"Nein" beim Referendum
Anti-EU-Forum Athen 26.-28. Juni 2015
Sinkende Lohnquote
Weder Draghi, noch Troika, noch Euro.
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Weder Draghi, noch Troika, noch Euro.
Souverän und sozial. statt EURO liberal
 

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Keine Zukunft für und mit EU

Erklärung des Bundessprecher*innen-Rates der Antikapitalistischen Linken in der LINKEN am 25. Juni 2016 zum Ausgang des EU-Referndums in Großbritannien

Die Volksabstimmung in Großbritannien über die Mitgliedschaft in der EU ist zu einem Fiasko für die herrschende politische Elite in der Europäischen Union geworden. Damit ist ein vorläufiger Höhepunkt der Legitimationskrise des europäischen Kapitals, seiner Regierungen und seiner zentralen Behörden in Brüssel erreicht. Nur in den wenigsten Ländern und in wenigen Fällen wurde die Politik der EU und ihre vertraglichen Grundlagen den Bevölkerungen zur Entscheidung vorgelegt. In fast allen dieser wenigen Fälle hat die Bevölkerung ein klares Nein zu dieser EU gesagt. Das ist heute in Großbritannien nicht anders. Wir respektieren dieses wiederholte Nein nicht nur, sondern wir halten es für die einzig angemessene Antwort in dieser Situation.

Wer hat verloren, wer hat gewonnen?

Die Regierung Cameron hat zur Überwindung ihrer eigenen Vertrauenskrise zum Mittel dieses Referendums gegriffen. Sie ist das Risiko der Spaltung der eigenen Partei, der Regierung und großer Teile der ökonomisch herrschenden Klasse eingegangen. Sie ist das Risiko eingegangen, die nationalistischen und rassistischen Kräfte in Großbritannien zu ermutigen, hat ihnen ein überragendes Thema gegeben. Die Regierung Cameron fühlte sich sicher, dass eine beispiellose konzertierte Aktion der europäischen Regierungen, der Börsen und Konzerne, wie auch vieler Medien die Stimmung der Menschen in Großbritannien genügend beeinflussen würde. Noch während die Stimmabgabe lief, schossen die EU-Verwalter, Regierungen und Medien ein Trommelfeuer über die angeblichen Folgen eines „Brexit“ ab. Die Demoskopen waren sich nicht zu blöde, noch bis in die Abendstunden des Wahltages von einem „Sieg“ der „Remain“-Kampagne zu sprechen. Sie haben alle verloren.

Die Bevölkerung in Großbritannien wurde in einer einfachen Ja-Nein-Frage befragt, ob sie beim Thema EU noch auf der Seite der Regierungen in London und Brüssel stehe. Und sie hat Nein gesagt. Sie wurde nicht zum nationalistischen Geschrei der UKIP befragt, nicht zu Obergrenzen der Immigration und nicht zur Frisur von Boris Johnson. Das Nein ist hier die einzig angemessene Antwort. Auch für Linke, SozialistInnen und KommunistInnen. Wer bei dieser Abstimmung zuhause geblieben ist, sich enthalten oder mit Ja gestimmt hat, der oder die hat einen schweren Fehler und sich gemein mit der herrschenden Elite des kapitalistischen Europas und seiner aktuellen Politik gemacht.

Die EU ist nicht mehr unschuldig

Es geht bei solchen Abstimmungen in der EU schon lange nicht mehr um ein abstraktes Prinzip „Europa ja oder nein“. Die EU war niemals ein Friedensprojekt und eine Union im Interesse des menschlichen Fortschritts, wie sie sich gerne selber darstellt. Die EU ist als reines Binnenmarktprojekt des europäischen Kapitals gegründet worden. Ihre heute gültigen Vertragsgrundlagen legen detailliert die Mitgliedstaaten auf eine kapitalistische Wirtschaftsweise fest und schließen im Gegenzug jede Festlegung auf eine Sozialunion aus. Die „Stabilitätsregeln“ der EU verpflichten alle Mitgliedsstaaten auf eine rigide neoliberale Austeritätspolitik, mit dem ausdrücklichen Ziel, die Löhne der Arbeitenden mit allen ökonomischen und politischen Mitteln zu kürzen, um den Konkurrenzkampf mit den USA und Japan zu bestehen. Die EU ist ein Kind des kalten Krieges und hat von Anbeginn an die Hälfte Europas ausgeschlossen (im Gegensatz zu anderen europäischen Institutionen). Sie hat sich widerspruchslos in die militärischen Pläne der Nato einbinden lassen und ihre eigenen militärpolitischen Ambitionen dazu niemals gegensätzlich gesehen.

Aber es soll Leute geben, die hartnäckig behaupten, diese grundsätzliche Ausrichtung der EU könne durch Mitgestaltung, innere Reformen und Internet-Aufrufe von Intellektuellen gebremst und umgedreht werden. Wir sind es leid, darüber zu diskutieren, weil die Geschichte sich leider weiter entwickelt hat: Die EU hat ihre Unschuld verloren. Ihr Frontex-Regime an den Außengrenzen, ihre Politik gegenüber Millionen von Menschen, die aus Armut, Krieg und Umweltkrise flüchten müssen, sind zu einem Massaker an Menschen, zu einem Massengrab im Mittelmeer geworden. Ihre eigenständigen oder im Bündnis mit der Nato verfolgten Militäreinsätze im Balkan, Afghanistan, Naher Osten und in den früheren afrikanischen Kolonien haben die EU zu einer Kriegspartei erster Güte werden lassen, dessen aktuelles Gesellenstück in der Ukraine-Frage und der neuen Aggression gegenüber Russland angefertigt wird. Und die ebenfalls über Leichen gehende Erpressungspolitik gegenüber Griechenland hat sich erstmals nicht gescheut, ein eigenes Mitglied mit barbarischen Spardiktaten unter Verletzung selbst der eigenen EU-Grundlagen in die Knie zu zwingen.

Diese konkrete Praxis der EU darf nicht mehr nur abstrakt kritisiert werden, sondern die Linke Europas, die Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung müssen dieser Politik praktisch in den Arm fallen. Deshalb ist es gut, wenn die Politik und die Strukturen der EU ins Stocken kommen und am weiteren üblen Geschäft gehindert werden. Selbst wenn das nur bei einem Teil der Akteure beim britischen Referendum zum Thema gemacht wurde, selbst wenn die nationalistischen Krakeeler nicht zum Verstummen gebracht werden konnten, so ist die praktische Wirkung eines „Leave“ beim britischen Referendum nützlich für eine antimilitaristische und antiimperialistische Politik überall in Europa.

In Frankreich legen Massendemonstrationen gegen die Regierung einen weiteren Musterschüler der EU lahm. In Spanien kann am kommenden Wochenende die Linke zum entscheidenden Faktor im Land werden. Wir begrüßen dies nicht nur für die Menschen in diesen Ländern, sondern auch als eine notwendige Ergänzung zur Blockade der EU auf den britischen Inseln.

Ein Sieg der Nationalisten?

Die konkrete Politik der EU hat in den letzten Jahren in vielen Ländern Europas und vielen Mitgliedsländern der EU einen Aufschwung von ultrarechten und nationalistischen, oft brutal rassistischen Parteien erlebt. Sie werden durch die sozialen Folgen der EU-Politik – Massenerwerbslosigkeit, vor allem unter Jugendlichen; hartes Regime gegenüber Flüchtenden; nationalistische Egoismen auch in den führenden europäischen Regierungsparteien und Kaputtsparen der öffentlichen Vorsorgeeinrichtungen – selbst aufgepäppelt. Allein ihre Existenz und ihr Wachstum sind ein Beleg dafür, wie hohl das Gerede ist, die EU wäre ein Projekt zur Überwindung des Nationalismus.

Leider gelingt es den rechten Parteien, wie auch der UKIP beim britischen Referendum, den Protest gerade von Arbeiterinnen und Arbeitern und von sozial abgehängten Milieus gegen die unsoziale Politik von Cameron und der anderen europäischen Regierungen für sich zu instrumentalisieren. Ein Protest bleibt es trotzdem.

Es gab in Großbritannien auch eine respektable linke Mobilisierung für den „Brexit“. Ein Teil der politischen Linken, die KP, SWP, SP und andere, sowie mehrere Gewerkschaften haben eine beachtlichte Kampagne auf die Beine gestellt. Trotzdem blieben sie leider nur ein frisches Windchen bei all dem nationalistischen Gestank der UKIP-Leute und ihrer Verbündeten bei den Tories. Eine große Verantwortung dafür, dass nicht mehr für die Linke herauskam, trägt auch Jeremy Corbyn und die Labour-Party, die, obwohl sie noch vor gar nicht langer Zeit für einen „Brexit“ waren, sich dann doch mehrheitlich von den EU-Strategen einwickeln ließen.

Dennoch wird ihre Kampagne ein besserer Ausgangspunkt für das Ausnutzen der vertieften Krise der EU für linke Politik sein als das freiwillige Anketten an die EU-Propaganda, für das sich andere Teile der britischen (und auch deutschen) Linken entschieden haben.

