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Podemos gegen die spanischen Eliten: Ein Lehrstück des modernen Klassenkampfes.

Chronologie des Weges zu Neuwahlen in Spanien

Spanien steckt in einer Situation, wie sie den europäischen Eliten in naher Zukunft öfters bevorstehen wird: breite Schichten der einfachen Bevölkerung wollen nicht mehr so weiter regiert werden wie bisher und die herrschenden Klassen können es nicht mehr. Konkret haben die spanischen Wahlen vom 20. Dezember eine parlamentarische Konstellation hervorgebracht, die die lange (für die Eliten) erfolgreiche Alternanz zwischen den beiden Großparteien PP (Partido Popular, Volkspartei) auf der Rechten und PSOE (Partido Socialista Obrero Español, Spanische Sozialistische Arbeiterpartei) auf der Linken durchbrochen hat. Stein des Anstoßes ist der Erfolg der neuen Protestpartei Podemos (Wir können) mit über 20 % der Stimmen. Die Großparteien verloren dagegen massiv an Zuspruch und konnten, trotz des Wahlgesetzes, das große Parteien deutlich privilegiert, keine Regierung im Sinne der Eliten bilden.

 

Regieren für die Eliten bedeutet im spanischen Kontext im Wesentlichen zwei Dinge: (i) Kontinuität in der Wirtschaftspolitik mit Austerität (konkret verlangt die EU-Kommission eine Reduktion des Budgetdefizits auf 2,8 % für 2016) und sozialer Härte (Beibehalten der prekären Beschäftigungsverhältnisse, die durch die Arbeitsmarktreformen von 2010 durch die PSOE und 2012 durch die PP fixiert wurden; weitere Kürzung der Pensionen) und (ii) Unnachgiebigkeit gegenüber den Unabhängigkeitsambitionen in den Regionen, allen voran Kataloniens und des Baskenlands.

Der Schreck der spanischen Eliten über den Wahlausgang war umso größer, also sie massiv durch Selbsttäuschung über den Erfolg ihres wirtschaftlichen „Reformpfades“ gedopt sind: die Wirtschaft wächst wieder mit 1,4 % 2014 und 3,2 % 2015 und die Arbeitslosigkeit fiel von ihrem Höchststand mit 25,8 % 2012 auf 20,9 % 2015. Die „Erholung“ führte aber auch rasch wieder zu einer Verschlechterung der Leistungsbilanz und ist wie in anderen Ländern eher durch äußere Einflüsse begründet (niedriger Ölpreis, niedrige Zinsen) denn durch eine irgendwie geartete Stärkung der wirtschaftlichen Fundamente des Landes. Seit Mitte der 1980er erodiert Spaniens wirtschaftliches Fundament: Ausbleibende Modernisierung der Industrie gefolgt von deren Abwanderung nach Osteuropa und Asien, mit dem EU-Beitritt Übergang zu einer peripheren Dienstleistungsökonomie mit ständig negativer Leistungsbilanz und einer chronischen Arbeitslosigkeit um die 20 %, unterbrochen nur durch den Rausch der Immobilienblase zwischen 2002 und 2008. Auch die Staatsverschuldung (127 % des BIP) und die private Verschuldung (228 % des BIP) sind weit weg, um den Jubel der Eliten zu legitimieren. Aber gerade in Wahlzeiten wird gerne mit der Aussicht auf ein Ende der mageren Jahre geworben und die Hoffnungsbotschaften der eigenen PR-Institute wurden wohl verinnerlicht. Man spürte richtig, wie hart es war, als Finanzminister Cristóbal Montoro (PP) am 31. März das klägliche Scheitern des Defizitziels (3,2 % für 2015, real 5,2 %) verkünden musste (um gleich den verschwenderischen Regionen die Spar-Rute in Fenster zu stellen; die rebellischen Katalanen sollten nicht denken, sie könnten im spanischen Rahmen Sozialstaat spielen!).

Schon vor den Wahlen war den Mächtigen in Spanien klar, dass stürmische Zeiten auf sie zukamen. Die erste Idee, um ihre Herrschaft abzusichern, war die Gründung der Newcomer-Partei Ciudadanos des eingeschworen pro-spanischen Katalanen Albert Rivera. Ciudadanos sollte einerseits mit einem modernen Flair die unzufriedenen Mitte-rechts Stimmen kanalisieren, die sich vorhersehbar von der durch Korruptionsskandale maroden PP abwenden würden. Andererseits hoffte man sie als Gegenpol zu Podemos aufbauen zu können, indem man mit dem jugendlich-smarten Parteichef Rivera einen neoliberalen Antipode zu Pablo Iglesias aufbaute, der ebenfalls gegen das verkrustete Establishment zu Felde zog. Das Manöver scheiterte jedoch: Ciudadanos blieb mit 13,9 % deutlich hinter den Erwartungen und konnte nicht zum Königsmacher einer der Altparteien werden. Versuch Nummer 1 der Eliten war damit gescheitert.

Nachdem der Scherbenhaufen des 20. Dezember klar war, lancierte man in Phase 2 die Notwendigkeit einer großen Koalition, indem man die Angst vor Unregierbarkeit an die Wand malte, welche die „Erfolge“ der ökonomischen Erholung zunichtemachen würde. Die EU und wohl auch Teile der spanischen Wirtschaftsgranden hätten dies gerne gesehen. Die Möglichkeiten der großen Koalition standen aber schlecht. Die PSOE konnte sich nach einem „linken“ Wahlkampf gegen die Kontinuität der PP – getrieben durch das Damoklesschwert Podemos – auf eine solche Regierungskonstellation schlecht einlassen. Es wäre ihr sicherer Weg zum PASOK-Schicksal gewesen. Und die PP begann bereits bald nach der offensichtlichen Unmöglichkeit einer von ihr geführten Regierung Rajoy II mit Neuwahlen zu liebäugeln. Prognosen ließen auf eine weitere Schwächung der PSOE und damit vielleicht doch noch eine Mehrheit PP-Ciudadanos hoffen.

Es begannen also Phase drei: Die Verhandlungen um eine Regierung unter PSOE Chef Pedro Sánchez. Dabei standen zwei Optionen zur Diskussion. Einerseits eine linke Koalition mit Podemos, IU (Izquierda Unida, Vereinigte Linke) und dem valenzianischen Linksbündnis Compromis. Andererseits eine Konstellation mit Ciudadanos im Boot. Der erste Weg einer „Regierung des Wandels“ bekam bald den Beinahmen der portugiesischen Option, die Sánchez selbst durch einen symbolischen Besuch Anfang Januar bei seinem dortigen Kollegen Antonio Costa, Ministerpräsident einer von Kommunisten und Linksblock gestützten Regierung, anzuvisieren schien. Podemos nannte es dann die valenzianische Option (Valencia wird durch eine Koalition aus Sozialisten, Podemos und Compromis regiert) oder den Weg der 161 (nach der Stimmenzahl der vier Parteien im Parlament). Für die Elite war diese Option jedoch nicht akzeptabel. Man wollte sich nicht auf die Unwägbarkeiten einer Regierung einlassen, deren Entscheidungen vom Goodwill von Podemos abhingen und schon gar keinen Vizepremier Pablo Iglesias.

Zunächst schickte man die PSOE-interne Rechte unter Führung der „Barone“ (jener Parteigranden aus den Provinzen unter Führung der andalusischen Regierungschefin Susana Diaz) in die Schlacht. Ihre Kampagne gegen eine von Podemos abhängige Koalitionsregierung fokussierte auf die Frage eines Unabhängigkeitsreferendums (das „Recht zu entscheiden“, wie es verklausuliert genannt wird). Es war die politische Phase, als in Katalonien die Regierungsbildung von der Entscheidung der radikal-linken CUP (Candidatura d’Unitat Popular, Kandidatur der Volkseinheit) abhing. Dies bot sich hervorragend an, gegen eine linke Koalition mit Podemos zu wettern. Podemos unterstützt, zwar in moderater Form und vielleicht vor allem aus Rücksicht auf seine regionalen Partner in Katalonien und im Baskenland, die der Partei ihr starkes Ergebnis bei den Dezemberwahlen brachten, das demokratische Recht, ein Unabhängigkeitsreferendum abzuhalten. Die „Barone“ marschierten daher unter der Fahne der Gefahr für die Einheit Spaniens auf, wohl wissend, dass dies eine rote Linie für weite Teile des Establishments darstellt und daher der Druck auf Sánchez entsprechend hoch sein werde.

Sánchez konnte sich jedoch durch ein geschicktes Manöver der Umarmung der „Barone“ entziehen, die mit dem Scheitern des Versuchs einer Linksregierung auch gleich seinen Kopf in der Partei rollen sehen wollten: er sicherte sich durch eine Befragung der Basis sein Mandat für weitere Verhandlung mit allen Parteien, stärkte damit seine parteiinterne Position und brachte das Manöver zum Scheitern.

Dennoch hatte dieser Angriff wichtige Nachwirkungen. Man soll sich keine Illusionen über Pedro Sánchez als linker Politiker machen, der etwa die sozialen und demokratischen Probleme des Landes konsequent anzugehen bereit sei. Sánchez ist sich durchaus bewusst, dass dies nur mit schmerzhaften Brüchen mit den Eliten des Landes und der EU machbar ist, dass es dabei „rote Linien“ zu überschreiten gilt und auch dass Podemos keine Kraft ist, die ohne weiteres vor den Karren eines leicht getarnten Programms der Fortführung des Status Quo gespannt werden kann.

So begann die zweite Option zu reifen, deren Kernelement wiederum Ciudadanos war. Statt einer Linksregierung brachte Sánchez eine breite Koalition aus PSOE, Ciudadanos und Podemos ins Gespräch: der Weg der 199 (wiederum nach den Stimmen dieser drei Parteien im Parlament) statt des Wegs der 161. Im Wesentlichen sollte es darum gehen, ein gemeinsames Programm zu verhandeln und auf dieser Basis Sánchez zum Ministerpräsidenten zu küren. Dagegen war das Modell einer Linksregierung, das Podemos vorschlug, eine Koalition mit relevanten Ministerposten auch für die anderen beteiligten Parteien. Dagegen wurde das mediale Geschütz aufgefahren, Iglesias ginge es nur um Postenschacher statt um ein Programm des Wandels. Seine Forderung, Positionen zu verhandeln war jedoch äußerst intelligent, gab sie doch dem „Inhalt“ eine entsprechende „Form“: kein Verhandlungskompromiss ohne entsprechende Macht, die eigenen Forderungen auch durchzusetzen.

Die Elite schien sich recht rasch darüber im Klaren gewesen zu sein, dass die Dreierkoalition PSOE, Ciudadanos und Podemos nicht zustande kommen würde. Vielmehr dürfte diese Option für den Machtapparat eine Form gewesen sein, die Schlacht in Richtung Neuwahlen vorzubereiten und dabei Podemos möglichst großen Schaden zuzufügen. Ende Februar unterschrieben Pedro Sánchez und Albert Rivera einen Pakt für eine Regierungskoalition, der zu einer zentralen Waffe des Angriffes auf Podemos wurde. Es begann mit leichter Munition: Podemos als Verhinderer einer Regierung des Wandels, der mit überzogenen Forderungen das Spiel der PP mache.

Nach und nach brachte man schwerere Geschütze in Stellung. Ziel war es, interne Konflikte in Podemos medial zu tiefen Gegensetzen und Spaltungstendenzen aufzublähen. Es begann mit Schwierigkeiten in mehreren territorialen Sektionen in der ersten Märzhälfte, mit Rücktritten der Parteiführer in Galizien und Madrid. Im Zuge dieser territorialen Krisen wurde die Person des Organisationssekretärs Sergio Pascual abgesetzt. Dies wiederum wurde in den Medien zu einer Spaltung zwischen Pablo Iglesias und der „Nummer zwei“ von Podemos Íñigo Errejón gemacht, dessen Abteilung der Organisationssekretär zugehörte. Hier sei besonders auf El Pais hingewiesen, das „Zentralorgan“ der Machteliten der PSOE (inklusive dem immer noch sein Unwesen treibenden Ex-Premier Felipe Gonzales), das über Wochen über die bevorstehenden Spaltungen von Podemos sinnierte. Prompt erschienen dann auch erste Umfragen über die Stimmenverteilung bei eventuellen Neuwahlen, die ein Absinken von Podemos auf 16 % und damit deutlich hinter die PSOE und Ciudadanos prognostizierten.

