Linke Eurogegner versammeln sich in Rom

Motto: Dem „Drängen“ von unten zum Durchbruch verhelfen

Ein Bestandsaufnahme nach einem Jahr Regierung Conte-Di Maio-Salvini

von Wilhelm Langthaler

Bild: Stefano Fassina (Stefano Fassina (Patria e Costituzione, Parlamentarier), Leonardo Mazzei (P101 und Herausgeber deren Publikationen), Dino Greco (Rifundazione Comunista), Fabio Frati (Streikführer bei Alitalia und Moderator), Domenico Moro (Potere al Popolo), Bruno Steri (PCI)

Das Eurexit-Forum in Rom am Samstag, den 13. April, bestand aus zwei Teilen. Am Vormittag gab es Berichte von und über die französischen Gelbwesten, die Depression in Griechenland, die drohende Rechtsregierung in Spanien sowie eine Interpretation der Verzögerungen beim Brexit. Am Nachmittag debattierten verschiedene Tendenzen der Euro-kritischen Linken Italiens die Lage vor den EU-Wahlen, die als Test für die populistische Regierung gewertet wird.

Zunächst zu den Organisatoren: Das Forum wurde durch die Gruppe „Programa 101“ (P101) ausgerichtet, benannt nach einem von Olivetti entwickelten Computer. Dieser hätte technisch die Voraussetzungen besessen, den späteren Siegeszug des PCs vorwegzunehmen. Doch fehlte dem Hersteller die Marktmacht sowie das restliche Umfeld. Für P101 steht er jedoch als Symbol für das Potential Italiens auf eine selbständige Entwicklung, im Gegensatz zum derzeitigen Niedergang in der Unterordnung unter das Diktat der neoliberalen Globalisierung. P101 hat sich die Bildung einer breiten, patriotischen Linken zum Ziel gesetzt, auf der Basis der Verfassung, die der Arbeit den Vorrang vor dem Kapital einräumt. Sie will das Erbe der Linken verteidigen, sich dabei aber auf die Seite des einfachen Volkes stellen, das die offizielle Linke aus gutem Grund hasst. Gegen die neoliberale Globalisierung setzt sie die Volkssouveränität.

Es hatten sich alle wichtigen Kräfte der Anti-Euro- und Anti-EU-Linken eingefunden. Rifondazione Communista (PRC), Potere al Popolo (PaP), Partito Comunista Italiano (PCI), Patria e Costituzione des ehemaligen PD-Abgeordneten Stefano Fassina, die selbst wiederum eine Koalition ist einschließlich der ebenfalls vertretenen italienischen Anhänger der Modern Monetary Theory um Senso Comune sowie der Zeitschrift Rinascita. Was sich in Italien als konsequente Linke versteht, lehnt nicht nur die gemeinsame Währung ab, sondern stellt sich mittlerweile auch gegen den Binnenmarkt und die EU als ganzer. Das ist mittlerweile in diesen Milieus eine unverrückbare Selbstverständlichkeit. Noch vor wenigen Jahren was das völlig anders, nämlich so wie heute noch in Deutschland und Österreich.

So drehte sich die Debatte vor allem um die Rolle der populistischen Regierung aus Fünfsternen und Lega, ihr Verhältnis zu den Erwartungen der Unterklassen und den daraus folgenden Handlungsmöglichkeiten für die Linke.

Die Organisatoren hatten das Forum unter das Motto Drängen, incalzare, gestellt. Damit ist einerseits der Wunsch, das Drängen der unteren Klassen auf soziale Entwicklung und politische Kontrolle gegen die neoliberalen Eliten und die EU gemeint. Andererseits auch der Versuch, die sozialen Anflüge der Regierungspolitik weiter, vorwärts zu drängen. Da geht es um die Rücknahme der Konterreformen bei den Pensionen und dem Arbeitsmarkt, das Grundeinkommen insbesondere für den Süden, die symbolträchtige Renationalisierungen von Alitalia und den Autostrade und natürlich der Anspielungen auf Währungssouveränität.

Mit der Formel konnten alle etwas anfangen, auch wenn sie es sehr unterschiedlich deklinierten. Am weitesten entfernt zeigte sich der Vertreter von Rifundazione Comunista (PRC), Dino Greco, der damit das Feld aufspannte. Er kritisierte die Regierung dafür, dass sie den neoliberalen Rahmen als ganzen nicht sprengen würde.

Leo Mazzei, einer der Köpfe von P101 und selbst ehemaliges Führungsmitglied der PRC in ihrer Kernprovinz Toskana, wies auf die doppelten Standards hin. Er war damals aus Rifundazione nicht nur wegen deren Unterstützung für Regierung, die Jugoslawien angreifen lies, ausgetreten, sondern auch der neoliberalen Sozialpolitik wegen, die die Konterreform erst so richtig in Fahrt brachte. Das erste zarte Pflänzchen einer Gegentendenz seit dreißig Jahren sei indes abzulehnen, weil zu wenig radikal?

Im Hintergrund trennt die kommenden EU-Wahlen, die als Referendum über die geld-grüne Regierung gilt. Und zwar nicht als ganzer, sondern jeweils Cinque Stelle und Lega für sich allein. Dabei konzentrieren sich die Attacken der alten Eliten ausschließlich auf die M5S. Der Hintergedanke: Salvinis Lega wieder in das bipolare System zurückzuholen und mit Berlusconi zusammenzuspannen, auch wenn das letztlich nur mit Neuwahlen möglich werden könnte, denn allein verfügen sie über entschieden zu wenig Sitze. Oder aber eine als technische Regierung getarnte Große Koalition, wie es sie bereits vor der letzten Wahl mehrfach gegen hatte.

Ein sensationelles Drittel der Stimmen hatten die Fünfsterne vor einem Jahr auf sich vereinigen können. Auf wieviel werden sie nun herabsinken? Und wieviel ist wenig genug, um die Lega zum Bruch bewegen zu können? Die Enttäuschungen sind groß und die bruchlose Fortsetzung der Römischen Misswirtschaft unter der Bürgermeistern Raggi beispielhaft. Auf der anderen Seite ist die Abwendung der Unterklassen von den Elitenparteien keine Eintagsfliege, sondern Ergebnis von Jahrzehnten der sozialen Katastrophe des EU-Wirtschaftsliberalismus – zumal der nächste Abschwung vor der Tür steht und Brüssel schon die Messer wegen Budgetüberschreitungen wetzt. Nach der Wahl werden sie den Austeritätsknüppel wieder auspacken.

Der Vorschlag von P101 war es daher, für No-Euro-Kandidaten der Fünfsterne zu stimmen. Damit sollte auch ihr linker Flügel angestachelt werden, sich von der internen Diktatur der Mittelstandsillusionen zu emanzipieren.

Doch auch viele der No-Euro-Linken werden wie von einem Magneten durch diverse linke Wahlprojekte angezogen, die letztlich wieder alle bei der linksliberalen Urmutter Partito Democratico enden. Eine aktive gemeinsame Front ist gegenwärtig nicht möglich.

So schloss Moreno Pasquinelli das Forum mit dem Hinweis, dass der Fortschritt der Patriotischen Linken langsamer sein könnte, als das Heraufziehen einer soziopolitischen Explosion. Sollevazione, Auflehnung oder Aufstand, heißt auch die Website der Gruppe.


Der Brexit schadet – aber wem? Eine Polemik des Albrecht Müller gegen Winfried Wolf

Thomas Z. hat einen link zu zwei Artikeln der NachDenkSeiten zum Brexit herum geschickt. (https://www.nachdenkseiten.de/?p=50633

Ich würde wirklich dringlich empfehlen, diese Artikel zu lesen. Da kann man nämlich sehen, mit welcher Konsequenz der deutsche Sozialdemokrat Albrecht Müller argumentiert, wenn er gegen einen halbwegs gut argumentierenden Artikel (Winfried Wolf) schreibt, der sich gegen die EU richtet. Ich halte mich vorerst an seine Nummerierung.

