Punkte abrutschte, wenn er in der Öffentlichkeit auftrat. Aber um seine Partei hat er ein Verdienst: Er verhinderte, dass der übelste politische Arbeiter in seine eigenen Taschen Partei-Obmann wurde.

Beide Figuren sind für die jetzige Regierung symbolträchtig. Sie als Kandidaten für dieses Amt, das selbst nur ein Symbol ist, sagen alles über den Zustand dieser Parteien und ihres Personals aus.

Norbert Hofer, die Marionette des H. C. Strache, hat gute Chancen. Man könnte nur den letzten Absatz wiederholen.

Die liberal-konservative Irmgard Griss wird auf diskrete Weise von der österreichischen Journaille fertig gemacht. Man beachte nur den Titel des rosa Leibblatts aller links- und gleichzeitig neoliberalen Intellektuellen vom 9. März! Das wiederum sagt viel über diese Journaille und die Öffentlichkeit, welche sie konstituieren, aus. Interessanter Weise fürchten sie sich vor einer solchen Kandi­datin, die doch ihre einzige Chance wäre. Aber eine Niederlage der Regierungskandidaten inklusive Van der Bellen wäre für das politische System offenbar eine Katastrophe.

Richard Luger wäre eigentlich der Bundespräsident, den wir uns als Linke wünschen müssten. Der würde dieses üble Amt endlich dorthin befördern, wohin es gehört: in den Orkus.

Und der Schluss daraus?

Das politische System Österreichs mit seiner Einbindung in das Imperium EU hat eine politische Klasse erzeugt, die irgendwie an die habsburgischen Politiker vor gut einem Jahrhundert erinnert. Unglaubliche Unfähigkeit in ihrem eigenen Sinn paart sich hier mit Arroganz, persönlicher Mickrigkeit und gleichzeitig der wilden Entschlossenheit, sich an ihre Positionen zu klammern. Selbst die kärglichen Reste der vom Brüsseler Imperium noch übrig gelassenen Kompetenzen werden in aller Regel nicht genutzt, nur wenn sie, die politische Klasse, akut bedroht ist – wie etwa derzeit in der Migrationsfrage. Kommata der Weltge­schichte (Grabbe) ist eine Beschreibung, die für diese Personengruppe noch zu hoch greift.

Aber freuen brauchen wir uns als Linke darüber auch wieder nicht. Diese völlige Zerrüttung der politischen Elite führt nämlich zu einer Zerstörung auch des Konzeptes Politik. Die Politik der Antipolitik hat zwar viel für sich, angesichts dessen, dass bisher Politik in aller Regel gegen die Bevölkerung ging. Aber genutzt haben diese Politik bisher praktisch immer die Rechten, und es hat ihnen genutzt. Also freuen wir uns nicht zu früh und passen wir auf! Im Gegensatz zu naiven und unreflektierten Anarchisten haben marxistische Sozialisten Politik, die bewusste Selbststeuerung der Gesellschaft, stets als überragend wichtiges Instrument im Kampf um die Emanzipation der Subalternen betrachtet.

Albert F. Reiterer 9. März 2016

Tariq Ali und Co: für einen linken EU-Austritt!

Die EU ist nunmehr eine zutiefst antidemokratische Institution

Die billige Farce David Camerons „Neuverhandlung“ von Großbritanniens Mitgliedschaft in der EU hat nur wieder einmal die regressive und undemokratische Natur dieser Institution gezeigt. Durch die dem griechischen Volk in extremer Form aufgezwungene Austerität wissen wir, dass diese Institution nicht nur in sich selbst undemokratisch, sondern in einem tiefen Sinn anti-demokratisch ist, denn ihre Institutionen werden die demokratische Sicht der Mehrheit der Bevölkerung nicht zur Geltung kommen lassen, wenn sie gegen das Projekt des Freien Marktes steht.

Die EU ist irreversibel Privatisierungen, sozialen Kürzungen, Niedriglöhnen und der Beschneidung von Gewerkschaftsrechten verpflichtet. Das ist auch der Grund, warum die dominanten Kräfte des britischen Kapitalismus und die Mehrheit der politischen Elite Verfechter davon sind, in der EU zu bleiben. Die EU hat sich endgültig der transatlantischen Handels- und Investment Partnerschaft (TTIP) und anderer Handelsabkommen verpflichtet, was den größten Transfer von Macht zum Kapital repräsentiert, den wir seit einer Generation gesehen haben.

Behauptungen, dass die freie Bewegung von Arbeitskraft innerhalb der EU Xenophobie verhindere, sind falsch. Aber ohne Arbeitnehmerrechte und ohne Alternativen zur Austerität, werden Migranten zu Freiwild für xenophobe Kräfte, egal ob mit oder ohne Schengen-Abkommen. Und, noch mehr, die „Festung Europa“ stellt sicher, dass diejenigen außerhalb der Nationen des EU-Kartells, teuflischer Diskriminierung ausgesetzt werden, wenn sie glücklich sind. Die weniger glücklichen ertrinken im Mittelmeer.

Wir stehen ein für eine positive Vision eines zukünftigen Europa, das auf Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit aufbaut, nicht aber auf den Profit-Interessen einer kleinen Elite. Aus diesen Gründen führen wir uns verantwortlich dafür, uns im kommenden Referendum über die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs für einen Austritt stark zu machen.

 

Mick Cash
General secretary, National Union of Rail, Maritime and Transport Workers
Ian Hodgson
President, Bakers, Food and Allied Workers’ Union
Tariq Ali
Writer and broadcaster
John Hilary
Executive director, War on Want
Prof Mary Davis
TUC women’s gold badge winner
Aaron Bastani
Co-founder, Novara Media
Robert Griffiths
General secretary, Communist party
Lindsey German
Writer and anti-war campaigner
Joginder Bains
National general secretary, Indian Workers Association – GB
Alex Gordon
Former president, National Union of Rail, Maritime and Transport Workers
Liz Payne
Chair, Communist party
John Rees
Counterfire
John Foster
International secretary, Communist party
Dave Randall
Musician and writer
Graham Stevenson
Former president, European Transport Workers Federation
Bill Greenshields
Past president, National Union of Teachers
Doug Nicholls
Chair, Trades Unionists Against the EU
Fawzi Ibrahim
Former treasurer and national executive member, University & College Lecturers’ Union
Robert Wilkinson
Former national executive, National Union of Teachers
Hank Roberts
Past national president, Association of Teachers and Lecturers
John Stevenson
GMB (personal capacity)
Reuban Bard Rosenberg
Musician
Manuel Bueno Del Carpio
Unison, Sandwell general branch
Dyal Bagri
National president, Indian Workers Association – GB
Harsev Bains
Secretary, Association of Indian Communists – GB
Ben Chacko
Editor, Morning Star
Jim McDaid
Socialist Labour party Scotland and Chair, Irvine & North Ayrshire TUC
Vince Mills
Labour Leave

http://www.theguardian.com/world/2016/feb/17/eu-is-now-a-profoundly-anti-democratic-institution

Dortmund: „… raus aus dem Euro?“

Ein Streitgespräch zur aktuellen Euro-Debatte mit Prof. Dr. Heinz J. Bontrup und Prof. Martin Höpner

 

„… raus aus dem Euro?“ – Die Plan-B-Diskussion und die Frage nach einer sozialverträglichen Auflösung der Euro-Zone

Montag, den 14. März 2016, Beginn: 19.00 Uhr

Veranstaltungsort: Auslandsgesellschaft Dortmund, Steinstr. 48 (Nordausgang Hbf., neben Cinestar)

 

Die EU hat sich gerne als Friedensprojekt der europäischen Völker dargestellt. Die Hoffnungen in die EU und den Euro waren groß. Wurden in der Nachkriegszeit in den Nationalstaaten Demokratie und Sozialstaat auf- und ausgebaut, so baut das Euro-System diese Schritt für Schritt ab. Immer deutlicher entwickeln sich in der EU zwei Pole, die unübersehbare Zeichen einer Desintegration zwischen Zentrum und Peripherie sind. Die EU ist zu einem Synonym für Zwietracht und Verfall geworden.

Auf dem Hintergrund der Griechenland-Krise wurde die Frage eines „Grexit“ aufgeworfen und die Frage gestellt, ob „ein linke Euro“ möglich ist. Inzwischen sind Initiativen wie Plan-B (Lafontaine/Mélenchon) und DiEM 25 (Varoufakis) oder „Euroexit“ gegen Sozialabbau entstanden. Die vor allem von Gewerkschaftern getragene Initiative „Europa neu begründen“ plant in diesem Jahr eine größere Konferenz.

