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Anti-EU-Forum Athen 26.-28. Juni 2015
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Weder Draghi, noch Troika, noch Euro.
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Souverän und sozial. statt EURO liberal
 

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Pariser Plan B: Halbheit überwinden

von Wilhelm Langthaler

 

Podemos’ Wahlerfolg scheint griechische Katastrophe vergessen zu machen

 

Am 23.-24. Januar fand in Paris die Plan-B-Konferenz statt. Aufgerufen hatten fünf nicht mehr amtierende Minister oder politische Amtsträger, namentlich Stefano Fassina, Yanis Varoufakis, Jean-Luc Mélenchon, Zoe Konstantopoulou und Oskar Lafontaine. Damals standen alle unter dem Schock der griechischen Ereignisse, als die deutschen Finanzpanzer die griechische Volksrevolte niederwalzten: ein Plan B zum Widerstand gegen das Euro-Regime war offensichtlich notwendig geworden.

 

Doch liest man den Aufruf genau, so stellt sich schnell heraus, dass der Name selbst das radikalste an ihm ist. Tatsächlich geht es nur um den altern Hadern der Neuverhandlung der EU-Verträge. Der Euro-Austritt diente lediglich als Drohgebärde, um den gescheiterten Plan A der sozialen EU durchzusetzen. Als wollte man den Referendum-Bluff Tsipras’ und Varoufakis’ auf höherer Stufenleiter wiederholen.

 

Doch dann kam im Dezember der Wahlerfolg von Podemos in Spanien, der auf der Basis der Unterstützung der Tsipras-Linie erfolgte. Angesichts des wesentlich höheren Gewichts Spaniens bekamen jene, die den Bruch mit dem Euro-Regime vermeiden wollen, Wasser auf ihre Mühlen und die todgeglaubte soziale EU begann wieder in den linken Köpfen herumzuspuken.

 

Die ursprünglich bereits für den vergangenen November anberaumte Konferenz hatte man verschoben – wegen der Pariser Terroranschläge, wie die Organisatoren der französischen Linksfront und –partei versicherten. Bereits das verrät einiges über die Stellung der Veranstalter zum herrschenden System. Denn tatsächlich wurde die Konferenz durch den antidemokratischen und hysterischen Ausnahmezustand der französischen Regierung verunmöglicht, den Mélenchon bis heute unterstützt!

 

Scheinbar hatte sich der Medienstar Varoufakis dank der verlängerten Bedenkzeit eines Besseren besonnen und hat vor einem allzu wilden Plan B Abstand genommen, zugunsten eines Plan C, der nichts anderes ist als sein alter, gescheiterter Plan A. Er war daher in Paris nicht erschienen – sicher nicht zum Schaden der Konferenz.

 

Den Anfang machte Oskar Lafontaine mit einer sehr klaren, konzisen und bestimmten Rede: Der Süden könne nicht auf einen sozialen Schwenk in Deutschland mit seinem Lohndumping warten, denn das wäre ein Warten auf Godot. Der Austritt aus dem Euro und die Rückkehr zu einem System von politisch kontrollierten Wechselkursen sei eine unbedingte Notwendigkeit. Statt eines Quantitative Easing zugunsten der Banken bedürfe es direkter staatlicher Investitionen. Die Zentralbank und die Geldpolitik müssten unter demokratische Kontrolle genommen werden und den Interessen der Mehrheit untergeordnet werden. Aber er griff auch die westliche imperialistische Politik der Kriege an, verurteilte die Unterordnung unter die USA und wies darauf hin, dass es erst diese Politik sei, die die Flüchtlingsströme hervorrufen würde.

 

Lafontaine formulierte ein echtes soziales und demokratisches Programm für Mehrheiten – den Plan B!

 

Wie das allerdings mit Gysis Rot-Grün im Dienste der deutschen Exportindustrie und Unterordnung unter die US-Außenpolitik zusammengeht, blieb Lafontaine den Zuhörern schuldig.

 

In den folgenden Diskussionen legten einige mehr, andere weniger bekannte Figuren noch nach. Lapavitsas, der ehemalige Syriza-Abgeordnete, der immer für den Bruch eingetreten war, formulierte präzise: nationale Währung, Streichung der Schulden, Kapitalverkehrskontrollen, Verstaatlichung des Finanzsektors, demokratische Souveränität über den Staat und ein Ende der postnationalen, globalistischen Ideologie der Linken, die die Subalternen den supranationalen neoliberalen Eliten auslieferte. In eine ähnliche Kerbe, wenn auch nicht immer so bestimmt, schlugen die Ökonomen Brancaccio (Italien), Lordon (Frankreich) oder Höpner (Deutschland) – und einige andere mehr.

 

Am Sonntag blies Stefano Fassina, der vergangenes Jahr noch für eine breite Front für die nationale Verteidigung gegen das Euro-Regime eingetreten war, dann aber zum Rückzug. Es bedürfe unbedingt der Fortsetzung des Plan A, so politisch unrealistisch der auch sei. Er hoffe auf eine Wiederbelegung der alten Sozialdemokratie, wie es unter Corbyn gerade in England stattfinden würde. Den Plan B müsse man in der Hinterhand behalten. Diese Haltung korrespondiert mit seinem verzweifelten Versuch in Italien eine Linke ins Parlament zu führen, die weiterhin an der EU eisern festhält, während Umfragen Mehrheiten für einen Euro-Austritt ausweisen.

 

Den Vogel schoss dann Mélenchon in der Abschlussrede ab. Er degradierte die Teilnehmer aus ganz Europa zu Statisten für die Wahlrede eines Demagogen und Populisten, der sich in Selbstgefälligkeit und leerem Pathos kaum von dem Rest der französischen politischen Klasse unterscheidet. Einzige politische Aussage zum Thema: Neuverhandlung der EU-Verträge. Sonst billiges Geschimpfe auf den Kapitalismus, die Finanzmärkte, die Banken, Draghi, Merkel, Brüssel, das EU-Parlament bla bla bla. Er ließ es nicht aus, mainstreammäßig die Täter von Köln zu verdammen, aber fügte quasi sich absichernd hinzu, dass er “gegen alle Kriminellen” sei, sozusagen auch jene im Nadelstreif. Er attackierte Erdogan und machte Anspielungen, dass der moderate Islamist vielleicht doch ein islamischer Faschist sei – ohne ein Wort der Kritik an der islamophoben französischen Staatsdoktrin. Zum Schluss rief er die spanischen Mandatare von IU und Podemos auf die Bühne, alle blutjung, und überreichte ihnen eine rote Rose als väterlicher Freund – mit der Quasi-Prätention intellektueller Architekt ihres Erfolges zu sein. Die alte „mission civilicatrice“ quillt aus allen Poren.

 

Nun müsst en die Franzosen nur mehr richtig wählen, um das gleiche wie in Spanien und Portugal zu ermöglichen. Denn der Wahlerfolg würde die Koalition mit der PSOE erst möglich machen. Er zielt auf eine Koalition mit der PS hin (unausgesprochen als Juniorpartner und damit als Mehrheitsbeschaffer) und kritisierte die SPD, dass sie nicht Rot-Rot-Grün eingehen würde. Eine völlige Verkennung des herrschenden Regimes. Oder aber eher: er ist selbst Teil dieses Regimes.

 

Ein Plan B, der ernstgenommen werden will und eine echte soziale Alternative sein soll, muss mit Mélenchon und Konsorten brechen. Die Lehren aus Griechenland müssen klar und deutlich gezogen werden und werden wohl demnächst auch in Portugal und Spanien auf die Probe gestellt werden: Vorbereitung auf den Bruch mit dem Euro-Regime!

 

Ein tiefer Graben muss uns von den Linksblinkern des Systems trennen, die es nicht ernst meinen und den verzweifelten politisch-sozialen Protest nur für ihre (unmögliche) Rückkehr an die Macht nutzen wollen (in Wirklichkeit für ihr politisches Überleben). Mit solchen Kräften kann auch nicht den rechten Sozialpopulisten wie der Front National begegnet werden, die für sich – leider nicht ganz unberechtigt – in Anspruch nehmen, die einzige Opposition gegen das Euro-Regime zu sein.

 

Viele der Teilnehmer, vielleicht sogar die Mehrheit, meint, dass man Varoufakis, Mélenchon etc. gegenwärtig brauche, um Kräfte zu sammeln. Tatsächlich sind sie aber ein Hindernis, um zu einer Alternative zu werden. Nicht so sehr im linken Milieu, aber viel mehr in den unteren Schichten. Denn der Zusammenstoß mit der Oligarchie kommt bestimmt (vielleicht schneller als man annehmen würde) und es tut sich bei den Subalternen ein Vakuum auf. Für die Linke als Linke wird es wohl so schnell keine Mehrheiten geben, für eine soziale und demokratische politische Führung des Bruchs kann das aber sehr schnell sehr wohl der Fall sein – in Griechenland gab es dafür eine Zweidrittelmehrheit beim Referendum, die von der „Radikalen Linken“ (so der Namen von Syriza) verraten wurde.

 

Varoufakis und ein Teil von Podemos treiben den Plan B vor sich her und haben für Februar in Madrid scheinbar unilateral eine weitere Konferenz angesetzt, die abermals für die soziale EU, den Plan A-C, eintritt. Auch dort wird man sich der Auseinandersetzung stellen müssen.