Es spricht auch einiges dafür, dass die UKIP nach diesem ersten Sieg in ihrem Hauptanliegen Probleme haben wird, die Erwartungen an eine britische „Unabhängigkeit“ von der EU für weitere Erfolgen zu nutzen. Schon am Tag nach dem Referendum musste sie eilfertig zurückrudern, bei ihrem Versprechen, die EU-Gelder komplett zum Ausbau sozialer Dienstleistungen benutzen zu wollen. Die Hoffnungen der britischen ArbeiterInnenklasse auf eine Verbesserung der sozialen Situation sind mit diesem Referendum geweckt worden. Im Übrigen ist diese Erwartung, es muss sich etwas Grundlegendes ändern, auch bei den, vor allem jungen WählerInnen geweckt worden, die beim Referendum mit Ja gestimmt haben. Wir sind ziemlich sicher, dass die Nationalisten diese Erwartungen nur enttäuschen werden.

Ob die Linke sie aufgreifen und zu einer Stärkung der sozialistischen Kräfte in Großbritannien ausweiten kann, ist natürlich auch nicht sicher. Eine kluge und solidarische Politik der gesamten europäischen Linken kann dabei nur hilfreich sein.

Dabei muss aber auch klar sein: Die EU-Krise stellt in hohem Maße die Systemfrage. Wie soll es in Europa weitergehen, wie können die inneren und äußeren Schranken des Kapitalismus überwunden werden? Ein linke Antwort auf die Krise der EU, muss deshalb auch die Perspektive eines komplett alternativen, sozialistischen Europas mehr ausmalen als bisher, um nachhaltig zu wirken.

Inge Höger, Lucy Redler, Yannik Dyck, Tim Fürup, Thies Gleiss

25. Juni 2016

Europa retten – EU auflösen

Die englische „working class“ hat der globalistischen Oligarchie einen Schlag versetzt

von Wilhelm Langthaler

 

Die englischen Unterklassen haben mit überwältigender Mehrheit für den Austritt aus der neoliberalen EU gestimmt – ein großartiges Resultat ähnlich dem Oxi der Griechen vergangenen Sommer gegen das EU-Austeritätsdiktat. Die massive Medienkampagne der Eliten, der City of London, der besitzenden Klassen beider Seiten des Ärmelkanals für den Verbleib konnten daran nichts ändern.

Unter Führung Reagans und Thatchers war der Neoliberalismus in den 80er Jahren vom anglosächsischen Zentrumskapitalismus ausgegangen. Die kontinentaleuropäischen Eliten nahmen bereitwillig den Ball an und zwangen den gesamten Kontinent in den Schwitzkasten. Das Ziel war es die sozialen und demokratischen Errungenschaften, die in den 70er Jahren ihren Höhepunkt erreicht hatten, wieder zurückzunehmen. Institutionell diente der Binnenmarkt und die um diesen organisierte, supranationale Bürokratie als das Hauptinstrument des permanenten Klassenkampfes von oben – genannt „Reform“.

Doch nun reicht es. Das globalistische Narrativ verfängt nicht mehr. In ganz Europa gärt es. Die Unter- und Mittelschichten wollen sich insbesondere seit der Weltwirtschaftskrise 2008 die ständige Verschlechterung ihrer Lebenssituation nicht mehr gefallen lassen, während die Reichen immer reicher werden und das zynischerweise noch dem Gemeinwohl dienen soll. („Geht es der Wirtschaft gut, geht es allen gut.“)

Die Mehrheit stemmt sich gegen die zügellose Globalisierung. Sie will der heiligen Freiheit der Eliten über Kapital, Waren und Arbeitskraft ohne demokratische Einschränkung zu verfügen (die Realverfassung der EU) endlich einen Riegel vorschieben – sie will Regulierung. Gegen den Sachzwang des Marktes (hinter dem sich die Alleinherrschaft der kapitalistischen Oligarchie verbirgt) will sie zurück zur politischen Mitbestimmung. Dieses Prinzip der Volkssouveränität, das bisher nicht verwirklicht werden konnte weil die Verfügung über die Wirtschaft im Wesentlichen in der Hand einer winzigen Eliten verblieb, hat als Forum den Demos mit seinem Staat, bedarf also der nationalen Souveränität.

Dass gerade im Mutterland des Neoliberalismus die Mehrheit gegen das konkrete Regime des Neoliberalismus, die EU, stimmt, ist ein Fanal.

 

Brexit geführt von der Rechten?

Hier kommt der Einwand, dass es sich um einen Sieg des Rechtspopulismus handeln würde, oder dass die Bewegung zumindest von der Rechten geführt sei. Diese würde den Neoliberalismus, wahrscheinlich sogar in einer reaktionären Form, fortsetzen.

Erstens gab und gibt es auch in Großbritannien eine linke Kampagne gegen die EU, die tiefe Wurzeln hat und bis in die Gewerkschaften hineinreicht. Doch gegen diese wurde ein mediales Blackout verhängt, so wie Sozialproteste und noch mehr politische Äußerungen einer antisystemischen Linken nie zu Wort kommen. Es ist eine oligarchische Strategie den sozialen Protest gegen die Eliten in die Nähe der historischen Rechten zu rücken.

Zweitens sind es auch in Großbritannien vielfach ehemalige und auch gegenwärtige Labour-Wähler, die für den Brexit stimmten, nicht nur UKIP und Tories. Selbst der heutige Parteichef Corbyn gehörte früher den EU-Skeptikern an. Die Linke mit ihrer Verteidigung der EU und damit der Herrschaft der Oligarchie überlässt den sozialen Protest der Massen der Rechten.

Es ist richtig, dass die britischen Herrschenden mehr als alle anderen europäischen Großmächte gegenüber der politischen, supranationalen Zentralisierung skeptisch waren. Ihnen ging es um Freihandel und Neoliberalismus, dessen Champions sie waren und sind, aber durch ihre imperiale Geschichte blieb ihnen die Eingliederung in und die Unterordnung unter die Brüsseler Bürokratie immer suspekt. Das ändert nichts daran, dass die entscheidenden Kräfte der britischen Elite die EU als unumgänglich akzeptieren. Der große Bruder über dem Atlantik brachte es klar und deutlich zum Ausdruck – Obama wollte den Verbleib Großbritanniens in der EU.

Es ist klar, dass der EU-Austritt nicht automatisch einen Schritt nach links bedeutet, vor allem in Großbritannien ist das schwierig. Aber es erschüttert die Eliten in England wie am Kontinent. So bietet es eine Riesenchance, die es zu nutzen gilt.

 

Rassistisch?

Die Gegner des Austritts wollen glauben machen, dass es im Kern gegen die Einwanderung ginge. Tories und UKIP sind natürlich chauvinistisch und auch rassistisch. Ihnen geht es gerade darum, einen sozialen Impuls auf einen äußeren Feind umzulenken. An der Wurzel liegt jedoch allemal die soziale Frage. Es ist Blindheit der regimenahen Linken, den Wunsch nach Beschränkung der Immigration als per se rassistisch motiviert anzusehen. Die Bewegungen des Marktes einschließlich des Arbeitsmarktes in bestimmter Weise zu regulieren (also die Alleinherrschaft der Eliten in Frage zu stellen), ist im Interesse der Lohnabhängigen. Es ist Teil des Kampfes gegen die Globalisierung, wie jeder sozialer und gewerkschaftlicher Kampf zu Verteidigung von Löhnen und Tarifverträgen. Die Menschen sollen nicht den Arbeitsplätzen folgen müssen, sondern Arbeit soll dort geschaffen werden, wo die Menschen leben. Das geht nur mit dem Ende der Globalisierung, des globalen Freihandelsregimes und deren europäischer Form, dem EU-Binnenmarkt. Konkret für die Osteuropäer in Britannien heißt das, die Peripherisierung Polens, des Baltikums, des Balkans usw. und damit die Abwanderung zu stoppen.

Man kann gegen nationalen und kulturellen Chauvinismus und Rassismus nur ankämpfen, wenn man die sozialen Interessen der Unter- und Mittelklassen gegen die Globalisierung verteidigt. Die Forderung nach der Beschränkung der Zuwanderung muss ihrer Rolle als Allheilmittel entkleidet werden, muss in den allgemeinen Kampf gegen die Globalisierung, gegen die oligarchische Herrschaft der Eliten, gegen den fortgesetzten Imperialismus eingegliedert werden. Nur so kann der Ruf nach Solidarität mit den sich bereits hier befindlichen Immigranten konkret werden.

 

Friedensprojekt EU?

Kaum noch jemand getraut sich die „soziale EU“ zu verkaufen. Die letzte Verteidigungslinie ist immer das angebliche Friedensprojekt – die EU als Bollwerk gegen den alten Nationalismus.

Vergessen ist der Balkankrieg, wo die EU federführend eingriff, Jugoslawien als multinationale Integration gegen den Westen bekämpfte und den Nationalismus mit schürte. Oder auch die aggressive Haltung gegen Russland, die in der Ukraine mit den Bürgerkrieg befeuert. Die NATO-Expansion nach Osten, die im Gleichklang mit der EU erfolgt, schürt Krieg und Nationalismus.