Mit einem Streitgespräch zwischen Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup (Sprecher der Memorandum-Gruppe) und Prof. Dr. Martin Höpner wollen wir Sachinformationen und Orientierungshilfen in der aktuellen Debatte um die Zukunft des Euro geben.

 

Heinz-J. Bontrup, Prof. Dr. rer.pol, Dipl.-Ökonom und Dipl.-Betriebswirt. Langjährige Praxiserfahrung in der Industrie, u.a. als Personalvorstand und Arbeitsdirektor in der Stahlindustrie. Seit 1996 Hochschullehrer für Wirtschaftswissenschaft an der Fachhochschule Gelsenkirchen. Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik

Ausgewählte Veröffentlichungen:u.a.: Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft / Krisenkapitalismus und EU-Verfall / Pikettys-Kapitalismusanalyse / Der diskreditiere Staat / Wo geht es hier bitte zur Marktwirtschaft? / Zukunftsfähiges NRW? Politik und Wirtschaft zwischen Schuldenbremse und Demographie-Mythen

Martin Höpner studierte Politikwissenschaft und Germanistik an der Universität Heidelberg. Er promovierte zum Thema: „Wer beherrscht die Unternehmen? Shareholder Value, Managerherrschaft und Mitbestimmung in Deutschland“. Es folgte ein Forschungsaufenthalt am Center for European Studies der Harvard University und die Habilitation zum Thema: „Organisierter Kapitalismus in Deutschland: Komplementarität, Politik, Niedergang“.

Seit 2008 ist Höpner Leiter einer Forschungsgruppe zur „Politischen Ökonomie der europäischen Integration“ am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG) und seit 2013 außerplanmäßiger Professor für Wirtschaft- und Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln

 

Veranstalter: Attac Regionalgruppe Dortmund AG Globalisierung konkret, DGB Stadtverband Dortmund, NachDenkTreff*

* Der NachDenkTreff ist eine Einladung, viele Dinge anders zu sehen.

Eine Ähnlichkeit mit der Internetseite „www.nachdenkseiten.de“ ist dabei nicht zufällig, sondern beabsichtigt und wird zur werktäglichen Lektüre empfohlen. Informationen und Einladungen können Sie unter folgender E-Mail-Anschrift anfordern: NachDenkTreff@gmx.de

Weitere interessante Veranstaltungen in und um Dortmund unter: www.dortmund-initiativ.de

Erklärung der Europäischen Koordination gegen den Euro über die Plan-B Konferenz in Madrid

Auf der Plan-B Konferenz für Europa am 23. und 24. Januar in Paris standen sich zwei gegensätzliche Positionen gegenüber: die eine, verteidigt etwa von Frédéric Lordon und anderen, für die geordnete und kollektive Auflösung der Währungsunion oder auch einen einseitigen Austritt von Ländern, die von den Forderungen der Troika erdrückt werden, wie Griechenland und andere Länder der südeuropäischen Peripherie. Die andere Position stellt die Fortsetzung der traditionelle Unklarheit in der Linken dar: Anklage der herrschenden Politik ohne die Krise des Euroregimes als Grund anzusprechen. Dies hat seit jeher zu Verwirrung und Desorganisation in der Bevölkerung und der engagierten Linken geführt.

Es sind die Verteidiger dieser unklaren und illusorischen Position, die die zweite Plan-B Konferenz vom 19.-21. Februar in Madrid organisiert haben.

Währenddessen verdüstern sich die Perspektiven der Weltwirtschaft und die EU verharrt weiter in einem Klima der Unsicherheit und Lähmung, ohne Hoffnung auf eine Lösung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die die Union als Ganzes und einzelne Mitgliedsstaaten schwer erschüttern. Das Manifest der Madrider Konferenz ist inhaltlich schwach, ideologisch unklar und politisch unrealistisch und nutzlos. Die bescheidenen Ziele sind der Kampf gegen die Austeritätspolitik, die die europäischen Institutionen den Regierungen aufnötigen, und die Demokratisierung der Union. Als ob kleine Veränderungen in den Institutionen die antidemokratische Grundlage der Währungsunion verändern würden. Die Regierungen verfügen heute nicht mehr über die Instrumente für eine souveräne Entscheidung über ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik zugunsten der europäischen Völker. Sie sind den Direktiven der Verträge unterworfen, die gerade über die Kontrolle der öffentlichen Ausgaben zu permanenter Austerität zwingen.

Auch neben dem Manifest zeigt der Inhalt der Madrider Konferenz, dass die zentrale Frage des Euro nicht angesprochen wird. Unserer Meinung nach, ist es mittlerweile für jeden klar, dass die gegenwärtige Krise in Europa ihren Hauptgrund in der Einführung des Euro als gemeinsame Währung hat, die implizit fixe Wechselkurse zwischen Ländern mit unterschiedlich produktiven Wirtschaftsstrukturen installiert hat, ohne eine gemeinsame Fiskalpolitik, die zur Umverteilung der marktbestimmten Einkommen beiträgt. Von daher erfordert eine Krisenlösung notwendigerweise, sich die Frage des Euro zu stellen, was in Madrid aber nicht auf der Tagesordnung steht. Das Programm scheint eher ein Spektakel zu sein, um dutzenden Rednern verschiedenster politischer Herkunft eine Bühne zu geben, wobei diese in der Mehrheit gar nicht mit den zentralen Fragen des Euro und der Krise der Europäischen Union beschäftigt sind. Die Eigendarstellung der Konferenz, die Austeritätspolitik bekämpfen zu wollen, bleibt nur Rhetorik, wenn die Veranstaltung nicht einmal das Ziel vorgibt, den Stabilitätspakt zu verlassen und das daraus abgeleitete Verfassungsgesetz für Budgetstabilität in Spanien aufzuheben. Ein unverständliches Schweigen, angesichts eines jüngst veröffentlichen offenen Briefes hunderter politischer Persönlichkeiten und sozialer Aktivisten an die neuen Abgeordneten im spanischen Parlament, wo genau dies gefordert wurde.

Wir erkennen an, dass unter den Teilnehmern Personen sind, die kohärent und konsequent eine Anti-Euro Position vertreten und auch, dass jede Diskussion dazu beiträgt, unter den Völkern Bewusstsein über die Wurzeln und möglichen Lösungen der Krise zu entwickeln. Dennoch können wir nur bedauern, dass die Konferenz sich in allen möglichen Fragen verliert, die vielleicht interessant sind, aber die Aufmerksamkeit von der Grundfrage der Währungsunion ablenken.

So etwa wäre es entscheidend, sich der komplexen Problematik zu widmen, die sich mit einer Auflösung des Euro ergeben würde, sei es für die gesamte Union als auch für einzelne Länder. Dafür könnten derartige Konferenzen nützlich sein, an denen informierte Personen teilnehmen, erfahrene Politiker und engagierte Ökonomen: sie müssten sich damit beschäftigen, politische Maßnahmen und Instrumente vorzubereiten, um die Währungssouveränität wiederzugewinnen, sodass es nie mehr zu einer Situation kommen kann, wie in Griechenland nach dem Referendum: eine Regierung die keinen ökonomischen Plan hatte, um sich der Troika entgegenzustellen (unabhängig der vorhandenen Bereitschaft von Tsipras sich zu unterwerfen).

Die Europäische Koordination gegen den Euro wurde zu der Konferenz von Madrid nicht eingeladen, wie auch nicht zu jener in Paris. Auch die Mitglieder der spanischen Plattform „Raus aus dem Euro“ waren nicht eingeladen, was den Graben zeigt, der zwischen den Organisatoren der Konferenz und all jenen liegt, die sich die Auflösung der Währungsunion als unerlässliches Ziel gesteckt haben.

Die Europäische Koordination wird versuchen, sich unter den politischen und sozialen Kräften in Europa zu verbreitern, weitere Treffen, Diskussionen und Mobilisierungen zu organisieren, sich in den verschiedenen Ländern zu stärken und ihre Überzeugung zu verbreiten, dass die Emanzipation der Völker das Ende des Euro voraussetzt, den Bruch mit der derzeitigen Europäischen Union deren imperialistische Rolle über die NATO mit ihren dramatischen Konsequenzen man heute nicht mehr verbergen kann.