Dieser letzte Akt der Offensive der Eliten war ein wahrhaftes Lehrstück modernen Klassenkampfes mit den Waffen der Medien und in einer Konjunktur, wo Wahlen zum wichtigsten Schlachtfeld zwischen den alten Oligarchien und den neu entstehenden Oppositionsströmungen geworden sind. Daher verdient dies etwas genauer kommentiert zu werden. Podemos ist keine Partei mit traditionsreicher und konsistenter ideologischer Ausrichtung, sondern ein „postmodernes“ Sammelsurium oppositioneller Ideen und Strömungen: Leute aus der KP/IU-Tradition (zu denen Pablo Iglesias zählt), die Strömung der „Anticapitalistas“ trotzkistischer Provenienz (die prominentesten Namen sind Teresa Rodríguez, Parteiführerin in Andalusien und der Europaparlaments-Abgeordnete Miguel Urbán; diese firmierten auch als Organisatoren des Plan-B Events im Februar 2016 in Madrid), Postmarxisten aus der Antiglobalisierungskultur mit starker Prägung durch die neue lateinamerikanischen Linken (Bolivien, Venezuela), zu denen Íñigo Errejón zählt, Teile des linken Nationalismus in den Regionen, und sicher eine Masse an ideologisch nicht festgelegten Krisenopfern und über die traditionelle Polit-Elite empörte Leute. Diese ideologische Vielfalt in Podemos und das rasante Wachstum seit den Europawahlen 2014 machen Konflikte unvermeidlich. Als wesentliche Fragen haben sich dabei herausdestilliert: (i) die Wahlallianzen (Wahlbündnisse gleichberechtigter Partner vs. Podemos mit Listenplätzen für die Kandidaten anderer Gruppierungen), (ii) die Struktur der Partei (starker zentraler Apparat mit dominanter Rolle der Abgeordneten vs. Einfluss der Basiskomitees), und (iii) die politisch-soziale Orientierung und der entsprechende Diskurs (Linke vs. „Transversalidad“, also gesellschaftliche Breite im Sinne des für Podemos konstitutiven Paradigmas „Volk gegen Kaste“). Diese realen Debatten und Konflikte, die es in der angespannten Situation der Nachwahlperiode auszubalancieren galt (was dem Organisationssekretär Pascual eben nicht gelungen war), wurden von El Pais aufgegriffen, mit dem Ziel sie in der Öffentlichkeit zuzuspitzen und als tiefe Krise von Podemos zu inszenieren – gespickt mit zahlreichen Seitenhieben gegen den autoritären Führer Iglesias und die Degeneration von Podemos zu einer hierarchischen Partei im alten Stil.

Trotz dieses massiven Angriffs und Druckes, schien keine Strömung oder Führungsfigur in Podemos eine bedingungslose Unterstützung einer PSOE-Regierung bzw. des Paktes PSOE-Ciudadanos in Betracht gezogen zu haben. Allen war wohl klar, dass dies den Untergang von Podemos eingeläutet hätte.

Nach dem Scheitern der Dreiergespräche PSOE, Ciudadanos, Podemos am 7. April (die PSOE beharrte auf ihrem mit Ciudadanos unterzeichneten Pakt) ist nun klar, dass es keine Regierung Sánchez geben wird. Die große Koalition, der Traum der Oligarchie, die die PP nun rhetorisch wieder aufs Tapet gebracht hat, ist nach wie vor unrealistisch. Es wird nun im letzten Akt vor der offiziellen Ausrufung von Neuwahlen wohl nur mehr darum gehen, wer den „schwarzen Peter“ für den neuerlichen Wahlgang umgehängt bekommt. Podemos hat bereits mit einer Basisbefragung gegengesteuert. Der offene Wahlkampf wird also in Kürze beginnen.

Abschließend seien zwei Dinge unterstrichen:

  • Die Angst der Elite ist mehr vor der politischen Situation, die eine Regierung mit Podemos eröffnen könnte, nicht so sehr vor dem Programm der Partei. Auch unter der griechischen Syriza steuerte das Land auf einen Bruch mit der herrschenden Ordnung zu, ohne dass das von der Führung so gewollt war (Juli-Referendum). Mit Podemos als nahezu gleichberechtigter Teil in einer PSOE Regierung, inklusive Minister, müsste die Elite mit Kräften ein Auskommen finden, die ihr noch nicht vertraut sind und die erst domestiziert werden müssen. Dieser Unsicherheit will sich die Oligarchie offenbar nicht stellen. Insbesondere die nationale Frage (Katalonien, Baskenland) könnte in einem solchen politischen Umfeld äußerst explosiv werden. Es ist also nicht Podemos als Partei und ihr Programm als solches, die einen Bruch mit der Oligarchie auslösen würde, sondern die politische Dynamik, die eine Regierungsbeteiligung von Podemos katalysieren könnte.
  • Wie in Griechenland müsste sich eine Regierung gegen die Eliten dem europäischen Korsett stellen, das die Austerität auch in Spanien in die Verfassung geschrieben hat (Artikel 135). Podemos ist wie Syriza weit davon entfernt, sich der Bedeutung dieses unvermeidlichen Konflikts bewusst zu sein und programmatisch darauf einzulassen. Dementsprechend ist auch in Spanien eine Situation möglich, wie in Griechenland zur Zeit des Juli-Referendums: die politische Dynamik drängt auf einen Bruch und die vorhandenen Kräfte können und wollen diesen nicht organisieren. Um dieses künftig mögliche politische Vakuum zu vermeiden, sind auch in Spanien die Kräfte der Anti-Euro-Linken entscheidend. Die Tragik, den Widerspruch zwischen objektiven Chancen und subjektiven Möglichkeiten nicht aufzulösen, könnte sich aber auch in Spanien wiederholen. Der Versuch einer europäischen Koordination der Anti-Euro-Linken ist ein Versuch, gegen die Wiederholdung der griechischen Geschichte koordiniert vorzuarbeiten.

 

Gernot Bodner, www.euroexit.org

Wien 10. April 2016

Buchvorstellung Berlin: „Europa zerbricht am Euro“

Anti-Kriegs-Cafe (Mitte)

Rochstraße 4, 10178 Berlin

Fr. 22. April 2016, 19h

 

Präsentation und Diskussion mit dem Autor Wilhelm Langthaler und der Journalistin Christiane Reymann

Moderation: Milan Markez, Aktivist und Journalist

 

Schäuble & Co versuchen die soziale Katastrophe an der europäischen Peripherie nach wie vor als Sachzwang darzustellen, so wie der Liberalismus insgesamt die Ungleichheit als für Entwicklung notwendig deklariert. Solange die Konterreform vor allem die unteren Schichten betraf, konnten deren Proteste als (Rechts)-Populismus an den Rand gedrängt werden.

 

Doch nun wird immer deutlicher, dass der Euro die Speerspitze eines ultraliberalen politischen Regimes ist, das im Dienste der deutschen Exportindustrie und seiner unmittelbaren Umgebung den Rest Europas deindustrialisiert, hinunter und an den Rand drängt. Die sozialen Auswirkungen sind verheerend. Politisch bedeutet es die Außerkraftsetzung der Reste formaler Demokratie zugunsten einer Brüsseler Oligarchie, zusammengesetzt aus den Vertretern der dominanten Staaten, der Finanzelite und der Großkonzerne. Die Unterwerfung Griechenlands ist dabei beredte Spitze des Eisbergs.

 

Nicht nur der diffuse Unmut und die stille Ablehnung wachsen, sondern auch der offene Widerstand. Überall kommt es zu Auseinandersetzungen mit Brüssel-Berlin: Neuwahlen in Spanien; Brexit-Referendum; dänische Ablehnung des EU-Polizeistaates; niederländische Abstimmung gegen den neokolonialen Assoziationsvertrag mit der Ukraine; deutsches Diktat in der Flüchtlingskrise; polnisch-ungarische Opposition gegen EU-Recht einschließlich Bankendurchgriff; permanenter französischer Ausnahmezustand ohne EU-Einspruch; Mehrheiten in Italien für den Euro-Austritt; prekäre Linksregierung in Portugal und zu guter letzt eine unhaltbare griechische Schuldknechtschaft, die selbst der IWF für unhaltbar hält.

 

Doch während Merkel und Juncker verleugnen, erhöhen sie die Dosis der immer selben Medizin – der Patient ist bereits moribund. Selbst für die Eliten vernünftig wäre Lafontaines einvernehmliche Trennung und Rückkehr zum Europäischen Währungssystem. Doch Schäubles Linie führt in das deutsche Europa, dessen Verhinderung die EU einst sein wollte. Insbesondere an der Peripherie eröffnen sich indes auch Chancen, die Oligarchie überhaupt von der Macht zu entfernen und (neosozialistische) Experimente im Interesse der Mehrheit zu unternehmen.

 

Buchintro:

www.mediashop.at/typolight/index.php/buecher/items/stefan-hinschwilhelm-langthaler—europa-zerbricht-am-euro

DAS NIEDERLÄNDISCHE REFERENDUM, DIE EU UND DIE REAKTION DARAUF

Die EU hat, wieder einmal, einen mächtigen Eselstritt bekommen. Nun mobilisiert sie ihre Hilfstruppen. Sie findet sie in den Medien in der BRD und in Österreich, in Österreich nicht zuletzt im ORF. Wenn wir uns in den folgenden Absätzen Gedanken über die Folgen machen, so ist dies nicht zuletzt eine Reflexion über diese Reaktionen.

Da erklärt uns im ORF-Mittags-Journal ein gewisser Stefan Lehne, früher Beamter des Außenamts und nunmehr “Experte“ beim „Think Tank“ Carnegie, wie problematisch die Demokratie auf nationaler Ebene ist. Er hat tatsächlich die Chuzpe, zu sagen: Da sieht man ja, was rauskommt. 27 Länder haben zugestimmt, und ein einziges Land hält den Prozess auf.

Überall, wo die Bevölkerung in den letzten Jahren die Möglichkeit hatte, etwas zur EU zu sagen, bekam diese eine schallende Ohrfeige. Wir brauchen nicht an Griechenland im Juli 2015 zu denken. Am 3. Dezember stimmten die Dänen über ein so technisches Thema ab, ob das Land sich enger an Europol binden solle. Und mitten in der Terror-Hysterie stimmte eine Mehrheit dagegen. Denn es ging gegen die EU. Was würden sie wohl tun, wenn sie über die dänische Politik der bedingungslosen Bindung an den Euro abstimmen könnten?

Und dann wird Orwell’sche Bedeutungsumkehr und Sprachregelung betrieben. Volksabstim­mungen galten früher einmal als Muster-Beispiel direkter Demokratie. Heute murmeln Rechts- und Linksliberale, der sozialdemokratische Gewerkschafter und die rechtsorientierte Journalistin, gemeinsam dumpf vor sich hin: Das ist ein Merkmal rechten Gedankenguts! Die Leute wissen ja gar nicht, was sie da abstimmen; usw. Volksabstimmungen, also Demokratie, sind des Teufels. Insbesondere die Eliten in der Bundesrepublik haben eine heillose Angst vor direkter Demokratie. Eine Journalistin der Springer’schen „Welt“ vom 11. April 2006 überschreibt ihren Kommentar dazu mit „Die Misere der direkten Demokratie“ und meint dann: „… ein gefährlicher Trend … Immer häufiger lassen Regierungen ihr Volk über außenpolitische Grundsatzfragen abstimmen…“

Volksabstimmungen kann man manipulieren, im administrativen Weg, indem man z. B. willkürliche Schwellen einzieht. Und mit viel Geld! Wir wissen dies gut genug. Das Ergebnis von 1994 mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für die EG / EU ist auf diese Weise sowie unter dem Partei-Terror der SPÖ und des ÖGB zustande gekommen. In den Folgejahren aber waren Volksabstimmungen verboten, oder höchstens über so wesentliche Dinge wie Hundstrümmerl und Hausmeister erlaubt. Der Herr Fischer, noch ein paar Wochen Bundespräsident, meinte zur Frage des Lissabonner Vertrags, des wichtigsten Themas für Österreich seit Langem: Aber eine Volksabstimmung ist da doch wirklich nicht nötig! Er hat sich damit unter den Totengräbern der österreichischen Demokratie einen Ehrenplatz gesichert.

Doch zurück zu den Niederlanden. Die Volksbefragung war glücklicher Weise keine rein rechtspopulistische Frage. Die Sozialistische Partei hat im Nein-Lager gestanden. Man muss fast sagen: Aus­gerechnet die Sozialistische Partei! Denn diese ehemals maoistische Gruppe ist heute im Wesentlichen eine Sozialdemokratie, aber der alten Prägung; so wie die PvdA vor 30 Jahren vielleicht war. Heute heißt dies: „linkspopulistisch“. Immerhin. Sie hat offenbar begriffen, vielleicht nur aus taktischen Überlegungen: Man darf die Unzufriedenheit mit den Herrschenden nicht den Rechten überlassen. Das ist jedenfalls mehr, als z. B. der Großteil der LINKEN in Deutschland begriffen hat. Die macht sich damit mitschuldig am schnellen Wachstum der AfD, insbesondere in der ehemaligen DDR.