 

Konkreter Vorschlag an die gesamte Bewegung ist eine Koalition für einen echten, klaren Plan B zur Beendigung des Euro-Regimes zu bilden, der sehr sich auch gegen den neoliberalen Binnenmarkt und die EU als Exekutor der liberalen Oligarchie richten muss, genauso wie gegen die Nato als deren militärischen Arm.

 

Zu diesem Zweck schlägt die Internationale Koordination gegen den Euro, die aus Gruppen in Griechenland, Spanien, Italien, Frankreich, Deutschland und Österreich besteht, ein europäisches Forum vor, das vom 23.-25. September in Italien unter dem Arbeitstitel „Welche Alternativen zum Euro-Regime“ stattfinden soll.

 

Pariser Plan B: ein halber Anfang

von Willi Langthaler

 

Ein unmittelbarer Eindruck am Abend nach der Veranstaltung vom 24.-25. Januar 2016

 

Die Sache war ein wichtiges Ereignis und meine Bilanz ist gespalten, denn die ganze Initiative führt einen unheimlichen Widerspruch in sich, der auch Ausdruck einer Situation des Übergangs ist, wo das neue noch nicht ganz auf eigenen Füßen zu stehen vermag.

 

Die Konferenz hat im Pariser Regierungsviertel stattgefunden, was sicher kein Zufall war – denn es richtete sich stark an die politische Klasse und den Medienapparat. Der Raum war viel zu klein und viele Leute mussten den ersten Redner Oskar Lafontaine in anderen Räumen folgen.

 

Lafontaine hat einen fulminanten Anfang gemacht. Eine politisch kohärente Linie: durchdacht, logisch und klar. Auflösung des Euro, zurück zum alten Währungssystem. Währungspolitik im Dienste der Bevölkerung: staatliche Verschuldung für staatliche Investitionsprogramme um Vollbeschäftigung zu schaffen. Gegen die westlichen Kriege, die die Wanderungsbewegungen schaffen.

 

In einer Diskussion hat Lapavitsas nachgelegt, und nicht nur er, sondern auch andere. Nationale Währungen, Verstaatlichung des Finanzsystems, Kapitalsverkehrskontrollen. Demokratisierung durch Reappropriierung des Staates als Instrument der Volkssouveränität. Bruch mit der postnationalen Idee und der Globalisierung im Kopf. Ich hatte auch den Eindruck, dass viele Teilnehmer das unterstützten. Ich hörte auch von einem anderen Runden Tisch, dass es so ähnlich gewesen wäre.

 

In der anschließenden kurzen Diskussion wies ich auf den Widerspruch zwischen diesem klaren Plan B und dem öffentlichen Erscheinen der Initiative hin, wo die Frage des Bruchs umschifft wird. Ich bin dafür eingetreten ein weiteres Treffen auf der expliziten Basis der Beendigung des Euro-Regimes durchzuführen.

 

Nach der Veranstaltung habe ich Lafontaine kurz angesprochen und auf die Diskrepanz zur Position seiner Partei hingewiesen. Er antwortete: er könne nicht mehr tun, als sich solchen Initiativen zur Verfügung zu stellen. Den Rest müssten die Leute in der Partei machen – wohl wissend, dass diese praktisch nicht möglich ist. Das kam mir vor wie ein Kampf gegen Windmühlen.

 

Danach sprach ich kurz mit Lapavitsas und fragte, wie denn das mit der verwirrten Botschaft Varoufakis’ zusammenginge. Man müsse da klarer werden, denn er selbst habe gesagt, dass sonst diesen Platz die Rechte einnehmen werde. Er meinte nur, das sei ein langer Prozess…

 

Dann sprach Zoi Konstantopoulou – 1,5h. Hat nur die griechische Geschichte erzählt, keinerlei Politik.

 

Am Sonntag eröffnete Fassina. Er sagte zu Moreno Pasquinelli von der italienischen linken Koordination gegen den Euro schon im Vorfeld, dass er enttäuscht sein werde. Fassina sprach klar, kurz und ohne Schnörkel. Es brauche einen Plan A, praktisch eine Aufwärmung des gescheiterten sozialen Europa. Er sagte selber, dass dieser nicht realistisch sei, aber politisch notwendig. Den Plan B müsse man in der Hinterhand behalten. Er schätzte die Situation pessimistisch ein und setzte seine Hoffung auf eine Rückwendung der Sozialdemokratie zu den Interessen der unteren Schichten. Jeremy Corbyn gab er als Beispiel. Das ganze ist ein ganz klarer Rechtsschwenk zum Herbst.

 

Ich interpretiere das als Einfluss der spanischen Ereignisse. Nach der Vergewaltigung Griechenlands war das soziale Europa mausetot. Podemos hat diese Illusion wieder zum Leben erweckt.

 

Die Abschlussrede von Mélenchon war schrecklich. Es ist eine Schande, dass man zum Plan B fährt und dann als Statist für die Wahlrede eines Demagogen und Populisten missbraucht wird, der sich in Selbstgefälligkeit und leerem Pathos kaum von dem Rest der französischen politischen Klasse unterscheidet.

 

Einzige politische Aussage zum Thema: Neuverhandlung der EU-Verträge. Sonst billiges Geschimpfe auf den Kapitalismus, die Finanzmärkte, die Banken, Draghi, Merkel, Brüssel, das EU-Parlament bla bla bla. Er lies nicht aus Köln zu verdammen, aber „gegen alle Kriminelle“. Er attackierte Erdogan und machte Anspielungen, dass der moderate Islamist vielleicht doch ein islamischer Faschist sei. Zum französischen Ausnahmezustand kein Wort — klar, den hat er unterstützt und hat meines Wissens auch nichts gegen dessen Verlängerung einzuwenden – vielleicht seine Form der Rückgewinnung der Souveränität? Zum Schluss rief er die spanischen Mandatare von IU und Podemos auf die Bühne, alle blutjung, und überreichte ihnen eine rote Rose als väterlicher Freund – mit der Quasi-Prätention intellektueller Architekt ihres Erfolges zu sein. Die alte „mission civilicatrice“ quillt aus allen Poren.

 

Nun müssten die Franzosen nur richtig wählen, um das gleiche wie in Spanien und Portugal zu ermöglichen. Denn der Wahlerfolg würde die Koalition mit der PSOE erst möglich machen. Er zielt auf eine Koalition mit der PS hin (unausgesprochen als Juniorpartner und damit als Mehrheitsbeschaffer) und kritisierte die SPD, dass sie nicht Rot-Rot-Grün machen würde. Eine völlige Verkennung des herrschenden Regimes. Oder aber eher: er ist selbst Teil dieses Regimes.

 

Anfangs dachte ich, dass es eine Spaltung zwischen Paris und Varoufakis gäbe. Doch die bezogen sich alle auf seine Madrider Aktion. Ich vermute, dass er diese unilateral angesetzt hat, dass es tatsächlich eine Differenz gibt, aber dass sie keinen Bruch haben wollen und daher das hinnehmen und nachbeten.

 

Scheinbar ist ihr vager Plan: Madrid, Berlin, Rom etc. Andreas Nölke, einer der deutschen Redner und expliziter Gegner des Euro, sagte mir, dass er nicht die leiseste Ahnung hätte, wer das in Berlin organisieren solle.

 

Abschluss: unser Ziel muss es sein in diesem Milieu eine Klärung voranzutreiben und eine klare Plattform des Bruchs mit dem Euro-Regime zu etablieren. Jedenfalls ist ein wichtiger Anfang gemacht, trotz aller Halbheiten und Rückzieger (Varoufakis). Gleichzeitig dürfen wir uns nicht abhalten lassen, nicht warten wie das einige des linken Flügels von Plan B scheinbar machen und mit der Anti-Euro-Regime-Position weitergehen, wie das geplante Forum in Italien vom 23.-25. September.

 

Grußwort oder Gedanken zu dem Treffen des Anti-EU-Forum in Paris

Von Inge Höger, 20.01.2016

 

Die erstmalige Anrufung des EU-Bündnisfalls durch Frankreich für den Kriegseinsatz in Syrien, die harten Auflagen der EU gegenüber Griechenland und die Abschottung gegen Flüchtlinge bestätigen, dass die EU militaristisch, neoliberal und undemokratisch ist. Die deutsche Regierung ist ganz vorne mit dabei, wenn es um Kriegseinsätze zur Durchsetzung geostrategischer Interessen, die Knebelung ganzer Länder wie Griechenland und die Abschottung der EU für Flüchtlinge durch Deals mit der Türkei geht.

 

Gestern noch wurde Bundeskanzlerin Merkel wegen der Unterwerfung der Syriza-Regierung in Griechenland als die Zuchtmeisterin Europas bezeichnet, inzwischen versucht sie sich als Menschenfreundin und Flüchtlingshelferin darzustellen. Dabei wurde ganz nebenbei das Asylrecht in Deutschland massiv beschnitten und die Abschottung der EU-Außengrenzen verstärkt. Trotzdem kommen Flüchtlinge aufgrund der EU-Freihandels- und Kriegspolitik weiterhin in Scharen nach Europa und viele versuchen Deutschland zu erreichen. In der Frage der Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen gelingt es der deutschen Regierung nicht, sich in der EU durchzusetzen. In vielen EU-Ländern profitieren rechtspopulistische und faschistische Parteien und Bewegungen von der Krise der EU.

 

Gleichzeitig schreitet der Ausverkauf Griechenlands voran: die deutsche Fraport übernahm alle lukrativen Flughäfen, ein chinesische Konzern weitere Anteile des Hafens von Piräus. Die Streiks und Demonstrationen gegen Rentenkürzungen und Steuererhöhungen gehen weiter.