 

19/02/2016

Yanis Varoufakis lässt es im Theater donnern

von Paul Steinhardt

Trotz der vielen Jubelmeldungen über die erfolgreich praktizierte Wirtschaftspolitik in der Eurozone, lassen sich die Fakten nicht verleugnen. Das Eurozonen BIP hat bislang noch immer nicht wieder das Niveau von 2007 erreicht und die Arbeitslosigkeit beträgt noch immer nahezu 11%. In vielen südlichen Ländern der Eurozone, wie z.B. in Spanien, Portugal und Griechenland, droht gar einer ganzen Generation der unumkehrbare wirtschaftliche und soziale Abstieg und bleibt als Ausweg oft nur noch die Emigration. Die Deindustrialisierung in vielen Ländern der Eurozone – selbst von Gründungsmitgliedern der EU wie Italien und Frankreich – schreitet weiter voran und auch in den vermeintlichen nördlichen Siegerländern führt der neoliberale Wirtschaftskurs der dort Regierenden zu Sozialabbau und zunehmender sozialer Spaltung.

Kein Zweifel kann daran bestehen, dass für das wirtschaftliche und soziale Desaster der Eurozone die Medizin der von der deutschen Bundesregierung angeführten Marktradikalen mit Namen „Austerität“ dazu einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet hat, und dass in den „Programmländern“ elementarste Anforderungen an demokratisch legitimierte Entscheidungsprozesse verletzt wurden und diese Länder nur noch bloße Befehlsempfänger der Troika sind.

Bis hierhin dürfte es unter europäischen Linken kaum einen Dissens geben. Dissens aber gibt es darüber, welche politische Strategie unter den gegebenen Umständen als zielführend erachtet werden kann, um den Menschen gerade in den Krisenländern wieder die Möglichkeit zu geben, ihre wirtschaftliche und soziale Situation rasch zu verbessern und ihre demokratische Souveränität wieder herzustellen.

Ich habe in vielen Beiträgen kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich als einzig gangbaren Weg die Auflösung der Europäischen Währungsunion sehe (z.B. hier). Denn ohne dass diese Länder wieder über eine eigene Zentralbank verfügen, die es ihnen erlaubt, eine expansive Fiskalpolitik zu betreiben und durch Abwertung die entstandene Wettbewerbslücke mit kluger Wirtschaftspolitik zu schließen, wird es keinen wirtschaftlichen Aufschwung geben können, der die dort entstandene Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen imstande ist. Die Souveränität des Volkes wird durch die Macht von Kapitalmärkten und EZB massiv eingeschränkt bleiben.

Wer die Rückübertragung bestimmter Kompetenzen, wie z.B. der Währungssouveränität, von der EU auf die nationalstaatliche Ebene fordert, muss, wie die Reaktionen auf Wagenknechts entsprechenden Vorstoß zeigten, damit rechnen, von der politisch Linken entweder ignoriert oder gar als „sozialnationalistisch“ diffamiert zu werden (hier habe ich darüber berichtet und dazu Stellung genommen). Warum aber wird die Forderung nach der Übertragung von Kompetenzen von der EU- auf die Nationalstaatsebene abgelehnt und wie sieht eine realistische Alternative zu dieser Strategie aus?

Üblicherweise wird behauptet, dass die europäische Integration ein richtiger Schritt hin zur Überwindung des Nationalstaates sei, weil dieser in den Zeiten der Globalisierung ohnehin die vielen Probleme der Menschheit nicht zu lösen vermag. Zudem sagt man, mit der Integrationsleistung der EU sei die reale Gefahr innereuropäischer kriegerischer Konflikte gebannt worden. Kaum wird auf die Frage eingegangen, wie eine demokratische Ordnung jenseits des Prinzips der nationalen Souveränität genau aussehen soll und kann.

Vor diesem Hintergrund ist die von Yannis Varoufakis ins Leben gerufene Initiative DiEM25, deren primäres Ziel ja die Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“ ist, durchaus zu begrüßen. Denn anstatt nebulös über die Demokratisierung der EU zu reden, wird hier – wenn auch eher implizit – zuzugeben, dass ohne ein Parlament, das den Willen der europäischen Bürger repräsentiert und ohne exekutive Organe, die ihm entsprechend zu handeln in der Lage sind, von Demokratie keine Rede sein kann.

Freilich dürfte selbst von Berufsoptimisten der geplante Zeitpunkt der feierlichen Vereinigung der Völker der EU im Jahre 2025 als arg ehrgeizig erachtet werden und es stellt sich die Frage, was man in der möglicherweise doch auch sehr viel längeren „Zwischenzeit“ genau zu tun gedenkt, um den wirtschaftlichen und sozialen Problemen in der EU zu begegnen. In dem Manifest der DiEM25 (hier) liest man dazu, dass die „aktuelle Wirtschaftskrise mit den bestehenden Institutionen und im Rahmen der bestehenden EU-Verträge“ angegangen werden soll. Wie sich das mit der dort auch zu findenden Behauptung verträgt, dass für den erbärmlichen Zustand der Eurozone „eine gemeinsame Bürokratie und eine gemeinsame Währung“ verantwortlich zu machen sind, die „heute die europäischen Völker trennen“, bleibt das Geheimnis von Varoufakis und seinen Mitstreitern.

Der als radikal medial inszenierte Widerstand in der Berliner Volksbühne gegen die EU-Nomenklatura erweist sich damit aber als Theaterdonner. Er bietet der Empörung besorgter und wohlmeinender Menschen aus ganz Europa ein Ventil, um den aufgestauten Frustrationsdampf ablassen zu können. Während das für die Psyche dieser Menschen durchaus begrüßenswert ist, ist diese Initiative für die Organisation wirksamen politischen Widerstands fatal. Denn die EU und der Euro werden als alternativlos angesehen und man insinuiert gar, dass den Problemen der EU mit etwas gutem Willen selbst innerhalb der bestehenden Institutionen begegnet werden kann. Das Ergebnis dieser Dialektik von radikaler Rhetorik und neoliberaler Realpolitik lässt sich gerade in Griechenland bestaunen, wo eine sich selbst als linksradikal verstehende Partei die von der Troika vorgeschriebene Politik exekutiert. Vor diesem Hintergrund macht dann auch das auf der Eintrittskarte zur Auftaktveranstaltung der DiEM25 aufgedruckte Motto überraschend viel Sinn: „Announcing the Democrazy“.

 

Der Beitrag erschien erstmalig auf www.flassbeck-economics.de/diem25-was-helfen-uns-jetzt-die-vereinigten-staaten-von-europa/ Wir reproduzieren ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Diskussionsveranstaltung: Ein Plan B für Europa

Fr. 4. März, 19h, Gußhausstraße 14/3, 1040 Wien

• Steffen Stierle, Mitglied des Lenkungsausschusses der deutschen Linken Euro-Kritiker (Plan B) und Aktivist von Attac, Berlin
• Martin Konecny, Politikwissenschaftler und Mitarbeiter von mosaik-blog.at
• Wilhelm Langthaler, Autor „Europa zerbricht am Euro“ und Mitarbeiter von euroexit.org
• Norbert Bauer, Solidarwerkstatt Wien

 

Eine neue europäische Bewegung im Entstehen?

Als im Sommer 2015 die griechische Linksregierung unter Alexis Tsipras von Brüssel und Berlin in die Knie gezwungen und das Schockprogramm verlängert wurde, begannen viele am „sozialen Europa“ zu zweifeln – die Idee eines Plan B zur Überwindung des Euro-Regimes begann zu reifen.

Im Jänner fand in Paris auf Initiative prominenter Namen wie Oskar Lafontaine (Deutschland), Zoe Konstantopoulou und Yanis Varoufakis (Griechenland), Stefano Fassina (Italien) und Jean-Luc Mélenchon (Frankreich) das erste europäische Treffen für einen Plan B statt. Es folgten weitere Treffen in Frankfurt, Berlin und Madrid.

Zweifellos ist an der südeuropäische Peripherie die Bewegung für eine Alternative zur Austeritätspolitik der EU am dynamischsten. Dennoch stellt sich auch für die Linke und soziale Bewegung in den Zentren die Frage, in welcher Form sie den Plan B-Impuls aus dem Süden aufnahmen kann. Auch in Österreich sollte die Debatte dazu aufgenommen werden. So sehr Österreich auch wirtschaftlich und politisch an Deutschland hängt, ist der österreichische Bankensektor doch eine Zeitbombe (nicht nur die Hypo). Zudem ist es auch ein Gebot der Solidarität, dem europäischen Süden eine Chance zu geben.