Global folgt die EU mit mehr oder weniger Abstand der imperialen Politik der USA, sei es der ökonomische Raubzug im Namen des Freihandels, seien es die direkt militärischen Abenteuer im Nahen Osten oder Afrika.

Doch auch in Europa selbst ist es das Euro-Regime der EU, das den Süden gnadenlos verarmt und Widerstand entlang nationaler Bruchlinien erzeugt. Tatsächlich ist das Festhalten an der Zwangsjacke Euro-Regime ein versteckter Chauvinismus und Nationalismus des reichen Nordens und insbesondere Deutschlands. Genauso wie sich hinter der Globalisierung und dem Clintonianismus US-Nationalismus versteckte (der mit Bush dann offen zu Tage trat).

 

Zentrifugale Beschleunigung

Großbritannien ist ein Zentrumsland und es ist zweifellos noch ein sehr weiter Weg für eine antisystemische Linke Fuß zu fassen. Hier spielt auch der Widerspruch mit Schottland eine Rolle. Denn gegen das neoliberale Londoner Zentrum hat sich ein linker schottischer Nationalismus entwickelt, der seinerseits auf die EU setzt. ÄhnlicheMechanismen kann man in Katalonien und im Baskenland beobachten.

Doch was der Brexit in jedem Fall aussendet, ist ein politisches Signal an die Unter- und Mittelschichten des Kontinents, dass weder der Euro noch die EU irreversibel sind – so wie es in den Verträgen steht, die zu brechen sich Tsipras nicht getraute.

In wenigen Tagen wählt Spanien und es ist zu hoffen, dass Podemos die Eliten noch mehr in Bedrängnis bringen wird. Bisher wollte sich die linke Protestpartei dem Problem des Euro und der EU jedoch nicht stellen. Im Gegenteil: Iglesias schlug sich auf die Seite von Tsipras. Das britische Arbeiter-Votum kann dabei hilfreich sein, einen radikalen Flügel zu entwickeln, der sich auf den Bruch mit der EU-Oligarchie vorbereitet – im Sinne der sozialen und demokratischen Interessen der Mehrheit.

Die neoliberale EU spaltet Europa, sozial, kulturell und national, beschwört (Bürger)krieg und Diktatur herauf, gefährdet die verbliebenen Errungenschaften – was die Ungleichheit betrifft sind wir bereits wieder im 19. Jahrhundert angelangt. Was wir brauchen ist die Solidarität der Völker (nicht nur der europäischen) und das ist wiederum nur möglich auf der Basis der nationalen Selbstbestimmung und Souveränität zu allererst der armen Völker gegen die globalen Zentrumseliten.

Brexit: der erste Schritt?!

Der britische Schlag gegen die EU und wir

Von Albert F. Reiterer

52 : 48. Das ist nicht so schlecht. Die Wahlbeteiligung stieg mit 72,2% deutlich gegenüber den letzten Parlamentswahlen (66,1 %). Offenbar hat das Sperrfeuer der Eliten gewirkt – aber gegen sie. Auch die Unterschichten gingen stärker zur Wahl als sonst. Ein-zwei Prozentpunkte dürften auch die dumpfen Drohungen der Deutschen und des Herrn Juncker gebracht haben. Sie lernen ja nicht. Als Gegenprogramm zum deutschen Herrenmenschen Schulze aufgestellt, imitiert er dessen Stil jetzt, soweit er nur kann. Und der „Spiegel“ hat eine zweisprachige Ausgabe gemacht, in welcher er die Briten zum Bleiben aufforderte. Das wird den EU-Gegnern auch ein klein wenig geholfen haben, ohne es zu überschätzen.

Ich muss zugeben: Nach dem Mord an der Labour-Abgeordneten Cox habe ich die Sache verloren gegeben. Zu deutlich war das zufriedene Grinsen auf den Gesichtern der EU-Befür-worter, bevor sie sich wieder erinnerten, dass sie doch Trauer heucheln müssten und Betrof-fenheit. Und es gab eine ganze Reihe von den Sprechern der Eliten, die jede Vorsicht fahren ließen und in den letzten Tagen triumphierend schon ihren Sieg ankündigten. Man erinnere sich nur an die Chefredakteurin des „Economist“ und ihren Auftritt in ZIB 2 vor wenigen Tagen!

Dass aber die Demoskopie in der letzten Zeit in wichtigen Fragen systematisch falsch liegt, ist auch aufschlussreich. Ein Teil der Menschen quer durch Europa wagt offenbar nicht mehr, zu sagen, was sie wirklich denken. Wen wundert’s? Die Wohlhabenden, die Mächtigen, die gut Verdienenden haben ganz massiv für das EU-Imperium geworben. Da kann man schon ein wenig in Furcht geraten. Man braucht nur auf die Karte der Wahlsprengel in England und Wales sehen: Es ist wirklich eine geographisch regionale Verteilung des Wohlstands einerseits, und der Dürftigkeit andererseits, die da graphisch als Stimmen für und gegen die EU erscheinen.

Wie geht es weiter? Für Großbritannien dürfte sich fürs Erste nicht allzu viel ändern. Die Gräuel-Propaganda gegen den Austritt wird sich als Propaganda heraus stellen. Der Pfund-„Absturz“ von 1,489 US-$ erreichte um 3.30 Uhr 1,32; aber 2 Stunden später lag es bereits wieder auf 1,36, und wieder 2 Stunden später, um 8.30, lag es schon bei 1,39. Es wird heute Abend schon noch deutlich höher sein: Das sind die Spielchen erfolgreicher Spekulanten. Man spricht von Gewinn-Mitnahmen, welche auf den Ängsten weniger Erfolgreicher bauen.

Kurzfristig wird sich wirtschaftlich wenig ändern – auch nicht zum Guten. Denn der Austritt bietet nur die Chance, aber keinerlei Gewissheit. Das ist das Quentchen Wahrheit, welches hinter Varoufakis’ zynischen Witzchen steckt: „Mit der Drachme hatten wir auch keinen Sozialismus.“

Allerdings dürfte die EU ihre Revanche planen. Die könnte z. B. in einer offenen Unterstüt-zung der schottischen Separatisten bestehen. In Schottland gingen 62 : 38 % der Stimmen an die Bleiber. Doch zum Einen ist ein Erfolg eines neuerlichen Unabhängigkeits-Referendums der Schotten alles Andere als sicher. Zum Anderen würde dies mindestens einen ebenso großen Knall darstellen wie der Sieg der Unabhängigkeits-Befürworter gestern. Es würde weitere Spannungen unglaublichen Ausmaßes in die EU tragen. Es wäre ziemlich sicher ein Schuss ins Knie. Denn selbst in Schottland bekamen die EU-Propagandisten weniger Stimmen, als sie es sich erwarteten, in Wales sowieso.

Und dann gibt es die Möglichkeiten, in Kollusion mit den Herrschenden in Großbritannien und ihrer Regierung die Effekte des Austritts möglichst weitgehend zu unterlaufen und das reale Ergebnis zu manipulieren. Was den Herrschaften da einfallen wird, wissen wir noch nicht. Es ist auch nicht direkt unser Problem. Die Mehrheit der Briten muss reagieren.

Für Labour ist der Ausgang ebenso eine Katastrophe wie für die Konservativen. Das britische Parteiensystem wird sich nach dieser Kampagne massiv ändern. Für die Linke war die Kam-pagne insgesamt kein Ruhmesblatt: Sie überließ die Demokratie-Argumente ebenso wie die allgemein politischen Überlegungen weitgehend der Rechten. Ob es ein Lichtblick war , dass die Sprecherin der Leave-Kampagne aus Labour kam, ist auch eine Frage: Sie ist sicher keine Linke.

Und wir hier?

Das Ergebnis kann zum Big Bang für eine neue europäische Linke werden. Gesichert ist dies aber keineswegs. Es gibt, wie schon gesagt, nur die Möglichkeit dafür. Noch überlässt die reformistische Linke den Kampf gegen das Finanzkapital und seine Organisation und damit die politische Vertretung der Unterschichten weitgehend der neuen nationalen Rechten. Allerdings sehen wir in den letzten Tagen, dass sich etwas ändert: Der großartige Sieg des M5S, der Grillini, bei den Kommunalwahlen in Italien, war eben erst ein Paukenschlag gegen Renzi. Die Unterstützung von einer Reihe von prominenten Figuren der LINKEN für den Aufruf gegen den Euro ist in der BRD ein viel versprechender Anfang.

In Österreich allerdings sind wir noch ziemlich allein in diesem Bereich.

Hier muss ein nicht unwichtiger Punkt erwähnt werden. Der ORF ist zur reinen Propaganda-Maschine der EU geworden. Wir müssen uns ernsthaft überlegen, was wir da machen können. Einmal abgesehen von der Dümmlichkeit, dass er hier Wahlkampf für die EU-Bleiber in Großbritannien machte, war die ganze Berichterstattung und die Debatte zur Thematik ein einziger Skandal. Eine kritische Stimme kam überhaupt nicht zu Wort. Das setzte sich heute in der Früh fort: Die Leichenbitter-Miene der Journalist/inn/en kann man den Leuten schon verzeihen. Sie sitzen ihrer eigenen Propaganda auf. Dass aber ein Sprecher in einer Musik-Sendung es wagt, um 6.00 die Briten weiter zu beschimpfen („Gute Nacht England und guten Morgen Österreich!“) geht denn doch etwas weit. Aber was soll’s. Der setzt nur das fort, was seit Jahren geschieht.