(1) Warum soll „mehr Druck von Oben“ das Ergebnis eines „harten Brexit“ sein? Das ist eine jener Behauptungen, die völlig unbegründet sind, auch wenn inzwischen allen Propaganda-Medien der EU dunkel vor der Katastrophe warnen – die sie nie benennen!

(2) Müller nützt einzelne tatsächlich ungeschickte Formulierungen Wolfs, die ganz klar aus dessen Bemühung kommen, die EU-frommen Leser der NachDenkSeiten nicht zu überfordern, für hinterhältige Untergriffe.

(3) Die Briten haben an der reaktionären Entwicklung der EU kräftig mitgearbeitet? Stimmt. Aber ist das ein Grund, für die EU zu sein?

(4) Die EU wurde mit Lissabon reaktionär. – Als ob nur Lissabon 2008 das Problem wäre! Hat er jemals von Maastricht 1992-94 gehört und von der Währungsunion?

(5) „Durch Nachdenken und durch Tatsachen ist nicht gestützt“, dass die EU durch Austritte besser wird. Da hat er recht, der Herr Müller! Es wird langsam humoristisch.

(6) In derselben schon humoristischen Tonart geht es weiter. Auch er sei gegen „Falsche Erwartungen“ beim EU-Beitritt der Balkan-Länder. Aber Wolf „versteht nicht“, dass dies ein Unterschied für die ist, die schon Mitglieder sind: „Dann ist man nämlich drin und nicht noch draußen!“

(7) „Zu glauben, dass sich durch den Brexit, noch dazu durch einen harten, die Lage für die Lohnabhängigen und die ärmeren Schichten in Großbritannien bessern würde, ist ohne Basis.“ Hier können wir endlich einmal eine ernsthafte Anmerkung machen: Es geht nicht darum, dass durch den Austritt allein „Alles besser“ wird. Das hat noch kein Linker gesagt. Es geht darum, dass dann die Möglichkeit für eine eigenständige, auch linke Politik erst wieder gegeben ist. Derzeit ist dies innerhalb der EU schlichtweg unmöglich. Ob sich die Möglichkeiten einer solchen Politik verwirklichen lassen, ist eine Frage der Kräfte-Verhältnisse und der Militanz. Die sind jedenfalls auf nationaler Ebene um eine Qualität besser als auf supra-nationaler, wo sie praktisch überhaupt nicht gegeben sind.

(8) „Folgen eines solchen Brexit werden hart sein.“ Siehe oben! Das ist das Dogma aller EU-Fanatiker.

(9) „52 %“ für den Brexit, ist doch viel zuwenig für eine demokratische Entscheidung!! Interessant, dass dieselben Leute nicht so argumentiert haben, als in Frankreich 1992 51 % für Maastricht waren; als Schweden mit 52 % der EG beitrat… Und doch gehört dies zu den Lieblingsargumenten der Remainer, übrigens auch in Österreich. Es zeigt auch, von welchen Eltern ihre Argumente stammen. Es erinnert mich an die diskrete Art der bürgerlichen Presse, Nachrichten zu manipulieren. Als Schweden mit knapp 52 % für die EG stimmte, war dies für die NZZ ein „deutliches Ergebnis“. Als wenige Wochen danach Norwegen mit fast exakt demselben Prozentsatz gegen die EG war, schrieb dieselbe NZZ: „knappe Ablehnung des EG-Beitritts“.

Und als Ergänzung schreibt mir Boris Lechthaler

Den wirklich köstlichen Punkt 13 hast Du uns vorenthalten:

(13) „Das eigentlich große Problem im Hintergrund: Sind Vereinigungen wie die Europäische Union vorstellbar und sinnvoll, wenn man das Rein und Raus und das Raus und Rein zu einem wesentlichen Grundprinzip und zu einer Grundforderung macht? Aus meiner Sicht ist eine solche Vereinigung so kompliziert und mit so vielen Folgen für die Gesetzgebung und für die Dispositionen von Millionen Menschen und Unternehmen und auch für finanzielle Verpflichtungen der einzelnen Staaten, zum Beispiel gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gemeinschaft, verbunden, dass eine offensichtlich gewünschte Rein- und Raus-Praxis damit nicht verbunden sein kann. Man muss sich vor dem Beitritt überlegen, ob man so etwas will oder ob man es nicht will. Alle späteren Revisionen sind kompliziert. Und sie werden, das wird gerade der Brexit zeigen – anders als von Winfried Wolf vermutet und erhofft –, vor allem auf dem Rücken der Schwächeren und nicht zu deren Gunsten praktisch vollzogen.“ (Albrecht Müller abschließend zur Rein-Raus-Praxis)

Unfassbar, dass so etwas publiziert wird. Das Rein-Raus-Prinzip als Grundprinzip und, da haben wir’s schon, „Grundforderung“. Das geht gar nicht. Ziemlich deutsch, das Müllersche Europa.(B.L.)

Doch belassen wir dies dabei. Müller war ein Zuarbeiter des SPD-Kanzlers H. Schmidt. Er ist eben ein deutscher Sozialdemokrat dieser Prägung. Was sollen wir uns darüber wundern?

4. April 2019

Fundstücke 3: Churchill als geistiger Vater der EU

CHURCHILL, 19. September 1946: „Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa aufbauen. … Deutschland muss die Möglichkeit genommen werden, sich neu zu bewaffnen und einen weiteren Angriffskrieg zu führen. … Wird das Gefüge der Vereinigten Staaten von Europa gut und richtig aufgebaut, dann rückt die materielle Stärke einzelner Staaten in den Hintergrund. Kleine Nationen werden genauso wichtig sein wie große. …Unser beständiges Ziel muss es sein, die Vereinten Nationen weiter aufzubauen und zu stärken. … Bei all diesen dringlichen Aufgaben müssen Frankreich und Deutschland gemeinsam die Führung übernehmen.“ (https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/grosse-reden-lasst-europa-entstehen-churchills-flammender-appell).

Und von der EU-website: „Winston Churchill, ehemaliger Armeeoffizier und Kriegsberichterstatter, war von 1940 bis 1945 und von 1951 bis 1955 britischer Premierminister und einer der Ersten, der die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa forderte. Er war davon überzeugt, dass nach dem Zweiten Weltkrieg nur ein vereinigtes Europa den Frieden garantieren konnte. Sein Ziel war es, Nationalismus und Kriegstreiberei in Europa endgültig auszumerzen. Im Jahr 1953 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Churchill gab den Menschen in Europa Halt im Kampf gegen den Nationalsozialismus und Faschismus und wurde später zur wichtigen Antriebskraft für die europäische Integration sowie ein aktiver Verfechter dieses Ziels.“ https://europa.eu/european-union/sites/europaeu/files/docs/body/winston_churchill_de.pdf

Hans Woller (2001), CHURCHILL UND MUSSOLINI. Offene Konfrontation und geheime Kooperation? In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 49, Heft 4, 563 – 594:

„Churchill hat stets bestritten, daß es eine geheime Korrespondenz [zwischen ihm und Mussolini] gegeben habe“. –Renzo De Felice [italienischer Historiker mit Neigung zum „Revisionismus“]: „Die Amerikaner wollten Mussolini lebend … Anders die Engländer […], die Mussolini in Nürnberg mitnichten sehen wollten. Er hätte ihnen große Unannehmlichkeiten bereiten können.“ Und warum? „In Italien, so sah es Churchill, hatte nach dem Krieg die Gefahr einer kommunistischen Machtergreifung bestanden, und Mussolini hatte diese Gefahr gebannt. Er stand also auf der richtigen Seite und brachte es überdies fertig, einem chaotischen, seit langem zerrütteten Staat eine Art von Form zu geben. Die Politik der eisernen Faust, die Mussolini dabei praktizierte, imponierte Churchill. … Mussolini erwiderte die Wertschätzung, die Churchill ihm entgegenbrachte.“ Churchill 1926 / 27 wörtlich: „Wie so viele andere konnte auch ich nicht umhin, davon bezaubert zu sein, wie ruhig und einfach er sich gab und welch gelassene, unaufgeregte Haltung er trotz der vielen Belastungen und Gefahren an den Tag legte. Außerdem konnte jeder sehen, daß er an nichts anderes denkt als an das dauerhafte Wohl, wie er es versteht, des italienischen Volkes.“ Und ultimativ: Wäre er Italiener gewesen, wäre er sicherlich Faschist. – Ergänzung: In Großbritannien hatte er gerade mit größter Brutalität einen Bergarbeiterstreik niedergeschlagen.