 

Veranstalter: Personenkomitee Euroexit gegen Sozialabbau

Der EU-Retter

von Andreas Wehr

Der ehemalige griechische Finanzminister Gianis Varoufakis und die Bewegung »Democracy in Europe Movement 2025« will die Europäische Union mit dürftigen Forderungen in eine Demokratie verwandeln.

Alle warnen vor dem Zerfall Europas. Die Voraussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel, »Scheitert der Euro – scheitert Europa«, liegt erst wenige Monate zurück, da werden bereits neue Gefahren beschworen. Nun ist es die Flüchtlingskrise und die Zerstrittenheit der Mitgliedsländer über die Wege zu ihrer Lösung, die die Politiker vom Ende der EU sprechen lassen. Da wollen Linke nicht nachstehen. Das am 9. Februar in der Berliner Volksbühne vorgestellte »Manifest für die Demokratisierung Europas« des »Democracy in Europe Movement 2025« (DiEM 25) warnt: »Die EU wird entweder demokratisch sein, oder sie wird zerfallen!«¹

Es ist eine bunte Mischung von Kräften, die sich hinter diesem Manifest versammelt. Bei seiner Präsentation hatten die üblichen Aktivisten der Alter Summits (Treffen der europäischen sozialen Bewegungen), Sozialforen, Euro-Märsche, von Blockupy und von Stiftungen auf den Podien Platz genommen. Nur wenige Politiker der europäischen Linken waren dabei, kaum Gewerkschafter, einige Sozialdemokraten, aber auffallend viele aus dem Spektrum der europäischen Grünen. Gewürzt wurde die Teilnehmerliste durch Namen wie den des italienischen Neomarxisten Toni Negri, des österreichischen Journalisten Robert Misik, des postmodernen Philosophen Slavoj Žižek und des englischen Minimalmusikers Brian Eno. Als Überraschungsgast trat sogar die SPD-Politikerin Gesine Schwan auf. Auffällig war, dass weder ein Politiker aus der griechischen Linkspartei Syriza noch aus der von ihr abgespaltenen Laiki Enotita, Volkseinheit, dabei war. Und das, wo doch der Initiator des Manifests und Star des Volksbühnen-Events kein anderer als der ehemalige griechische Finanzminister Gianis Varoufakis war.

Welches Bild haben nun die Unterzeichner des Manifests von der Europäischen Union, dass sie fürchten, sie könne zerfallen? Die EU stellt für sie eine »außerordentliche Leistung« dar: »Sie hat europäische Völker, die unterschiedliche Sprachen sprechen und unterschiedliche Kulturen pflegen, in Frieden zusammengeführt und damit bewiesen, dass es möglich ist, einen gemeinsamen Rahmen der Menschenrechte auf einem Kontinent zu errichten, auf dem vor noch nicht allzu langer Zeit mörderischer Chauvinismus, Rassismus und Barbarei herrschten. Die Europäische Union hätte der sprichwörtliche Leuchtturm sein können, sie hätte der Welt zeigen können, wie aus jahrhundertelangen Konflikten und Bigotterie Frieden und Solidarität entstehen können. (…) In den Nachkriegsjahrzehnten, in denen die EU erbaut wurde, wurden nationale Kulturen in einem Geist des Internationalismus, der Überwindung von Grenzen, gemeinsamen Wohlstands und eines steigenden Lebensstandards wiederbelebt, alles Entwicklungen, die die Europäer einander näher brachten.« Doch damit sei es jetzt vorbei, denn, so wörtlich im Manifest: »Im Herzen des Integrationsprozesses lag ein Schlangenei.«

Folgt man dem Text des Aufrufs, so verlief die Geschichte der EU wie folgt: »Ökonomisch betrachtet, begann die EU als ein Kartell der Schwerindustrie (später bezog sie noch die Bauern mit ein), das entschlossen war, die Preise zu diktieren und die Gewinne des Oligopols durch die Brüsseler Bürokratie zu verteilen. Das im Entstehen begriffene Kartell und seine in Brüssel beheimateten Verwalter fürchteten den Demos und verachteten die Idee einer Regierung durch das Volk.

Geduldig und methodisch wurde der Prozess der Entscheidungsfindung entpolitisiert, mit dem Ergebnis, dass der Demos langsam, aber stetig aus der Demokratie verschwand und jegliche politische Entscheidungsfindung in einen alles überwuchernden pseudotechnischen Fatalismus gehüllt wurde. Die nationalen Politiker wurden gut dafür entlohnt, dass sie dabei mitmachten, die Kommission, den Rat, den Finanzministerrat Ecofin, die Euro-Gruppe und die EZB (Europäische Zentralbank, jW) in politikfreie Zonen zu verwandeln. Wer sich diesem Prozess widersetzte, bekam das Etikett ›Europagegner‹ verpasst und galt als eklatanter Außenseiter. So nahm der Betrug im Herzen Europas seinen Anfang und führte zur institutionellen Verpflichtung auf eine Politik, die heute deprimierende Wirtschaftsdaten und vermeidbare wirtschaftliche Not hervorbringt.«

Doch diese Sicht auf die Geschichte der EU ist eine Legende. Sie entspricht nicht der Realität. Als die Europäischen Gemeinschaften (EG) 1957 gegründet wurden, drohten nicht mehr »mörderischer Chauvinismus, Rassismus und Barbarei« der deutschen Faschisten. Das Ende des Zweiten Weltkriegs lag zwölf Jahre zurück, diesseits und jenseits des Rheins standen Truppen der USA, und die Bundesrepublik war 1955 Mitglied der NATO geworden. Zwar drohte tatsächlich ein Krieg, aber nicht einer zwischen Deutschland und Frankreich, sondern zwischen West und Ost. Man befand sich in der Hochzeit des Kalten Krieges, der jederzeit zu einem heißen Konflikt werden konnte. Die EG leisteten einen entscheidenden Beitrag dazu, den kapitalistischen Westen wirtschaftlich gegen den sozialistischen Osten zusammenzuschweißen. Die feste Einbindung der BRD in das westliche Militärbündnis und ihre Aufnahme in die politische Gemeinschaft des Westens war daher nicht Ergebnis, sondern vielmehr Voraussetzung ihrer wirtschaftlichen Integration im Rahmen der EG, der heutigen EU.

Und was die im Manifest so gelobte »Solidarität« und den »gemeinsamen Wohlstand« der Anfangszeit angeht, sei hier an die Aussage des ehemaligen französischen Ministerpräsidenten Pierre Mendès-France in der Nationalversammlung aus Anlass der Ratifizierung der Römischen Verträge am 18. Januar 1957 erinnert: »Um schließlich zum Kern zu kommen, das Projekt des Gemeinsamen Marktes, so wie es uns vorgestellt wird, oder wenigstens, so wie man es uns wissen lässt, ist auf den klassischen Liberalismus gegründet, nach dem die Konkurrenz ohne Wenn und Aber alle Probleme löst.«² Dieser Liberalismus prägt die EU von ihren Anfängen bis heute. Die vier Binnenmarktfreiheiten für Waren, Kapital, Dienstleistungen und Personen stellen quasi die Verfassung der EU dar. Auf diesen »Freiheiten« beruht auch das System des Euros. Die Gründung der Europäischen Gemeinschaften richtete sich zugleich gegen die sozialpolitischen Erfolge der Arbeiterbewegungen in Frankreich, Italien, Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs. So wurde die Sozialstaatsklausel des deutschen Grundgesetzes vor allem durch die europäische Einigung eingeschränkt.

Es lag daher nicht »ein Schlangenei im Herzen des Integrationsprozesses«, wie uns Varoufakis und andere glauben machen wollen. Es ist vielmehr der unter ganz normalen kapitalistischen Bedingungen ablaufende europäische Integrationsprozess selbst, der dieses Monster EU hervorgebracht hat.