Vielleicht sollten wir uns überlegen, eine Kampagne gegen die Zwangs-Gebühren zu starten. Das würde dort treffen, wo es den Herrschaften am meisten weh tut.

Der Erfolg der Unabhängigkeits-Befürworter in Großbritannien ist tatsächlich eine großartige Nachricht. Aber jetzt geht der Kampf erst wirklich los, für die Briten und für uns. In Österreich steht die ganze politische Klasse auf Seiten des Imperiums – inklusive der FPÖ, die nicht müde wird zu beteuern, dass sie nicht anti-EU ist. Das ist vielleicht nicht schlecht, ber leichter wird es dadurch für uns nicht, welche wir einen neuen Anfang, eine Rückkehr zur Demokratie und sodann eine völlig andere Politik für eine andere Gesellschaft wollen.

24. Juni 2016, 11.00 Uhr

»Es ist unrealistisch, dass Euro und EU überleben«

Statt Frieden habe die Europäische Union Krieg geschaffen, zudem den Sozialabbau ausgeweitet.

Gespräch mit Wilhelm Langthaler geführt von Markus Bernhardt

Aus: Junge Welt, Ausgabe vom 20.06.2016, Seite 8 / Inland

Wilhelm Langthaler ist Autor des Buches »Europa zerbricht am Euro. Unter deutscher Vorherrschaft in die Krise«

Am 2. Juli stellen Sie auf dem UZ-Pressefest, organisiert von der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), in Dortmund Ihr neues Buch »Europa zerbricht am Euro« vor. Darin kommen Sie zu dem Schluss, dass Deutschland andere EU-Staaten an die Wand drücke und der Euro das Instrument dafür sei. Wie kommen Sie darauf?

Experten sagen, dass ohne Euro die D- Mark rund ein Drittel teurer wäre – die Wirkung auf die deutschen Exporte wäre verheerend. Entsprechend überbewertet ist der Euro für den Süden. Der Süden kommt mit der deutschen Produktivitätsentwicklung, die noch dazu mit Lohndumping kombiniert ist, nicht mit. Selbst heftigste Lohnsenkungen, Sozialabbau und ständige Austeritätspolitik können ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht wiederherstellen. So wird nicht nur Griechenland in die soziale Katastrophe geführt. Das Bruttoinlandsprodukt des Landes ging drastisch zurück. Am Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlament habe ich eine Schmiererei gesehen, wo der Euro mit dem Hakenkreuz verbunden wird. Die Menschen dort denken sich, dass Deutschland sie statt mit Panzern nun mit seinen Banken unterwerfe.

Sollte die Bundesrepublik also die D-Mark wiedereinführen?

Ich stimme da mit Oskar Lafontaine überein. Das einzige, was die Spaltung Europas verhindern könnte, wäre die einvernehmliche und organisierte Auflösung der gemeinsamen Währung und die Fixierung von Wechselkursen wie im alten Europäischen Währungssystem. Doch für Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wäre das ein Eingeständnis ihres historischen Scheiterns. Darum muss man damit rechnen, dass sie ihren unverantwortlichen Kurs in die Katastrophe fortführen. Da bleibt nichts anderes, als an der Peripherie die Regierungen der Euro-Oligarchie von der Macht zu verdrängen. Man braucht den Mut, den Bruch zu wagen. Es geht nicht allein darum, wieder zu eigenen nationalen Währungen zurückzukehren. Es geht um viel mehr: ein Ende des Neoliberalismus, eine Wirtschaftspolitik für die Mehrheit sowie die Rückgewinnung der Demokratie.

Auch in der DKP war lange umstritten, wie man mit der Europäischen Union umgehen soll. Auf dem vergangenen Parteitag beschlossen die Kommunisten dann mehrheitlich einen Leitantrag, in dem formuliert ist: »Wir kämpfen für die Überwindung der EU und für den Austritt der BRD aus der EU.« Warum sollte das der richtige Weg sein?

Es liegt auf der Hand, dass im Rahmen von Euro und EU keine Wende im Interesse der Mehrheit möglich ist. Das verstehen immer mehr Menschen. Die Linke muss sich von ihrer Traumwelt der sozialen EU trennen. Sonst kommen die rechten Rattenfänger zum Zug. In Frankreich und in meiner Heimat Österreich ist das bereits der Fall. So stimmen viele, die früher links wählten, jetzt für die Anti-Euro-Rechte.

Sie sprechen dem Austritt aus der Europäischen Union das Wort. Das lässt sich leicht verlangen, aber realistisch ist es nicht.

In Großbritannien wird an diesem Donnerstag über den EU-Austritt abgestimmt. In allen Mitgliedsländern geht die Zustimmung zur EU rapide zurück. Es ist absehbar, dass der Widerstand gegen das Euro-Regime in einem der Länder des Südens den Austritt aus der Währung erzwingen wird. Die darauffolgenden politischen Zusammenstöße können die Kräfteverhältnisse sehr schnell umkrempeln. Es ist unrealistisch, dass Euro und EU überleben.

Können Sie der EU nichts Gutes abgewinnen?

Die EU hat Frieden, Demokratie und soziale Konvergenz versprochen. Sie unterstützt aber in der Ukraine Krieg, hat Südeuropa unter Kuratel gestellt und die sozialen Unterschiede extrem gesteigert. Viele Linke meinen, sie sei ein Schutz vor dem alten Nationalismus. In Wirklichkeit ist sie ihr Brutkasten. Das Euro-Regime droht selbst den deutsch-französischen Ausgleich zu zerstören.

EU vor Zerreißprobe?

Diskussion: Alternativen zur neoliberalen Union

  • Peter König, Schweizer Ökonom, Publizist und ehemaliger Mitarbeiter der Weltbank
  • Hannes Hofbauer, Verleger und Historiker, Autor „Osterweiterung“
  • Robert Marschall, Vorsitzender EU-Austrittpartei
  • Wilhelm Langthaler, Autor „Europa zerbricht am Euro“

Moderation:

  • Leo Gabriel, Journalist und Sozialanthropologe, Mitglied des Internationalen Rats des Weltsozialforums

 

Mi, 29. Juni, 19h
Veranstaltungszentrum Mariahilf
6, Otto Bauergasse 7

 

In ganz Europa gärt es: Das Euro-Regime und mit ihm die EU scheint von einer Krise in die nächste zu taumeln. Delors’ Versprechungen von einem sozialen Europa wurden spätestens mit der Unterwerfung Griechenlands so stark desavouiert, dass immer mehr Menschen an der Möglichkeit seiner Verwirklichung zweifeln. In der Zwischenzeit fordern auch die iberischen Wahlvölker ein Ende des von Brüssel und Berlin unter der Ägide der Euro-Rettung verhängten Verarmungskurses. Die Neuwahlen zum spanischen Parlament könnten die Krise des Euro-Regimes weiter beschleunigen, wenn abermals keine stabile Regierung gebildet werden kann und die Austeritätspolitik fortgeführt wird; eine Krise, die angesichts des Brexit-Referendums auch in Großbritannien schwelt. Über die De-facto-Insolvenz Griechenlands, die selbst der IWF ohne Schuldennachlass für unabwendbar hält, wird geschwiegen, um nicht noch mehr Öls in Feuer zu gießen. Auch in Österreich zeigen die Präsidentschaftswahlen eine massive Unzufriedenheit mit der von der Großen Koalition repräsentierten EU-Austerität. Ist das das Ende von Thatchers Credo: „There is no alternative“?

Die italienische Krise steuert auf eine entscheidende Phase zu.

Die Italienische Krise steuert mit großen Schritten einer entscheidenden Phase zu. Wirtschaftlich hat sich Italien nie von der Krise des Jahres 2008 erholt. Seitdem hat das Land 9% des BIP und 25% der Industrieproduktion verloren, während die Arbeitslosigkeit stabil über 11% liegt. Die kleine Verbesserung (+ 0,8% des BIP im Jahr 2014), die Renzi so stolz präsentiert, ist nur eine psychologische Erholung nach 3 ½ Jahren der Rezession.

Es ist eine Krise die überwiegend aus den Mechanismen des Euros resultiert. Die italienische Wirtschaft hat seit 1999 angefangen zu schrumpfen, das heißt, seit eine feste Parität zwischen den Euro-Währungen festgelegt worden ist. Seither haben alle wichtigen Parameter (BIP, Arbeitslosenquote, Produktivität usw.) sich im Vergleich zu Deutschlands verschlechtert.

Trotz des starken Rückgangs der Produktion ist Italien immer noch das zweite Industrieland der Europäischen Union. Die Industriebetriebe haben versucht den Rückgang des Inlandsverbrauches mit einem Anstieg der Exporte zu kompensieren, aber die einheitliche Währung hat die benötigte Aufholung der Produktivität gegenüber Deutschland verhindert.