Sebastian Hafners Zusammenfassung 1967: „Es ist keine Übertreibung und keine ungerechte Unterstellung: Der Sache nach war der Churchill der zwanziger Jahre ein Faschist; nur seine Nationalität verhinderte, dass er es auch dem Namen nach wurde.“

Kommentar: Im Prinzip überflüssig. Faschismus war / ist eine „Form der bürgerlichen Herrschaft“ (R. Kühnl). Wenn man sie vermeiden kann, will die Bourgeoisie sie vermeiden, denn sie ist ein Zeichen der Krise. Mit der Verlagerung der politischen Entscheidungen auf die supranationale Ebene scheint Faschismus gegenwärtig überflüssig zu sein – ist er es wirklich angesichts der wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung?

THERESA MAY, DER BREXIT UND DER ALTE UND NEUE FASCHISMUS: Die diskrete Kooperation der britischen und der EU-Eliten

Theresa May wird für die Herrschenden langsam untragbar. Sie war im Abstimmungskampf gegen den Austritt Großbritanniens aus der EU gewesen. Sie ist ganz offenkundig nicht ausgesprochen smart. Also bot sie sich nach Camerons Rücktritt als ideale Kandidatin der alten Eliten für den Job der Ersten Ministerin an. In dieser Partei, den britischen Konservativen, sind es diese Eliten, die ziemlich unverhüllt entscheiden. Ein wenig verkompliziert wird dies, weil inzwischen auch die Konservativen, nach dem Muster von Labour, Urabstimmungen eingeführt haben. Aber das konservative Fußvolk war stets sehr reaktionär. Da brauchen sich die Eliten wenig Sorgen zu machen. Aber danach erwies sie sich in einer Art als unfähig, die sie zunehmend zu einer Belastung für ihre Auftraggeber machen.

Sie hat offenbar das britische Wahlrecht nicht verstanden. Sie brach eine Wahl vom Zaun, wo sie zwar Stimmen gewann, aber ihre Mehrheit verlor. Sie versucht zwar, den Brexit zu sabotieren, aber sie macht dies in einer himmelschreiend patscherten Manier. Die EU-Bürokratie tat das Ihre dazu, indem sie die Unfähigkeit der May bis ins Letzte ausnutzten. Für Feinheiten wie eine Rücksichtnahme auf die Stimmungen von Wählern oder gar des Parteivolks haben die Herrschaften in Brüssel, aber auch in Berlin kein Sensorium. Ergebnis war ein Vertrag, der für das Vereinigte Königreich und seine Bevölkerung noch schlimmer ist als eine weitere Mitgliedschaft in der EU. Das Tüpferl auf dem i ist der backstop. Damit würde Großbritannien endgültig zur Kolonie. Das Land hätte nur mehr die Wahl, in völliger Abhängigkeit in der Zollunion zu bleiben oder aber jede Bedingung der EU zu akzeptieren – eine Art unconditional surrender, wie nach einem katastrophal verlorenen Krieg. Damit aber hatten May und die Brüsseler-Berliner Herrschaften den Bogen überspannt.

Aber May fuhr fort in ihren unsäglichen Manövern und fuhr eine Niederlage nach der anderen ein. Innerhalb der EU verspricht man solchen Leuten wie May gewöhnlich einen Job als Kommissarin in Brüssel. Das geht ja mit May nicht. Was hat man ihr eigentlich versprochen? Aber nun scheint es allen rundum zu reichen.

Das sagt noch nicht, dass das Spiel für die Brüsseler-Berliner und die britischen Finanz-Eliten schon endgültig verloren ist. Zum Zeitpunkt der Niederschrift gibt es May noch. Und das gibt uns noch eine Hoffnung. Denn May ist so unfähig, dass wir uns auf sie fast verlassen können. Sehen wir uns einige wenige Punkte an!

Man könnte fragen: Warum sollte Großbritannien nicht in der Zollunion bleiben? Der Freihandel zwischen hochentwickelten Wirtschaften ist ohnehin eine Selbstverständlichkeit, und Zölle spielen selbst an den Außengrenzen der EU keine große Rolle mehr. Aber die sogenannte Zollunion ist nichts Anderes, als die EU in ihrer vollen wirtschaftspolitischen Ausgestaltung. Hier wird entschieden, wie Produktion und Austausch vor sich gehen. Hier greift das gesamte Regelwerk, welches Brüssel-Berlin bisher aufgebaut hat. Die Zollunion ist die EU. Wenn das UK in der Zollunion bleibt, aber nicht in der EU, hat das Land nicht einmal mehr die Möglichkeit, besonders grausliche Regeln durch Veto zu verhindern. Aber das wollen die britischen Eliten sowieso nicht. Daher wollen sie um jeden Preis in der Zollunion bleiben.

Zu diesem Preis gehört eben auch der Verzicht auf Nordirland, das sonst so ein hoch symbolischer Einsatz für die Konservativen ist. Und dafür ist es schon wert, nicht nur die Legitimität, sondern sogar die Legalität über Bord gehen zu lassen.

Großbritannien hat bekanntlich keine geschriebene Verfassung. Aber es hat eine Reihe von Verfassungs-Grundsätzen, die ziemlich strikt eingehalten werden. Dazu gehört, dass nicht ewig über exakt denselben Antrag abgestimmt werden darf. Schon die zweite Abstimmung über den Austrittsvertrag war ein Verfassungsbruch. Aber gerade das ist ja das erprobte Verfahren der EU, das man schon öfters mit Erfolg angewandt hat. In unseren Medien, insbesondere im ORF wurde dieser Eingriff des Speakers daher als eine britische Marotte dargestellt, wo man ins 17. Jahrhundert ging, um eine vergessene Regel auszugraben. Es war ein Verfassungsbruch, welcher das parlamentarische britische System in Frage stellt.

Ich versuche gerade, den Machtantritt des italienischen Faschismus zu verstehen, nicht zuletzt an Hand von Texten von Palmiro Togliatti. Ich bin betroffen, wie sehr ich immer wieder an die Situation in Großbritannien heute erinnert werde. Die Manöver des rechtsliberalen Giolitti 1921/22, mit denen er dem Faschismus den Weg bereitete, und zwar absichtlich, erinnern akut an die Politik der Theresa May und ihrer Gefolgschaft.

Es ist natürlich verständlich, wenn die Eliten der EU und Großbritanniens alle Hebel in Bewegung setzen, dass der Brexit scheitern möge. Und sie haben ziemlich viel in der Hand. Wenn der Brexit ein Erfolg würde, ist das Imperium existenziell gefährdet. Immerhin gibt es in einer Reihe anderer Länder Exit-Bewegungen, sogar in solchen, wo Eliten und obere Mittelschichten Nutznießer einer EU-Mitgliedschaft sind.

Es gibt keinen sachlichen Grund, warum der „harte“ Brexit – welch unsägliches Wort – im Chaos ablaufen soll und nicht ziemlich reibungslos implementiert werden könnte. Wir haben eine Reihe von Beispielen, wo sogar in Nationalstaaten, die denn doch noch enger integriert sind als die EU, eine Trennung ganz manierlich vor sich ging und die Bevölkerung oft fast nicht mitbekam, dass da ein neuer Staat entstanden war – man denke etwa an die Trennung der Slowakei von Tschechien. Auch die Auflösung der Sowjetunion war solange nicht ein administratives Problem, solange nicht Kompradoren-Eliten verrückt zu spielen begannen. Das soll nicht heißen, dass man aus der Sicht der Bevölkerung diese Auflösung nicht als Riesenfehler sehen muss. Es geht hier nur darum, dass es ein rational durchgeführter Vorgang war.