Die Sozialistische Partei wird bei uns und in Deutschland in diesem Zusammenhang systematisch verschwiegen. Das war ja auch das Rezept der niederländischen Politik, das da mit Eklat gescheitert ist: Totschweigen! Damit wollte man die Beteiligung unter 30 % drücken.

Diese ominösen 30 %! Für Schweizer Verhältnisse, dem Musterland der direkten Demokratie, wäre dies zwar keine hohe, aber eine honorige Stimmbeteiligung. Die Partizipation der letzten Jahre wächst eher, weil immer mehr Bürger begreifen, dass es doch um was geht. Und in den Niederlanden wird dies in einem Kontext verächtlich gemacht, der den Leuten suggeriert: Ist eh nicht verbindlich, wozu hingehen? Und im Hintergrund gibt es eine diskrete Kampagne der Nichtbeteiligung. Um es klar zu sagen: Die 32 % sind unter diesen Umständen beachtlich.

Ebenso kennzeichnend war die Brüsseler Reaktion. Ihr könnt’s uns! „Weiter wie bisher!“ Wir haben das Abkommen faktisch ja schon in Kraft gesetzt. Und wörtlich: Es wird sich nichts daran ändern! Das ist vielleicht sogar nützlich. Es zeigt: Innerhalb dieser EU lässt sich nichts machen und bewegen. Das einzige, wovor sich die Brüsseler Bürokratie und die nationalen politischen Klassen fürchten, ist ein Austritt. Das zeigt sich besonders deutlich gegenüber Großbritannien.

Aber ist die britische Volksabstimmung denn nicht reaktionär motiviert? Den Konservativen dort gehen doch bereits die minimalistischen Sozialstandards der EU gegen den Strich.

Das ist die alte verquere Logik, die bereits in Österreich 1994 funktioniert hat. Eine reaktio­näre Partei nutzt taktisch die Unzufriedenheit der Menschen und vertritt ausnahmsweise einmal etwas, womit wir übereinstimmen. Und deswegen sollen wir jetzt das Hirn ausschalten und sagen: Wir sind jetzt für das Gegenteil, was wir sonst immer vertreten.

Jetzt geht es um ein konkretes Ziel, und das halten wir für richtig: Raus aus der EU!

Es gebe für Großbritannien wahrhaftig viel zu sagen. Das passt Alles nicht hierher, zum Anlass der Niederlande.

Der entscheidende Punkt ist: Gerade weil die Bevölkerung systematisch gehindert wird, ihre politische Mitbestimmung geltend zu machen, vor allem wenn es um die EU geht, wird auch in Hinkunft jede Gelegenheit genützt werden, der EU einen Tritt zu versetzen. Wir werden ja sehen, wie es mit TTIP laufen wird. Die Niederlande aber haben uns einen Dienst erwiesen. Sie zeigen, dass man selbst mit sehr stumpfen Waffen der Bürokratie, den politischen Klassen und den Eliten ziemlich weh tun kann. Wir sollten diese Lehre beherzigen.

Albert F. Reiterer, 8. April 2015

WÄHRUNGSUNION UND DIE VERELENDUNG DER EUROPÄISCHEN PERIPHERIE

Nicht nur von Verteidigern dieses Systems und der EU im Besonderen, auch von Kritikern können wir hören: Die Finanzkrise ab 2008 habe sich insofern in Grenzen gehalten, als die ökonomische Kernschmelze wie 1929 / 30 durch rechtzeitiges Eingreifen der Zentralbanken und der nationalen Regierungen verhindert worden sei. Es muss in aller Klarheit gesagt werden: Dies gilt nur für das Zentrum. Dessen Banken wurden „gerettet“. In der EU geschah dies auf Kosten des Olivengürtels und Osteuropas. Man „löste“ das Problem, indem man den Süden zerstörte. Sehen wir doch hin! Die Rückgänge im Sozialprodukt, die soziale Katastrophe in Griechenland und anderswo hat durchaus die Größenordnung der seinerzeiti­gen Weltwirtschaftskrise erreicht bzw. übertroffen: Laut Rechnungen von Maddison ging das BIP Österreichs vom Jahr 1929 auf 1933 um -22,5 % zurück, jenes des Deutschen Reichs bis 1932 um -16 %. Dann begann dort wie übrigens in den meisten anderen Volkswirtschaften und Staaten, bereits wieder ein Wachstum, . (vgl. auch März 1990).

Wirklich schlimm betroffen, noch ärger als Österreich, waren die USA. Sie zahlten nun die Zeche dafür, dass sie keinen institutionalen Apparat aufgebaut hatten, der ihnen eine ziel­führende Wirtschaftspolitik überhaupt erlaubte. Ihr BIP sank, im Vergleich zu 1929, auf 71,5. Dagegen sind die Werte von Großbritannien (1932: 94,9) und Frankreich (85,3) schon fast harmlos. In Gro0ßbritannien war übrigens Churchill einer der Verantwortlichen für den Wahnsinn, nicht nur den Goldstandard nach dem Weltkrieg wieder aufzunehmen, sondern auch noch das Pfund mit einem viel zu hohen Kurs an das Gold zu binden.

Vergleichen wir dies mit dem Verlauf von seit 2007 in der EU-Peripherie. Das letzten Jahr vor der Finanz- und Euro-Krise soll uns Ausgangsbasis bis zur Gegenwart sein. Die Zahlen stammen von EUROSTAT (Verknüpfte Volumens-Indizes). Griechenland stürzte von 100 (2007) auf 74 (letzte verfügbare Daten für 2014), Italien auf 91, Spanien und Portugal auf 93,8 bzw. 93,2. Dagegen tauchte die BR Deutschland zwar im Jahr auf 95,4 ab, steht aber 2014 wieder auf 105,4. Bei Österreich lauten die Zahlen 97,7 und 103,9.

Der Euro als Automatisierung für die weitere und verschärfte Peripherisierung der bisherigen Peripherie durch die Währungsunion funktioniert. Der Euro ist ein Erfolg für die Kernländer. Sie kämpfen nicht ausschließlich aus politischen Gründen für seinen Weiterbestand. Die sind überragend wichtig. Aber Deutschland, Österreich, im unauffälligen Schlepptau das Nicht-€-Land Schweden, weniger gut die Niederlande, gewinnen offenbar auch ökonomisch. Aller­dings ist dies schon wieder so ein schlampiger Ausdruck. Es gewinnen nicht Deutschland und Österreich: Es gewinnen jene wichtigen Kapitalfraktionen, die im Export tätig sind.

Die anderen Kapitalfraktionen gehen allerdings auch nicht leer aus. Denn der Euro ist nicht nur ein Automatismus der Peripherisierung. Er ist auch ein Automatismus des Sozialabbaus. Lässt sich das im Euro-Regime verhindern? Die naiven Spätkeynesianer wollen ja bekanntlich mit einer Ausweitung der Verschuldung und einer Aufweichung der entsprechenden Maastricht-Kriterien einen Neustart.

Die politische Auseinandersetzung ab den 1980er Jahren, die neoliberale Wende im Westen, lief ideologisch nicht zuletzt als ein Kampf zwischen Keynesianismus und Monetarismus ab, oder wie sich Michael Mann (2001) ausdrückte: „Keynes pretends to rule within the nation-state, Adam Smith still rules without.“ Mit dieser passenden Wendung stellt sich die Frage: Kann es einen transnationalen oder supranationalen Keynesianismus überhaupt geben? Welche strategische Bedeutung diese Frage hat, ergibt sich schon aus einer spezifischen heutigen Situation: Die Oppositionellen des Systemimmanenten ziehen mit Keynesianismus als Alternative durch die Lande, ob im deutschsprachigen Raum oder auch in Südeuropa.

Eine keynesianische Wirtschaftspolitik ist in einem supranationalen Staat und auch in übergroßen Nationalstaaten jedenfalls auf Marktbasis unmöglich. Jede Investition würde es dorthin ziehen, wo ohnehin die Gewinne blühen. Der Keynesianismus ist vielleicht noch eine sozialpolitische Beruhigungs-Pille und ein Propaganda-Floskel. Er hat als politisches Programm einer systemimmanenten Wirtschaftspolitik in einer globalen Welt ausgedient.

Dazu kommt noch als mindestens ebenso wichtiger Punkt: Keynesianismus i. S. dessen, was (angeblich) „linke“ Sozialdemokraten und Grüne möchten, die Aufblähung der Staatsschuld, heißt den Teufel mit Belzebub austreiben. Denn er befördert durch die massive Vergrößerung der Kreditwirtschaft die Finanzialisierung. Auch die hat mehrere Ebenen. Die auf dem ersten Blick eher harmlos erscheinende Ebene der Inhaber von Staatsschuldscheinen ist mittel- und langfristig einer der Wege in die Katastrophe.

Den wichtigsten Punkt können woir hier aber nur kürzest andeuten. Wir werden ihn ein anderes Mal ausführen. Hier stehen sich zwei Prinzipien der Politik gegenüber. Nationale Politik bedeutete den umfassenden Vorsorgestaat. Mit ihm wollte man die Unter- und Mittelschichten integrieren, und das ist auch gelungen.

Dem steht die globale Politik des Kapitals als eigenständig Handelnden gegenüber. Aber das wäre ein Widerspruch in sich. Das Kapital kann nicht sein eigener handlungsfähiger Gesamt­kapitalist sein. Dazu sind die inneren Widersprüche zwischen den „feindlichen Brüdern“ zu groß. Es muss sich also seinen eigenen rudimentären Staat aufbauen. Das ist der Supra-nationale Staat, das regionale Imperium EU.

Albert F. Reiterer, 6. April 2016

Mann, Michael (2001), Globalizatio Is (Among Other Things) Transnational, International and American. In: Science and Society 65, 464 – 469.

März, Eduard (1990), , Die große Depression in Österreich, 1930 – 1933. In: Wirtschaft und Gesellschaft 16, 409 – 438-

DER NATIONALSTAAT UND DIE BERLINER REPUBLIK DES GERHARD SCHRÖDER UND FRANZ JOSEF FISCHER. Der Nationalismus und das Imperium

Der chauvinistische Nationalismus der Weltkriege wurde dem Nationalismus zugeordnet, schreiben W. Langthaler / S. Hinsch in ihrem Buch (2016, 42) über den Euro. Zu Unrecht? Nein. Denn der Nationalstaat war und ist, wie Staat immer und auch das EU-Imperium heute, das Instrument der herrschenden Klassen, der dominierenden und hegemonialen Eliten. Damals aber waren die Eliten chauvinistisch. Sie orientierten sich teils, vor allem in der Politik, auf eine angeblich heroische Vergangenheit, Und gleichzeitig spielten sie die gesamtkapitalistischen Geschäftsführer ihrer national verankerten herrschenden Kaste.

Eine einfache „Rückkehr“ zum Nationalstaat ist nicht nur unmöglich, sondern kommt nicht in Frage. Übrigens will dies auf der Linken sowieso niemand. Aber was heißt das? Dass wir das Imperium weiterführen sollen? Auf diese simple Auffassung kommen mit Frau Zimmer (Abgeordnete der LINKEN im EP) nicht wenige andere reformistische Sozialdemokraten. Man muss sich die Aussage auf der Zunge zergehen lassen. „Es lohnt sich, für eine EU zu kämpfen, die in der Lage ist, den sehr komplizierten globalen Fragen – ob Flüchtlingskrise, Klimawandel, Energie- und Umweltpolitik, militärische Konflikte – andere Werte zugrunde zu legen …“ (Neues Deutschland, 21. März 2016).

Doch nichts könnte abwegiger sein.

Und trotzdem müssen wir zurück in die Zukunft! Eine linke Strategie muss wieder überschau­bare Räume der Politik schaffen. Nur dort können selbstbestimmte Vorgangsweisen auch unteren und mittleren Schichten der Bevölkerung (wieder??) Zugang zu Möglichkeiten sozialer und politischer Partizipation schaffen. Denn die gehen mit dem Imperium endgültig verloren. Wer dies leugnet, muss eine ziemlich abgehobene Intellektuelle oder ein unreflek­tierter Apparatschik sein. Beide Typen halten sich für die Verkörperung des Weltgeists.