Die Schuldenkrise, die insbesondere im Jahr 2011 ausbrach tat den Rest. Die darauf folgende Austerität, die als Ziel die so genannte „interne Abwertung“ hatte, hat Löhne und Konsum weiter komprimiert, während der Euro sich als System des Transfers von Ressourcen aus den Länder des Süden in die Ländern des Zentrum etabliert hat.

All dies wird nun immer breiteren Sektoren der Gesellschaft klar und Italien ist nicht mehr das überzeugte „pro-europäische“ Land der Vergangenheit.

Da die Austeritätspolitik nicht nur ihr antisoziales Gesicht zeigte sondern auch ihren räuberischen Charakter (Unternehmen wurden von ausländischen Multinationalen zu günstigen Preisen erworben, das Land wurde finanziell durch das Spiel des Spreads ausgepresst, usw.) und die Zustimmung für die kompromittierte, mit den europäischen Oligarchien verbündete politische Klasse zusammenbrach (siehe die Ergebnisse der Wahlen von 2013), konnte der herrschende Block nicht einfach zuschauen und suchte eine Antwort, um Zeit zu gewinnen.

So kam Renzi. Nicht der mürrische Monti, sondern ein akrobatischer Propagandist, fähig die neoliberale Politik weiter durchzupeitschen, jedoch auch in der Lage sich als etwas euroskeptisch zu präsentieren. Die Tatsache, dass es für viele Länder so gut wie unmöglich ist den Fiskalpakt zu respektieren, wie auch die jüngsten Anpassungen der Verpflichtungen in Bezug auf Defizite und Schulden beweisen, gibt Renzi etwas Raum, um immer wieder für mehr Haushaltsflexibilität zu plädieren.

Italien war für mehr als zwanzig Jahren das Land mit dem höchsten Primärüberschuss der Union, ein Faktor der jedoch durch die hohen Kosten des Schuldendienstes, aufgrund der akkumulierten Staatsschulden und des hohen Spread im Vergleich zu deutschen Bundesanleihen, nicht mehr besteht. In den letzten zwei Jahren sind jedoch die Zinsen gesunken und der Gesamtbetrag der Schulden hat sich auf 132 % des BIP stabilisiert, wenn dies auch ein höheres Niveau als zuvor ist.

Für Italien ist im Augenblick das wichtigste wirtschaftliche Problem nicht die Schuldenlast, sondern wie das Land von der Rezession herauskommen und wieder angemessene Wachstumsraten erreicht werden können.

Ein weiteres großes Problem sind die Banken. Die Einführung der Regeln der Bankenunion, insbesondere des Bail-in, zwingen das gesamte Bankensystem in die Knie. Von den wichtigsten europäischen Ländern ist Italien das Land, wo während der Krisenjahre der Staat keinen einzigen Euro für die Rettung der Banken ausgegeben hat und das aus zwei Gründen: 1. weil die EU in Anbetracht der Haushaltsprobleme des Landes es nicht erlaubt hätte, 2. weil man glaubte, dass die italienischen Banken – die am wenigsten mit riskanten Derivaten belastet waren – keine besonderen Probleme hatten.

Die Ereignisse der letzten Monate haben jedoch gezeigt, dass diese zweite Annahme tatsächlich nicht stimmte. Es ist zwar richtig, dass die italienischen Banken weniger toxischen Wertpapiere halten als deutsche und französische, aber – als direkte Folge der schweren Wirtschaftskrise – stehen sie wegen ihrem Bestand an „non performing loans“ dennoch sehr schlecht dar.

Die neuen Regeln der Bankenunion lassen keinen staatlichen Eingriff mehr zu. Es war daher auch nicht möglich, wie es noch in Spanien passierte, eine Bad Bank einzurichten um die Bilanzen der Kreditinstitute zu verbessern. Deutschland besteht noch dazu auf einer Obergrenze für Staatsschuldentitel, die von jeder Bank besessen werden können. Eine Regel, die, würde sie angewendet werden, die italienischen Banken endgültig in die Knie zwingen würde.

Renzis Regierung (die gerade von mehreren Skandalen erfasst wird) steckt also in Schwierigkeiten, während die neuen Gesetze zur Regulierung des Arbeitsmarktes (Jobs Act) nur eine drastische Einschränkung der Arbeitnehmerrechte ohne positive Auswirkungen auf die Beschäftigungszahlen bewirkt haben.

In dieser Situation nähert sich das Land einer entscheidenden Volksabstimmung über die Reform der Verfassung im Herbst. Es wird über eine Verfassungsänderung abgestimmt, die die Zentralisierung der Zuständigkeiten zugunsten der Exekutive und eine entsprechenden Entmachtung des Parlaments vorsieht. Der Senat wird nicht abgeschafft, aber er würde nicht mehr direkt von den Bürgern gewählt. Diese Änderungen in Kombination mit dem neuen extremen Mehrheitswahlrecht stellen einen klaren Trend zu einem Regime dar.

Renzi dachte, dass er dieses Referendum leicht gewinnen und sich wieder auf seine „Anti-Kasten“ Rhetorik verlassen könnte, die er schon oft gegen die 5-Sterne-Bewegung ausgespielt hat. Die Umfragen der letzten Wochen bestätigen jedoch, dass das Ergebnis des Referendums noch keineswegs feststeht. Die Abstimmung ist also ein entscheidender Wendepunkt in der italienischen Politik. Wenn Renzi gewinnt, wird er sich für die nächste Legislaturperiode an der Macht konsolidieren können. Wenn er das Referendum jedoch verliert würde sich eine Periode großer Unsicherheit und politischer Turbulenzen eröffnen. Dies würde den Anti-Euro- und Anti-EU-Kräfte, die für die Rückeroberung der nationalen Souveränität als Voraussetzung für die Volkssouveränität und die Wiederherstellung der Demokratie kämpfen, neue Handlungsspielräume eröffnen.

 

Leonardo Mazzei (Italienische Koordination der Linken gegn den Euro)

Übersetzung Tiziana Fresu (Personenkomitee EuroExit)

Großes Zittern bei Spaniens Elite

Am 26. Juni stehen in Spanien Neuwahlen zum Parlament bevor. Nach dem letzten Wahlgang am 20. Dezember hatten weder die spanische Rechte (Volkspartei, PP) noch die zweitplatzierte sozialdemokratische Linke (Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens, PSOE) nach massiven Verlusten die notwendigen Mehrheiten, um eine Regierungsbildung zu schaffen. Dies hing ursächlich mit dem Aufstieg von zwei neuen Gruppierungen in der spanischen Parteienlandschaft zusammen. Die aus den Anti-Austeritäts-Protesten der „Indignados“ (Empörten) hervorgegangene Linkspartei Podemos machte mit 20,7 % der Stimmen den Sozialdemokraten (22,1 %) den Platz der linken Opposition streitig. Auf der Rechten kanalisierte die Partei Ciudadanos (Bürger) viele Stimmen der durch Korruptionsskandale zerrütteten PP.

 

Das Scheitern des sozialdemokratischen Rettungsversuchs

Nach den Wahlen am 20. Dezember war rasch klar, dass die Rechte keine Mehrheit zusammenbekommen würde. Die Eliten hofften kurzfristig auf eine große Koalition aus PP und PSOE. Nach einem polarisierten Wahlkampf, in dem die Sozialdemokraten angesichts des Damoklesschwerts Podemos ihr „linkes Gesicht“ ausspielen mussten, waren die Gräben zur Rechten für eine Koalition jedoch zu tief. Die PSOE wusste außerdem, dass ihr ein Schicksal wie der griechischen PASOK drohe, sollte sie mit dem diskreditierten PP Chef Rajoy zusammengehen. So drehte sich bald alles um eine linke Koalition mit Podemos. Eine solche „Regierung des Wandels“ hätte mit einigen Juniorpartnern aus den Provinzen eine Mehrheit gehabt. Doch Podemos war nicht kostenlos als Königsmacher zu haben. Zur Diskussion stand eine Koalition mit einem Vizekanzler Pablo Iglesias und mehreren Podemos-Ministern. Programmatisch war vor allem die Frage der Selbstbestimmung der Provinzen ein Knackpunkt: Podemos sprach sich für das Recht auf ein Referendum aus (was sie in Katalonien und im Baskenland zur stimmenstärksten Kraft gemacht hatte). Besonders für die Rechte in der PSOE um die einflussreiche andalusische Regionalregierungschefin Susana Diaz war dies jedoch eine rote Linie.