Nun aber muss der Brexit in Chaos enden – sonst erweisen sich alle Propaganda-Lügen der EU und ihrer Anhänger in Großbritannien als Bumerang.

Eine Bemerkung noch zur Rolle von Labour. Corbyn hatte seinerzeit begriffen, dass eine Mehrheit der britischen Arbeiter den EU-Austritt will, und er selbst dürfte diese Haltung geteilt haben. Aber wie soll er das in dieser Partei durchsetzen, die von Blair und seinen Leuten gestaltet wurde, die sowieso seit je ein Muster von Opportunismus und von rechter Sozialdemokratie war? Labour war noch bis vor Kurzem eine Arbeiter-Partei, wenn auch der Arbeiter, wie sie Lenin seinerzeit als Arbeiter-Aristokratie beschrieben hat: Arbeiter also, die vom britischen Imperialismus einige Brosamen erhielten. Nun: 71 % der manuellen Arbeiter stimmten für den Brexit, 58 % der gering Verdienenden (unter 20.000 Pfund im Jahr), 75 % der schlecht Qualifizierten, Für die EU waren die Gutverdienenden (65 % der mit über 60.000 Pfund Jahreseinkommen), der Hochschul-Absolventen (73 %), aber auch 72 % derer, die gerade unter dem Einfluss der Regierungs-Propaganda im Erziehungssystem stehen (72 % der 18 – 25jährigen).

Mit der Haltung von Labour müsste also die Partei in Kürze zusammenbrechen, wie auch die sozialdemokratischen Parteien auf dem Kontinent. Für Corbyn als Person bleibt eigentlich nur die Hoffnung, dass der Brexit letztlich gut funktioniert. Denn sollte er das Unglück haben, jetzt an die Regierung zu kommen und das UK zurück in die EU zu führen, wäre das bald sein Ende und das Ende seiner Partei

AFR, 26. März 2019

Fundstücke 2: SICHERUNGSHAFT – SCHUTZHAFT

Presse, 7. März 2019 „Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl soll per Bescheid festlegen, wann jemand in Sicherungshaft muss. Dies geht auf den Wunsch von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) zurück, der nicht wollte, dass man eine richterliche Entscheidung benötigt, um jemanden in Sicherheitshaft zu nehmen. … Eine Frist von 48 Stunden ist [wie bei der Untersuchungshaft] auch bei der Sicherheitshaft geplant. Nur soll kein Strafrichter, sondern ein Richter des Bundesverwaltungsgerichts entscheiden, ob die Festnahme zu Recht erfolgt ist. Laut Justizministerium wird danach noch der Rechtsweg zum Verwaltungsgerichtshof offen stehen.

Wie lang soll der Betroffene in Sicherungshaft genommen werden dürfen? Nach zwei Wochen in Sicherungshaft soll die Rechtmäßigkeit der Haft wieder überprüft werden und über begleitende Maßnahmen (etwa zur Deradikalisierung des Inhaftierten) entschieden werden. Überhaupt soll immer einmal pro Monat überprüft werden, ob die Verwahrung noch nötig ist. In Haft soll man nur sein, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen. Nach sechs Monaten ist die Sicherungshaft laut dem Regierungspapier spätestens zu Ende. Außer es gibt nicht näher definierte „besondere Gründe“, die eine weitere Haft nötig machen. Eine absolute Maximalfrist für die Haftdauer findet sich in dem Papier nicht.“

Ein Kommentar erübrigt sich – fast. Doch ist hinzuweisen: Das ist nach österreichischem Recht derzeit nicht möglich. Wohl aber gestattet es das EU-Recht, nach der EU-Aufnahmerichtlinie vom 29. Juni 2013, Z. 15+16. In Frankreich hat der sozialdemokratische Staatspräsident Hollande die „Präventive Administrationshaft“ eingeführt, verallgemeinert und auf Dauer gestellt. Derzeit sitzen angeblich mehrere Hunderte in dieser Haft. Das Imperium setzt auf Legalismus und will ein Rechtsstaat sein – ein autoritärer, ein bürokratischer Rechtsstaat. Aber es stellt sich immer die Frage: Was ist, wenn dies nicht funktionieert? Dann muss man Gesetze für den Notstands vorbereiten. Das ist es, was ich mit dem Ausdruck Technofaschismus – als Zukunft – auch erfassen möchte. Um davon aber abzulenken, betont man die Gefahr des alten folkloristischen Faschismus; das ist die Funktion des / der Antifa.

AFR, 10. März 2019

DIE DISKRETE PROPAGANDA DER €-IDEOLOGEN UND IHRE MANIPULATIONEN: Wer profitiert vom €, wer verliert?

Ein Arbeitspapier des CEP, Zentrum für Europäische Politik, wurde eben publiziert. Es handelt von den „Wohlstandswirkungen“ der Einheitswährung und zeigt an der Zahl BIP pro Kopf: Von acht untersuchten Ländern haben fünf massiv verloren; Griechenland sei pari ausgestiegen (!!!). Wirklich gewonnen habe einzig die BRD, die aber in großem Ausmaß (2 Billionen) , und in gewissem Ausmaß auch noch die Niederlande. Italien und Frankreich würden ohne € kumuliert um je etwa 4 Billionen besser gefahren sein, also um jeweils zwei Jahresproduktionen zu Preisen von 2017 (BIP 2017 Italien 1,725 Bill. €; Frankreich 2,292 Bill.). Anders ausgedrückt: Italiener und Franzosen hätten ohne den Euro bis heute insgesamt zwei Jahresergebnisse mehr zur Verfügung, haben also wegen des € zwei Jahre umsonst gearbeitet.

Man wundert sich. Das CEP ist nach eigenen Angaben ein „europapolitischer Think-tank“, ein „unabhängiges Kompetenzzentrum“. Und die sagen uns plötzlich, dass der € für einen Großteil der untersuchten Länder massive Nachteile habe? Das Papier richtet sich hauptsächlich an deutsche Politiker. Da muss man heute ab und zu den Vorteil der BRD schon betonen. Denn selbst dort wächst der Widerstand. Die eigentlichen Aussagen kommen weiter im Inneren: „Italien hat nach wie vor keine Möglichkeit gefunden, wie es innerhalb der €-Zone wettbewerbsfähig sein kann. … Statt [der Abwertungen] bedarf es nun Strukturreformen“ (10). Das ist eine wortwörtliche Wiederholung, was auf S. 8 bereits über Frankreich gesagt wurde. Dort haben die Autoren noch hinzugefügt: „Frankreich muss den von Präsident Macron eingeschlagenen Reformweg zwingend konsequent weitergehen.“ Damit ist die Katze aus dem Sack. Auch das wird bei Portugal wiederholt und ergänzt: „Portugal muss zwingend Reformen durchführen … und öffentliche Ausgaben weniger konsumtiv nutzen.“ Also: Fresst weniger und arbeitet mehr!

Der Zweck der Übung ist also klar: „Innere Abwertung!“ Im Gegensatz zu Puzzello / Gomes-Porqueras 2018, eine Untersuchung mit derselben Methode, versuchen diese Autoren nicht, ihre Berechnungs-Methode im Detail darzustellen. Aber sie erläutern sie kurz und geben immerhin die Kontrollgruppe und ihre Mitglieder für jedes Land an. Es ist ziemlich plausibel, dass man Länder ähnlicher Struktur und ähnlichen Entwicklungsstands zum Vergleich heranzieht.

Hier fangen die Probleme an. Diese Kontrollgruppe ist jeweils ein Sammelsurium völlig unverbundener Wirtschaften. Griechenland wird z. B. Barbados und Neuseeland gegenüber gestellt. Noch problematischer wird es, wenn die Schweiz heran gezogen wird. Gegenüber der Schweiz hat der € dauernd abgewertet. Damit hat er die Bedingungen des Schweizer Exports und des Schweizer Wachstums beschädigt. Auch die Schweiz wäre ohne Einführung des Euros im Nachbarland BRD schneller gewachsen. Anfang 2000 zahlte man 1,6 Franken für 1 €; inzwischen erhält man den € schon für 1,13 Franken – eine Abwertung des € gegenüber dem Franken um 42 %. Und mehr als die Hälfte der Schweizer Waren-Exporte (53 %) gehen in die EU, vor allem in die €-Zone. Wir wissen ja: Für die BRD bedeutet der € eine Abwertung, während er für die der Abwer¬tung bedürftigen Südwirtschaften eine Aufwertung darstellt.