 

Die Linke in Europa muss diese Entwicklungen analysieren und gleichzeitig die Krise zum Anlass nehmen, antikapitalistische Perspektiven zur Überwindung der EU zu entwickeln. Wie die deutsche und die europäische Linke sich zur EU positionieren, ist eine entscheidende Frage unserer Zeit. Ein JA zu einem sozialen Europa und ein JA zum Internationalismus erfordern ein klares NEIN zur EU in ihrer gesamten neoliberalen Konzeption. Zu diesem Bruch mit der EU gehört auch die Debatte über Währungssouveränität und einen Austritt aus dem Euro-Regime. Dies sollte aber nie als Allheilmittel, sondern als Teil eines sozialistischen Programms gesehen werden. Es geht darum, die politische und Währungssouveränität wieder in die Hände der Mehrheit der jeweiligen Bevölkerung zu legen und mit Maßnahmen zu verbinden, die darauf zielen, den Kapitalismus zu überwinden.

 

Ausgehend von den Erfahrungen und Lehren der Kapitulation von Syriza, der Ausrufung des EU-Bündnisfalles nach den Anschlägen in Paris, der Abschottungspolitik der EU gegen Flüchtlinge gibt es inzwischen in der deutschen und der europäischen Linken eine Diskussion über den Charakter der EU und einen Plan B oder andere Alternativen. Diese Diskussionen spiegeln sich nicht nur in der Plan-B-Konferenz in Paris, sondern in vielfältigen Diskussionsforen. Andererseits versuchen Varoufakis oder Gysi diese Diskussion wieder in Richtung Rettung der EU als angebliches Friedensprojekt zu lenken mit einem Plan C, der aber eigentlich der alte Plan A ist. Umso dringender ist es, dass die Linke in Europa Alternativen zu dem neoliberalen, undemokratischen und militaristischen Projekt der EU und des Euro entwickelt und sich dabei nicht in die nationalistische Ecke drängen lässt. Wir brauchen ein Projekt für die Souveränität der Völker, für Frieden und soziale Gerechtigkeit gegen die Herrschaft des Imperialismus, ein Projekt zur Überwindung des Kapitalismus.

 

In diesem Sinne sollten wir die Planungen für ein internationales Diskussionsforum im Frühjahr fortsetzen, um eine Alternative für das EU- und Euro-Regime zu entwickeln. Der Austausch und die Entwicklung von Alternativen sind dringend notwendig. Ich hoffe, ihr bzw. wir kommen in Paris Schritte voran.

 

Ich wünsche euch interessante Diskussionen und viel Erfolg.

 

Inge Höger

Die EU-Bürokratie plant die Zukunft des Imperiums: Der „Fünf-Präsidentenbericht“ und sein Inhalt

Wie die Programm-Texte der EU gewöhnlich, ist auch der Fünf-Präsidenten-Bericht eine durchaus nicht angenehme Lektüre. Fünf Präsidenten? Es ist ein Juncker-Bericht, der offenbar auch formell mit Draghi und auch mit Dijsellblom gesprochen und dann höflicher Weise auch Tusk und Schulz kontaktiert hat.

Die Flachheit und die Trivialität des Stils ödet an und macht das Durcharbeiten peinsam. Aber es ist notwendig. Der Bericht steht in der Tradition der Berichte von Werner über Tindemans und Delors, und die sind bekanntlich durchaus “historisch” geworden. Als sie veröffentlicht wurden, hielten sie viele für rhetorische Pflichtübungen. Man ist stets versucht, die Bürokratie und ihre Zähigkeit zu unterschätzen. Das ist umso weniger verzeihlich, als es gerade zu den Charakteristiken der Bürokratie zählt, langfristig zu planen, brauchen sie sich doch im Gegensatz zum Personal der Oberflächenpolitik keiner Wahl stellen. Verantwortlich ist die Bürokratie nur ihren Auftraggebern aus den sozialen und ökonomischen Eliten, der eigentlichen Oligarchie, mit der sie in ihren oberen Rängen verschmilzt. Sie kann sich also den Luxus erlauben, nicht nur langfristig zu denken, sondern dies auch auszusprechen.

Dieser Juncker-Bericht ist vergleichsweise bescheiden. Sein Horizont ist 2025. Aber für diesen kurzen Zeitraum sind die Ziele auch wieder ehrgeizig. Die Absicht ist: Die auf den Höhepunkten der Finanz­krise mit aller Brutalität, aber infolge Zeitmangel nicht allzu intensiven Vorbereitungen durchgezoge­nen Maßnahmen, die politischen Gewinne aus der Krise also, sollen systematisiert, ausgebaut und unumkehrbar gemacht werden.

Das wird auch unweigerlich geschehen, wenn nicht ein wesentlich härterer und radikalerer Widerstand als bisher auftritt.

Was also will Juncker namens der Europäischen Kommission und im Auftrag der Oligarchie?

  1. Fundamentales Ziel ist die volle Durchsetzung eines hart dogmatischen neoliberalen Wirtschafts-Modells. Dessen Durchsetzung und der Prozess der Umstrukturierung dorthin muss von Brüssel-Berlin direct kontrolliert warden. Die Stichworte lauten: “Echte” Wirtschaftsunion in zwei Stufen durch “Konvergenz”, “Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit” und “Förderung der Strukturreformen”.
  2. Die Finanzpolitik muss stärker zentralisiert werden. Stichworte: “Vollendung der Bankenunion”; “Kapitalmarktunion”.
  3. Die nationalen Regierungen müssen im wirtschafts- und sozialpolitischen Feld noch viel starker und konsequenter entmachtet werden. Der Angelpunkt dabei ist die Fiskalpolitik und der Staatshaushalt. Die nationalen Parlamente müssen de facto ihre Budget-Kompetenz abgeben. Stichworte: “verant­wortliche Haushaltspolitik”, “Fiskalunion”, ein “europaweites Schatzamt” (zentrales EU-Finanzminis­terium bzw. ein Eurozonen-Finanzministerium, auf den wichtigen Unterschied kommen wir noch zu sprechen).
  4. Ein Finanzausgleichsfonds, der sich als Krisenbewältigungs-Fonds verkleidet. Um dies auch zu vernebeln, denn hier dürfte es Probleme mit der Hegemonialmacht Deutschland geben, heißt er völlig unverständlich “Funktion zur fiskalischen Stabilisierung des Euro-Währungsgebiets”. Die Formulierung lässt auf Draghi, einen der “Fünf Präsidenten”, schließen.
  5. Die Regierungen und Parlamente sollen formell auf die Prioritäten und Ziele der Kommission verpflichtet werden. Die stilistische Verkleidung lautet: “demokratische Rechenschaftspflicht und Legitimität”.

Dies soll bis 2017 eher informell vorbereitet werden. Bis dann will man die alte Strategie der Über­dehnung vertraglicher Kompetenzen weiterführen. Der schleichende Putsch wird verlängert. Der Stil, der ebenso wichtig ist wie der Inhalt, spricht hier von “modernisieren”, “abfedern” und “anpassen”. Bis 2025 soll es aber jedenfalls eine Vertragsveränderung geben, Denn man muss dies gegen jede Veränderung und Abweichungen immunisieren. Das geschieht am besten nach bisheriger Erfahrung, wenn man den EuGH heikle Punkte unter dem Deckmantel des Rechts durchsetzen lässt. Wie aller­dings ein neuer Vertrag ohne einen offenen Putsch in mehreren Ländern durchzusetzen ist, wird nicht gesagt.

Hier kommt noch ein wichtiger Punkt ins Spiel, der allerdings mittlerweile keine Sensation mehr ist. Der Bericht spricht im Wesentlichen nur von der Eurozone. Die Rest-EU wird zwar bisweilen erwähnt und eingeladen, sich zu beteiligen. Aber es geht um die Kern-EU im Zuschnitt der Eurozone. Wie in dieser Zwei Kreise-Struktur dann allerdings der engste Kreis, nämlich der ehemalige DM-Block noch behandelt werden soll, ist hier nicht angesprochen und tatsächlich unklar. Denn dass wir davon ausgehen müssen, dass es innerhalb der Eurozone selbst wieder einen privilegierten Kern gibt, scheint mir nach der Griechenland-Affäre keiner weiteren Begründung zu bedürfen.

Juncker geht davon aus, dass die Finanz- und Eurokrise überwunden ist. Das ist einerseits bemerkens­wert angesichts der Entwicklung im Süden – ich denke hier vor allem an Spanien. Auch Frankreich und Finnland könnten bald sehr akute Krisenfälle werden, auf andere Weise. Aber reines Wunsch­denken ist es nicht. Die Troika, in Wirklichkeit die Kommission bzw. Eurogruppe unter dem Kommando der BRD, haben ja gezeigt: Sie sind entschlossen, ihre Vorhaben durchzusetzen. Die Kosten mögen hoch sein, politisch vielleicht auch für sie, jedenfalls für den Moment – was tut’s? In diesem Sinn hat die 180°-Wende des Alexis Tsipras eine Bedeutung, die weit über Griechenland und sogar über die Eurokrise hinaus geht. Doch ist politisch noch immer viel zu tun.

Es wäre viel dazu zu sagen. Sprechen wir einige wichtige Punkte an!