Ende Februar schloss die PSOE dann ein vorläufiges Bündnis mit Ciudadanos, dem sich Podemos anschließen sollte. Man war sich dabei wohl im Klaren, dass dies nicht realistisch war. Es ging vielmehr um das gemeinsame Ziel der alten und neuen Elitenparteien, Podemos vor den Neuwahlen zu schwächen und zu diskreditieren. In einer breiten Medienoffensive warf man Podemos vor, durch die Ablehnung des PSOE-Ciudadanos Pakts für eine „progressive Regierung“ die Kontinuität der PP zu stützen. Interne Differenzen in mehreren Regionalgruppen von Podemos (vor allem um Fragen der Entscheidungsfindung und des Verhältnisses von Basis und gewählten Mandataren) wurden medial zu einer Spaltung zwischen Parteiführer Pablo Iglesias und seiner „Nummer 2“ Iñigo Errejón aufgebläht. Mit einer Basisbefragung zur Aufkündigung der Verhandlungen mit der PSOE und der Erneuerung ihres Organisationssekretärs gelang es Podemos jedoch, die Offensive abzuwehren

 

Unidos Podemos – Bevorstehendes Erdbeben durch linkes Wahlbündnis

Das Manöver kostete Podemos dennoch in den Umfragen einige Prozentpunkte. Gleichzeitig konnte die traditionelle Linke der Izquierda Unida (IU, Linksbündnis um die Spanische Kommunistische Partei) wieder Zuwächse verzeichnen, die bei den Dezemberwahlen an Podemos verloren gegangen waren. Jedoch bedeutet das ungleiche spanische Wahlrecht, dass IU proportional sehr wenige Abgeordnete trotz guter Stimmenzahl bekommt (z.B. brauchte IU im Dezember 2015 pro Abgeordnetenmandat über 400.00 Stimmen, die PSOE dagegen nur knapp über 60.000). Dementsprechend gab es für beide Linksparteien Grund, ein Wahlbündnis zu versuchen. Nach mehreren Wochen Verhandlungen einigte man sich auf eine gemeinsame Plattform. Die ersten Umfragen zeigten, dass dieses Linksbündnis auf über 23 % der Stimmen hoffen kann und damit deutlich vor der PSOE liegt.

 

Herausforderungen für das Establishment und auch die Linke

Die spanischen Eliten aber auch die EU sehen den Wahlen am 26. Juni unruhig entgegen. Es ist zu erwarten, dass sich das Szenario des 20. Dezember wiederholt und keine Kraft auf eine klare Mehrheit zur Regierungsbildung kommen wird. Verschlimmernd kommt dazu, dass Podemos/IU wohl die erste Geige auf der Linken spielen werden. Die Sorgen des Establishments sind dabei zweier Art: zum ersten ist eine neue Linkspartei, die noch nicht domestiziert ist und unter einem starken Druck ihrer Wählerbasis steht, ein großer Unsicherheitsfaktor. Syriza in Griechenland hat zwar gezeigt, dass sich auch eine Linkspartei jenseits des Establishments schnell anpassen kann. Aber dennoch bedeutet es eine Periode der Unsicherheit, in der die Eliten zumindest teilweise die Kontrolle der politischen Entwicklungen verlieren. Dazu kommt die zweite, spezifisch spanische Sorge: in die mögliche Regierungskrise verquickt sich eine ungelöste Staatskrise durch Regionalregierungen in Katalonien und im Baskenland, die ein Unabhängigkeitsreferendum einfordern. Es ist zu hoffen, dass der 26. Juni für das Bündnis Podemos-IU ein starkes Ergebnis bringt und die spanische Linke, sollte sie in Regierungsverantwortung kommen, die Lehren aus Griechenland nicht vergisst: denn ohne Bruch mit dem Euro-Regime wird auch in Spanien keine soziale und demokratische Alternative möglich sein.

 

Gernot Bodner

Personenkomitee Euroexit gegen Sozialabbau

Werkkreis Literatur der Arbeitswelt

 

Veranstaltung mit:

Univ.-Doz. Dr. Albert F. Reiterer, Gesellschaftswissenschafter Geboren: 1948, somit in Pension nach einem bunten Lebenslauf in der Wirtschaft, der amtlichen Statistik und im akademischen Ambiente. Aktiv und interessiert an Theorie und Praxis von Wirtschaft und Gesellschaft: Politische Ökonomie und Historischer Materialismus. Fungiert als einer der Sprecher des Proponentenkomitees von Euro Exit:

Spricht zur

Politischen Ökonomie des Imperiums

Zeit: Dienstag,17.5.2016, 18.30

Ort: Projektraum MAG 3, Schiffamtsgasse 17, 1020 Wien

Erreichbar über U2 Taborstrasse oder U4 Schottenring (Ausgang U2 Herminengasse)

Veranstalter: Volksakademie in Kooperation mit webbrain, werkkreis Literatur der Arbeitswelt und MRP (Menschenrechtspartei

Wir danken Gue Schmidt (MAG 3) für die freundliche Unterstützung

  1. Thesen

(1) Die EWG entstand als superimperialistischer Pol zur Abwehr des damals für viele noch attraktiven Sowjetkommunismus. Nebenzweck war die Zähmung des nationaldeutschen Imperialismus. Die Politiker waren vorerst stärker am außenpolitischen und militärischen Aspekt interessiert (WEU!). Die Zollunion war für sie ein Substitut – nicht unwichtig, aber nicht prioritär.

(2) Doch die EWG war von vorneherein be- und geladen mit den Ambitionen der Ideologen. Alexandre Kojève, der sich selbst den letzten (bürgerlichen) Theoretiker des Stalinismus nannte, sah sie als wesentlichen Schritt zum platonischen Imperium. Über Gesinnungs­genossen wie Robert Marjolin erhielten sie unmittelbar Einfluss auf die Zentralbürokratie. Sie bestimmten die Rhetorik, welche die Politiker nicht, sie selbst aber ganz und gar ernst nahmen.

(3) Sie entdeckten schnell die Währungsunion als Hauptvehikel ihrerAbsichten. Einige Politiker sahen die Möglichkeiten einer Fundamentalpolitik ohne Kontrolle und sprangen auf und zogen die anderen mit. Die ersten Versuche in den 1970ern und 1980ernwaren allerdings ein jämmerlicher Misserfolg.

(4) Mit dem politischen Paradigmenwechsel vom Keynesianismus zum Monetarismus wurde die Währungsunion Hauptziel der EG-Politik. Dieser wirtschafts- und sozialpolitische Paradigmenwechsel wurde durch die neue weltpolitische Situation ermöglicht. Der Zusammenbruch des „Realsozialismus“ bot die Gelegenheit, ein „Ende der Geschichte“ nach konservativ-bürgerlichem Geschmack anzustreben. Das Zerbröseln der Diktaturen im Olivengürtel war eine weitere Gelegenheit. Nun hatte man die Möglichkeit, diese neue Politik der akzentuierten Ungleichheit und des übernational-bürokratischen Staats zu verwirklichen. Die Beuteareale waren einzusammeln.

(5) Insbesondere die Sozialdemokraten (Mitterrand / Delors, Brand / Schmidt; im Rahmen ihrer Möglichkeiten Soares, Gonzales, Vranitzky und Persson) wurden zu Janitscharen neoliberalen Imperiums-Bildung.

(6) Was man in Südeuropa erfolgreich und noch mit einer gewissen Schonung durch­exerziert hatte, wurde in den 1990ern mit aller denkbaren Brutalität in Osteuropa wiederholt: Die ganze Region wurde nun auf eine ganz neue Weise zur „Zweiten Welt“.

(7) Gleichzeitig ging es um den Aufbau des politischen Apparats, des nachnationalen bürokratischen Staats. Er sollte einen Verwaltungsföderalismus darstellen, in dem aber im wichtigsten Bereich, im wirtschaftspolitischen, das bürokratische Zentrum die Politik vorgab. Dazu war die Währungsunion unerlässlich. Dass sie eine Wachstums- und Wohlfahrts­bremse sein würde, war zumindestens Einigen der Protagonisten voll bewusst. Das aber nahm man in Kauf, zumal die Frage ja schließlich ist: Wohlstand für wen?

(8) Die Einheitswährung brachte zuerst und eher unerwartet einen Schub für die Peripherie – es war eine Blase, wie wir mittlerweile wissen. Die Finanzkrise ließ sie platzen. Mittlerweile ist der Euro Kern und Symbol des Ausbaus, noch mehr der Verteidigung des Imperiums EU. Gerade weil der Euro keine optimale Währungszone konstituiert, muss er erhalten werden. Daneben geht es natürlich um das von den Gläubiger-Banken eingeforderte Kleingeld.

(9) Die politische Klasse in Europa (Christlichsoziale, Sozialdemokraten, Grüne, Liberale), und zwar sowohl die Brüsseler Bürokratie als auch die nationalen Regierungen nützen die Gelegenheit in einer reaganistischen Strategie der Überrumpelung (so wie die Reagan-Regierung 1980) die Entdemokratisierung des Kontinents einen mächtigen Schritt weiter zu treiben. Das „europäische Semester“, die „Wirtschaftsregierung“ und der ESM (der so genannte „Euro-Rettungsschirm“) sollen gerade jene Politik unumkehrbar machen, welche zur derzeitigen Situation geführt hat.

(10) Diese Situation ergibt Chancen für die Linke, die sie seit Jahrzehnte nicht hatte. Allerdings wird dies keine klassische linke Politik sein, sondern ein unorthodoxer Kampf ungewohnter Bündnispartner.

MAG3

Schiffamtsgasse 17, 1020,Wien

Synonym Projektraum MAG3 Leitung 2006 – Fro, Fritz 2006 – Schmidt, Gue

Drittes Forum der Europäischen Anti-Euro-Koordination

Was kommt nach der EU?