Verrat der europäischen Idee

Da die Autoren diese Zusammenhänge ignorieren, nehmen sie zur Begründung ihrer Kritik an der EU Zuflucht zu Theorien des Verrats und der Verschwörung: »Doch leider trennen eine gemeinsame Bürokratie und eine gemeinsame Währung heute die europäischen Völker, die trotz unterschiedlicher Sprachen und Kulturen auf dem Weg zur Einigung waren. Eine Verschwörung kurzsichtiger Politiker, ökonomisch naiver Beamter und in Finanzdingen inkompetenter ›Experten‹ unterwirft sich sklavisch den Beschlüssen der Finanz- und Industriekonzerne, entfremdet die Europäer einander und schürt eine gefährliche europafeindliche Stimmung. Stolze Völker werden gegeneinander aufgestachelt. Nationalismus, Extremismus und Rassismus erwachen wieder.« Und an anderer Stelle heißt es: »Im Zentrum unserer zerfallenden EU liegt ein böser Betrug: Ein durch und durch politischer, undurchsichtiger und autokratischer Entscheidungsprozess wird zu einem ›unpolitischen‹, ›rein technischen‹, ›prozeduralen‹ und ›neutralen‹ Verfahren erklärt. Dessen Zweck ist es, die Europäer daran zu hindern, eine demokratische Kontrolle über ihre Währung, ihre Finanzen, ihre Arbeitsbedingungen und ihre Umwelt auszuüben.«

Es fehlt hier jedes Verständnis für den engen gesellschaftlichen Zusammenhang zwischen Basis und Überbau, genauer zwischen einer monopolkapitalistischen Ökonomie als gesellschaftlicher Grundlage und dem darauf fußenden rechtlichen, politischen und kulturellen Überbau des bürgerlichen Staats, zu dem auch die EU als zwischenstaatliches Gebilde gehört. Marxisten bezeichnen dieses gesamte System als »Staatsmonopolistischen Kapitalismus«. Zwar ist es der Arbeiterbewegung und anderen fortschrittlichen Kräften immer wieder gelungen, Breschen in den bürgerlichen Staatsapparat zu schlagen, um sich dort zu verankern und anschließend weiteres Terrain zu erobern, doch eine vollständige Demokratisierung des staatlichen Überbaus ist nur möglich, wenn sie mit der Umwälzung der materiellen Basis der Gesellschaft, d. h. mit der Aufhebung des kapitalistischen Eigentums, zumindest an den Monopolunternehmen, einhergeht.

Eine solche, grundlegende Veränderung kann nur von der nationalen, einzelstaatlichen Ebene ausgehen. Die EU bietet dagegen fortschrittlichen Bewegungen keinen Raum. Der Kampf um Demokratie und soziale Rechte kann in ihr nicht erfolgreich geführt werden, da eine europäische Öffentlichkeit so gut wie nicht existiert. Es fehlt dafür schon an einer gemeinsamen Sprache. Es gibt keine europaweiten Medien, in denen die gesellschaftlichen Debatten grenzüberschreitend geführt werden könnten. Es fehlt an parteipolitischer und gewerkschaftlicher Zusammenarbeit. Bei den europäischen Parteien handelt es sich nicht um solche im klassischen Sinne. Es sind lediglich »Parteienparteien«, bloße Zusammenfassungen der jeweils nationalen Organisationen auf europäischer Ebene. Auch die Gewerkschaftsbewegungen der Mitgliedsländer arbeiten weitgehend isoliert voneinander. Unterschiedliche Traditionen, Organisationsformen und Rechtsordnungen behindern ein einheitliches Auftreten.

Warnung vor »Renationalisierung«

Nach Ansicht der Autoren des Manifests »zerfällt« heute dieses »ineffiziente, autoritäre, illegitime und antidemokratische Europa«, und die Europäer »werden vor die falsche Wahl« gestellt: »Rückzug in den Kokon unserer Nationalstaaten« oder »Unterwerfung unter Brüssels demokratiefreie Zone«. Aber beide Konsequenzen, die »Rückkehr zum Nationalstaat« oder das »Festhalten an der gegenwärtigen EU sind schrecklich für Europa, Europäer und Europeanists«. Scharfe Kritik übt das Manifest dabei an einem »Rückzug in den Nationalstaat«: »Dieser Prozess (der Erneuerung der autoritären Macht in der EU, A. W.) läuft unbemerkt ab und sorgt dafür, dass sich Europas Völker in der Krise nach innen und gegeneinander wenden und vorhandene chauvinistische und fremdenfeindliche Tendenzen sich verstärken. Die Privatisierung der Angst, die Furcht vor dem ›anderen‹, die Nationalisierung von Ambitionen und die Renationalisierung der Politik können eine toxische Auflösung gemeinsamer Interessen bewirken, unter der Europa nur leiden wird.«

Diese pauschale und undifferenzierte Kritik am Nationalstaat muss verwundern, denn als ehemaliger griechischer Finanzminister müsste es Varoufakis eigentlich besser wissen. Hat er doch am eigenen Leib erfahren müssen, was es bedeutet, wenn ein schwaches Land wie Griechenland der Gewalt der EU-Kernstaaten, mit Deutschland an der Spitze, ausgeliefert ist, wenn es zu einer Halbkolonie degradiert wird. Einen »Kokon«, besser noch einen nationalen Schutzschild durch die Geltendmachung der Option des Austritts aus der Euro-Zone, hätte Griechenland in dieser Situation bitter nötig gehabt!

Demokratie als »Gegengift«

Das Manifest verlangt eine »unverzügliche Demokratisierung« der EU: »Der Realitätssinn verlangt, dass wir uns vornehmen, in einem realistischen Zeitrahmen bestimmte Ziele als Meilensteine zu erreichen. Deshalb setzt sich DiEM 25 vier Durchbrüche in regelmäßigen Zeitabschnitten zum Ziel, um bis 2025 zu einem vollkommen demokratischen, funktionierenden Europa zu gelangen. (…) Wir müssen uns zur Einigkeit entschließen, um dafür zu sorgen, dass Europa die Wahl trifft, die auf der Hand liegt: echte Demokratie!«

Doch auch nur der kleinste Fortschritt auf Ebene der EU setzt voraus, dass sich zuvor die Kräfteverhältnisse in den Mitgliedsländern ändern. Dafür gibt es aber heute keinerlei Anzeichen. Oskar Lafontaine hat in der jungen Welt vom 14. Oktober 2015 auf diese aussichtslose Situation, bezogen auf die Euro-Zone, hingewiesen: »Das Warten auf eine linke Mehrheit in allen 19 Mitgliedsstaaten ist ein Warten auf Godot, ein politischer Selbstbetrug, insbesondere deshalb, weil auch die sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien Europas das neoliberale Politikmodell übernommen haben.«³ Für die in der Finanzkrise unter Druck der europäischen Kernstaaten geratenen Länder wie Griechenland, Zypern, Portugal und womöglich auch bald Spanien und Italien, bedeutet das, sich auf die eigenen Kräfte verlassen zu müssen und dabei auch einen Austritt aus der Euro-Zone nicht länger auszuschließen. Im »Plan B«, den Varoufakis im September 2015 zusammen mit Oskar Lafontaine, Zoe Konstantopoulou, Jean-Luc Mélenchon und Stefano Fassina veröffentlicht hatte, ist diese Austrittsoption enthalten. Im Manifest des DiEM25 ist hiervon aber keine Rede. Und so war es denn wohl auch kein Zufall, dass Varoufakis seine Teilnahme an der Veranstaltung der Initiatoren von »Plan B« am 23./24. Januar in Paris abgesagt hatte.

Realitätsfremde Forderungen

»Auf die Frage, was wir wollen und wann wir es wollen, antworten wir: Sofort: Volle Transparenz bei der Entscheidungsfindung. Innerhalb von zwölf Monaten: Die aktuelle Wirtschaftskrise mit den bestehenden Institutionen und im Rahmen der bestehenden EU-Verträge angehen, Innerhalb von zwei Jahren: Eine verfassunggebende Versammlung.«

Die verlangte Transparenz bei der Entscheidungsfindung ist darunter noch die konkreteste Forderung. Sie soll per Livestream aus bisher geschlossenen Sitzungen, etwa des Rats, und durch die Veröffentlichung von Protokollen, z. B. der Sitzungen des Gouverneursrats der Europäischen Zentralbank, erreicht werden. Außerdem sollen »alle Dokumente im Zusammenhang mit wichtigen Verhandlungen (zum Beispiel TTIP, ›Rettungs‹-Kredite, über den Status Großbritanniens), die alle Facetten der Zukunft der Europäer betreffen, ins Netz gestellt werden«. Es sollen sich auch »alle Lobbyisten registrieren lassen und dabei die Namen ihrer Kunden angeben, wieviel Geld sie erhalten und wann sie sich mit (gewählten und nicht gewählten) Vertretern Europas getroffen haben«. All diese Forderungen sind zu begrüßen. Sie sind aber nicht besonders originell, werden sie doch seit Jahren von Nichtregierungsorganisationen und auch Parteien erhoben.