Der zweite Punkt ist die zeitliche Abgrenzung. Schon im ersten Absatz wunderte ich mich: Griechenland, dessen Wirtschaft von der Troika – pardon: Tsipras und Varoufakis wollen, dass wir von den „Institutionen“ sprechen – platt gemacht wurde, sei pari ausgestiegen? Doch hier wird die griechische Blase bis 2009 voll mitgerechnet. Aber dann wird die Zeit bei 2017 abgeschnitten. Das ist im Design der Untersuchung völlig korrekt. Wenn man allerdings die Graphiken auf S. 15 und auf S. 9 vergleicht, dann ist völlig klar: Bereits 2018 würde sich der kumulierte Saldo drehen (-3,5 Mrd.) und ein negatives Gesamtergebnis heraus kommen. Wenn man noch einige Jahre dazu rechnete, wäre die Summe tiefrot. Einige Schlitzohren könnten nun sagen: Aber das sind ja dann Projektionen! Natürlich: Aber die ganze Methode ist auf Projektionen aufgebaut, die um nichts exakter sind als die eben vorgeführte. Man braucht hier nicht mehr viel dazu sagen.

Oder vielmehr doch, nämlich das Wichtigste. Hier wird ständig von „Wohlstandswirkungen“ gesprochen; aber verwendet wird das BIP pro Kopf, also ein Durchschnitt. Die Verteilung wird nicht einmal angesprochen. Dabei kommt in einem Nebensatz sogar der Konsum vor. Der aber sinkt im Anteil sogar in Österreich seit den 1990ern, seit dem EU-Beitritt, also in einem Land, das angeblichvon der Währungsunion „begünstigt“ ist.

Das ist der gewöhnliche Trick von Ökonomen. In den Einführungs-Vorlesungen bringen sie den Studenten bei, dass mit den Gossen’schen Gesetzen und dem „abnehmenden Grenznutzen“ – also mit nicht beobachtbaren Effekten – der Wohlstandsgewinn bei jeder zusätzlichen Einheit sinke, und (das sagen sie sicherheitshalber schon nicht mehr dazu) dass damit Gleichverteilung eigentlich den höchsten Wohlstand ergäbe. In der Praxis vergessen sie sehr schnell darauf. Da braucht es dann Incentives für die Leistungswilligen und daher Ungleichheit. Gewonnen haben in Österreich wie in der Bundesrepublik die Exporteure, allgemein die Bezieher hoher Einkommen, nicht „Österreich“ oder „Deutschland“. Das ist das Um und Auf.

Dass diese Studie politische Bedeutung hat, ersieht man auch daraus, dass der Sprecher des doktrinären EU-skeptischen Flügels der deutschen Ökonomen sofort reagiert. Hans Werner Sinn versucht in einem kurzen Kommentar im „Handelsblatt“ (28. Feber 2018) die Sprengladung zu entschärfen. U. a. meint er: „Tatsächlich wurden die deutschen Exportüberschüsse (oft) … für windige Vermögenstitel im Ausland verwendet. Milliarden Euros [wie viel???] waren abzuschreiben … Auf den riesigen rechnerischen Nettobestand an Auslandsvermögen (erzielt man) generell nur mickrige Zinsen.“ Abgesehen, dass dies weitgehend falsch ist, weil das argumentiert, als ob die Spekulanten ihr Geld auf Sparbücher legen würden, ist es auch wirklich frech: Weil sich einige Kapitalisten verspekulieren, behauptet er, die Gelder, die für die Spekulation eingesetzt wurden, seine vorher gar kein Gewinn gewesen. Aber eines hat der ex- oder vielmehr em. Professor gut genug verstanden: Das ist ein heißes politisches Thema. Er fürchtet, die BRD (! – die Arbeitenden) hätte mehr zu zahlen.

Und noch etwas. Wir können zu Recht argumentieren: Der € bildet keine „Optimale Währungszone“. Das geben die ökonomischen Doktrinäre sogar selbst zu. Zu denen, die am meisten leiden, gehören ironischer Weise jene, die in ihrer Verblendung am stärksten auf die Euro-Einführung gedrängt haben. Es war Mitterrand und mit ihm die französischen Sozialdemokraten. Sie hatten die Währungsunion zur Bedingung gemacht, dass sie dem Anschluss der DDR an die BRD zustimmten. Mitterrand ist tot. Die französischen Sozialdemokraten, der PSI, aber ist zur Kleinpartei verkommen, soweit nicht Macron einigen unter ihnen gnädig Unterschlupf in seiner Führer-Partei gewährte.

Aber unser Haupt-Motiv gegen den Euro ist nicht die OCA, die optimale Währungszone, Unser Hauptmotiv ist: Die EU, das Imperium macht den bescheidenen Ansatz zu einer politischen Demokratie kaputt, schafft die Demokratie ab. Sie macht eine sozialistische Politik unmöglich, eine Politik für eine große Mehrheit der Bevölkerung. Die EU wurde dazu gegründet, und der Euro ist der Mechanismus, welcher dies Tag für Tag ohne viel Aufsehen erledigt.

Solche Arbeiten sind für uns trotzdem nützlich. Denn sogar die Ideologen des Euro müssen zugeben: Für die Bevölkerung war die Währungsunion keine gute Idee.

AFR, 28. Feber 2018

Gasparotti, Alessandro / Kullas, Matthias (2019), 20 Jahre Euro: Gewinner und Verlierer. Eine empirische Untersuchung. CEP Studie.

Puzzello, Laura / Gomis-Porqueras, Pedro (2018), Winners and losers from the €uro. In: European Economic Review 108, 129 – 152

Fundstücke 1 DIE ELITEN UND IHR EURO: WER HAT VON DER WÄHRUNGSUNION GEWONNEN?

“Das Pro-Kopf-Einkommen in Belgien, Frankreich, Deutschland und Italien würde ohne den Euro höher gewesen sein, während das in Irland deutlich geringer gewesen wäre. Die Niederlande fuhren mit dem Euro so, wie es auch ohne ihn gewesen wäre … Wir haben weiters die Einkommens-Effekte durch die Euro-Einführung auf die ökonomischen Bestimmungsgrößen zurückgeführt, um Kosten und Nutzen der Währungsunion zu bestimmen… Eine Schlüsselrolle bei den Verlusten spielte die Integration der Kapitalmärkte.”

Puzzello, Laura / Gomis-Porqueras, Pedro (2018), Winners and losers from the €uro. In: European Economic Review 108, 129 – 152

Die Untersuchung hier spricht von der Zeit bis 2008, zieht also die Verwüstungen durch die Finanz- und Euro-Krise gar nicht in Betracht, was für die Aussage über den hohen Gewinn für „Irland“ von Bedeutung ist und sehr relativiert. Die meisten verlieren also, und zwar sogar die zentralen Mächte. Warum tun sie sich dies dann an? Es geht nicht um den Schnitt („income per capita“), sondern um das, was die Eliten gewinnen. Und weiteres ist der Euro hauptsächlich eine politische Waffe. Man muss übrigens ziemlich weit gehen, damit Ökonomen dies sagen: Die Autoren sind Australier bzw. leben in Australien. Der Aufsatz, vor einem halben Jahr publiziert, ist übrigens fast unlesbar. Er wendet neue statistische Techniken an, welche die an sich eher trivialen Aussagen in einer Art verstecken, dass sie für ein auch nur ein bisschen weiteres Publikum völlig unzugänglich sind. Das ist eine der neueren Immunisierungs-Strategien der Ökonomie. Wenn sie schon Ergebnisse erzielt, welche kritisch gelesen werden können, müssen diese vor der Öffentlichkeit verborgen werden. Wolfgang Streeck spricht in einem Buch vor wenigen Jahren (2013, 124) von „einer neuen Stufe im Verhältnis zwischen Kapitalismus und Demokratie“ und zitiert den Chef der Deutschen Bank, der von den „Finanzmärkten“ als neue Fünfte Gewalt im Staat spricht. ER schließt eine Schilderung und schreibt: „Die Abtretung von nationaler Souveränität an supranationale Institutionen (wird) … zu einem Instrument der Entdemokratisierung des Kapitalismus durch Schutz der Märkte gegen politische Eingriffe .. unter Berufung auf Werte wie internationale Souveränität“ (139).