16.-18. September 2016, Chianciano Terme, Siena, Italien

Mehrsprachige Website des Forums, die laufend aktualisiert wird: www.noeurointernationalforum.com

 

[dt_highlight color=““ text_color=““ bg_color=““]Freitag, 16. September[/dt_highlight]

10:00 Eröffnungsversammlung

Warum die EU nicht reformiert werden kann und aufgelöst werden muss

Tariq Ali, Julio Anguita, Luis Bernardo, Inge Höger, Dimitris Kazakis, Costas Lapavitsas, Leonardo Mazzei, Luka Mesec, Pedro Montes, Jacques Nikonoff, Jacques Sapir, Panagiotis Sotiris, Marco Zanni

15:30 Foren

1: Deutschland – wer ist gegen die gemeinsame Währung?

Inge Höger, Paul Steinhardt, Thomas Zmrzly

2: Spanien – linkes Dilemma mit EU und Euro

Josep Manel Busqueta, José Luis Centella, Diosdado Toledano

3: Griechenland – wie ein Nationalstaat zugrunde gerichtet wird

Giannis Rachiotis, Dimitris Mitropoulos, Themis Symvoulopoulos

21:30 Forum

4: Brexit

Tariq Ali, Giorgio Cremaschi, Costas Lapavitsas

[dt_highlight color=““ text_color=““ bg_color=““]Samstag, 17. September[/dt_highlight]

9:30 Foren

5: Frankreich: Bündnisse für die Deglobalisierung

Jacques Cotta, Michèle Dessenne, Joël Perichaud, Yves Rouillé

6: Wie einem neuen globalen Finanzsturm begegnen?

Pedro Montes, Ernesto Screpanti, Paul Steinhardt

7: Italien: Wer wird die Führung des Euro-Austritt übernehmen?

Alberto Bagnai, Luciano Barra Caracciolo, Alfredo D’Attorre

15:30 Foren

8: Osteuropa – Widerstand gegen die Euro-deutsche Herrschaft

Luka Mesec, Antti Pesonen, Wassili Wolga

9: Populismus – Anathema oder Chance für demokratische Veränderung?

Jacques Cotta, Carlo Formenti, Manolo

10: Euro-Oligarchie, nationale Souveränität und Demokratie

Gilles Amiel de Ménard, Ramon Franquesa, Mimmo Porcaro

 

21:30 Forum

11: Migration und das Ende von Schengen

Leonidas Chryssanthopoulos, Marco Mori, Marija Muratowa, Albert Reiterer, Panagiotis Sotiris

[dt_highlight color=““ text_color=““ bg_color=““]Sonntag, 18. September[/dt_highlight]

9:30 Schlussversammlung

Strategien und Allianzen für die Befreiung

Ramon Franquesa, Dimitris Kazakis, Willi Langthaler, Costas Lapavitsas, Jacques Nikonoff, Moreno Pasquinelli, Giannis Rachiotis

 

Der Verrat der Europäischen Union an ihren proklamierten Zielen von Gerechtigkeit, Brüderlichkeit, Freiheit, Kooperation, Solidarität und Frieden hat sich abermals an den kürzlich mit Großbritannien und der Türkei geschlossenen Verträgen gezeigt. Die Masken fallen und das wahre Gesicht wird immer deutlicher sichtbar.

Nur eine kleine Minderheit hatte sich seinerzeit gegen die „Absurdität“ aufgelehnt zutiefst ungleichen Volkswirtschaften eine gemeinsame Währung und so unterschiedlichen Gesellschaften gemeinsame Institutionen aufzuzwingen. Das Währungsregime ist heute in der Tat auf ein Monopol der Geldschöpfung durch ein supranationales, hyperfinanzialisiertes System gestützt, das gegen die Staaten und die Bevölkerungen spekuliert.

Doch was als „absurd“ erscheinen könnte hat tatsächlich seine eigene Rationalität: Die Schleifung der Nationalstaaten entspricht den konvergierenden Interessen der verschiedenen Bourgeoisien, in erster Linie den großen transnationalen Konzernen, den finanziellen wie industriellen, die seit langem zusammenwirken.

Die europäistische Erzählung verdeckte die neoliberale Ideologie (eingemeißelt in die Verträge der Union), die politisches Eingreifen in die Märkte zurückweist. Alle Hindernisse für die Diktatur des Kapitals über die Arbeit wurden niedergerissen, die unbegrenzte Bewegungsfreiheit des Kapitals hergestellt. Öffentliches Eigentum war zu privatisieren.

Die große Mehrheit der europäischen Linken ist schuldig dieses reaktionäre Konstrukt als fortschrittlich bezeichnet und verteidigt zu haben. Das war ein unerhörter Verrat an den Interessen und Aspirationen der Masse der Bevölkerung. Es handelte sich um einen zweiten „4. August“ (1), begangen im Namen einer neoliberalen Globalisierung die zynisch als internationalistisch „verkauft“ wurde.

Unter den Schlägen des aus den USA kommenden Finanzsturms stand die Europäische Union am Rande der Implosion. Der Zusammenbruch konnte nur mit extremen Notmaßnahmen verhindert werden, deren enorme soziale Kosten von der breiten Masse der als PIGS (2) und/oder „Peripherie“ bezeichneten Länder getragen wurden.

Die Völker versuchten auf verschiedene Weise dem sozialen Massaker Widerstand entgegenzusetzen, durch große Mobilisierungswellen von unten an den Wahlurnen, wodurch neue politische Bewegungen und Parteien entstanden. Diese, manchmal ohne ideologische Festlegung und oft transversal und sozial heterogen, haben nicht nur die Zurückweisung der Abbau- und Austeritätspolitik, der neoliberalen Erpressung, sondern auch den Wunsch nach Wiedergewinnung der verlorenen oder verratenen nationalen und Volkssouveränität zum Ausdruck gebracht.

Die „Rettungsoperationen“ der EU in Form von Austeritätsmaßnahmen, die bis heute in den Mitgliedsstaaten durchgeführt werden, haben zerstörerische Auswirkungen.

Tatsächlich zeigt der Gang der Dinge, dass der Euro und die Union sich in Auflösung befinden. Die Versuche der herrschenden Klassen dies zu verhindern verlängern nur die Agonie der EU. Ihr Ende ist unabwendbar. Die Pro-EU-Eliten, von unten immer mehr angezweifelt, werden ihren Platz soziopolitischen Kräften der Veränderung abtreten müssen. Diese werden morgen gefordert sein, die verschiedenen Nationen zu führen, die ihre Souveränität wiedergewonnen haben. Die Kräfte haben unterschiedlichen Klassencharakter und verfolgen unterschiedliche, in gewissen Fällen sogar entgegengesetzte Ziele. Während in einigen Ländern die Parteien der reaktionären und xenophoben Rechten (manche unter ihnen sogar noch wirtschaftsliberaler und antidemokratischer als die heutigen Regierungen) nach vorne drängen, steigen in anderen politische Massenbewegungen für die Wiederherstellung der Demokratie und die Reduktion von Ungleichheit auf… Mit den Letzteren ist es möglich eine Einheitsfront zur Sprengung des europäischen „Gefängnisses“ zu bilden, sowie Demokratie und soziale Gerechtigkeit herzustellen. Jedes Volk kann so seine Souveränität und Unabhängigkeit wiedergewinnen. Uns ist klar, dass die Befreiung nicht einfach sein wird.

Man hat erlebt in welcher Weise in Griechenland der Staat seiner Souveränität beraubt wurde und wie das griechische Volk in eine Masse von Individuen ohne Rechte verwandelt wurde. Die supranationalen neoliberalen Institutionen können als terroristisch bezeichnet werden.

Die Völker bedürfen politischer Parteien mit Mut, klaren Ideen und Zielen – anders als Syriza. Sie werden sich nicht befreien können, wenn sie den Prozess der demokratischen Revolution nicht bis zum Ende gehen. Andernfalls könnte uns das Zusammentreffen der Krise der neoliberalen Globalisierung und dem Zerbrechen der Europäischen Union sowie des Euro in eine neue Barbarei stürzen.

Das Dritte Internationale Forum will einen offenen Raum für Diskussionen zwischen den verschiedenen demokratischen Kräften bieten. Sie sollen der der Entwicklung einer gemeinsamen Strategie dienen, die die Basis für eine internationalistische Allianz der Völker und Nationen auf der Grundlage des Austritts aus dem Euro, der EU und der Nato legt. Angesichts der neoliberalen Globalisierung brauchen wir einen Prozess der Deglobalisierung, der in jedem unserer Länder konzipiert und ins Werk gesetzt werden soll.

Alle, die an dieser großen Aufgabe mitwirken wollen, laden wir zur Teilnahme am Dritten Internationalen Forum ein.

 

Europäische Anti-Euro-Koordination

Antikapitalistische Linke, Nordrhein-Westfalen
EPAM, Griechenland
Euroexit, Personenkomitee gegen Sozialabbau, Österreich
Initiative für eine Kommunistische Linke, Griechenland
Manifiesto Socialismo 21, Spanien
P101, Movimento di liberazione popolare, Italien
Pardem, Parti de la démondialisation, Frankreich
Salir del Euro, Spanien

1 Am 4. August 1914 verriet die Sozialdemokratie das Prinzip der Verteidigung des Friedens in dem sie für den Bruderkrieg zwischen den europäischen Völkern stimmte.