Weniger konkret sind dann schon die Vorhaben, mit denen man die aktuelle Wirtschaftskrise innerhalb der nächsten zwölf Monate angehen will. Hier beschränkt sich das Manifest auf die Nennung von lediglich fünf Themen: Staatsschulden, Banken, Investitionsschwäche, Migration und wachsende Armut. Vier davon, Migration wurde erst in die letzte Fassung des Manifests aufgenommen, entsprechen Kapitelüberschriften des Buches »Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Euro-Krise« von Gianis Varoufakis sowie den Ökonomen Stuart Holland (Großbritannien) und James K. Galbraith (USA), das im Frühjahr 2015 auf Deutsch erschien. Im Zentrum dieses Bandes steht der Plan, die Schulden der Banken der einzelnen Mitgliedsstaaten in eine riesige Badbank auf europäischer Ebene in den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu transferieren, um so die »tödliche Umklammerung von Banken und Staaten aufzulösen«.⁴ Doch diese Forderung ist vollkommen unrealistisch, da die Übertragung der Schulden der nationalen privaten Banken auf den ESM so ziemlich das letzte wäre, was die Politik in Berlin, Paris und anderen Hauptstädten anstrebt. Jetzt wird man also mit einer Wiedervorlage der Positionen dieses Buches, nun als Forderungen der DiEM 25, rechnen dürfen.

Ähnlich realitätsfremd ist auch die Forderung, innerhalb von zwei Jahren eine »Verfassunggebende Versammlung« einzuberufen. Wie diese zustande kommen soll, erfährt man nicht. Mitgeteilt wird allein: »DiEM 25 wird für eine Verfassunggebende Versammlung werben, die aus Vertretern besteht, die über transnationale Listen gewählt werden.« Weitreichend sollen hingegen ihre Kompetenzen sein: »Die Versammlung, die daraus hervorgehen wird, wird die Befugnis haben, über eine künftige demokratische Verfassung zu entscheiden, die innerhalb eines Jahrzehnts die bestehenden Europäischen Verträge ersetzen wird.«

Die Idee einer europäischen Verfassung ist ein alter Hut. Der »Vertrag über eine Verfassung für Europa« scheiterte 2005 bei Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden. Und keine Regierung in der EU denkt daran, dieses Thema wieder aufzugreifen. Jede Änderung der Europäischen Verträge fällt zudem in die Kompetenz der Staaten. Das war auch bei der gescheiterten Verfassung so. Der Entwurf des Europäischen Konvents wurde seinerzeit in einer EU-Regierungskonferenz überarbeitet und verändert. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Mitgliedsstaaten jemals ihre Zuständigkeit dafür aus der Hand geben könnten.

Klassenneutrales Manifest

Wer soll nun den Wandel auf europäischer Ebene herbeiführen? Die Autoren des Manifests maßen sich an, für die europäischen Völker zu sprechen: »Wir, die Völker Europas, haben die Pflicht, uns die Kontrolle über unser Europa von nicht rechenschaftspflichtigen ›Technokraten‹, Politikern, die ihre Komplizen sind, und dubiosen Institutionen zurückzuholen. Wir kommen aus allen Teilen des Kontinents und sind vereint durch unterschiedliche Kulturen, Sprachen, Akzente, parteipolitische Ausrichtung, Hautfarbe, Geschlecht, Glaubensüberzeugungen und unterschiedliche Vorstellungen, wie eine gute Gesellschaft aussieht. Wir bilden DiEM 25 in der Absicht, von einem Europa nach dem Motto ›Wir, die Regierungen‹ und ›Wir, die Technokraten‹ zu einem Europa nach dem Motto ›Wir, die Völker Europas‹ zu gelangen.« Hierzu passt die Aussage von Varoufakis, wie sie auf faz.net vom 10. Februar wiedergegeben wird: »Es gehe ihm nicht darum, eine neue Partei zu gründen aus einem bestimmten Land heraus. Vielmehr gehe es um eine grenzüberschreitende Bewegung, die allen demokratischen Kräften offen stehe – Linken, Grünen, Sozialisten und Liberalen.« Es ist diese Klassenneutralität, die Giannis Milios, lange Zeit Chefökonom von Syriza, polemisch auf den Punkt brachte: »Varoufakis ist ein liberaler Clown. Der meint, weil wir eine Krise haben, gibt es keinen Klassenkampf mehr, weil wir eine Krise haben, sind die Interessen von Unternehmern und Arbeitern gleich. Ein solcher Politiker hat mit der Linken wenig zu tun.«⁵

Wozu das Ganze?

Was ist nun Funktion des Manifests der Bewegung DiEM 25? Als Initiative pro Europäische Union, die sie trotz aller Radikalität ihrer Forderungen ist, bleibt sie anschlussfähig an Positionen etwa von Jürgen Habermas, Daniel Cohn-Bendit oder an die des EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz. Sie und noch viele andere mehr haben ganz ähnliche Forderungen nach einer Stärkung der EU und der gleichzeitigen Entmachtung der Mitgliedsstaaten erhoben.⁶ Der Auftritt der deutschen Sozialdemokratin Gesine Schwan bei der Präsentation des Manifests in der Volksbühne zeigt hier die Richtung, mit wem die Zusammenarbeit gesucht wird. Damit unterscheidet sich DiEM 25 klar von der »Plan B«-Initiative von Lafontaine und anderen, die eine Stärkung der nationalen Souveränitätsrechte ausdrücklich vorsieht.

Nicht zuletzt dient DiEM 25 dazu, die in der Krise um Griechenland bekanntgewordene »Marke Gianis Varoufakis« in der Öffentlichkeit möglichst lange präsent zu halten. Doch ob sich das Stück, das in der Volksbühne seine Premiere erlebt hat, angesichts der beschriebenen Unbestimmtheit und Illusionen lange auf den Brettern halten wird, darf bezweifelt werden.

Anmerkungen

1 http://diem25.org/de/ Die im Artikel nicht gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Text.

2 Zitiert nach Gerhard Brunn: Die Europäische Einigung. Stuttgart, 2004, S. 355

3 Oskar Lafontaine: Zersplitterung überwinden, in: junge Welt vom 14.10.2015

4 Vgl. Andreas Wehr: Links ist das nicht, Rezension des Buches in junge Welt vom 29.6.2015

5 Ein Gespräch mit Giannis Milios in junge Welt vom 25.9.2015

6 Vgl. Andreas Wehr: Der Europäische Traum und die Wirklichkeit. Über Habermas, Rifkin, Cohn-Bendit, Beck und die anderen. Köln 2013 – auch im jW-Shop erhältlich

 

erschienen unter https://www.jungewelt.de/2016/02-16/069.php?sstr=wehr|varoufakis

DiEM25: Was helfen uns jetzt die Vereinigten Staaten von Europa?

von Martin Höpner

Am 9. Februar fand in der Berliner Volksbühne die Auftaktveranstaltung der maßgeblich vom ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis angeschobenen Initiative DiEM25 statt. Das Kürzel „DiEM“ steht hierbei für „Democracy in Europe Movement“ und 2025 für das Jahr der angestrebten europäischen Staatsgründung (ich komme hierauf unten ausführlich zu sprechen). Das Event war hochprofessionell organisiert und fand sowohl in der Presse als auch in den sozialen Netzwerken ein großes Echo. Hierzu kann man den Aktivisten von DiEM25 nur herzliche Glückwünsche aussprechen. In inhaltlicher Hinsicht hinterlässt die Initiative aber leider einen verheerenden Eindruck.

Dabei war der Ausgangspunkt klug gewählt. Es war und ist eine gute Idee, das autoritäre europäische Regieren in das Zentrum der Auftaktveranstaltung und des schriftlichen Manifests (es findet sich hier) zu rücken. Seit Beginn der Eurokrise intervenieren die europäischen Institutionen in vorher nicht gekanntem Maß in die Demokratie sowie in die Tarifautonomie der Sozialpartner. Das kommt in den Vorgaben der Troika, im Fiskalpakt, den neuen Überwachungs- und Korrekturverfahren und wirtschaftspolitisch konditionierten Anleihekäufen der EZB zum Ausdruck. Die Demokratiewirkungen dieser Interventionen malen die Aktivisten von DiEM25 in düsteren Farben. Von nicht rechenschaftspflichtigen Technokraten, dubiosen Institutionen und einem pseudo-technischen Fatalismus, der den Demos aus der Demokratie verschwinden lässt, ist da die Rede – und man kann nur von ganzem Herzen zustimmen.