Anknüpfungspunkt aber kann und muss der Nationalstaat sein. Die vergleichsweise Übersichtlichkeit eines Systems mittlerer Reichweite macht ihn zum quasi technisch notwendigen Ausgangspunkt. Aber dazu kommt ein ganz wesentlicher politischer Aspekt.

Um die Jahrtausend-Wende kam es in den Sozialwissenschaften zum viel gepriesenen identity turn. Die Entdeckung der unterschiedlich möglichen sozialen und politischen Identitäten – ethnisch, national; Geschlecht, Klasse – schien endlich einen Ausweg aus den leeren Abstrak­tionen der Altliberalen zu bieten. Aber auch die Arbeiter-Bewegung mit ihrer eindimensiona­len Festlegung auf das Interesse – dem die Arbeiter dann unglücklicher Weise nicht in der Art folgten, welche Intellektuelle von ihnen erwarteten – steckte und steckt in einer Sackgasse. Identität war ein mächtiges und viel versprechendes Vokabel. Das spielte sich aber fast ausschließlich im englischen Sprachraum ab. Denn die europäischen und hier nicht zuletzt die deutschen Intellektuellen bekamen schnell eine heillose Angst vor diesem Konzept. Nicht nur erinnerte es sie an die eigene chauvinistische Geschichte. Waren es doch die bürgerlichen Intellektuellen gewesen, welche in besonders wüster, ja furchtbarer Weise die überzogenen aggressiven Thesen vertreten hatten. Heute aber glauben sie erst recht eine gute Rechtfertigung zu haben: Die neuen plebeischen Bewegungen der europäischen Rechten setzten, so schien es, auf diese Strategie. So ist für die Vertreter des mainstreams das Konzept der Identität tabu.

Der Front National, die AfD bauen ihre Politik schlicht auf den alten rassistischen Gedanken­gängen auf. Dass aber sogar sie aus Angst vor dem Zeitgeist nicht mehr von Rasse sprachen, sondern auf der Suche nach einem neuen, unverdächtigen Konzept die Identität entdeckten, übersahen die naiven Linksliberalen. Dabei müssen sie nur die US-amerikanischen und noch mehr die britischen Zeitschriften lesen, sogar die (natur-) wissenschaftlichen: Wenn dort ein politisch korrekter Autor ohne viel Hirn „rassisch“ sagen will, es sich aber doch nicht traut, dann sagt er neuerdings „ethnisch“. Das findet man selbst in grotesken Zusammensetzungen: „ … the ethnicity of this skull “. Die linksliberalen Intellektuellen unterschätzen ihren eigenen Einfluss. Ihre Sprachregelung der politischen Korrektheit hat sich flächendeckend durchgesetzt.

Doch Identität ist ein potenzielles Mobilisierungs-Vehikel gerade der unteren Schichten. Was ist Klassenbewusstsein Anderes als eine soziale Identität? Was ist die ethnische Identität der Minderheiten Anderes als ihr mächtigstes Instrument, sich gegen Dominanz seitens der herrschenden Eliten und ihrer Unterstützer aus den Mittelklassen zu wehren? Und darüber hinaus ist nationale Identität die unerlässliche Grundlage jenes (Um- und Rück-) Verteilungs­systems, des europäischen Sozialstaats, das wir vor Jahrzehnten als Integrationsmittel der Herrschenden bekämpften, und das wir heute verteidigen müssen, weil die Eliten selbst diese bescheidene Ausgleichs-Politik nicht mehr zu brauchen glauben? Der Sozialstaat war die eigentliche Existenz- und Ausdrucksweise des Nationalstaats in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Und mit dem Nationalstaat soll vor allem der Sozialstaat auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt werden, wenn es nach den Brüsseler und Berliner Eliten geht.

Freilich war der Nationalstaat der 1970er oder 1980er kein Mittel der Revolution und kein Staat der Unterschichten. Es ist der Zynismus des Herrn Varoufakis, welcher in diesem Punkt analytisch durchaus stimmig ist, wenn er sagt: „Mit der Drachme hatten wir auch keinen Sozialismus.“ Es geht also keineswegs darum, diesen alten Nationalstaat wieder aufzurichten. Die Linke hat den Sozialstaat seinerzeit, wie auch den Nationalstaat, mit ebensolchem Recht bekämpft, wie sie ihn heute verteidigt.

Dass (Links-) Liberale die Globalisierung zu einer Ideologie des Globalismus machen ist wenig verwunderlich. Sie und die Eliten leben politisch von dieser Art von Universalismus der Gewinner im neuen Klassenkampf. Dass aber Linke den Globalismus der Oberschichten mit dem Internationalismus verwechseln, den die Subalternen tatsächlich bräuchten, aber in völlig anderer Form, das ist schon wieder grotesk. Es ist eine Vertauschung von Schwarz und Weiß. Die Ideologie der Unterdrückung wird für die Strategie der Befreiung ausgegeben.

Es geht darum, das Imperium abzuwickeln, und dazu brauchen wir den Anknüpfungspunkt Nationalstaat. Erst von ihm aus können wir ein neues und hoffentlich weniger brutales und weniger machtorientiertes Konzept des Internationalismus entwickeln. Wenn Marx und Lenin irgendwo recht hatten, dann war es die Einsicht: Die Linke kann nicht den bestehenden Staat einfach nehmen und aus ihm ein Mittel ihrer Politik machen. Den Staat der Eliten müssen wir zerschlagen – dieser Staat ist im Europa von heute aber das EU-Imperium.

Das EU-Imperium kann nicht der Ausgangspunkt einer emanzipativen Politik werden, so sehr es sich manche auch wünschen. Darüber sind wir uns auf der Linken eigentlich einig. Ich möchte sagen: Gerade dieser Punkt ist die entscheidende Linie, die in Europa die konsequente Linke von den Reformisten in der sozialdemokratischen Tradition trennt.

Aber da sind wir bereits wieder mitten im unfruchtbaren Diskurs des Salon-Sozialismus. Wir brauchen diesen Punkt gegenüber einem erheblichen Teil der Bevölkerung nicht des Langen und des Breiten zu argumentieren. Die geht von vorneherein davon aus. Diejenigen, die nachhinken, diejenigen, die vielfach eine Nachtrab-Politik führen, das sind zum Großteil die Sprecher von Parteien, die sich als links bezeichnen. Das allerdings scheint sich gegenwärtig doch zu ändern. Immer größere politische Segmente sehen ein, dass dies eine Sackgasse ist. Aber diese Einsicht wächst verzweifelt langsam, und hinkt immer den Ereignissen hinterher.

Gerade in der BR Deutschland hinkt die Stimmung nach, und nicht nur bei den Reformisten. Das hängt teils damit zusammen, dass dieses Land am ehesten noch Profiteur des Imperiums ist, bis weit in die Mittelschichten hinein.

Es hängt aber auch mit der politischen Organisation der Opposition zusammen. Nach den bleiernen Jahren von Helmut Kohl richteten viele ihre Hoffnung auf die SPD und die Grünen. Und es kam tatsächlich ein Bruch. Das, was die Konservativen unter Kohl nicht gewagt hatten, das machten nun Schröder, Fischer und Konsorten. Die Berliner Republik ist recht eigentlich das Ergebnis dieser Politik. Es war die Berliner Republik des Gerhard Schröder und des Franz-Josef Fischer. Mit Hartz IV entwarfen sie den brutalsten Anschlag auf den deutschen Sozialstaat. Das war nur als ersten Schritt geplant. Merkel wagte nicht mehr, dem dann neue Schritte derselben Qualität folgen zu lassen. Es waren auch die SPD und die Grünen, welche in einer neo-bismarckianischen Politik den ersten deutschen Angriffskrieg nach dem Nazi-Reich führten. Sie haben noch den unüberbietbaren Zynismus, ihre Gegner vor Gericht stellen zu lassen. Damen und Herren in Richter-Roben erledigen nun die schmutzigen Geschäfte der Aggressoren. Nicht dass wir um Miloševiċ und Karadziċ weinen. Wer aber verurteilt Clinton, Schröder und Fischer? Die reisen unbehelligt herum, um hoch bezahlte Vorträge vor ihren eigentlichen Auftragsgebern zu halten.

Es war also nicht „der Nationalstaat“, welcher wieder den Krieg als Mittel der Politik in Europa rehabilitierte. Es war die Berliner Republik als Kern des neuen Imperiums, welche diese Politik wieder salonfähig machte. Haben das die Damen und Herren von der reformistischen Linken, vom systemaffinen Flügel z. B. der LINKEN, alle vergessen?

In der EU-affinen Integrations-Theorie, man müsste eher sagen: Integrations-Ideologie (z. Scharpf oder Zürn), ist seit mehreren Jahrzehnten die Behauptung ein Stehsatz: Es gebe eine Inkongruenz zwischen den Möglichkeiten des Nationalstaats und den Regulierungs-Notwen­digkeiten einer globalisierten Gesellschaft. Halten wir erst einmal fest, dass diese Regulie­rungs-Notwendigkeiten erst hauptsächlich durch die De-Regulierungspolitik des Imperiums geschaffen wurden. Allein hier liegt schon ein gerüttelt Maß an Heuchelei. Dann aber ist weiter festzuhalten: Es gibt tatsächlich eine ganze Anzahl von Inkongruenzen zwischen der politischen Organisation des neoliberalen Systems. Eine dieser Inkongruenzen wird gerade gegenwärtig sichtbar: Es ist die Inkongruenz zwischen dem auf das Weltsystem ausgerichte­ten Politik der politischen und bürokratischen Eliten und den Lebenswelten der großen Mehrheit der Bevölkerung. Die sind nämlich noch immer in hohem Maß lokal, regional und national verankert. Die inter- und übernationale Komponente kommt vorrangig bei den oberen Mittelschichten (und natürlich den dünnen Oberschichten) zum Tragen, aber sie bestimmt die ganze Ausrichtung der Politik. Die politischen Eliten nehmen diese Inkongruenz nur zur Kenntnis, wenn sie eine Folge hat, welche die Bevölkerung ganz aktuell nicht mehr tragen will. Das ist gegenwärtig in der Migrations-Krise der Fall.

Der neue Nationalstaat, den wir erst wieder entwerfen müssen, ist der Ausgangspunkt einer neuen Politik für die Subalternen. Es wäre entscheidend, dass ihn die Linke nicht verschläft. Das wird, unter Anderem, darüber entscheiden, ob es in Hinkunft überhaupt noch oder vielmehr: wieder, eine Linke geben wird und nicht nur Grüppchen mit linkem Hintergrund, die sich an einer oder zwei Händen abzählen lassen. Das gilt für Europa überhaupt. Wie sehr es aber auch für Deutschland gilt, haben wir nicht erst an den letzten Landtags-Wahlen gesehen. Dort haben die AfD und ähnliche Kräfte den Protest gegen dieses System abgeräumt – und jetzt versucht Frau Petry, ein „soziales Programm“ nachzuschieben. Dass ihr thüringischer Spitzen-Kandidat, ein Kleinunternehmer, mit dem Rest des Sozialstaats aufräumen möchte, stört sie dabei wenig.

Die LINKE aber hat nicht nur in Sachsen-Anhalt schwer verloren. Sie hat schon vorher und noch viel massiver in Berlin und in Brandenburg die Früchte ihrer verfehlten Politik, der Koalition mit dem Neoliberalismus der SPD, geerntet. Dort wurden ihre Stimmenanteile hal­biert. Und weil das so erfolgreich war, strebt sie dieselbe Konstellation auch auf Bundesebene an, am besten sogar mit den konservativen Grünen, welche die eigene Klientel besonders ablehnt. Man fragt sich: Wollen diese Leute das Geschäft ihrer Gegner nun selbst besorgen? Über Jahrzehnte hat es die geballte Staatsmacht des bundesrepublikanischen Konservativis­mus nicht geschafft, die LINKE zu zerdrücken. Nun gehen die Führungskräfte der Partei selbst tatkräftig an diese Aufgabe …

Doch das ist die Angelegenheit der Deutschen. Wir hier sehen mit Bedauern, wie damit eine Debatte verunmöglicht wird, die für die ganze europäische Linke von Bedeutung wäre

Albert F. Reiterer ,29. März 2016

Einen Blick auf die Entwicklung des Imperiums:

Stefan Hinsch / Wilhelm Langhtaler (2016), Europa zerbricht am Euro. Unter deutscher Vorherrschaft in die Krise. Wien: Promedia.

DER EURO UND DIE EUROPÄISCHE PERIPHERIE. Die konservative Euro-Kritik und die Linke.