Über das Codewort “Wettbewerbsfähigkeit” habe ich vor wenigen Tagen in einem mail gesprochen. Ich wiederhole: Wir sollten dieses Propaganda-Vokabel nicht wiederholen, welches nur der Durchsetzung des härtest neoliberalen Dogmatismus dient. Das Ziel ist ziemlich klar: Es ist die Prekarisierung für fast Alle, mit Ausnahme der oberen Schichten. Das verbirgt sich hinter der Wendung, man wolle einen einheitlichen EU-Arbeitsmarkt, welcher “Sicherheit und Flexibilisierung kombinieren” würde.

Aber da gibt es noch andere Probleme. Als zweiten Punkt habe ich die “Kapitalmarkt”- und Bankenunion referiert. Da nimmt nun ein Blog aus Arbeit und Wirtschaft (Stockhammer / Reissl vom 14. Jänner) Stellung. Inhaltlich kann man dessen Aussagen nur unterschreiben. Aber der schlechte Witz besteht darin: Diese Politik ist keine Absicht mehr. Sie ist in ihren administrativen Voraussetzungen bereits verwirklicht. Die MIFID II-Richtlinie (und Verord­nung) sind längst erlassen, schon fast seit zwei Jahren. Damit sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, sie in ihr Recht zu übernehmen (bzw.: die Verordnung gilt unmittelbar). In diesen Richtlinien (MIFID I ist ja auch noch zu beachten) ist aber zum größten Teil bereits angeordnet, was hier im Bericht noch als Vorhaben äußerst generell genannt wird. Der entscheidende Schritt ist also schon getan. Die Banken im engeren Sinn werden durch Basel III etwas stärker reguliert. Nach der nächsten Finanzkrise wird ohne Zweifel ein Basel IV wieder dieselbe Versprechung der endgültigen Stabilität bringen. Aber gleichzeitig sorgt die EU dafür, dass sich ein Schattenbanken-Sektor der Regulierung entziehen kann. Die Schattenbanken dürfen Alles, was schon bisher zur Katastrophe geführt hat, und ein bisschen mehr. Sie haben alle Freiheiten zur Spekulation und zum Betrug innerhalb der Legalität.

Die Passagen über die Banken- und Kapitalmarktunion im Juncker-Bericht sind also Ideologisierung post festum. Die realen Schritte sind gesetzt. Jetzt wird die Legitimierung dafür nachgereicht: “erhöhte Finanzmarkt-Stabilität”, “Widerstandsfähigkeit gegen Krisen”, und wie die hohlen Phrasen eben sonst noch tönen. Als Detail unter anderen: Wieder wird eine “Bankenunion” verlangt, und in diesem Kontext eine europäische Einlagensicherung. Das klingt für manche Naivlinge ganz gut. Es läuft im Grund auf die Subventionierung der oberen Mittelschicht in den Peripherie- und Krisenländer hinaus. Während die Unterschichten und die sonstigen Mittelschichten prekarisiert und in ihrer Marginalität homogenisiert werden sollen, muss man die eigene politische Basis schützen, und das ist die obere Mittelschicht.

Ebenso wichtig und interessant sind die Ausführungen zur Fiskalpolitik, zur “Fiskalunion”. Man liest mit Erstaunen, dass der Fiskalpakt seine Ziele “weitgehend verfehlt” habe. Wird da gar ein Scheitern zugegeben? Das wäre inhaltlich ebenso falsch wie auch in der Vorgangs­weise des Berichts. Aber es zeigt eins: Die Bürokratie wird ungeduldig. Sie will sich nicht mehr auf die bisherigen Mittel verlassen, und das wichtigste Vokabel dabei heißt bisher zwischenstaatlich. Sie will ein klares Durchgriffsrecht haben. Wieder einmal lehnt sie sich gegen die bisherige Konstruktion der EU als wesentlich eine neue Ebene auf, die nur die Ziele vorgibt. Sie will einen direkten intervenierenden Apparat haben. Allerdings wagen es “die Präsiden­ten” nicht, dies ganz offen zu sagen. Ein paar Seiten später wird es aber deutlich. Übrigens ist eines der häufigsten Worte des Berichts das Vokabel überwachen.

Noch eine Bemerkung zu den Ambitionen der Bürokratie. Hat sie (bisher) schon nicht das administrative Sagen in diesem Mehrebenen-System, so will sie zumindest den wichtigen Punkt ihrer politischen Richtlinien-Kompetenz betonen: Sie will die einzige Instanz sein, welche Agenda setting betreibt. Zu diesem Zweck will sie das Europäische Semester, also den von ihr gesteuerten Budget-Erstellungsprozess in zwei Phasen teilen. “Bis Ende Feber eines jeden Jahres [hat] eine wirkliche und umfassende Diskussion über die EU und insbesondere das Euro-Währungsgebiet festgelegten Prioritäten für das kommende Jahr” stattzufinden. Erst dann darf im Rahmen des nationalen Budget-Prozesses auch über das nationale Budget debattiert werden.

Das Alles zeigt, dass dieser Juncker-Bericht mehrere Ziele hat. Kaum jemand weiß etwas über MIFID oder MIFID II. Dies ist zwar eine wichtige Politik-Maßnahme, aber doch nur eine unter einer Reihe anderer. Weitere werden folgen. Wenn man sich immer nur auf diese Einzelkritik einlässt, werden Blogs wie jener von Stockhammer / Reissl immer nachhinken, können gar nicht anders. Wir können es nicht oft genug wiederholen, und wir wissen fast resignierend, dass wir mit Windmühlen kämpfen: Das Imperium ist das Problem, nicht eine einzelne seiner Politiken. Konzentriert man sich auf den Einzelschritt, kann man nur nachhinken. Nicht dass die Einzelkritik unnötig oder unwichtig ist. Aber sie ist zu wenig. Das ist ein Hase- und Igel-Spiel. Der Igel, der Apparat wird immer schneller sein. Der Hase, der Widerstand, wird im Einzelbereich immer zu spät ankommen. Den Apparat muss man zerschlagen, so dies überhaupt möglich ist. Eine Einzelmaßnahme zu bekämpfen ist zwar ehrenhaft, auf lange Sicht aber politisch aussichtslos. Das wird übrigens in Kürze auch für CETA und TTIP gelten.

  1. Jänner 2016

Plan-B-Konferenz in Paris

23./24. Januar 2016

von Wilhelm Langthaler

Nach einer Verschiebung durch den Ausnahmezustand, der durch die antidemokratische Regierung Hollande verhängt worden war, findet nun die Plan-B-Konferenz doch statt.

Allerdings ist der ehemalige griechische Finanzminister Varoufakis nicht mehr dabei. Er hat einen Plan C zur Rettung des Euro angekündigt, der aus den Scheitern seiner Regierung keinerlei Schlussfolgerungen zieht. Nach wie vor hält er an der Chimäre der sozial gewendeten EU und sogar des Euro fest. Tatsächlich ist er also wieder beim Plan A.

Es sind nun vier Galionsfiguren, die die Initiative tragen: Oskar Lafontaine, Stefano Fassina, Zoe Konstantopoulou und Jean-Luc Mélenchon, die die Sessionen der Konferenz einleiten oder abschließen werden.

An sich drückt der Begriff „Plan B“ bereits eine Halbheit aus, denn er suggeriert, dass es noch einen „Plan A“ gäbe.

Tatsächlich, die herrschenden Eliten tun so, also ob sie einfach weiter machen würden. Doch zwischen den Zeilen kann man erkennen, dass sie sich sehr wohl überlegen, wie sie aus der Krise herauskommen können, die ihre supranationalen Institutionen tendenziell gefährdet. Zwar führen sie sozioökonomisch ein ultraliberales Crash-Programm durch, das Thatcher und Reagan in den Schatten stellt, doch zerbröseln ihnen die politischen Systeme, auf deren Basis die peripheren Eliten bisher ihr Unwesen trieben (Griechenland, Portugal, Spanien, Italien aber auch Ungarn und Polen in anderer Art und Weise). Und dann kommt da noch England dazu, wo nur mehr die City of London der Banker, Spekulanten und Industriellen an der EU festhalten will. Wieder ist es Schäuble der sein Kerneuropa als „Plan B“ lanciert.

Im Interesse der unteren Schichten in ganz Europa, sowie für Mehrheiten in Süd- und Osteuropa muss es klar ausgesprochen werden: Mit dem Euro-Regime zu gebrochen werden! Das ist der einzig demokratische und soziale Plan den es geben kann.

Wenn Lafontaine und Fassina sich für ein Ende des Euro und die Rückkehr zu politisch gemanagten Wechselkursen aussprechen, dann ist das ein gewaltiger Schritt vorwärts. Das müssen wir unterstützen und alles dafür tun, dass eine ausreichend breite politische Front entsteht, die das durchsetzen kann. Da reichen auch keine vier Leader, sondern dazu braucht es richtiger Organisationen und Mobilisierungen.

Insbesondere sind wir gespannt, was das für die Politik in Deutschland heißt. Denn Gregor Gysi und seine Leute tun alles, um mit Rot-Grün an die Macht zu kommen und den Neoliberalismus inklusive dem Euro zu administrieren. Nicht umsonst hat Gysi richtig gesagt, dass ein Ende des Euros ein massiver Schaden für die deutsche Exportindustrie wäre. Nur dass wir den deutschen Exportpanzer, der Europa überrollt wie einst die Nazi-Panzer, stoppen wollen und er ihn „sozial“ anstreichen will.

Wir wollen aber nicht verhehlen, dass es bei Lafontaine & Co. im besten Fall eine massive Illusion in die EU gibt. Im schlechtesten Fall handelt es sich um einen Rettungsversuch für die Eliten, der vielleicht klüger und vor allem sozialer als jener Schäubles ist, aber von den Profiteuren des Neoliberalismus trotzdem nicht angenommen werden wird.