Leider wird die konsequente und ausdrucksstarke Beschäftigung mit diesen Problemen von einem beredten Schweigen über alles begleitet, was mit dem Euro oder, allgemeiner formuliert, den Konvergenzerfordernissen von Währungsunionen zu tun hat. Mutmaßlich aus strategischen Gründen, denn über diese Dinge können sich progressive Kräfte aus unterschiedlichen Ländern und Zusammenhängen trefflich zerstreiten. Aber der strategische Schachzug, die Problemanalyse durch integrationistische Parolen zu ersetzen, funktioniert nicht. Er führt vielmehr zu einem politökonomisch entleerten, naiven und höchst angreifbaren Ergebnis.

Denn die Interventionen und Korrekturverfahren fallen ja nun nicht zufällig mit der Eurokrise zusammen. Sie sind vielmehr Antworten auf die weit geöffnete Schere zwischen den anspruchsvollen Konvergenzerfordernissen des Euro einerseits und der Unfähigkeit und Unwilligkeit seiner Teilnehmer, den Erfordernissen Rechnung zu tragen, andererseits. Ohne die Fähigkeit und den Willen zur mittelfristigen Synchronisation der Lohn- und Preisauftriebe kann der Verzicht auf Wechselkurskorrekturen nicht funktionieren. Beides ist angesichts der Unterschiedlichkeit der in der Eurozone vertretenen Regime der Lohnaushandlung, der Koexistenz eher binnenorientierter und eher merkantilistischer Orientierungen und des Fehlens transnationaler Lohnkoordination nicht gegeben (eine ausführliche Darstellung findet sich hier). Vor diesem Hintergrund ist es nur höchst konsequent, Verfahren zu errichten, die zum Ziel haben, das Fehlen transnationaler Lohnkoordination zu kompensieren, ja die Tarifautonomie der Sozialpartner in letzter Konsequenz zu brechen. Das ist der Preis des Euro. Wenn man denn, wie DiEM25, am Euro festhalten will, wird man zumindest anzudeuten haben, wie die Synchronisation der Lohn- und Preisauftriebe eigentlich sonst bewerkstelligt werden soll.

Dasselbe ließe sich von den Interventionen in die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiken sagen. Diese Politikfelder entfalten erhebliche Wirkungen auf die Lohnpolitik – die Arbeitsmarktpolitik beispielsweise, weil sie die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften beeinflusst, und die Sozialpolitik, weil sie einen faktischen Mindestlohn setzt. In einem festen Wechselkursregime steigen daher auch die Anforderungen an die in diesen Politikbereichen angesiedelten Instrumente. Sie müssen so eingesetzt werden, dass sie die Synchronisation der Lohn- und Preisauftriebe unterstützen, und gegensteuern, wenn es zu Fehlentwicklungen kommt. Soweit die Theorie. In der Praxis aber sind die Teilnehmer des Euro Demokratien, in denen mal eher sozialstaatsfreundliche, mal eher sozialstaatskritische Parteien regieren, mit ganz unterschiedlichen politischen Systemen, Traditionen, Problemperzeptionen und Dynamiken. Wenn der Euro denn verteidigt werden soll, seine Bestandsvoraussetzungen aber eklatant verletzt werden, solange die Euro-Teilnehmer Demokratien sind – dann ist es nur höchst konsequent, die Freiheitsgrade der Demokratien durch technokratische Interventionen immer weiter einzuschränken, bis hin zur faktischen Vollsuspendierung demokratischer Verhältnisse in den Krisenländern. Kurz: Wer das autoritäre Regieren in Europa kritisiert, wird in seiner Argumentation zu der ökonomischen Konstellation vordringen müssen, aus der das autoritäre Europa hervorgeht. Vielleicht haben die Aktivisten von DiEM25 einen Weg gefunden, das Spannungsfeld zwischen den Imperativen des Euro einerseits und Demokratie und Tarifautonomie andererseits schmerzfrei aufzulösen – aber nichts dergleichen findet sich im Manifest.

Was also will DiEM25? Die Katze wird im Abschnitt „Was ist zu tun? Unser Horizont“ aus dem Sack gelassen: Varoufakis und seine Mitstreiter fordern die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung innerhalb der nächsten zwei Jahre und das Inkrafttreten einer europäischen Verfassung bis spätestens 2025. DiEM25 reiht sich damit in die Initiativen ein, die die Lösung der Probleme in radikaler Zentralisierung erkennen. Man mag das Ziel teilen oder nicht. Aber was tragen die Vereinigten Staaten von Europa zur Auflösung der Eurokrise bei? Sollen die Sozialpartner im europäischen Bundesstaat gänzlich entmachtet werden und Vorgaben aus Brüssel folgen? Sollen die heterogenen europäischen Wohlfahrtsstaaten einem EU-weiten Sozialstaat weichen, der auf Rumänien ebenso passt wie auf Schweden? Und wie kommen die Aktivisten auf die Idee, die eklatanten Demokratiedefizite der Europäischen Union würden sich nicht in die Vereinigten Staaten von Europa fortpflanzen? Erwarten sie die zeitnahe Entstehung eines europäischen Parteiensystems mit transnationalen Parteien? Und erwarten sie, dass die ein Maß an interner Kohärenz aufweisen könnten, das es ihnen erlauben würde, den Bürgerinnen und Bürgern unterscheidbare politische Programme zur Auswahl vorzulegen? Das ist mehr als unwahrscheinlich, so lange die Eurokrise die EU politisch nicht in links und rechts spaltet, sondern in Nord und Süd.

Aber vielleicht geht es um all das ja gar nicht und man wollte vor allem ein Manifest schreiben, das irgendwie für „mehr Europa“ plädiert und daher eingefleischte Integrationisten anspricht. Denn wirklich ernst gemeint kann das alles nicht sein. Der letzte Konvent, der eine europäische Verfassung erarbeitete, flog den Eliten mit den verlorenen Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005 um die Ohren. 2005 – das waren bessere Zeiten für die europäische Integration, auch wenn es sich damals nicht so anfühlte. Die Vorstellung, ein Vertrag zur Gründung der Vereinigten Staaten von Europa könne unter heutigen Bedingungen nicht nur 28 Parlamente, sondern auch alle notwendigen Volksabstimmungen erfolgreich durchlaufen, ist angesichts des Niedergangs der öffentlichen Zustimmung zur EU – man beachte nur die jüngsten Daten des Eurobarometers (hier, vgl. zum Eurobarometer auch hier) – abwegig.

Wissen die Aktivisten das alles nicht? Doch, sie wissen es – und tragen der offensichtlichen Kluft zwischen ihren Vorstellungen und den Haltungen der Bürgerinnen und Bürger Rechnung. Die verfassungsgebende Versammlung, so schreiben sie explizit, „wird die Befugnis haben, über eine künftige demokratische Verfassung zu entscheiden, die innerhalb eines Jahrzehnts die bestehenden europäischen Verträge ersetzen wird“. Die europäische Verfassung soll sich also irgendwie an den nationalen Parlamenten und Volksabstimmungen vorbeimogeln, der Konvent soll keinen Entwurf vorlegen, sondern selbst entscheiden. Man liest das, schließt die Augen, atmet durch, wünscht sich, das alles möge verschwinden, öffnet die Augen wieder, aber es ist alles noch da. Was soll man damit anfangen? Den Aktivsten erklären, dass die von ihnen angestrebte Staatsgründung durch die Hintertür von den Verfassungsgerichten der EU-Mitglieder gestoppt würde? Das Ganze, das wäre mein Vorschlag zur Güte, als nicht so genau zu nehmenden, über das Ziel hinausgeschossenen Provokationsversuch verbuchen?

Was von DiEM25 vor allem bleibt, ist der Eindruck linksliberal-radikaler Integrationisten, die sich gegenüber den Problemen des Euro gleichgültig verhalten und stattdessen nach Wegen suchen, die Vereinigten Staaten von Europa am Demos vorbei durchzusetzen. Nun denn. Sie sind nicht die ersten mit diesem Programm und werden nicht die letzten sein. Auf eines sollten sich die Aktivisten dabei freilich nicht berufen: die Demokratie.

 

Der Beitrag erschien erstmalig auf www.flassbeck-economics.de/diem25-was-helfen-uns-jetzt-die-vereinigten-staaten-von-europa/ und wir reproduzieren ihn hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

NEUE TÖNE -ALTE POLITIK? Über die Varoufakis-Bewegung und eine Stellungnahme von transform!europe

Franz Stefan Parteder

Die EU der Banken, Konzerne und Militärs kann nicht zu einem sozialen Europa umgebaut werden.