Streeck, Wolfgang (2013), Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus. Frankfurt / M.: Suhrkamp.

Aber DIE LINKE tilgt aus ihrem Wahlmanifest zur EP-Wahl die analytische Aussage, die Grundlagen der EU sind„militaristisch, neoliberal und undemokratisch“ (taz, 19. Feber 2019: „Die Linke streicht drei böse Worte“); und ein Teil ihrer Kandidaten schreibt sogar die „Republik Europa“ der Herrschaften Menasse und Guerot in ihr Programm.

Annette Groth kritisiert EU: Jefta, Bolkestein und Atlas

Die unfreie Welt
Durch „Freihandelsabkommen“ und schärfere Strafverfolgungsgesetze attackiert die EU die Demokratie.

von Annette Groth, ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken

Am 1. Februar 2019 tritt JEFTA, das Freihandelsabkommen der EU mit Japan, in Kraft. Dieser Artikel skizziert die möglichen Auswirkungen auf Umwelt- und Verbraucherschutz. Am 15. Januar 2019 haben 160 zivilgesellschaftliche Organisationen Alarm geschlagen und warnen vor einer Verschärfung der EU-Dienstleistungsrichtlinie, die die demokratischen Handlungsspielräume der Kommunen bedroht. Seit Anfang des Jahres betreibt das Netzwerk europäischer Polizeispezialeinheiten ATLAS ein „Unterstützungsbüro“ bei EUROPOL in Den Haag. Komplementär dazu wird der Entwurf einer digitalen europäischen Strafverfolgungs-Verordnung vorgestellt, die massive Eingriffe in die Grundrechte bedeuten würde, falls sie verabschiedet wird. Alle Initiativen zielen auf Abbau demokratischer Rechte und Zementierung eines Überwachungsstaates.

https://www.rubikon.news/artikel/die-unfreie-welt

Linke Argumente gegen die EU

Costas Lapavitsas wendet in seinem neuen Buch „The Left Case against the EU“ die Lehren des griechischen Debakels auf Großbritannien an und argumentiert, dass ein linker Brexit in greifbarer Nähe ist

von Wilhelm Langthaler

Costas Lapavitsas hat sich in den Jahren der Eurokrise international einen Namen als linker Volkswirt gemacht. Aus Griechenland stammend, lehrt er als Wirtschaftsprofessor auf der Londoner SOAS-Universität. 2015 wurde er als Mitglied der „Linken Plattform“ von Syriza ins griechische Parlament gewählt. Aufmerksam wurde man auf ihn als er schon im Februar 2015 das Abkommen mit der Troika ablehnte und für den Austritt aus dem Euro plädierte. Er stellte sich gegen Varoufakis, den er als Scharlatan und neben Tsipras als von der griechischen Seite als einen der Hautverantwortlichen für die Katastrophe, aus der sein Land nicht herauskommt, sieht.

2015 verfasste er gemeinsam mit dem profiliertesten deutschen Linkskeynesianer Heiner Flassbeck das Buch „Against the Troika. Crisis and Austerity in the Eurozone.“ Es ist kein Zufall, dass es auf Deutsch unter dem viel weicheren Titel „Nur Deutschland kann den Euro retten“ erschien. Er gründete das „European Research Network on Social and Economic Policy” (EReNSEP), das eine Alternative zum neoliberalen EU-Regime in Zusammenarbeit von akademischer und politisch-aktivistischer Welt entwickeln sollte. Das geschah parallel zur Beteiligung an den diversen Plan-B-Initiativen [1], denen es aber nicht gelang eine kohärente Alternative zu bieten.

Griechenland fiel in jeder Hinsicht, auch intellektuell, nach der verheerenden Niederlage gegen die Troika in ein schwarzes Loch. Podemos orientierte sich darauf im Großen das zu machen, was die portugiesische Linke vorexerzierte, mit der entsprechenden Moderation: nämlich die Sozialdemokratie zu unterstützen im engen neoliberalen Rahmen der EU-Vorgaben die Spielräume auszunutzen. Und Ménechons „France Insoumise“ blieb als Kraft in einem Zentrumsland, das zudem sogar noch EU-Urheber ist, sowieso bei der Position zuerst den Plan A probieren zu wollen.

Lapavitsas beteiligte auch sich an den Foren der „Europäischen Koordination gegen Euro, EU und Nato“ [2]. Heute engagiert er sich intensiv dafür, die Chance des Brexits für eine linke Wende zu nutzen. Er ist eng verbunden mit dem linken Flügel der Labour Party um Momentum und Young Labour, in denen es einen starken Anti-EU-Flügel gibt.

In diesem Kontext erschien im Herbst sein neues Buch, mit dem Ziel, der Kampagne eine fundierte Argumentation zu geben. Bei der ersten Präsentation waren mehr als 500 Leute anwesend, so dass viele abgewiesen werden mussten. Für die nächsten Monate ist eine Tour geplant, die Lapavitsas durch England führen wird. Auch in Österreich soll er auf Einladung des „Personenkomitees Selbstbestimmtes Österreich“ sprechen. Gegenwärtig laufen Verhandlungen mit deutschen Verlagen für eine Übersetzung.

„The Left Case Against The EU” ist sehr konzis, beabsichtigt nicht akademisch, aber doch wissenschaftlich fundiert. Lapavitsas zeichnet eine kurze Geschichte der EU, die mit der Gründung des Binnenmarktes einen Qualitätssprung macht. Die nun entstehenden Institutionen sind organisch mit dem neoliberalen Projekt verbunden. Dabei verfolgt der die Idee einer europäischen Föderation bis auf Friedrich von Hayek zurück, den Vater des Neoliberalismus, der damit den über die Nationalstaaten vermittelten Druck der Arbeiterschaft ausschalten wollte. Eine weitere Radikalisierung ergibt sich durch die gemeinsame Währung, die auf den Maastrichter Verträgen aufgebaut wird. Der Autor betont die außerordentlich wichtige Rolle des Geldes, die der herrschenden neoklassischen Theorie ein Rätsel bleibt. Für ihn ist die antistaatliche Rhetorik des Neoliberalismus ideologische Blendung, denn der Neoliberalismus hat nichts Natürliches, sondern wurde durch die Staaten selbst betrieben. Das beste Beispiel dafür ist die Institution der EZB. Noch nie in der Geschichte verfügte eine Zentralbank über eine derartige politische Machtfülle.

Für Lapavitsas ist der Euro jedoch nicht nur ein entscheidendes Instrument zur Durchsetzung der neoliberalen Ziele, sondern er begründet auch die „bedingte deutsche Hegemonie“ – eine wichtige Begriffsbildung dieses Buches. Diese geht einher mit der Peripherisierung des Südens und auch des Ostens, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Während der Süden in der Dauerkrise bleibt, desindustrialisiert und verarmt, erleben Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei eine abhängige Industrialisierung, bei der es vor allem darum ging, die Löhne in Deutschland substantiell abzusenken. Überhaupt profitiert nicht Deutschland als Volk, sondern das deutsche Exportkapital auf kosten der Arbeiterklasse, die nach der Wiedervereinigung eine historische Niederlage einstecken musste.

„Es ist nicht die wirtschaftliche Stärke des deutschen Kapitals an sich, die das Land zum Hegemon macht, sondern seine Stärke im institutionellen Rahmen der EU. Nach rein wirtschaftlichen Kriterien beruht die deutsche Hegemonie mehr auf der Niederdrückung der eigenen Lohnabhängigen, anstatt auf überlegener Investitionstätigkeit, Technologie oder Wachstum.“ (S.21) Also kein Vergleich mit dem Aufstieg Deutschlands am Ende des 19. Jahrhunderts.