Denn die EU ist als Instrument zur der Durchsetzung des Neoliberalismus geschaffen worden und der Euro ist seine Krönung. Wer das Euro-Regime im sozialen und demokratischen Interesse der Unter- und Mittelschichten beenden will, der darf und kann nicht über die EU schweigen.

Hier das Programm in englisch: https://www.euro-planb.eu/?page_id=85&lang=en

Und französisch: https://www.euro-planb.eu/?page_id=83&lang=fr

 

 

EU-Wettbewerbsausschüsse zur Verschärfung der Ungleichheit

von Steffen Stierle, Berlin

Blitzinfo: Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit

Seit dem 1. Juli 2015 läuft formal die Umsetzung der ersten Stufe des 5-Präsidenten-Plans zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion. Ziel dieser Stufe ist es, die gegebenen vertraglichen Grundlagen so effektiv wie möglich zu nutzen, um „die Wettbewerbsfähigkeit und die strukturelle Konvergenz zu fördern, die Finanzunion zu vollenden, eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik in den einzelnen Mitgliedstaaten und im Euro-Währungsgebiet insgesamt herbeizuführen und beizubehalten sowie die politische Rechenschaftspflicht zu stärken“ (S. 5). Ab 2017 sollen dann weitere Schritte folgen, die Vertragsänderungen erforderlich machen.

Die Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit werden von den Präsidenten im Kapitel zur Wirtschaftsunion vorgeschlagen. Laut dem Bericht „muss viel mehr unternommen werden, um zu gewährleisten, dass alle Mitglieder mit dem gleichen Elan auf die Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit hinarbeiten“ (S. 9). Den Schlussfolgerungen des Europäische Rates vom Dezember 2015 ist zu entnehmen, dass der Einrichtung dieser Räte (neben drei weiteren Vorschlägen der Präsidenten) im WWU-Vertiefungsprozess Priorität eingeräumt wird (Abs. 14).

Worum geht es?

Diskutiert wird der Vorschlag anhand einer Empfehlung der EU-Kommission vom 21. Oktober 2015, die an den Rat gerichtet ist (COM(2015) 601). Demnach soll in jedem Euroland ein unabhängiger Ausschuss gebildet werden, der die Aufgabe hat, Entwicklungen im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit und diesbezügliche politische Maßnahmen zu überwachen und zu bewerten sowie politische Empfehlungen herauszuarbeiten. Diese Ausschüsse sollen unabhängig von anderen Behörden sein, mit Experten besetzt werden und über „angemessene Ressourcen“ verfügen. Ihre jährlichen Berichte sollen veröffentlicht werden. Zugrunde liegen soll eine „breite Definition von Wettbewerbsfähigkeit“.

Die EU-Kommission soll mit den nationalen Ausschüssen in stetigem Austausch sein, um dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen des Euro-Währungsgebietes und der EU angemessen berücksichtigt werden. Hierzu sind Vor-Ort-Überprüfungen und Konsultationen vorgesehen. Die Kommission soll die Berichte der Ausschüsse zudem in die Analysen einfließen lassen, die dem Europäischen Semester und dem Verfahren gegen makroökonomische Ungleichgewichte zugrunde liegen.

Kritik an den Wettbewerbsausschüssen

Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert den Vorschlag zurecht als „Angriff auf die Tarifautonomie“. Ausschüsse ohne demokratische Legitimation sollen Einfluss auf die Lohnentwicklung nehmen. Noch dazu sollen sie das nicht anhand einer breiteren Fragestellung danach tun, welches Lohnniveau sozial und ökonomisch sinnvoll ist, sondern daran, welche Lohnentwicklung gut für die Wettbewerbsfähigkeit ist. So gedreht, sind immer die niedrigsten Löhne die besten, denn niedrigere Löhne verbilligen die Produktion und erhöhen so die Wettbewerbsfähigkeit. Dadurch werden stets jene Länder mit der schlechtesten Lohnentwicklung den europäischen Standard definieren. Von den anderen werden entsprechende Reformen zur Korrektur nach unten gefordert. So wird ein permanenter Druck auf die Tarifverhandlungen ausgeübt, der die Arbeitgeberseite begünstigt und Gewerkschaften schwächt.

Spätestens wenn dann in Stufe 2 des Präsidenten-Plans eine Euro-Fiskalkapazität geschaffen wird, aus der öffentliche Investitionen zur Belebung der Wirtschaft finanziert werden, zu der aber nur Zugang hat, wer die Empfehlungen der Wettbewerbsausschüsse umsetzt, wird Lohndumping zu einem Grundprinzip der EU-Politik

Dass eine „breite Definition“ von Wettbewerbsfähigkeit zugrunde gelegt werden soll, lässt darauf schließen, dass eine Abwärtsdynamik nicht nur bei den Löhnen angetrieben werden wird, sondern bspw. auch bei Arbeitnehmerrechten, Unternehmensbesteuerung und öffentlichen Investitionen.

Der zweite wesentliche Kritikpunkt besteht im anti-demokratischen Charakter des Konzeptes. Experten sollen die Arbeit gewählter Volksvertreter überwachen, nicht umgekehrt. Zudem soll der Einfluss der EU-Technokratie auf die Politik der Euroländer erhöht werden: Einerseits sollen die Ausschüsse unabhängig von nationalen Behörden sein, andererseits soll die EU-Kommission u.a. durch Vor-Ort-Überprüfungen dafür sorgen, dass die Ausschüsse die „Interessen des Euro-Währungsgebietes und der EU berücksichtigen“. Es handelt sich also um Gremien, die national wirken, von ihrer Verankerung her aber EU-Interessen vertreten.

Linke Kontroverse

Der keynesianische Ökonom Heiner Flassbeck übt Kritik an der DGB-Position. Ihm zufolge hat die EU-Kommission „klar erkannt, was wir seit Jahren […] predigen: Die Währungsunion kann nicht ohne Lohnkoordination funktionieren.“. Da die Berichte der Ausschüsse von der Kommission aufgegriffen werden sollen, sieht er darin einen richtigen Ansatz auf dem Weg zur Lohnkoordination im Euroraum. Er verweist zudem darauf, dass die Kommission auch Reformen in Ländern fordert, die anhaltend zu hohe Leistungsbilanzüberschüsse aufweisen – also in Deutschland.

Der Handelsblatt-Journalist Norbert Häring fasst das Problem mit Flassbecks Argumentation gut zusammen: „Ein Blick auf die jüngsten Stellungnahmen des EU-Rats zum deutschen Stabilitätsprogramm und zum deutschen Reformprogramm zeigt, dass die Kommission dabei nur neoliberale Lohndrückerei im Sinne hat. […] Deutschland soll das Arbeitsangebot erhöhen und damit direkt über niedrigere Sozialbeiträge und indirekt über Lohnkonkurrenz nach unten die Lohnkosten senken, indem es das Rentenalter erhöht, Sozialbeiträge senkt, kalte Progression reduziert und Arbeitsanreize für Minijobber und Frauen erhöht. Außerdem soll es die Kosten von Dienstleistungen durch Liberalisierung drücken. Das alles ist das genaue Gegenteil von der Intention, die Flassbeck und Spiecker der Kommission unterstellen. Reines Wunschdenken also.“

Härings Kritik an Flassbecks Position wäre noch hinzuzufügen, dass diese rein ökonomisch ist und keine Antworten auf das Problem des anti-demokratischen Charakters des Konzepts gibt.

Wie geht es weiter?

Der 5-Präsidenten-Bericht ordnet die Wettbewerbsausschüsse der ersten Stufe zu, die bis Mitte 2017 abgeschlossen sein soll (S. 20). In der Empfehlung der Kommission vom Oktober 2015 ist vorgesehen, dass die Mitgliedsstaaten die Ausschüsse innerhalb von sechs Monaten nach Annahme der entsprechenden Ratsempfehlung einsetzen. Der Europäische Rat hat den Rat im Dezember 2015 aufgefordert, die Vorschläge „zügig zu prüfen“. Es ist schwer einzuschätzen, ob es zwischen den Regierungen und EU-Institutionen relevante Kontroversen gibt, die den Prozess verzögern oder die Einsetzung der Ausschüsse verhindern könnten. Sollte dies nicht der Fall sind, ist mit einem raschen Prozess zu rechnen, der noch im Laufe des Jahres 2016 (spätestens Anfang/Mitte 2017) abgeschlossen sein wird.

 

Quelle:

Blitzinfo: Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit

Linke Euro-Kritik: Workshop in Frankfurt

Frankfurt/M, Freitag, 29. Januar 2016; 10:30 h – 17:00 h

J.W. Goethe Universität, Campus Westend

PEG Gebäude – Raum G 170 (3. Stock)

 

10:30 Begrüßung, Einführung – Peter Wahl, WEED/Wiss. Beirat Attac

 

10:40 Erfahrungen aus dem Europäische Währungssystem (EWS) 1979-1998 und Schlussfolgerungen für die Zukunft des Währungssystems.