Die europäischen Eliten beschlossen Anfang der 1990er auf dem Rat in Madrid und Dublin die Konstruktion des Euro und fixierten diesen Beschluss im Vertrag von Maastricht. Dabei konten wir ein seltsames Phänomen beobachten: Die Bevölkerung in jenen Staaten, welche sich die Einheitswährung leisten konnten und dann von ihr weniger beschädigt wurden oder teils sogar Nutzen daraus zogen, war gar nicht begeistert. Die Deutschen hätten den Euro mehrheitlich abgelehnt, hätten sie nur die politische Möglichkeit dazu gehabt.

Dagegen waren die Italiener, die Spanier, bald auch die Griechen mehrheitlich enthusiasmiert. Sie drängten in die Union, die sie bald irreparabel beschädigen und radikal zur Peripherie abstufen sollte. Wie passt das zusammen?

Währungen, „Geld“, stellen komplexe Erscheinungen dar. Sie haben eine technisch-ökonomische Seite. Aber im Blickpunkt steht häufig mehr die symbolisch-politische. Für die Deutschen war die DM das Zeichen ihres Nachkriegserfolgs. Nach dem NS-Wahn mussten sie sich machtpolitisch bescheiden. Die Bevölkerung dürfte damit ganz zufrieden gewesen sein, und die politische Klasse wurde von außen dazu gezwungen. Umso größer war der Stolz auf das „Wirtschaftswunder“. Die DM und ihre Aufwertungen zeigte: Man war wieder wer.

Im Süden dagegen lag die Chose umgekehrt. Die italienische Bevölkerung erlebte ein ständiges Staatsversagen. Am Wertverfall der Lira, z. B. gegenüber der DM, glaubte sie das ablesen zu können. Übersehen hat sie freilich, dass nach den üblichen Kennzahlen (BIP und BIP p.c.) die italienische Entwicklung seit 1950 besser war als die deutsche. Aber die Lira sank und sank. Und das politische System brach 1990 zusammen, von der DC über den PSI bis zur KPI. In Spanien ging es mit der Peseta nicht viel anders. Sagen wir es in aller Deut­lichkeit: Für die Südländer und gut ein Jahrzehnt später für die Oststaaten war der Euro die Verkörperung des Zentrums, der dominanten und hegemonialen Stellung. An dieser zentralen Position wollten sie teilhaben; und die Bevölkerung ging dabei mit.

Im Jahr 1960 bekam man für 7 Drachmen eine DM, 1983 musste man schon 56 Drachmen zahlen, und 1998, also vor dem Start der Währungsunion, 168 Drachmen. Für die Peseta waren die entsprechenden Werte 14, 57 und 85; für die Lira 149, 595 und 988. Mit einer solchen längerfristigen Kurs-Entwicklung in eine Währungsunion zu gehen, ist eine solche Leichtfertigkeit, dass einem die Luft weg bleibt – Leichtfertigkeit der politischen Eliten in Griechenland, Spanien und Italien; aber auch Leichtfertigkeit in Berlin und Brüssel.

Die Kursentwicklung sagt nichts über den Sinn der nationalen Politik. Eine inflationäre Wirt­schaftspolitik hat z. B. für Italien hohe Wachstumsraten gebracht und war einer deflationären, nur auf Preisstabilität ausgerichteten, wie in der BRD, auf jeden Fall vorzuziehen. Die Graphik zeigt aber, für Italien im richtig lesbaren Maßstab, für Spanien leider schlechter erkennbar, aber inhaltlich ununterscheidbar: Nach einer solchen Entwicklung in eine Währungsunion mit der Bundesrepublik zu gehen, war völlig unverantwortlich!

Geld ist schließlich der Steuerungs-Mechanismus von Marktwirtschaften. Eine Währung, ein Geldsystem bestimmter Nomination ist aber immer bezogen auf ein realwirtschaftliches Sys­tem. Seine Grenzen werden von den Grenzen des Gelds teils nachvollzogen, teils vom Geld selbst konstituiert- Hat also ein nationales Wirtschaftssystem im Vergleich zu einem anderen eine niedrigere Produktivität, eine andere Struktur und führt eine andere Politik, so braucht es eine Währung für sich. Was passiert, wenn Deutschland mit seiner hohen industriellen Pro­duktivität und seiner Außenorientierung mit Spanien und dessen Tourismus-Abhängigkeit sowie der auf niedrige Löhne setzenden Landwirtschaft in ein Währungs-System geht, geschehen am 1. Jänner 1999? Lassen wir für einen Augenblick die Finanz-Spekulation beiseite. Die stärker international orientierte Wirtschaft mit der höheren Produktivität wird dominieren. Die schon vorher angelegte Zentrum-Peripherie-Struktur wird verschärft. Der Euro wurde zum Hauptvehikel des neuen deutschen Imperialismus, der Berliner Republik.

Im 19. Jahrhundert schon hat Friedrich List darauf verwiesen: Die Smith’sche Freihandels-Idee ist eine politische Ökonomie des Starken, damals Großbritanniens. Aber wozu ins 19. Jahrhundert gehen? Die Deutschen haben seit 1990/91 die Wirkung eines solchen Währungs­union am eigenen Leib erfahren: Die Wirtschaft der DDR wurde nach ihrem Anschluss voll­kommen zerstört. Der Osten wurde abhängig, die Bevölkerung wanderte in den Westen und nach Österreich aus, und die Bevölkerung im Westen beglich die Kosten, durch Transfers und durch niedrigere Löhne.

Hier ist eine Bemerkung zur Produktivität nötig. Die wird meist aufgefasst wie eine einzel­wirtschaftliche Größe. Der Weg zu den faulen Griechen und Spaniern ist dann nicht mehr weit. Aber eine gesamtwirtschaftliche Produktivität ist von der Wirtschaftsstruktur abhängig. Produktivitäts-Steigerung erfolgt hauptsächlich durch Umstrukturierung in Branchen höherer Wertschöpfung. Die einzelwirtschaftliche Entwicklung macht den kleinsten Teil aus. In der direkten Konkurrenz geht der Teil mit der niedrigen Produktivität im einzelwirtschaftlichen Bereich unter. Das heißt nüchtern: Mit der Produktivität steigtd ie Arbeitslosigkeit. Umstruk­turierung aber braucht Zeit und politische Unterstützung. Gerade diese soll in der EU verhindert werden, denn das ist „nicht marktgerecht“.

Damit sind wir bei einem entscheidenden Punkt. Die konservative Euro-Kritik argumentiert von der Idee der Optimalen Währungsraums her (OCA-These). Eine Währung soll nur ein Gebiet etwa gleicher Produktivität, somit auch ähnlicher Inflations-Entwicklung, ähnlicher Zinssätze und ähnlicher Struktur umfassen. Das ist keineswegs falsch. Aber den Kern der Angelegenheit bildet es nicht mehr. Das ist nach dem Crash-Kurs der Schäuble’schen EU seit 2008 augenfällig. Es geht heute hauptsächlich darum, dass mit einer Einheitls-Währung jede eigenständige (Wirtschafts-) Politik unmöglich wird und werden soll. Eine Alternative zum neoliberalen Brüsseler-Berliner Kurs muss ausgeschlossen werden. Darauf waren bereits die berüchtigten Maastricht-Kriterien angelegt. Die Staats-Schulden haben mit einer Währung nicht mehr zu tun als jede beliebige andere Kennzahl auch. Aber sie sollen ein Gegensteuern gegen den dogmatischen Kurs aus dem Zentrum verhindern. Nur beiläufig: Das kann mit rein fiskalischen Maßnahmen auf Dauer sowieso nicht funktionieren. Die Entwicklung von 2000 bis 2008 hat dies deutlich genug gezeigt. Die pseudokeynesianische Konzentration auf die Schuldenpolitik lenkt davon nur ab.

Trotzdem haben wir hier einen fundamentalen Unterschied zwischen der konservativen Euro-Kritik und der linken. Man muss ja nicht gleich Bruno Bandulet, ehemals leitender Redakteur der „Welt“ und Strauss-Mitarbeiter, heranziehen. Der will zurück zum Goldstandard und sieht das Kaiserreich als seine Traum-Periode. Wir hingegen kritisieren das Eurosystem u. a. des­wegen, weil es eine neue, neoliberale Form des Goldstandards ist. Das gilt auch gegen die „Gemäßigten“ wie H.-W. Sinn und den politisch fast verblichenen Gründer der AfD, den Prof. Lucke. Doch wir werden nicht so hirnlos sein, wie eine Kollegin mit einem klingenden Namen in der SPÖ: Weil solche Konservative gegen den Euro sind, müssen wir dafür sein. Wir lassen uns unsere Ziele nicht von unseren Gegnern vorschreiben, auch nicht negativ!

Diese ausschließlich ökonomische Argumentation darf unseren Blick auf die politische Entwicklung nicht verstellen. Griechenland hat uns vorgeführt, wohin die quasi system­immanente Euro-Kritik führt ̶ in die Katastrophe. Infolge des Wahl-Kalenders ist nun Spanien an der Reihe. Podemos scheint kaum was gelernt zu haben aus der SYRIZA-Pleite. Die Frage, die sich uns stellt, geht weit über den Anlass hinaus: In welchem Ausmaß dürfen und können wir uns durch solche nur auf Wahlen abgestellten Prozesse einschränken lassen? In Podemos finden wir Strömungen und Gruppen, die weit über die kastrierten Partizipations-Möglichkeiten der Wahlen hinausgehen. Vielleicht ist das ein Anlass, unsere interne Strategie-Debatte neu aufzunehmen. Denn das Verhältnis von allgemeinen Wahlen und zivilgesell­schaftlich-politischen Prozessen ist ein Kernpunkt einer linken Strategie.

Feber 2016 für Solidar-Werkstatt: werkstatt blatt 1 / 2016.

(Hier wurde eine Graphik nicht aufgenommen, dafür ein entsprechender kurzer Textabsatz eingefügt)

 

Es macht Sinn, eine extrem reaktionäre Euro-Kritik zu lesen. Sie sollte allen jenen klarmachen, wodurch wir von der Linken uns von dieser Strömung unterscheiden:

Bandulet, Bruno (2010), Die letzten Jahre des Euro. Ein Bericht über das Geld, das die Deutschen nicht wollten. Rottenburg: Kopp.

EPA: Ein Handelssystem, wie Krieg gegen die Armen

mabanza

Vortrag von Boniface Mabanza, Mi, 8. 6. 2016 um 19:00, Ort: Gudrunstraße 133, 1100 Wien

Das EPA (Economic Partnership Agreement) ist ein, seit 2003 von der EU gefordertes Freihandelsabkommen mit den AKP-Staaten (Afrika-, Karibik*-, Pazifikstaaten), darunter 48 Staaten Afrikas südlich der Anrainerstaaten des Mittelmeeres.

*Kuba ausgenommen

 

Dr. Boniface Mabanza studierte Philosophie, Literaturwissenschaften und Theologie in Kinshasa und promovierte 2007 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Er ist Koordinator der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) in Heidelberg. Für seinen konsequenten Einsatz für afrikanische Perspektiven in Europa erhält Boniface Mabanza im Juni 2015 den „Dorothee Sölle-Preis für aufrechten Gang“, den das Ökumenische Netzwerk „Initiative Kirche von unten“ vergibt.

 

Warum leistet ein Großteil der afrikanischen Bevölkerung und auch dessen Regierungen seit nunmehr schon 13 Jahren Widerstand gegen dieses Abkommen?

Mit welchen Mitteln und warum zwingen die EU-Handelsstrategen die betroffenen Staaten zur Aufgabe?

Was haben TTIP und EPAs für Gemeinsamkeiten und was hat TTIP für eine Auswirkung auf Afrika?

Welche Folgen hat dies für die Ökonomie und die Bevölkerung Afrikas?

Werden dadurch soziale Konflikte vorgezeichnet und Fluchtursachen verstärkt?

Was können wir gegen dieses Weltmachtstreben der EU-Eliten tun?

Sind gerechte Wirtschaftsbeziehungen mit afrikanischen Ländern im Rahmen der EU möglich?

Wie könnten wirtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil aussehen?

 

Um Antworten zu finden und weitere kritische Auseinandersetzungen darüber zu führen haben wir Dr. Boniface Mabanza, der sich kritisch über die Auswirkungen der EU-Freihandelsverträge auf Afrika auseinandersetzt, eingeladen.