Der Begriff der bedingten deutschen Hegemonie ist fruchtbar. Er hat den Vorteil sich auf der Grundlage fester sozioökonomischer Argumente zu bewegen und gleichzeitig den Gegner nicht (überhistorisch) zu überhöhen, sondern seine Schwächen bloßzulegen und dadurch auch einen Ausweg zu weisen – zu aller erst den Austritt der peripheren Staaten aus der EWU und damit der Entmachtung seiner organisch neoliberalen Institutionen.

Lapavitsas lässt den Mechanismus der Machtentfaltung der deutschen Wirtschaftseliten im Gefolge der Weltwirtschaftskrise nach 2007 Revue passieren, chronologisch wie systematisch. Dabei verweist er – wie die meisten Neo- oder Postkeynesianer – auf die zentrale Bedeutung des Begriffs der Lohnstückkosten als Interpretationsschlüssel für die Eurokrise. Grob gesprochen handelt es sich um den Lohn bezogen auf das Produkt. Er dient als Maß für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Entweder man steigert die Produktivität und erhält bei gleichem Lohn einen höheren Ausstoß – das passiert im Neoliberalismus kaum, insbesondere nicht in Deutschland, denn die Nachfrage lahmt chronisch und wird mit der EU-weit verordneten Austerität noch verstärkt. Oder aber man senkt die Löhne, der deutsche Königsweg. Darauf reagierte die Peripherie – über Jahrzehnte recht erfolgreich – mit Wechselkursabwertung, womit die preisliche Konkurrenzfähigkeit wiederhergestellt wurde. Doch die gemeinsame Währung versperrt diesen Weg. All jene Volkswirtschaften, die die Löhne nicht so drücken können wie die BRD, also dort wo die arbeitenden Menschen noch mehr gesellschaftlichen Einfluss geltend machen können, kommen dadurch ins Hintertreffen. Es entwickeln sich Handelsbilanzdefizite, die in der Phase der Kreditexpansion mit Zufluss ausländischen Kapitals abgedeckt werden. Doch dann schlägt die Weltwirtschaftskrise zu, die Kapitalflüsse stocken oder kehren sich sogar plötzlich um.

Am Beispiel seines Heimatlandes Griechenland zeigt er die katastrophalen Folgen dieses Politik für die Bevölkerung der Peripherie und die systematische Entwicklung der Institutionen in der Durchsetzung der Macht der deutschen Eliten als dominanten Gläubigern – unter totaler Kollaboration der nationalen Eliten sowie der institutionellen Linken. Dabei ging es zunächst beim „Rettungsprogramm“ darum, die Interessen der Zentrumsbanken zu wahren. Die Last wurde den griechischen Banken und schließlich dem Staat umgehängt. Dieser wurde unter Kuratel der EU gestellt, mit dem Ziel der Verbilligung der Arbeitskraft bis zum Niveau der Konkurrenzfähigkeit und in der Folge der „Räumung des Arbeitsmarktes“, wie es in den Mainstream-Lehrbüchern heißt. Aber das trat nie ein und wird auch nie eintreten, denn gleichzeitig kollabiert die Nachfrage. Die Schockprogramme mussten mehrfach neu aufgelegt werden und sie gingen zuletzt sogar dem IWF zu weit, der argumentierte, dass auf diese Weise Griechenland nicht auf die Füße kommen würde. Mit dem einzementierten neoliberalen EU-Regime, Lapavitsas nennt es Euro-Falle, ist der Süden jedenfalls zu Jahrzehnten des sozialen Niedergangs verurteilt.

Die Schlussfolgerungen: Die Euro-Krise wurde auf der einen Seiten dafür genutzt das supranationale Institutionengebäude im Dienst des Kapitals unter deutscher Hegemonie massiv auszubauen, „befreit“ von jeder demokratischen Kontrolle. Damit werden die sozialen und auch politischen Errungenschaften systematisch angegriffen. Auf der anderen Seite haben die Eliten und eben diese ihre Institutionen einen starken Glaubwürdigkeitsverlust erlitten, genauso wie die Linke, die dem kontrafaktischen (Alb)traum nachläuft, die Brüsseler Institutionen progressiv zu wenden. Das griechische Debakel müsste allen gezeigt haben, dass die soziale Reform der EU unmöglich ist. Denn die Durchsetzung des Neoliberalismus ist ihr eigentlicher Zweck.

So ist in der arbeitenden Bevölkerung ein politisches Vakuum entstanden. Der Wunsch, den sozialen Niedergang zu stoppen und die verlorene Demokratie wiederzugewinnen, vermischt und äußert sich im Ruf nach Souveränität. Die Rechte versucht da mit autoritären und chauvinistischen Losungen hineinzustoßen, was eigentlich Terrain der Linken sein könnte. Um wieder Tritt zu fassen und in der Opposition gegen den Neoliberalismus glaubwürdig zu werden, muss die Linke zum Bruch mit den neoliberalen Institutionen bereit sein, was insbesondere für die peripheren Länder als ersten Schritt einen Austritt aus der Währungsunion heißt. Ein radikaldemokratisches Programm des Bruchs muss ein Ende der Austerität, mehr Verteilungsgerechtigkeit, massive öffentliche Investitionen, eine aktive Industriepolitik, sowie die öffentliche Kontrolle über die Banken sowie die Schlüsselindustrien und -ressourcen umfassen. Nachdem es keinen europäischen Demos gibt, kann sich dieses Projekt der Volkssouveränität nur auf die Nationalstaaten beziehen. Die Beendigung des neoliberalen Binnenmarkts ist daher letztlich nur mit dem Austritt aus der EU zu haben.

In diesem Sinn spricht sich Costas Lapavitsas aktiv für einen linken Brexit aus. Es war eine Abstimmung „gegen die Austerität, schlechte Jobs, Sozialabbau, insbesondere seit der großen Krise 2007-9. Es handelte sich keineswegs um eine Kapitulation vor dem Rassismus, rabiatem Nationalismus und rechtem Autoritarismus, sondern das Referendum half einer Radikalisierung der britischen Politik in unerwarteter Weise auf die Sprünge. Nur mit knapper Not gewannen die Tories die Wahl 2017. Der wirkliche Gewinner war eine wiederbelebte Labour Party mit einem Manifest basierend auf einem sozialdemokratischen Programm gegen Austerität, das sogar für die Verstaatlichung der Eisenbahnen und anderer Ressourcen eintritt.“ (S. 139)

 

 

 

[1] Das Begriffspaar Plan A / Plan B kam im Gefolge der Eurokrise und insbesondere um den Konflikt mit Griechenland 2015 in die Debatte. Plan A ergibt erst Sinn wenn es dazu auch ein Alternativszenario gibt. Wie die beiden Pläne genau aussehen können, bleibt bis heute politisch umstritten. Ausgangspunkt ist jedenfalls, dass das Versprechen auf ein „Soziales Europa“ nach Jacques Delors sich als Illusion entpuppte, insbesondere nach der Unterwerfung der griechischen Linksregierung von Syriza unter die Botmäßigkeit der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF. Unter Plan B wird der Bruch mit dieser neoliberalen Politik verstanden, im Allgemeinen auch der Austritt aus der Eurozone. Plan A meint einen sozialen Kurswechsel im Rahmen der gegebenen EU-Institutionen. Der griechische Regierungschef Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis glaubten einen solchen im Rahmen von Verhandlungen erreichen zu können, hatten aber keinen Plan B und sei es nur um Verhandlungsmacht aufzubauen. Vertreter der Plan-A-Variante aus größeren Ländern argumentieren gerne, dass ihr jeweiliges Land mehr Gewicht hätte als Athen, um Änderungen durchzusetzen. Das gilt insbesondere für Frankreich als Architekt der EU. „France insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon verspricht beispielsweise die EU-Verträge zu ändern (Plan A). Wenn die EU dies nicht akzeptieren würde, dann…