Input: Prof. Martin Höpner, Max PIanck Institut, Köln

 

11:45 EU und die geopolitischen Umbrüche – Großmacht EU als neue Legitimationsgrundlage für die Vertiefung der Integration

Input: Prof. Andreas Nölke, Uni Frankfurt

12:30 Mittagspause

 

13:30 Europapolitische Strategien, Kräfteverhältnisse und Konflikte im herrschenden Block

Input: Prof. John Kannankulam, Uni Marburg

 

14:15 Welche Optionen für Selbstorganisation linker Euro-Kritik gibt es? Zielgruppen,

Themen, Vernetzung, Projekte

Inputs: Fabio de Masi, MEP; Alexis Passadakis, Attac

15:00 Pause

 

15:30 Fortsetzung der Diskussion. Wie weiter?

17:00 Ende

 

Anmeldung erforderlich: peter.wahl@weed-online.org

 

Nach den positiven Erfahrungen mit dem ersten Workshop am 29. Oktober in Köln wird die Diskussion in Frankfurt weitergeführt. Schwerpunkt wird dabei die Frage sein, welche Interventionsmöglichkeiten für linke Euro-Kritik bestehen. Dafür ist der ganze Nachmittag vorgesehen.

 

Wie sehen die Kräfteverhältnisse in Deutschland und in der EU aus? Welche Strategien verfolgen die wichtigsten Akteure (Parteien, Wirtschaft, Zivilgesellschaft etc.). Welche Themen werden dabei im Vordergrund stehen? Welche Prozesse und Konflikte werden die weitere Entwicklung der EU bestimmen? Was sind die Schlüsselfragen linker Euro-Kritik? Welche Optionen für Selbstorganisation linker Euro-Kritik gibt es? Vernetzung, konkrete Projekte.Charakter und zukünftige Arbeitsweise des Gesprächskreises.

 

Das Format von Köln wird beibehalten, d.h. am Anfang jeden Blocks nur kurze, thesenhaft zugespitzte Inputs und dann viel Raum für Diskussion.

Ein Sturm im deutschen Wasserglas. Varoufakis und sein „Plan C“

[Vorbemerkung: Der ursprüngliche Artikel hat Kritik auf sich gezogen. Ich habe ihn ihn somit in einigen wenigen stilistischen Punkten geändert]

Varoufakis hat Blut geleckt. Ein halbes Jahr war er nicht nur Minister. Sein originelles Auftraten damals hat ihn in den Vordergrund gespielt, es hat ihn, wie es heute so stereotyp heißt: zur Ikone gemacht. Es war ja auch erfrischend, den Finanzminister auf einem Motorrad und in der Lederjacke zu sehen, mitten unter den flanellgrauen Marionetten des Finanz­kapitals in ihren Uniformen, geistig wie auch in der Kleidung.

Das dürfte wohl auch sein größtes Verdienst gewesen sein. Denn als Finanzminister in einer akuten Krisen-Situation war Varoufakis so unfähig, dass es schon wieder schmerzte. Das würde an sich noch nicht gegen seine intellektuellen Fähigkeiten sprechen. Nicht jeder Mensch muss ein guter Politiker sein, i. S. der Fähigkeit zu organisieren und sein Ziel zu erreichen, selbst wenn er vielleicht ein guter Analytiker wäre. Aber bedauerlicher Weise trifft letzteres nicht zu auf Varoufakis. Und das ist das Problem.

Tsipras hat seinen Freund in die Wüste geschickt, als er seine 100 %-Kehrtwende vorberei­tete. Seit damals weiß Varoufakis nicht recht, wie er Aufmerksamkeit erregen soll. In Grie­chenland will niemand mehr was von ihm wissen. Zu unstet und zu „erratisch“ ist dieser „Marxist“. Bei der Abstimmung über das dritte, das Tsipras’sche Memorandum, war er beim ersten Mal abwesend. Bei der zweiten Abstimmung stimmte er dagegen, und bei der dritten dafür. Der eitle Professor wusste also eine Zeitland nicht, was er eigentlich machen sollte. Das zog sich noch bis in die unmittelbare Gegenwart.

Und jetzt: Zuerst scheint er auf beim „Plan B“ der Marke Lafontaine und Fassina. Nun ist ihm dies zu radikal. Jetzt versucht er einen „Plan C“ zu verkaufen, der in Wirklichkeit aber nur der gescheiterte Plan A ist, die auf Grund gelaufene Politik der SYRIZA Jänner bis Juni. Aber er hofft offensichtlich, in Deutschland anzukommen. Dort hat die reformistische Linke panische Angst hat vor dem Vorwurf, sie würde einen deutschen „Sonderweg“ anstreben. Und dort scheint er manchen aus der LINKEN ins Kalkül zu passen. Es geht also weder um Varoufakis noch um Griechenland. Es geht um deutsche Politik. Mit diesem „Popstar der Politik“ hoffen die Minister-Aspiranten offenbar auch, in das BoBo-Milieu der Grünen einzudringen.

Das Neue Deutschland und sein Chefredakteur Tom Strohschneider dienen diesmal als Pfad­finder. Den hat ein Kollege – von wo? Von der taz, dem Zentralorgan der Grünen! – als „sehr gewandt“ beschrieben. In Zusammensetzung mit dem Wort Wende fielen mir da noch andere Wörter ein…

Worum geht es?

Wie schon seit Jahren, murmelt Varoufakis düster was von reaktionärer und faschistischer Gefahr. Das Projekt EU dürfe nicht in die Binsen gehen. Denn nur das sei ein Bollwerk gegen den Ultranationalismus, den Rassismus und schließlich die Rückkehr der Neonazis. Daher müsse man den Zerfall der EU verhindern. Er schämt sich nicht, bei Tsipras eine Anleihe zu nehmen: Man müsse das retten, was man grundsätzlich bekämpfe, um noch Schlimmeres zu verhindern. Konkreter wird er nicht. Sein Vorschlag: Er möchte von oben herab, nicht etwa von der Basis in den Nationalstaaten, eine neue „radikal-internationalistische Bewegung“ aufbauen. Erst wenn auf übernationaler Ebene diese gewünschte Organisation steht, dürfe es auch weiter unten eine Bewegung geben, dürfen sich Leute anschließen.

Für den Herrn Strohschneider, der das am 4. Jänner 2016 an prominenter Stelle im ND an­preist, ist dieses Projekt „anschlussfähig“. Und er lässt die Katze aus dem Sack: Er möchte einen „historischen Kompromiss“. Für manche der Jüngeren ist dieser Begriff wahrscheinlich nicht mehr sehr aussagekräftig. Es war die Strategie, mit der sich Enrico Berlinguer Mitte und Ende der 1970er an die reaktionären und korrupten Christdemokraten in Italien anhängte. Er führte schließlich zum Zerfall der KPI – da war Berlinguer freilich schon tot. D’Alema zerstörte zielstrebig die Partei und wurde Außenminister. In der weiteren Folge ergab das die reaktionären Politik in den 1990ern. Unauflösbar mit dem Namen Prodi verbunden, hat sie Italien weg vom Wachstumspfad und der europäischen Überholspur gebracht. Diese Politik hat das Land zum heutigen Problemfall gemacht. Erst der Historische Kompromiss machte Figuren wie Berlusconi möglich. Aber auch Monti und Renzi wurzeln direkt im Historischen Kompromiss. Renzi persönlich kommt aus der Democrazia Cristiana .Sie sind die unmittelbaren Abkömmlinge des Historischen Kompromisses.

Das ist also die Politik, die den Hintermännern und -frauen aus dem rechten Flügel der LINKEN so attraktiv erscheint. Denn es geht in diesem Stürmchen nicht um irgend einen Herrn Strohschneider. Der Schatten des Gregor Gysi wächst riesengroß über dieser Intrige des Yannis Varoufakis.

Varoufaki’sThesen haben sich nicht geändert, seit er sie in Zagreb einer staunenden Öffentlichkeit vortrug. Auch die Version, welche die spanischen Medien El Diario und Canarias Ahora zwei Tage vorher veröffentlichten, unterscheiden sich um keinen Deut davon. Es ist kaum notwendig, hier lange herum zu polemisieren.

Aber eine gewisse außergriechische Öffentlichkeit hat den Ex-Finanzminister nun entdeckt, da er nicht mehr aktiver Politiker ist. Es ist wohl kaum das an Gustav Gründgens und seinen Mephisto erinnernde Gesicht, das den „Stern“ dazu bringt, ein richtiges Photo-Feuille­ton des Ex-Politikers zu bringen. Obwohl: Auch das soll man in einer Zeit nicht vernachläs­sigen, wo Inhalte nur zu gerne hinter einer originellen und für viele attraktive Erscheinung versteckt werden. Aber es dürfte doch um was Anderes gehen: Die Propagandisten des EU-Imperiums suchen nach einer Gestalt, welche ihre Inhalte an Menschen verkaufen kann. Und dazu ist Varoufakis bestens geeignet. Immer öfter erscheinen kurze Schriften von ihm ins Deutsche übersetzt, die in einem zeitgemäßn Stil – wer den mag – seine Sicht verbreiten. Die Weltherrschaft der USA und ihre katastrophalen Folgen (im „Globalen Minotaurus“) – wer will da schon widersprechen. Dabei übersehen sie aber die Aussagen, die dabei mit transportiert werden. Oder vielmehr: Sie übersehen sie keinswegs. Sie wünschen sie. Es ist eine Rechtfertigung für sie: Der Bösewicht der Eurogruppe muss doch was Gefährliches sagen, wenn ihn Schäuble und Dijsselbloem gar so hassen. – Und das ist der Grund, warum ihn die deutschen rechten LINKEN so brauchbar finden.