 

 

Zitate von Dr. Mabanza:

„Die EU-Kommission verfügt über einen Riesenapparat um in verschiedenen Regionen gleichzeitig zu verhandeln und hat die Kapazitäten zur Durchschlagskraft. Diese Stärken haben wir nicht. Die EU wollte uns Verhandlungsexperten zur Verfügung stellen. Diese von der EU bezahlten Experten wollten wir nicht. Das würde bedeuten, daß die EU mit sich selbst verhandelt. Der aktuelle Präsident, damals (2009) Handelsminister von Namibia machte darauf aufmerksam, daß die AKP-Unterhändler von den EU-Verhandlern respektlos behandelt wurden. Wir wollen keine Praktiken die uns in die Kolonialzeit zurückführen.“

 

„Von Fluchtursachen zu sprechen und ein Handelssystem zu ignorieren, das sich wie Krieg gegen die Armen auswirkt und wie jeder Krieg, Flüchtlinge produziert, kann nur mit einer gestörten Selbst- und Fremdwahrnehmung erklärt werden. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen von heute sind ein Teppich für die Flüchtlinge von morgen.“

 

Subtext

Ein emanzipatives Programm für das 21. Jahrhundert – Fairhandel statt Freihandel!

Der Neoliberalismus hat die Herrschaft über die Köpfe verloren. Er wird von einer Mehrheit der Menschen in Frage gestellt. Viele lehnen ihn offen ab und fragen nach einer Alternative zur Herrschaft der Eliten. Allein, praktisch erscheint er unerschütterlich und beherrscht nicht nur die wirtschaftliche und politische Sphäre, durchdringt alle Lebensbereiche. Für ein emanzipatives Programm wird es notwendig sein, das verklärende legitimatorische Bild von der Globalisierung in Frage zu stellen. Wir müssen der Frage nachgehen, welche Art von internationalen – auch wirtschaftlichen – Beziehungen wir aufbauen wollen. Insbesondere auch mit den Ländern des Südens. Die Vortragsreise mit Dr. Boniface Mabanza sehen wir in diesem Zusammenhang.

 

www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=1405&Itemid=1

http://woek.de/web/cms/front_content.php?idcat=47

Plan A, B, C und die Verteidigung der Mindestsicherung

von Boris Lechthaler

 

Das (euro-) linke komödiantische Treiben nimmt kein Ende

 

Als im Sommer 2015 die eurolinken Phantasmagorien über eine sozialere und demokratischere EU, oder auch nur ein Ende der Austerität, nach dem griechischen Referendum zusammenkrachten, konnten wir hoffen, dass das linke komödiantische Treiben rund um das goldene Kalb EU ein Ende nimmt. Immerhin wurde in einem Aufruf von „Europa neu begründen“, einem milieutypischen Dokument, bereits nach dem Wahlsieg Syrizas im Jänner 2015 artikuliert, wenn eine Neuorientierung der EU nur nach einem Ausscheiden aus der Währungsunion möglich sei, „werden die europäischen Institutionen für unvereinbar mit demokratischen Entscheidungen in den Mitgliedsländern erklärt.“1)

 

Varoufakis in Berlin

 

Doch dann kam der 9.2.2016. Der gescheiterte griechische Finanzminister Gianis Varoufakis verkündet in Berlin mit Mitstreitern aus 12 Ländern das „Democracy in Europe Movement 25“ (DiEM25). Es ist müßig, darüber zu spekulieren, woher das Gold stammt, das da nunmehr in ein neues Kalb gegossen wurde. Jede Menge klingende Namen, Toni Negri, James Galbraith, Srecko Horvat, sind da versammelt; aus Österreich ProponentInnen der „Europa anders“ Kandidatur, die 2014 mit einem Volksbegehren zum Angriff auf die letzten Reste genossenschaftlichen und kommunalen Bankwesens zugunsten der europäischen Finanzindustrie bliesen. Das Manifest selbst wurde, wie es sich für ein EU-Dokument gehört, in Hinterzimmern gekleistert, und so moniert der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold, dass nicht klar sei, wer eigentlich „die vielen Änderungen in den verschiedenen Versionen des Manifests verlangt und wer entschieden hat…“2) Von Austerität, Massenarbeitslosigkeit und Eurokrise ist keine Rede mehr. Stattdessen fordert man live-streams von den EU-Ratssitzungen und vor allem eine verfassungsgebende Versammlung. Martin Höpner, Sozialwissenschafter am Max-Planck-Institut, erklärt in einem hellsichtigen Blogeintrag den Zusammenhang von Demokratie und Euroregime: „Vor diesem Hintergrund ist es nur höchst konsequent, Verfahren zu errichten, die zum Ziel haben, das Fehlen transnationaler Lohnkoordination zu kompensieren, ja die Tarifautonomie der Sozialpartner in letzter Konsequenz zu brechen. Das ist der Preis des Euro….. Wenn der Euro denn verteidigt werden soll, seine Bestandsvoraussetzungen aber eklatant verletzt werden, solange die Euro-Teilnehmer Demokratien sind – dann ist es nur höchst konsequent, die Freiheitsgrade der Demokratien durch technokratische Interventionen immer weiter einzuschränken, bis hin zur faktischen Vollsuspendierung demokratischer Verhältnisse in den Krisenländern.“ 3)

 

Bereits bei den Auseinandersetzungen um den EU-Reformvertrag und den EU-Fiskalpakt gab es von eurolinker Seite den Versuch, die nationalen Demokratien auszuhebeln, indem man eine europaweite Volksabstimmung forderte. Im österreichischen Fall ist es jedoch geradezu eine hintervotzige Art von NS-Wiederbetätigung, wenn man fordert 80 Millionen Deutsche mögen über die immerwährende Neutralität abstimmen, und so beließ man diese Phantasien in rechtlichen Grauzonen. Es ging mehr um die Hoffnung auf ein eurochauvinistisches Erweckungserlebnis, dessen Sog skeptische Kräfte in einzelnen Ländern hinwegspülen würde, wenn eine derartige Volksabstimmung in allen Ländern am gleichen Tag durchgeführt werde. Doch diese Hoffnung wurde bereits 1999 enttäuscht. Damals sprach der deutsche Kanzler Schröder anläßlich des Beginns der Bombardierung Jugoslawiens von einem „europäische(n) Gründungsakt, der wie so oft „nicht im Jubel, sondern im Schmerz“ geschehe.

 

DiEM25 geht da einen Schritt weiter. Von Volksabstimmungen, ob national oder EU-weit, ist überhaupt keine Rede mehr. Die verfassungsgebende Versammlung selbst „wird die Befugnis haben, über eine künftige demokratische Verfassung zu entscheiden, die innerhalb eine Jahrzehnts die bestehenden europäischen Verträge ersetzen wird.“4) Man/frau traut seinen Augen nicht. In einem von Strippenziehern im Hintergrund erstellten Manifest wird ein europaweiter Verfassungsputsch gefordert und als demokratische Erneuerung verkauft. Was, wenn sich da im Ergebnis dann doch einzelne europäische Nationen verweigern? Wie geht man dann gegen diese vor? Genügt dann noch eine Troika mit ihren Memoranden oder benötigt man dann doch schon härtere Mittel? Wir müssten alarmiert sein, wäre das gesamte Manifest und seine ProtagonistInnen nicht so lächerlich. Martin Höpner bringt es auf den Punkt, wenn er in einem facebook-Eintrag schreibt: „Was von DiEM25 bleiben wird … sind Forderungen nach Livestreams von Sitzungen des Rats und ähnlicher Unfug.“

 

DiEM25 eigentlicher Zweck: ein Begräbnis für Plan B

 

Der eigentliche Zweck der Krawallveranstaltung in Berlin war, einer ernsthaften Initiative, die sich im Herbst 2015 rund um Oskar Lafontaine, Luc Melenchon, Stefano Fassina, u. a. herausgebildet hat, der so genannten „Plan B Initiative“ den Boden unter den Füssen zu entziehen. „Neben den südlichen Krisenländern durchlaufen auch Italien und Frankreich einen rasanten Prozess der Deindustrialisierung. …Wir müssen uns der Einsicht stellen, dass eine progressive Rettung des Euros keine Chance auf Verwirklichung hat…Aus diesem Grund müssen wir den Euro selbst zur Disposition stellen… Der Übergang in ein anpassungsfähiges Wechselkurssystem würde die Wechselkurse von den erratischen Ausschlägen der Finanzmärkte schützen, seinen Teilnehmern aber gleichzeitig die Möglichkeit von Auf- und Abwertungen eröffnen und eine auf die jeweiligen Problemlagen passende Geldpolitik erlauben.“5), heißt es im Aufruf vom Herbst 2015. Martin Höpner sieht vier Gründe, die für ein erneuertes Europäisches Währungssystem sprechen, wobei der Titel seines Beitrags gewisse Selbstzweifel offen anspricht.6) Zum Ersten das EWS existiert bereits, findet aber zur Zeit nur im Verhältnis von Euro und dänischer Krone Anwendung. Zum Zweiten, die Wirkungen der Wechselkursanpassungen lassen sich, entgegen neoliberaler Märchenerzählungen überprüfen. Zum Dritten, setzt sich damit die Plan B – Initiative deutlich von neoliberaler Eurokritik ab, die einzig im freien Spiel der Marktkräfte auf den Finanzmärkten, das Heil sucht. Zum Vierten wäre es kein Zurück in die „nationale Wagenburg“. Bei Drittens und Viertens geht es um entscheidende ideologische Fragen, die einer eingehenden Untersuchung bedürfen. Skepsis ist auch bezüglich Erstens und Zweitens angebracht. So kommt Klaus Dräger, auch in Reflexion der Erfahrungen der ersten Regierung Mitterand im Frankreich der frühen 80er Jahre zum Resumee: „Insofern: ein erneuertes EWS propagieren – ja. Aber reale und absehbare weitere Krisenentwicklungen könnten auch dazu führen, dass vor allem von Linksbündnissen geführte EU-Länder daraus ausscheren müssten. Sofern sie ihr Programm umsetzen wollten, mit dem sie demokratische Wahlen gewannen.“7) Aber das weiß auch Martin Höpner, wenn er zum Schluss kommt: „Andererseits waren, sind und bleiben die europäischen Produktions- und Verteilungsregime samt ihrer Inflationsdynamiken zu heterogen, als dass diese Stabilisierung friktionslos und vor allem dauerhaft gelingen könnte.“8) Der Nutzen der Plan B-Initiative ist m E. ein politischer. Ein erneuertes EWS ist ein geeignetes Verhandlungsinstrument in den Händen entschlossener emanzipativer Kräfte. Die Betonung liegt hier auf dem Adjektiv „entschlossen“. Es bedeutet nichts weniger als die Bereitschaft, mit dem Euroregime zu brechen, auch wenn der Verhandlungsgegner nicht bereit ist, auf die Ausgestaltung eines EWS einzusteigen. Das berührt auch die Frage eines Austritts aus der EU. Natürlich ist die Frage berechtigt, wie so etwas durchgeführt werden soll. Weder die Einführung eines EWS noch der EU-Austritt können jedoch im Sinne eines Fahrplans autonom definiert werden. Sie können das Ergebnis härtester Konfrontation und Brüche, sowohl mit den Eliten im Innern als auch mit den äußeren hegemonialen Kräften, wie das Ergebnis eines Verhandlungskonsenses sein.