Das ist die Position der steirischen KPÖ. Wir haben das immer wieder gesagt und damit auch unse­re Differenz zur Bundes-KPÖ und zur EU-Linkspartei ausgedrückt. Nun dürfte sich in diesen Kreisen die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass man unglaubwürdig wird, wenn man weiter­hin behauptet, dass sich im institutionellen Rahmen dieser EU und ohne qualitativen Bruch ein Ende von Sozialabbau und Entdemokratisierung erreichen ließe. Die vielfältigen ökono­mischen und politischen Krisen haben hier anscheinend einen Denkprozess in Gang gesetzt.

Deshalb hört man seit einigen Wochen neue Töne aus dieser Richtung. Große Hoffnungen setzt man dabei auf eine neue Bewegung, die mit dem Namen des ehemaligen griechischen Finanzministers Varoufakis verbunden wird und die am 9. Februar in Berlin ihren ersten öffentlichen Auftritt hat. Am Vorabend dieses Treffens haben einige Repräsentanten des Thinktanks „transform!Europe“ eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in dem sich sogar der Satz findet: „Wenn die Forderung nach einer Neugründung Europas eine Bedeutung haben soll, dann heißt diese Bedeutung Diskontinuität“. Selbst der Austritt einzelner Staaten aus dem Euro wird nicht mehr als Tabu betrachtet.

So weit so gut. Leider konzentriert sich diese Stellungnahme aber nicht darauf, wie es vom beschriebenen Ist-Zustand aus möglich sein kann, gemeinsam mit großen Teilen der Bevölke­rung den reaktionären Ansturm abzuwenden und Schritte in Richtung auf eine soziale und demokratische Wende in den Mitgliedsstaaten und auf europäischer Ebene zu machen.

Schlagetot-Argument

Im Gegenteil: Ein großer Teil des Papiers „Tracing an Alternative Plan for Europe“ wird darauf verwendet, um vor den Gefahren zu warnen, die angeblich von linken Strategien ausgehen würden, die sich vor allem auf die Widersprüche stützen würden, die von der EU verursacht werden und in den einzelnen Mitgliedsstaaten sichtbar werden. Es wird so getan, als würden Parteien wie die Kommunistische Partei Portugals, aber auch Personen wie Oskar Lafontaine (ohne dass diese genannt würden) auf nationalistische Positionen zurückfallen und außer acht lassen, dass die großen Probleme der Menschheit ohne internationale Koope­ration nicht lösbar sind. Man scheut nicht einmal vor dem Schlagetot-Argument zurück, dass niemand glauben dürfe, dass man mit den Rechten und den Ultrarechten auf dem Felde des Nationalismus konkurrieren könnte. So gesehen findet man in diesem Papier zwar neue Töne, mit ihnen soll aber die alte Politik legitimiert werden.

Und das macht die Sache traurig. Die Entwicklung des finanzmarktgesteuerten Kapitalismus hat zu einer derartig tiefen und mannigfaltigen ökonomischen, sozialen und politischen Krise geführt, dass die Institutionen der EU nicht mehr in der Lage sind, die Widersprüche einzu­dämmen. Deshalb denken die Herrschenden darüber nach, ob es für ihre Klasseninteressen nicht dienlicher wäre, die bestehende EU aufzugeben und nach Alternativen (Kern-Europa, Rückbildung zu einer Freihandelszone, etc.) zu suchen. Wer heutzutage noch von „europäi­schen Werten spricht“, tut sich sehr schwer damit, die Menschen davon zu überzeugen. Le­diglich die Linke soll diese unsichtbare Schranke nicht überschreiten und weiterhin „europä­ische Werte“ hochhalten, während immer deutlicher wird, dass der einzige europäische Wert, den die EU hat, der Maximalprofit ist?

Dialektik

Die Erfahrungen der kommunistischen Bewegung im 20. Jahrhundert haben aber gezeigt, dass die Dialektik und der Zusammenhang von Nationalem und Internationalem von weit größerer Bedeutung ist als dies von den Klassikern angenommen wurde. Es ist nicht nur denkbar, sondern auch wünschenswert, dass man den Widerstand großer Teile der Bevöl­kerung in unserem Land gegen die EU progressiv wenden und zu einem Teil der Bewegung machen kann, die auf eine grundsätzliche Umgestaltung der Gesellschaftsordnung in unserem Sinn zielt. Wer die Mehrheit der Bevölkerung den Reaktionären überlässt, der hat schon verloren.

Da der steirischen KPÖ immer wieder vorgeworfen wird, wir würden genau diese „nationale“ Karte ziehen, zitiere ich aus dem gültigen Parteiprogramm: „Länder, die perspektivisch einen Ausbruchsversuch in Richtung Sozialismus versuchen könnten, müssen die EU verlassen und für ein anderes, friedliches, radikaldemokratisches Europa eintreten. Eine Loslösung von der EU bedeutet nicht nationale Isolierung und Abkoppelung von den internationalen wirtschaft­lichen Beziehungen. Die Zukunft Europas ist untrennbar verbunden mit der Zukunft der anti­imperialistischen und antikapitalistischen Bewegung in jedem EU-Mitgliedsland. Je stärker die antiimperialistische, antikapitalistische Bewegung wird, desto mehr Möglichkeiten für Veränderungen auf der Ebene der Macht werden entstehen.“

Das ist immerhin der Versuch, eine Strategie zu entwickeln, der man zustimmen kann oder auch nicht. In den aktuellen Stellungnahmen aus den Reihen der EU-Linkspartei oder von „transform!europe“ ist hingegen eine Strategie nicht zu erkennen. Und auch bei der Beschrei­bung aktueller Erscheinungen bleibt man auf der parteipolitischen Ebene, sei es bei der Ver­teidigung der griechischen Syriza-Regierung und ihrer aktuellen Unterwerfungspolitik unter die Vorgaben der EU-Institutionen, sei es beim Klagen darüber, dass die linken Parteien in der EU derzeit sehr schwach sind. Welch ein Kontrast zum Jahr 2004, als die EU-Linkspartei gegründet wurde und heutige Repräsentanten von transform von der „Wiederbegründung einer revolutionären Tendenz“ sprachen.

Keine Rechthaberei

Die Entwicklung auf der Seite jener Teile der fortschrittlichen Bewegung, die seinerzeit ihre Hoffnungen auf ein „soziales Europa“ gesetzt hatten, ist aber offen. Von einem Umdenken auch in prinzipiellen Fragen bis zur lediglich taktisch bedingten Anpassung an den Zeitgeist, kann man dort sehr unterschiedliche Positionen finden.

Deshalb ist es notwendig, die Diskussion dieser Gruppen und Personen aufmerksam zu ver­folgen und selbst zu formulieren, welche Schritte jetzt in Österreich und auf europäischer Ebene notwendig wären. Wir haben vor mehr als 10 Jahren in unserer Prognose der gesell­schaftlichen Entwicklung recht gehabt. Rechthaberei ist aber keine Haltung, die eine Bewegung vorwärts bringt.

Niemand kann heute ernsthaft behaupten, dass ein Austritt aus EURO-Raum und EU die gesellschaftlichen Probleme, vor denen wir stehen, mit einem Federstrich lösen könnte. Das wäre, wenn es in einem fortschrittlichen Sinne geschehen würde, überhaupt nur als Folge fundamentaler gesellschaftlicher Veränderungen denkbar.

Und diese fundamentalen gesellschaftlichen Veränderungen sind nur möglich, wenn es ge­lingt, ein politisches Subjekt zu schaffen, das in der Lage ist, massenverbunden und zielge­richtet zu wirken. Wir müssen darum kämpfen, dass es den Herrschenden immer schlechter gelingt, ihren Zorn über die Verhältnisse auf noch Ärmere abzulenken. Diese Auseinander­setzung können wir nur bei uns, in den Gemeinden, in den Betrieben, wir können sie nur vor Ort führen.Wir müssen Menschen ernst nehmen, die sich verbal nicht so artikulieren können wie unsereins, die oft nicht wissen, wie sie die Miete bezahlen können, für die der Schulski­kurs ihrer Kinder zum finanziellen Problem wird, die – auch das ist eine Tatsache – Tag für Tag mit Menschen aus anderen Kulturkreisen Tür an Tür zusammen leben. Ihr Vertrauen lässt sich nur durch geduldige Kleinarbeit erringen. Es hilft wenig, wenn wir im kleinen Kreis feststellen, dass wir mit unseren Analysen Recht haben. Es geht darum, in Bewegungen aktiv zu sein und dort einen Lernprozess über die grundlegenden Widersprüche in unserer Gesellschaft einzuleiten.

Jede positive Veränderung des Kräfteverhältnisses wird dabei auch auf die europäische Ebene wirken.