2 PIGS (wörtlich Schweine) ist eine Abkürzung die erstmals von Journalisten 2008 für folgende vier Länder der EU verwendet wurde: Portugal, Irland, Griechenland und Spanien.

 

Vorläufige Liste der Rednerinnen und Redner

Germany

  • Inge Höger, MP Die Linke
  • Paul Steinhardt, former Frankfurt investment banker, economist, editor makronom.eu
  • Thomas Zmrzly, activist of the German Eurexit committee

Great Britain

  • Tariq Ali, author

France

  • Jacques Nikonoff, economist, former speaker of Attac, president of Pardem (Party of deglobalisation)
  • Jacques Cotta, film maker, journalist with France Télévision and political author. Founder of the website “la sociale”
  • Jacques Sapir, economist and author
  • Yves Rouille, former leader of the union CGT
  • Gilles Amiel de Ménard, scientist, Pardem

Greece

  • Costas Lapavitsas, economist, former MP of Syriza and founder of the European Network Research Network on Social and Economic Policy
  • Costas Isichos, Popular Unity and ex minister of the first SYRIZA government
  • Alekos Alavanos, Plan B, economist, leading figure of the left movement
  • Nikos Galanis, Popular Unity and Initiative of Communist Left
  • Panagiotis Sotiris, philosopher and member of Popular Unity
  • Dimitris Mitropoulos, Popular unity and Initiative of Communist Left
  • Dimitris Kazakis, economist, leader of the United Popular Front EPAM
  • Leonidas Chryssanthopoulos, former ambassador for Greece
  • Themis Symvoulopoulos, employee of ERT (public media outlet), EPAM

Ukraine

  • Maria Muratova or Victor Shapinov, both leading members of Borotba exiled on Crimea and in Donbass
  • Vasilji Volga, Union of Leftist Forces

Italy

  • Mimmo Porcaro, intellectual of the no-euro left
  • Carlo Formenti, sociologist, university professor, scholar of populist phenomena
  • Alfredo D’Attore, MP, former Democratic Party, now one of the leading exponents of the nascent „Italian Left“ party
  • Vladimiro Giacchè, economist (Communist Left)
  • Giorgio Cremaschi, Ex-president of the FIOM (CGIL metalworkers‘ union), current spokesman for the National „Euro-stop campaign“
  • Alberto Bagnai, economist, editor Goofynomics
  • Luciano Barra Caracciolo, jurist and editor of Limes
  • Moreno Pasquinelli, Movimento di Liberazione Popolare – Programma 101
  • Leonardo Mazzei, Movimento di Liberazione Popolare – Programma 101

Spain

  • José Luis Centella, secretary general Communist Party of Spain
  • Josep Manel Busqueta, former MP for CUP, Catalonia
  • Pedro Montes, economist and president of Socialismo21
  • Diosdado Toledano González, Salir del Euro
  • Manolo Monereo, political analyst and candidate for Unidos Podemos
  • Ramón Franquesa, professor for world economy at the Universidad de Barcelona, co-ordinator Frente Cívico de Cataluña

Austria

  • Albert F. Reiterer, sociologist
  • Boris Lechthaler, Solidarwerkstatt
  • Leo Gabriel, social anthropologist and leading member of the World Social Forum
  • Wilhelm Langthaler, author, speaker of the Anti-imperialist Camp
  • Gernot Bodner, physician and founding member Euroexit.org

Portugal

  • Luís Bernardo, member editorial board Portuguese edition Le Monde Diplomatique. Previously member Attac Portugal. Co-initiated the European Lexit Nework

Slovenia

  • Luka Mesec, United Left (Združena levica)

Finland

  • Antti Pesonen, IPU (Independence party)

Site of the Second Forum

Die „Undenkbarkeit des Bruchs“ und seine Folgen: Stefan Hinsch / Wilhelm Langthaler (2016): Europa zerbricht am Euro. Unter deutscher Vorherrschaft in die Krise. Wien: Promedia. 204 Seiten. € 17,90

Die Euro-Krise stellt einen Bruch in der EG / EU-Entwicklung dar. Sie macht den bis damals verhüllten Gegensatz zwischen den Eliten samt ihrer Gefolgschaft in den (oberen) Mittel­schichten und dem immer stärker prekarisierten Unterschicht-Verband einer deutlichen Mehr­heit der Bevölkerung eklatant sichtbar, ebenso wie den Gegensatz zwischen dem Zentrum und den Peripherien im Süden und im Osten. Was aber heißt dies politisch für die, welche Partei für die „Erniedrigten und Beleidigten“, für die Unterschichten und Subalternen ergreifen? Noch folgt aus diesem Bruch nicht die weit verbreitete Notwendigkeit des Bruchs mit dem EU-System. Aber die „Undenkbarkeit des Bruchs“ (S. 48) ist keineswegs mehr so fixiert, wie noch vor zwei Jahren. Die Bevölkerung hat diese Notwendigkeit in starkem Maß bereits realisiert. Schwer tun sich dagegen die linksliberalen Intellektuellen.

Die beiden Autoren beschreiben die politische Entwicklung der EG/EU in den letzten Jahren und seit ihren Anfängen in ihrer Verschränkung von strukturell-ökonomischen und monetären Gegebenheit einerseits und der politischen Verarbeitung dessen. Im Zentrum steht deie Rolle der BR Deutschland. Die EWG entstand aus dem französischen Willen, ds neue Nachkriegs-Deutschland zu zähmen und gleichzeitig seine bewunderte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unter französischer Hegemonie zu nutzen.

In analoger Weise war die Währungsunion bzw. die EU nach der Einheitlichen Europäischen Akte bzw. Maastricht insgesamt von Paris us konzipiert. Sie wurde den damals sehr zögern­den Deutschen aufgedrängt. Heute ist die BRD oder vielmehr ihre Exportwirtschaft die große Gewinnerin. Aber nicht nur die Exportwirtschaft: Doie politischen Eliten haben einen Gewinn daraus gezogen, den sich Paris 1992 / 93 vermutlich nicht in den schlimmsten Träumen vorstellen konnte. Aber die Währungsunion musste „naturnotwendig“ die stärkere Wirtschaft begünstigen. Die Peripherisierung des Südens und die sich abzeichnende Abstufung der Rolle Frankreichs ins zweote Glied hätte sich eigentlich voraus sagen lassen.

Aber: Diese Entwicklung sprengt die Grundlage der E(W)G, den Historischen Kompromiss zwischen Frankreich und Deutschland. Damit wird aber die Geschäftsgrundlage der EG / EU selbst hinfällig. Das ist die zentrale Aussage des Buchs.

In einer kurzen Besprechung können die vielen Denkansätze in diesem Buch nicht einmal erwähnt werden. Nur noch zwei Hinweise:

Die sogenannte westeuropäische Integration ist Globalisierungsgeschichte. Globalisierung ist ein politischer Begriff, in Kontrast zum sozioökonomischen und kulturellen der Mondialisie­rung. Dieses Buch analysiert die Geschichte der EU und des Euro denn auch als regionalen Vorgang der Globalisierung. Der Europäismus ist eine Form des Globalismus, nicht etwa ihre Eingrenzung oder Regulierung. Daraus ergibt sich klar, wie grotesk die Hoffnung jener ist, die mittels EU die Globalisierung in den Griff bekommen wollen. Dieser Internationalismus der Eliten ist das gerade Gegenteil davon, was Internationalismus einmal war.

Eine Strategie daraus ist eine neue Betonung der nationalen Souveränität, die auch den Subalternen einen Einstie in die Teilnahme an Politik als selbstbestimmten Prozess bietet.

Es wären eine Reihe kritischer Anmerkungen fällig. Die Teile, die man eher als ökonomisch bezeichnen möchte, und jene zur politischen Analyse und Strategie sind mitunter nicht gut integriert. Die ökonomischen Ausführungen sind oft erstaunlich orthodox, während die politischen Passagen konsequent die Kritik am Euro-System durchhalten. Gerade im Diskurs um Geld- und Währungsfragen muss man sich vor ökonomistischen Zugängen hüten, vor solchen, welche Geld lediglich als ökonomisch-technische Kategorie auffassen. Die diversen sozialen Funktionen von Geld werden von der „Fach-Theologie“ z. T. vergessen, teils aber ideologisiert. Die ausgedehnten Passagen des Buchs, die sich mit der Währung befassen, gehen nicht selten in diese mainstream-Falle.

Das Buch kann als Ausgangspunkt einer gründlichen Debatte zum Thema EU und Euro sowie der damit verbundenen Problematiken – Demokratieabbau, Zerstörung des Sozialstaats, Finanzkapitalismus – dienen. Es ist keine Propagandaschrift, sondern von hoher analytischer Qualität. Man muss oder soll das Buch gründlich lesen und wird dabei eine Fülle an Anregungen erhalten!

Albert F. Reiterer, 24. April 2016