 

Aus dieser Perspektive hätte Plan B, bzw. ein erneuertes EWS, bedeutend gewichtigere Bedeutung für Frankreich, vor allem aber auch für eine österreichische EU-Austrittsbewegung, als für die südeuropäische Peripherie. Die Erosion französischer Hegemonie korreliert unmittelbar mit der Einbindung Österreichs bei der Entfaltung der deutschen Hegemonie in Europa. Griechenland, Portugal, ja selbst Spanien ist aus der deutschen Perspektive ein Nebenschauplatz. Das benennt die wesentlichste Schwäche der Plan B-Initiative: sie suggeriert, in Anlehnung an die Ideologeme der herrschenden Eliten, der Euro sei der Kern des europäischen Projekts. Die wesentlichste Auswirkung eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone für die Menschen in Griechenland wäre die Wahrnehmung der Tatsache, dass sie keine Deutschen sind. Punkt. Polen mit seinen 38 Mio EinwohnerInnen, Tschechien, Österreich mit seiner historischen Stellung in Mittel-, Ostereuropa ist von wesentlich zentralerer Bedeutung für die deutsche hegemoniale Entfaltung. Der wirkliche Grund für das Festhalten der südlichen Peripherie am Euro ist chauvinistischer Natur. Man will entgegen der wirtschaftlichen Fakten dazugehören zum Klub der Reichen und Schönen. Das ist verständlich schafft aber umgekehrt entwürdigende Abhängigkeiten. Dieser entwürdigenden europäischen Kastengesellschaft kann im Rahmen des Euroregimes nicht begegnet werden. Frederic Heine und Thomas Sablowski haben in einem Beitrag 2015 darauf aufmerksam gemacht.„Demnach ist der Anteil der Eurozone an den deutschen Exportzielen von 42,7% im Jahr 2008 auf nur noch 36,4%im Jahr 2014 gesunken. Die Krisenländer, auf die 2008 noch 12,9% der deutschen Exporte entfielen, haben dabei als Markt am stärksten an Bedeutung verloren und absorbieren nur noch 9,5% aller deutschen Exporte.“9) Umgekehrt ist in Bezug auf Mittel- u. Osteuropa die deutsche Importstatistik bemerkenswert: 2014 kommen 20,4% aller Importe Deutschlands aus den MOEL-Staaten, die jährliche Wachstumsrate beträgt 5%. Für Frankreich betragen die gleichen Zahlen 8,6% und 1%.9) Die Frage, ob sich diese Relationen durch die französische Rätätätä-Politik in Libyen, Syrien oder Nordafrika verändert hat, ist zynisch. „Der Unterschied ist, dass Deutschland die Importe aus den Krisenländern durch Importe aus anderen Ländern ersetzte,.. die peripheren europäischen Länder stärker unter einer neuen Konkurrenz im Segment der Produkte mittlerer technologischer Komplexität litten – namentlich aus China und Osteuropa – und ihre Anteile an diese verloren. Deutschland, in der Hierarchie des Weltmarkts am oberen Ende, konnte hingegen seine komplexen Produkte weiterhin sowohl in der Eurozone als auch global veräußern.“ resümieren Heine und Sablowski. 9) So berühren maues Wirtschaftswachstum und Eurokrise die deutsche Exportmaschine kaum. Die Wiener Zeitung berichtet am 9.2.2016 online: „Deutschlands Exporteure haben 2015 alle Rekorde gebrochen. Waren im Gesamtwert von Eur 1195,8 Mrd gingen ins Ausland… Die Bestmarke aus dem Vorjahr wurde nochmals um 6,4% übertroffen,…Die Handelsbilanz,…, schloss mit einem Rekordsaldo von 247,8 Mrd. Euro.“10) Österreich liegt im Schlepptau, trotz Leitls Gemosere vom abgesandelten Wirtschaftsstandort: „2015 war ein Rekordjahr für die heimische Exportwirtschaft. Der Außenhandelsüberschuss liegt bei 11 Milliarden Euro“ 11) Der Wert der Exporte der österreichischen Wirtschaft beträgt 2015 stolze 184 Mrd Eur. Das Wachstum wurde vor allem in den USA, Mexiko, Polen und Tschechien erzielt, während sie gegenüber Frankreich um 11% zurückgingen.

 

Heine und Sablowski berühren in ihrem Beitrag eine Erkenntnis, deren Eingang in den Fundus angenommener Voraussetzungen im kritischen Diskurs vielfach suspendiert wurde: nämlich, „dass der Weltmarkt keineswegs eine homogene Entität ist, in der alle Unternehmen aller Länder auf gleicher Ebene miteinander konkurrieren. Der Weltmarkt ist auf vielfache Weise fraktioniert.“12) Dass der Weg der inneren Abwertung kein Weg aus der Krise für die südlichen Krisenländer ist, kommt in der Tatsache zum Ausdruck, dass „der Überschuss Deutschlands gegenüber den Krisenländern (…) sich auf nahezu null reduziert. (hat)…(Eine Folge) in erster Linie einer Kontraktion der Importnachfrage (die Frankreich viel härter getroffen hat, Anm. B.L.) 13) So kam es trotz der enormen Lohnsenkungen in Griechenland zu einer Verlagerung von Unternehmen aus Griechenland nach Bulgarien, einem Nichteuroland. Die Autoren kommen zum Schluss: „Es ist keineswegs notwendigerweise im aufgeklärten Eigeninteresse der Herrschenden in Deutschland, die wirtschaftliche Entwicklung und damit die Nachfrage in den Staaten Südeuropas zu fördern. Im Gegenteil profitiert Deutschland zu einem gewissen Grade von der rezessiven Entwicklung der EU. Die Schwäche des Euro verhilft zu einem kleinen Wettbewerbsplus,… da aber Frankreich und die Krisenländer einen viel größeren Anteil ihres Handels mit der Eurozone abwickeln, bleibt Deutschland der Hauptnutznießer des niedrigen Euro-Außenwerts.“ 14)

 

Das Gerede von der nationalen Wagenburg

 

All diese Überlegungen sprechen dennoch nicht dagegen, Plan B, bzw. ein erneuertes EWS als Verhandlungsoption in Stellung zu bringen. Sie sollen dazu anregen, ihn richtig in Stellung zu bringen. Das Argument, Plan B sei „kein Zurück in die nationale Wagenburg“ ist aus dieser Perspektive nicht nur überflüssig, sondern der Steigbügel für Varoufakis Scharlatanerie. Es kommt darauf an, das Gerede von der „nationalen Wagenburg“ als das zu enttarnen, was es ist: Kein Argument, sondern eine Erpressung.

 

Weder die Forderung nach Auflösung der Währungsunion noch die Forderung nach Austritt aus der EU haben irgendetwas mit der Sehnsucht nach einer nationalen Wagenburg zu tun. Die Wagenburg ist nichts anderes als die Drohung der hegemonialen Mächte, wie mit einem unbotmäßigen Staat umgegangen wird. Es ist die Drohung ihn zu isolieren, ihn abzuwürgen, die ihn gefügig machen soll. Ebenso ist das Gerede vom „Rückfall in den Nationalismus“ unsinnig. Man kann nicht zurückfallen in etwas, was gar nie verlassen wurde. Was auf den Bildern aus Athen nach dem Referendum vom 5. Juli 2015 ins Auge stach, waren doch die Unmengen an griechischen Fahnen, mit denen die Menschen ihren kollektiven Willen unterstrichen. Das im linksliberalen Eurodiskurs gepflegte Theorem von der Überwindung des Nationalismus durch die EU-Integration ist der Versuch einer eleganten Umschreibung der Tatsache, dass man die Bindung der eigenen Politik an die Interessen und Haltungen der Mehrheit der Menschen überwunden hat. Das Europagedusel der linksliberalen Schickeria hat nichts zu tun mit einer Überwindung des Nationalismus, sondern ist die Hoffnung chauvinistische Grundhaltungen auf eine europäische Ebene heben zu können. Die aktuelle Flüchtlingskrise hat das unmittelbar sinnlich vor Augen geführt. Der Ruf nach „no border, no nation!“ hat einer Politik die Tür geöffnet, mit der das nationale Asylrecht ausgehebelt wird, um vice versa eine Festung Europa zu errichten. In dieser Frage kann es kein taktisches Wegducken geben. Freilich muss jegliche Form nationalistischen, ethnizistischen Chauvinismus im Geiste eines Internationalismus überwunden werden. Wenn wir aber darum kämpfen, dass die Arbeitenden, die Ausgestoßenen, die an den Rand gedrängten wieder zu Subjekten der Geschichte werden, kann dies nur ausgehend von den historisch gewordenen Nationalstaaten geschehen. Die antinationale Phrase ist der Versuch einer innerlich ausgehöhlten linken Ideologie, das Überleben als dienstbarer Geist der herrschenden Eliten zu sichern. Sie ist ein Angriff auf das Politische schlechthin in der irrigen Annahme, der Staat, die Politik sei den ökonomischen Verhältnissen aufgepoppt. Diese Auseinandersetzung muss in aller Entschiedenheit geführt werden, wenn wir um gesellschaftliche Emanzipation streiten wollen. Wenn wir damit nicht beginnen, werden wir noch viele DiEM25 erleben. Hans Rüdiger Minow hat es in einem Interview auf den Punkt gebracht: „Aber auch der Austritt aus dem Euro ist keine Perspektive, wenn die sozialpolitischen und geostrategischen Fundamente dieselben bleiben. Überstaatliche Verschmelzungen in einem föderalen Bundesstaat EU bringen weder Frieden noch soziale Gerechtigkeit, solange das Grundübel, die Gesamtrationalisierung des Kontinents, unangetastet bleibt.“15)

 

Die Verteidigung der Mindestsicherung

 

Klaus Dräger stellt die Frage: „Glauben die auf der Pariser Plan B Konferenz versammelten Kräfte daran, es ließe sich eine europäische oder nationale Massenbewegung für ein ‚neues EWS’ erzeugen? Vermutlich nicht. Für Erwerbslose, Arme, ArbeitnehmerInnen und selbst die Mittelschichten sind Fragen nach einem anderen Währungsregime in Europa allein zu komplex und von ihrer Lebenswirklichkeit soweit entfernt, dass sie solche Alternativen bestenfalls in den Grundzügen (und eher auf einer sozialen Werteebene) nachvollziehen und bewerten würden.“ 16) In Österreich erleben wir zur Zeit heftige Angriffe auf die Mindestsicherung. Die Angriffe begannen bereits vor der aktuellen Flüchtlingskrise. Mit dieser ist es der extremen Rechten gelungen, den Angriffen auf die Mindestsicherung einen ethnizistischen Drall zu verleihen. Die herrschaftlichen Bemühungen um die Schaffung eines Niedriglohnsektors wird von der extremen Rechten übernommen, indem sie gegen die Schwächsten gewendet wird. Es droht eine gesellschaftliche Spaltung. Die rechtsextreme Propaganda hat den Zusammenhang der Angriffe auf die Mindestsicherung mit der neoliberalen EU-Agenda fast vollständig überdeckt. Wenigen, die dagegen aktiv werden, ist bewusst, dass es ihn überhaupt gibt, und allzu wenige tragen dazu bei, dass er bewusst wird. Austerität sei eine Veranstaltung in den Krisenländern der südlichen Peripherie und nicht im Zentrumsland Österreich. Es erfordert taktisches Geschick diesen Zusammenhang zur Sprache zu bringen, ohne den Eindruck zu erzeugen, den Menschen werde etwas aufs Auge gedrückt. Franz Stephan Parteder ist recht zu geben, wenn er in einem Debattenbeitrag formuliert: „Wir müssen darum kämpfen, dass es den Herrschenden immer schlechter gelingt, ihren Zorn über die Verhältnsisse auf noch Ärmere abzulenken. Diese Auseinandersetzung können wir nur bei uns, in den Gemeinden, in den Betrieben, wir können sie nur vor Ort führen. Es geht darum, in Bewegungen aktiv zu sein und dort einen Lernprozess über die grundlegenden Widersprüche in unserer Gesellschaft einzuleiten. Jede positive Veränderung der Kräfteverhältnisse wird dabei auch auf die europäische Ebene wirken.“17) Die aktuelle Auseinandersetzung um die Mindestsicherung lässt in diesen Überlegungen jedoch eine große Leerstelle, eine klaffende Lücke, sichtbar werden. Wir können auf europäischen Konferenzen Plan A, B oder C entwerfen. Wir können in Betrieben und Gemeinden den Widerstand organisieren. Entschieden wird im österreichischen Fall in wesentlichen politischen Fragen nach wie vor in Wien. Wir brauchen ein nationales Projekt zum Ausstieg aus dem EU-Konkurrenzregime.

 

1) www.europa-neu-begruenden.de

2) Birgit Baumann „der Standard“, 9.2.2016

3) Martin Höpner (www.flassbeck-economics.de/diem25-was-helfen-uns-jetzt-die-vereinigten-staaten-von-europa?)

4) zitiert nach 3)

5) Europa braucht einen „Plan B“, gemeinsame Erklärung v. Herbst 2015, www.euroexit.at

6) Martin Höpner: Voran in ein erneuertes Europäisches Währungssystem – und alles wird gut?, www.flassbeck-economics, 3.2.2016

7) Klaus Dräger: „Krise der Weltwirtschaft, erneute Eurokrise: Ein Plan B für Europa?“

8) siehe 6)

9) Frederic Heine und Thomas Sablowski, Zerfällt die europäische Union? Prokla, Verlag Westfälisches Dampfboot, Heft 181, 45. Jg. 2015, Nr. 4, 563-591

10) Wiener Zeitung online, 9.2.1016

11) Wiener Zeitung online, 22.2.2016

12) siehe 9)

13) siehe 9)

14) siehe 9)

15) www.german-foreign-policy.com, 26.1.2016

16) siehe 7)

17)Franz Stephan Parteder, eh. Vors. Der KPÖ-Steiermark (12.2.2016), www.euroexit.at

LUGER, KHOL, HUNDSTORFER, HOFER, VAN DER BELLEN, WABL, AWADALLAH, GRISS, … Was geht die Bundespräsidentenwahl die Linke an?