Der wichtigste Punkt in diesaer Affaire ist ein Rat an die deutschen Genossinnen und Genossen. Einige von ihnen haben etwas aufgescheucht auf die Ankündigungen des Griechen reagiert. Das ist ganz unnötig. Aber gar nicht belanglos sind die Figuren dahinter, auf gut bundesdeutsch: die Strippenzieher. Sie sind offenbar auch bereit sind, jene Partei, welche vielleicht nicht mehr ganz nach ihrer Pfeife tanzen will, so zu zerstören, wie die rechten „Linken“ in Italien sseinerzeit ihre Partei zerstört haben. Varoufakis ist mit seinem Plan C = Anicht wirklich eine Gefahr. Wenn es eine Gefahr gibt, dann ist es eine parteiinterne Intrige eines alternden Politikers der LINKEN und seines zahlreichen Gefolges. Auf die sollten die Genossen in Berlin achten.

KATALONIEN, SCHOTTLAND, QUÉBEC: SOUVERÄNITÄT ODER ABHÄNGIGKEIT? Selbstbestimmung und ihr Ziel

Katalonien hat reale Chancen auf Unabhängigkeit. Der beste Verbündete der katalanischen Separatisten war seit je die Madrider Zentralregierung. Da spielte es wenig Rolle, ob die rabiate PP sie trug oder die PSOE. Podemos, möglicher Partner einer PSOE- (Minderheits-) Regierung der nächsten Zeit, ist antiseparatistisch, aber pro-Selbstbestimmung, zumindest in der Rhetorik. Ausgerechnet in diesem Punkt ist sie also klassisch-leninistisch.

Was passiert, wenn sich Katalonien wirklich von Spanien trennt? In der Absicht der Mehrheit unter den Separatisten bleibt Katalonien einfach das 29. Mitglied der EU. Das setzt allerdings voraus, dass Brüssel-Berlin nicht verrückt spielt. Auf das kann man sich aber nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht verlassen. Den Damen und Herren dort ist ziemlich Alles zuzutrauen. Wenn sie aber rational bleiben, wenn sie ihren eigenen Vorteil bedenken, dann hat die EU ein neues Mitglied, und vielleicht in Kürze noch eines, Schottland.

Was aber hat sich dann für Katalonien und Schottland geändert? Der erste Reflex ist zu sagen: Nichts.

Hier beginnen unsere politischen und auch theoretischen Probleme.

In der Journaille läuft seit Jahren der Spruch um: 80 Prozent aller politischen Entscheidungen fallen heute in Brüssel. Das ist natürlich eine metaphorische Redewendung. Die Grundsatz­entscheidungen, das heißt der Spruch, fallen in Brüssel-Berlin. Die Implementierung im Rahmen des Systems des europäischen Verwaltungs-Föderalismus obliegt aber den National­staaten. Die EU hat nur einen Verwaltungsapparat geringen Umfangs. Das ist eine gewisse Schwäche. Sie arbeitet daher mit der gewohnten bemerkenswerten Zähigkeit daran, sich hier Kompetenzen zu verschaffen. Dazu nützt sie insbesondere Krisen. Die Bankenaufsicht („Bankenunion“) ist ein Beispiel. Ein anderes ist der aktuelle Vorschlag, den Schutz der Außengrenzen direkt zu übernehmen.

Verwaltung ist schließlich nicht einfach eine mechanische, automatische, neutrale Über­setzung der politischen Entscheidungen in den Alltag. Die Juristen, die solches stets behaupten, wissen selbst am besten, dass dies nicht stimmt. Verwaltung ist die direkte Ausübung von Herrschaft. Sie hat viel Entscheidungsspielraum. Sie gestaltet damit das konkrete Ergebnis der Herrschaft. Somit ist der Übertritt in einen Status, der autonome Verwaltung erlaubt, für eine bisherige Region nicht ohne Bedeutung. Es ist der Schritt von der subnationalen Ebene, die stets der Aufsicht der Zentralmacht unterliegt, zur nationalen Ebene, die bei aller Beschränkung mittlerweile wesentlich größere Möglichkeiten besitzt.

Aber gleichzeitig hat diese Gestaltungsmacht doch ihre engen Grenzen. Für die einzelne betroffene Person hat Verwaltungsmacht gewöhnlich wesentliche Auswirkungen, kann Schikane sein oder auch Begünstigung. Doch in einem modernen bürokratischen „Rechtsstaat“ ist einfach die vorgegebene Basisstruktur zu verwirklichen.

Zur Basis-Struktur gehört an herausragender Stelle das €-Regime. Die katalanischen Zentris­ten ebenso wie die linksliberalen Nationalisten wollen es beibehalten. Die schottischen Natio­nalisten streben sogar einen Beitritt dazu an. Damit könnte man fragen: Warum wollen sie die Krot denn eigentlich fressen – die absehbaren Turbulenzen einer Herauslösung aus dem bis­herigen Staat in Kauf nehmen? Denn diese werden wesentlich stärker ausfallen, als etwa ein Austritt aus der Währungsunion. Denn seit Jahrhunderten sind ihre politischen und sozialen Systeme mit denen des bisherigen Hegemonialstaats engst verschränkt.

Eine Unabhängigkeit hat unterschiedliche Aspekte. Der symbolische ist nicht die geringste Seite. Aber wesentlicher dürfte denn doch der (Ver-) Teilungsaspekt sein.

Katalonien ist nach dem Baskenland die höchst entwickelte territorial ausgelegte Region – d. h. ohne Madrid – in Spanien. Vielleicht ist das Schlagwort der oberitalienischen Regionalisten „Roma ladrone“ in Spanien nicht so ausgeprägt. Weit dürfte es den Katalanen doch nicht ab­liegen. Es geht also auch um die innere Umverteilung in Spanien. Das ist natürlich eine zwie­spältige Angelegenheit. Einerseits kann es den Katalanen niemand verargen, wenn sie sich nicht zugunsten eines Zentrums aussäcken lassen wollen, das sie immer diskriminiert und schlecht behandelt hat. Andererseits ist die Frage des Teilens miteinander ein Kern jeder politischen Gesellschaft. Um nicht missverstanden zu werden: Ich spreche jetzt auf einer ziemlich hohen Abstraktionsstufe. Denn die Frage des Teilens ist hauptsächlich eine der Struktur. Ob man für ein Teilen mit Strukturen, die man ablehnt, Sympathie aufbringen kann oder soll, ist eine ganz andere Frage.

Eine zweite Frage ist schließlich viel stärker politischer Art. Mit 7 1/2 Millionen Einwohner (Schottland 5,3 Mill.) und dem vergleichsweise hohen BIP (2013: 200 Mrd. €, also etwa 2 Drittel von Österreich) hätte Katalonien etwa ein Gewicht vergleichbar jenem von Österreich oder Dänemark oder Schweden. Das ist ein Kleinstaat, aber kein Mikrostaat, wie Zypern oder Luxemburg, auch nicht mehr eine solche Zwischenkategorie wie Slowenien oder die Balti­schen Staaten. Es wäre also, nennen wir das – politisch lebensfähig. Aber es wäre doch ver­hältnismäßig stark abhängig von einem Gebilde wie die EU. Denn diese würde weiterhin die Grundlinien vorschreiben. Sie würde es auch versuchen, wenn Katalonien nicht Mitglied der EU wäre. Diese Art der Abhängigkeit macht mir persönlich großes Unbehagen, wenn ich an einen anderen Kandidaten für die nationale Unabhängigkeit denke: Québec. Dort wäre die Abhängigkeit von den USA möglicher Weise schlimmer, als es jetzt die Abhängigkeit der Provinz von Kanada ist.

Mit der Selbständigkeit allein ist noch nicht allzuviel getan. Wir haben ein Muster-Beispiel in Europa, dass dies an sich völlig unzureichend ist. Irland wurde nach seiner Unabhängigkeit schnell zum katholischen Nord-Korea auf unserem Kontinent, und zwar bis gegen die Jahr­tausendwende hin. Heute hängt das Land am Gängelband der US-Konzerne und am Nasen­ring der EU. Die zwischenzeitlich hohen BIP-Kennzahlen des „keltischen Tigers“ haben verborgen, dass ein enorm hoher Teil als Gewinn-Transfers, ob direkt oder über irgendwelche Manöver verborgen, abfließt. Die Finanz- und Eurokrise hat überdies die Instabilität der Situation aufgedeckt.

Sosehr unsere Sympathie den katalanischen Souveränisten gilt, sosehr eine solche Unabhän­gigkeit die Politik aufmischen würde und damit auch neuen Überlegungen und Projekten eine Denkmöglichkeit böte, so ist doch unter uns diese Sympathie verhältnismäßig wenig disku­tiert und reflektiert. Sie hat Voraussetzungen und Folgen, die es anzusprechen gilt.

Nationale Selbständigkeit mit ihrer politischen Entscheidungsbefugnis und -fähigkeit (natio­nale „Souveränität“) ist in einer globalen Struktur, welche die Menschheit erschöpfend in unabhängige Staaten aufteilt, noch immer die Grundvoraussetzung für ein eigenständiges politisches Projekt. Dies gilt umso stärker, wenn dieses politische Projekt die bisherige Herr­schaft in Frage stellen will, eine Grundsatzentscheidung treffen möchte, einen Bruch mit dem derzeitigen System anstrebt. So ist es richtig, wenn gerade in den lateinischen Ländern, inklusive Südamerika, die Nation selbst als politisches Projekt definiert wird. Auch wir streben eine Renationalisierung an. Wir haben keinerlei Nostalgie nach einer identitären Illusion der allgemeinen sozialen Harmonie und schon erst recht nicht Sympathien für expansionistischen Chauvinismus. Wir wollen aus der Sackgasse des Imperiums heraus. Dazu brauchen wir einen radikalen Neuanfang. Wir streben die Offenheit des Systems an, um überhaupt wieder ein zukunftsorientiertes Projekt entwerfen zu können.