[2] (2)Die „Europäische Koordination gegen Euro, EU und Nato“ wurde 2014 von verschiedenen linken Euro-Gegnern aus Griechen, Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland und Österreich gegründet. Sie geht davon aus, dass das Ende des Neoliberalismus nur mit einem Bruch mit den EU-Institutionen, also der Währungszone und dem Binnenmarkt, möglich ist. Sie hat bisher vier europäische Foren abgehalten und ein fünftes ist für das Frühjahr 2019 in Vorbereitung. Nachstehend die wichtigsten Erklärungen:

Gründung Assisi, 23.8.2014 Erklärung: http://www.antiimperialista.org/de/node/244571

1. Forum Rom, 24.-25.1.2015 Erklärung http://www.antiimperialista.org/de/node/244651

2. Forum Athen 26.-28.6.2015 Erklärung http://www.antiimperialista.org/de/node/244737

Athen, 18.10.2015 http://www.antiimperialista.org/de/node/244772

3. Forum Chianciano Terme Bericht: http://www.antiimperialista.org/de/node/244877

Paris, 22.1.2016 Erklärung https://www.euroexit.org/index.php/2016/01/30/kommunique-der-europaischen-koordination-gegen-den-euro/

Plattform der Koordination: https://www.euroexit.org/index.php/2017/01/11/politische-plattform-der-europaeischen-koordination-fuer-den-austritt-aus-euro-eu-und-nato/

4. Forum Paris 16.3.2017 Erklärung: https://www.euroexit.org/index.php/2019/02/12/declaration-of-the-4th-forum-of-the-european-coordination-to-exit-the-euro-the-eu-and-nato/

Eine Quittung für die EU und ihre Freunde: Die Abstimmung im Londoner Parlament ging etwas anders als erwartet aus

432 : 202. Das kommt also heraus, wenn ein Esel auf dem Hochseil tanzen will. Das schießt einem im ersten Moment durch den Kopf. Es geht aber natürlich um viel mehr als um Theresa May und ihre Unfähigkeit. Wenn man taktieren will, muss man die Kräfte und die Institutio­nen einschätzen können, und das Vermögen dazu geht ihr gänzlich ab, wie sie ja schon mehrmals bewies.

Wir wissen nicht, wie es weiter geht. Kann sein, dass es zum „harten“ Brexit kommt. Aus meiner Sicht wäre dies ein Vorteil. Mir hat noch niemand erklären können, was am „harten“ Brexit so schlimm wäre. Die EU-Eliten fürchten ihn und erklären ihn zur Katastrophe. Warum eigentlich? Mag sein, dass es zu einigen Reibereien kommt, wie bei größeren Änderungen immer. Und die britischen ebenso wie die EU-Eliten werden schon alles tun, um ihn diskret möglichst zu sabotieren. May hat dies schon gezeigt: Sie muss zur Vorbereitung, im Journalisten-Jargon Plan B, gezwungen werden. Denn diese Leute wissen schon, warum sie ihn fürchten. Sie wollen ja dem p.t.-Publikum zeigen: Seht, das kommt heraus bei einem EU-Austritt! Das habt ihr nun davon! Doch dass sich der „Finanzplatz“ London, also ein der Zentren der globalen Spekulation, bedroht fühlt, können wir ja wohl nicht als besonderes Unglück betrachten.

Unter rationalen politischen Akteuren hätte man einen Kompromiss ausgearbeitet. Aber die Leute von der EU sind nicht rational. Ihnen kommt es darauf an, das haben sie oft genug gesagt, Großbritannien und die Briten zu bestrafen – und auch die Regierung, weil sich diese um das Ergebnis der Volksabstimmung kümmert, nachdem sie eine solche überhaupt zuge­lassen hat, wenn auch aus einer Fehlkalkulation heraus. Und nun fürchten sie die Beispiel-Wirkung, falls der Brexit doch zum Erfolg wird. Schon jetzt sollte das Land ja abstinken – aber die Exporte sind gewachsen und die Wirtschaft hat keineswegs gelitten. Wenn die Menschen diesseits des Ärmelkanals sehen, dass die Welt nicht untergeht, könnte das fatale Folgen haben, da mögen die EU-Propaganda-Medien vom ORF bis zur Frankfurter Allgemeinen noch so dagegen anreden und anschreiben.

Die EU und ihre Kommission haben einen Austritts-Vertrag ausgehandelt, der für Großbritan­nien schlimmer ist als die gegenwärtige Mitgliedschaft. Das UK wäre zur reinen Kolonie geworden. Sicher, um so einen Vertrag zu formulieren, bedurfte es einer Th. May und ihrer Hintermänner auf der anderen Seite. Doch diesmal haben die Herrschaften in Brüssel einfach überzogen und ihrerseits die Lage falsch eingeschätzt. Nun haben sie ihr Ergebnis.

Und wenn es zu einem neuen Referendum kommt?

Ich fände das nicht so übel. Es würde nicht nur die Konservativen zerreißen, sondern auch Labour mit seinem ungelösten Konflikt zwischen Blairisten und Corbyn. Damit wäre auch die falsche Linke innerhalb von Labour entlarvt und möglicher Weise der Weg zur Desillusionie­rung über diese Linke abgekürzt. Das Ergebnis ist offen, im Gegensatz zu Allem was die EU-Propagandisten schreiben. Und selbst wenn die EU gewinnen würde, wäre das gegen den jetzt vorliegenden Austritts-Vertrag vorzuziehen. Insgesamt ginge die EU jedenfalls ge­schwächt aus der Auseinandersetzung hervor. Es würde auch für alle klar, was für die EU eine Volksabstimmung bedeutet, deren Ergebnis gegen die Wünsche und Befehle Brüssels und Berlins ausgeht. Sie hat ja ihr Standard-Verfahren: Man lässt solange abstimmen, bis das gewünschte Ergebnis heraus kommt.

Die Bürokraten haben ihren Stand überschätzt. Noch versuchen sie, mit Härte zu reagieren. Gegen Italien und seine zahmen neokeynesianischen Wünsche hetzen sie die Spekulanten und setzen den spread ein. Gegen die Schweiz wollen sie die „Bilaterale“ verwenden, um den Stachel mitten in Europa stumpf und das Land zur Kolonie zu machen. Dabei haben sie ohnehin die Regierung der Eidgenossen, im Dienst deren Großkapitals, auf ihrer Seite. Aber immer größere Teile der Bevölkerung sind widerspenstig. Und sogar das eigene Vorsitzland, Rumänien, versuchen sie öffentlich zu demütigen, weil die aktuelle Regierung nicht alle Wünsche des Zentrums erfüllt, aus welchen Gründen immer.

Doch diese Politik wird immer kostspieliger. Und das ist eine Chance für die Bevölkerung. Parlamentarische Politik im Innern des Nationalstaats basiert auf Kompromissen und Aus­gleichen. Das kann die Bürokratie als Herrschafts-Apparat nicht; das hat sie nie gelernt; ist sie doch nicht auf Unterstützung und Konsens als ihre legitime Grundlage angewiesen. Damit hat die Bürokratie aber auch die Fähigkeit verloren, jenseits ihres innersten Kreises nach pragmatischen Lösungen zu suchen. Selbst ihre Siege will und versucht sie zu erzwingen, man sehe nur nach Italien. Aber diese Siege werden zusehends zu Pyrrhos-Siegen.

Die Abstimmung im britischen Parlament hat sich aus vielerlei Motiven gespeist. Die EU-Palladine der Labour-Partei und der Liberalen hatten ebenso wenig wie die schottischen Nationalisten – die „guten“ Nationalisten, im Gegensatz zu den kritischen – einen Fortschritt im Sinn. Dabei ist es Corbyn sogar entfahren, dass dieser Vertrag wirklich unakzeptabel ist. Die Mehrheit der Konservativen hatte vermutlich auch nicht gerade das Wohl einer breiten Bevölkerung vor Augen, weder die „Brexiteers“ noch die „Remainers“.

Aber gegen die Erwartung aller EU-Fanatiker wurde diese Abstimmung zum Paukenschlag gegen die EU!

AFR, 16. Jänner 2019