Am 24, April 2016 wird in Österreich die Wahl des Bundespräsidenten stattfinden; der erste Wahlgang jedenfalls. Ein zweiter wird aller Voraussicht nach zwei Wochen später abrollen. Die Zeitungen, vor allem das Intelligenzler-Blatt „Österreich“, sind voll davon. Was geht das die Linke an? „Müssen“, dürfen, sollen sich Linke mit einer Wahl auseinandersetzen, die zur reinen Ablenkung von wesentlichen politischen Fragen dient? Solange wir in diesem politi­schen System leben und arbeiten, sind solche Events eines durchgestylten Manipulations-Prozesses Teil unserer täglichen Erfahrung und ziemlich wichtig. Wir müssen uns also damit auseinandersetzen, wenn wir uns von der politischen Wirklichkeit nicht abkoppeln wollen. Oder ist jemand allen Ernstes der Ansicht: Manipulation braucht man nicht analysieren?

Unter allen möglichen Kandidaten / Kandidatinnen ist Alexander van der Bellen für Linke der am wenigsten akzeptable. Er hat sich geoutet, als potenzieller Putschist. Die FPÖ würde er angeblich nicht angeloben. Weil sie EU-kritisch sei. Lassen wir den Wirklichkeitsgehalt dieser Behauptung einmal beiseite. Damit wird dann eine legitime politische Haltung, vertreten von einer Mehrheit der österreichischen Bevölkerung, in die Illegalität gerückt. Wir selbst sind davon besonders stark betroffen.

Dies entspricht aber ganz der Haltung der politischen Klasse nicht nur in Österreich. Mit einer ähnlichen Begründung hat der portugiesische Präsident über Wochen und Monate die dortige Regierungs-Bildung behindert, bis er aufgegeben hat. Und Giorgio Napolitano, bis vor etwa einem Jahr Oberhäuptling in Italien, zumindest dem Protokoll nach, hat seine ganze Amtszeit hindurch einen permanenten Staatsstreich verkörpert. Sein (ex-) christlich-demokratischer Bruder im Geist bestimmt heute die italienische Politik. Der permanente Staatsstreich heute heißt Matteo Renzi.

Dies sind also die Vorbilder, denen der grüne Kandidat nacheifert. Dazu gehört auch noch Franz Josef Fischer, der den ersten Angriffskrieg der Bundesrepublik seit dem Nazi-Reich zu verantworten hat. Van der Bellen nennt ihn immer wieder als Busenfreund und Berater.

Na und? Wir wissen schließlich: Das ist ja der Sinn dieses schönen Amtes, und so entstand es. In den 1920ern wurden die Christlichsozialen zusammen mit den Heimwehren immer unge­duldiger. Mit Wahlen erreichten sie ihr Ziel einfach nicht. Immer lauter wurden die Putsch-Drohungen der Heimwehren. Die Sozialdemokratie bekam es mit der Angst zu tun. Der rechte Karl Renner und der angeblich linke Otto Bauer waren schließlich zu einem Kompromiss bereit. Kern der Vereinbarung war die Präsidentschaft. Allerdings wurde nicht etwa der Präsident gestärkt. Die Regierung muss für Alles, was der Präsident tun soll, das Skript schreiben. Fast Alles: Bei der Regierungs-Bildung selbst hat er einen gewissen Spielraum.

Diese Präsidentschaft übernahm dann auch die SPÖ 1945 unter der falschen Flagge, die Verfassung von 1920 würde wieder hergestellt. Als besonderes Gustostückerl kam noch der Gesslerhut der Wahlpflicht für diese realpolitisch unbedeutendste Wahl überhaupt dazu: Es ist eine reine Schikane. Der Staatsbürger soll sich vor dem Staatsgötzen verneigen. – Im übrigen stellte dann eine der diskreditiertesten Figuren der Ersten Republik den ersten, nicht vom Volk gewählten Präsidenten: Karl Renner hatte freiwillig und ohne die geringste Not, aus reiner Wichtigtuerei und offensichtlich aus Übereinstimmung den Nazi-Anschluss Österreichs ebenso wie der Überfall auf die Tschechoslowakei öffentlich begrüßt und sogar eine Rechtfertigungs-Broschüre dazu geschrieben. Diesen vorbildlichen Österreicher machte man also zum ersten Bundespräsidenten.

Alexander van der Bellen steht ganz und gar in der Tradition des Austrofaschismus und des Karl Renner.

Und die anderen Kandidaten?

Selten zeigte sich die Situation der classe politique in so grellem Licht. Die anderen Regie­rungs-Kandidaten könnten sogar den Einzug in die Stichwahl verfehlen, nach heutigem Stand, nur wenig mehr als ein Monat vor der Wahl. Ein Wunder? Hundstorfer hat als Sozialminister das gemacht, was ihm die harten Neoliberalen vorschrieben. Schon heute trauern sie ihm nach. Als Gewerkschafter hat er mitgeholfen, die Gewerkschafts-Bank zu verjankern. Als guten Abschluss seiner Tätigkeit werden wir ihm wahrscheinlich den Verlust von ein paar Hundert Millionen Euro zu verdanken haben. Aus Unfähigkeit? Aus Absicht? Er hat eine rechtzeitige Vorsorge gegen ein unglaublich freches Manöver der Bank Austria verschlampt. Selbst wenn der materielle Schaden dieses Raubzugs noch zu verhindern sein sollte, bleibt ein sehr unangenehmer Nachgeschmack. Der Rechtsstaat lebt davon, dass man sich auf seine Regeln verlassen kann, solange sie gelten. Eine Rückwirkung, ein Bruch dieser Rechtssicher­heit, gehört zu jenen Missachtungen, mit denen die politische Klasse seit Langem den Geist der österreichischen Verfassung ruiniert.

Andres Khol schließlich gehörte in der Zeit der VP-FP-Koalition zu jenen Politikern, wo seine Partei stets um ein paar Punkte abrutschte, wenn er in der Öffentlichkeit auftrat. Aber um seine Partei hat er ein Verdienst: Er verhinderte, dass der übelste politische Arbeiter in seine eigenen Taschen Partei-Obmann wurde.

Beide Figuren sind für die jetzige Regierung symbolträchtig. Sie als Kandidaten für dieses Amt, das selbst nur ein Symbol ist, sagen alles über den Zustand dieser Parteien und ihres Personals aus.

Norbert Hofer, die Marionette des H. C. Strache, hat gute Chancen. Man könnte nur den letzten Absatz wiederholen.

Die liberal-konservative Irmgard Griss wird auf diskrete Weise von der österreichischen Journaille fertig gemacht. Man beachte nur den Titel des rosa Leibblatts aller links- und gleichzeitig neoliberalen Intellektuellen vom 9. März! Das wiederum sagt viel über diese Journaille und die Öffentlichkeit, welche sie konstituieren, aus. Interessanter Weise fürchten sie sich vor einer solchen Kandi­datin, die doch ihre einzige Chance wäre. Aber eine Niederlage der Regierungskandidaten inklusive Van der Bellen wäre für das politische System offenbar eine Katastrophe.

Richard Luger wäre eigentlich der Bundespräsident, den wir uns als Linke wünschen müssten. Der würde dieses üble Amt endlich dorthin befördern, wohin es gehört: in den Orkus.

Und der Schluss daraus?

Das politische System Österreichs mit seiner Einbindung in das Imperium EU hat eine politische Klasse erzeugt, die irgendwie an die habsburgischen Politiker vor gut einem Jahrhundert erinnert. Unglaubliche Unfähigkeit in ihrem eigenen Sinn paart sich hier mit Arroganz, persönlicher Mickrigkeit und gleichzeitig der wilden Entschlossenheit, sich an ihre Positionen zu klammern. Selbst die kärglichen Reste der vom Brüsseler Imperium noch übrig gelassenen Kompetenzen werden in aller Regel nicht genutzt, nur wenn sie, die politische Klasse, akut bedroht ist – wie etwa derzeit in der Migrationsfrage. Kommata der Weltge­schichte (Grabbe) ist eine Beschreibung, die für diese Personengruppe noch zu hoch greift.

Aber freuen brauchen wir uns als Linke darüber auch wieder nicht. Diese völlige Zerrüttung der politischen Elite führt nämlich zu einer Zerstörung auch des Konzeptes Politik. Die Politik der Antipolitik hat zwar viel für sich, angesichts dessen, dass bisher Politik in aller Regel gegen die Bevölkerung ging. Aber genutzt haben diese Politik bisher praktisch immer die Rechten, und es hat ihnen genutzt. Also freuen wir uns nicht zu früh und passen wir auf! Im Gegensatz zu naiven und unreflektierten Anarchisten haben marxistische Sozialisten Politik, die bewusste Selbststeuerung der Gesellschaft, stets als überragend wichtiges Instrument im Kampf um die Emanzipation der Subalternen betrachtet.

Albert F. Reiterer 9. März 2016

Tariq Ali und Co: für einen linken EU-Austritt!

Die EU ist nunmehr eine zutiefst antidemokratische Institution

Die billige Farce David Camerons „Neuverhandlung“ von Großbritanniens Mitgliedschaft in der EU hat nur wieder einmal die regressive und undemokratische Natur dieser Institution gezeigt. Durch die dem griechischen Volk in extremer Form aufgezwungene Austerität wissen wir, dass diese Institution nicht nur in sich selbst undemokratisch, sondern in einem tiefen Sinn anti-demokratisch ist, denn ihre Institutionen werden die demokratische Sicht der Mehrheit der Bevölkerung nicht zur Geltung kommen lassen, wenn sie gegen das Projekt des Freien Marktes steht.

Die EU ist irreversibel Privatisierungen, sozialen Kürzungen, Niedriglöhnen und der Beschneidung von Gewerkschaftsrechten verpflichtet. Das ist auch der Grund, warum die dominanten Kräfte des britischen Kapitalismus und die Mehrheit der politischen Elite Verfechter davon sind, in der EU zu bleiben. Die EU hat sich endgültig der transatlantischen Handels- und Investment Partnerschaft (TTIP) und anderer Handelsabkommen verpflichtet, was den größten Transfer von Macht zum Kapital repräsentiert, den wir seit einer Generation gesehen haben.

Behauptungen, dass die freie Bewegung von Arbeitskraft innerhalb der EU Xenophobie verhindere, sind falsch. Aber ohne Arbeitnehmerrechte und ohne Alternativen zur Austerität, werden Migranten zu Freiwild für xenophobe Kräfte, egal ob mit oder ohne Schengen-Abkommen. Und, noch mehr, die „Festung Europa“ stellt sicher, dass diejenigen außerhalb der Nationen des EU-Kartells, teuflischer Diskriminierung ausgesetzt werden, wenn sie glücklich sind. Die weniger glücklichen ertrinken im Mittelmeer.

Wir stehen ein für eine positive Vision eines zukünftigen Europa, das auf Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit aufbaut, nicht aber auf den Profit-Interessen einer kleinen Elite. Aus diesen Gründen führen wir uns verantwortlich dafür, uns im kommenden Referendum über die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs für einen Austritt stark zu machen.

 

Mick Cash
General secretary, National Union of Rail, Maritime and Transport Workers
Ian Hodgson
President, Bakers, Food and Allied Workers’ Union
Tariq Ali
Writer and broadcaster
John Hilary
Executive director, War on Want
Prof Mary Davis
TUC women’s gold badge winner
Aaron Bastani
Co-founder, Novara Media
Robert Griffiths
General secretary, Communist party
Lindsey German
Writer and anti-war campaigner
Joginder Bains
National general secretary, Indian Workers Association – GB
Alex Gordon
Former president, National Union of Rail, Maritime and Transport Workers
Liz Payne
Chair, Communist party
John Rees
Counterfire
John Foster
International secretary, Communist party
Dave Randall
Musician and writer
Graham Stevenson
Former president, European Transport Workers Federation
Bill Greenshields
Past president, National Union of Teachers
Doug Nicholls
Chair, Trades Unionists Against the EU
Fawzi Ibrahim
Former treasurer and national executive member, University & College Lecturers’ Union
Robert Wilkinson
Former national executive, National Union of Teachers
Hank Roberts
Past national president, Association of Teachers and Lecturers
John Stevenson
GMB (personal capacity)
Reuban Bard Rosenberg
Musician
Manuel Bueno Del Carpio
Unison, Sandwell general branch
Dyal Bagri
National president, Indian Workers Association – GB
Harsev Bains
Secretary, Association of Indian Communists – GB
Ben Chacko
Editor, Morning Star
Jim McDaid
Socialist Labour party Scotland and Chair, Irvine & North Ayrshire TUC
Vince Mills
Labour Leave

http://www.theguardian.com/world/2016/feb/17/eu-is-now-a-profoundly-anti-democratic-institution