Das hat politische Folgen für unsere Einstellung nicht nur zu Katalonien und Schottland. Eine nationale und auch eine ethnistische Politik hat nur dann Sinn, wenn das Ziel eine solche Neuorientierung ist. Alles andere ist rückwärtsgewandte Nostalgie und belanglose Folklore. Mit der Qualifikation „ethnistisch“ will ich ausdrücken: Das gilt nicht nur für die Selbstbe­stimmung nationaler Einheiten. Dies gilt auch für Minderheiten-Bewegungen überall in Europa, auch in Österreich. Wie groß oder klein deren Umfang ist, steht unter dieser Perspektive nicht zur Debatte.

Das sind auch keine abstrakten, folgenlosen Deklarationen. Ein Großteil der europäischen Ethno- und Sprach-Minderheiten hat sich auf die EU orientiert. Diese EU unterstützt sie, solange sie brav und folkloristisch bleiben, züchtete sogar einen eigenen Verein namens EBLUL heran. Kann es seitens der Minderheiten ein größeres Missverständnis geben? In ihrem Eifer, sich gegen den eigenen Zentralstaat und deren hegemonialen Machthaber mit den Antinationalen zu alliieren, übersahen sie, dass diese „eigenen“, „nationalen“ politischen Eliten längst die Speerspitze des antidemokratischen Supranationalismus darstellen. Anstelle von Selbstbestimmung, Demokratie, Emanzipation unterstützen europäische Minderheiten in ihrer großen Mehrzahl heute Zentralismus, Bürokratie und Unterordnung.

Ein selbständiges Katalonien gibt die eigene Selbständigkeit sofort wieder auf, wenn es in der EU bleibt. Ein selbständiges Schottland wird weniger selbständig als heute sein, wenn es sich in den Euro-Raum drängt.

Aber das würde nicht nur Katalonien und Schottland, demnächst dann vielleicht Korsika und das Baskenland, betreffen. Eine solche Politik der neuen Abhängigkeit hätte Folgen für alle anderen Bewegungen, welche sich auf die eigene Identität berufen, um mehr Autonomie und Selbstbestimmung zu erlangen. Eine solche Politik der Reduzierung des eigenen Anspruchs auf Sprachfragen und ohnehin kaum gegebene kulturelle Differenz oder Diversität würde jeden subnationalen Anspruch auf Bestimmung über sich selbst auf Dauer und irreparable beschädigen. Der emanzipativ-demokratische Anspruch der nationalen und ethnischen Bewegung wäre nach einem solchen Beispiel verloren. Wer weiß: Vielleicht wäre eine solche Desillusionierung auch heilsam für manche souveränistischen Flausen. Dann allerdings brächte ein solches Paradigma Katalonien tatsächlich eine noch viel radikalere Neuorientie­rung als wir es uns vorstellen.

  1. Dezember 2015

Die Krise des spanischen Regimes: Wiederholt sich Griechenland auf der iberischen Halbinsel?

Wer dachte, dass mit der Kapitulation des griechischen Premier Tsipras vor den EU-Institutionen die Eliten in Brüssel und Berlin wieder alles im Griff hätten, hat sich geirrt. Die EU erodiert weiter aufgrund tiefer struktureller Wiedersprüche, die wieder und wieder zu politischen Krisen und Instabilität führen. Lange hat es nicht gedauert seit dem griechischen Kniefall vor seinen Gläubigern am 13. Juli, bis sich nun, kaum fünf Monate später, auf der iberischen Halbinsel ein neues griechisches Szenario ankündigt, mit vielen Ähnlichkeiten und einigen neuen Aspekten.

Das Panorama ist überall an der südeuropäischen Peripherie (und nicht nur dort) dasselbe: mit der Wirtschaftskrise 2008 brach das Kartenhaus des kreditfinanzierten Wachstums in sich zusammen. Der Aufschwung nach dem Eurobeitritt war auf Sand gebaut. In Spanien auf einer Immobilienblase, die 2007 mit massiven Privatkonkursen, Banken- und Unternehmenspleiten implodierte. In der Folge schnellte die Arbeitslosigkeit von einem Rekordtief von 8 % auf über 26 %, der Staat rutschte durch versuchte Konjunkturbelebung, Bankenrettung, Steuerausfälle und steigende soziale Kosten ins Minus mit einem maximalen Haushaltsdefizit von -11.2 % des BIP im Jahr 2009. Es folgte ein Austeritätsprogramm dem anderen, zwischen 2012 und 2014 unter Aufsicht der Troika. Das bedeutete wie in anderen Ländern eine Schuldenbremse in der Verfassung (Reform des Artikels 135 der Verfassung: Schuldenrückzahlung prioritär vor allen anderen Staatsausgaben), weitere Prekarisierung des ohnehin erschreckend deregulierten spanischen Arbeitsmarktes, Abbau der sozialen Sicherheit und Einschränkung der Geldflüsse an die Regionen. Das war der Stoff, aus dem das Ende der PSOE-Regierung Zapatero (angetreten als scheinbar linke Sozialdemokratie gegen den erzreaktionäre Bush-Unterstützer Aznar) und der Ausbruch der Massenproteste der Empörten „Indignados“ im Mai 2011 auf die Plätz des Landes gemacht war. Diese soziale Mobilisierung unter der Losung „sie repräsentieren uns nicht“ war der Beginn der neuen Linkspartei Podemos von Pablo Iglesias, die seit den Europawahlen 2014 (8 % der Stimmen) die Altparteien auf dem institutionellen Terrain herausfordert.

Trotz eines leichten Abschwungs von Podemos in den Regionalwahlen und Umfragen 2015 bis knapp vor den Wahlen im Dezember – die Ursachen sind vielfältig, aber sicher spielte der recht schwankende Diskurs hinsichtlich der katalanischen Unabhängigkeit wie auch die Rückendeckung für den Kniefall von Alexis Tsipras eine wichtige Rolle – konnte die Partei bei den Parlamentswahlen am 20. Dezember mit 20.7 % einen großen Erfolg erzielen. Entgegen der Hoffnungen der spanischen und europäischen Eliten war es nicht die bürgerliche Erneuerungspartei Ciudadanos (eine klare Pro-Austeritätspartei und eingefleischte Verfechterin des spanischen Zentralismus gegen die Selbstbestimmungstendenzen der Katalanen und Basken), die der Überraschungssieger wurde, sondern doch die Linke. Stimmenmäßig blieben Pablo Iglesias und seine verbündeten Gruppierungen in den autonomen Provinzen nur knapp hinter der PSOE (22 %), obgleich das spanische Wahlrecht den zwei Regimeparteien PSOE und PP einen etwas größeren Mandats-Vorsprung sichert. Es sei angemerkt, dass im Vorfeld intensiv ein Bündnis mit der Vereinigten Linken (IU, Izquierda Unida) diskutiert wurde, das Iglesias aber ablehnte – unter dem Vorwand sich mit keinerlei „Altpartei“ einlassen zu wollen. Ein solches Bündnis hätte den Mandatsabstand zu den Regimeparteien deutlich minimiert – wenn auch der Hauptleidträger bei den Wahlen die IU war, die 3,25 Prozentpunkte an Stimmen und 9 Mandate (!) verlor. Die zweite Linksformation, die von Podemos überrannt wurde war die baskische Unabhängigkeitsbewegung um die Partei Euskal Herria Bildu (- 5 Mandate). Der gegenüber der Unabhängigkeit offene Diskurs von Igleasias – „das Volk solle entscheiden“ – und seine klare Anti-Austeritätslinie sicherten ihm eine breite Unterstützung in Katalonien (24,7 %; nicht zuletzt dank der populären Podemos-nahen Bürgermeisterin von Barcelona Ada Colau) und im Baskenland (25,97 %).

Das spanische Establishment ist erschüttert. Etwa ein Drittel der Stimmen gingen den alten Systemparteien PP und PSOE verloren. Das Land steht vor einem ungelöstem Konflikt mit der katalanischen Regionalregierung, den die PP-Regierung unter Mariano Rajoy bis zu dem Punkt eskalieren ließ, an dem es selbst für die alten bürgerlichen Autonomisten der CiU (Convergència i Unió) um Artur Mas nur mehr den Ruf nach Unabhängigkeit gab – wovon vor allem die Linke (die sozialdemokratische Katalanische Republikanische Linke, ERC, und die linksradikale Kandidatur der Volkseinheit, CUP) profitierten. Erstere wurde bei den Parlamentswahlen viertstärkste Partei mit 9 Mandaten und potentielles Rädchen am Wagen einer Linkskoalition, zweitere reif zum Wahlboykott auf. Im Baskenland ist die Situation ohnedies seit Jahren verfahren. Und die Jubelrufe über Spaniens Überwindung der Krise (2014 verließ das Land den Rettungsschirm und konnte sein Haushaltsdefizit deutlich verbessern) sind auf dünnem Eis: weiterhin liegt die Arbeitslosigkeit bei 22 %, die der Jugend bei 47 %. Und der schwache Aufschwung hat 2015 sofort wieder das Leistungsbilanzdefizit ansteigen lassen.

Spanien ist in einer tiefen strukturellen Krise, seit Ende der 1980er Jahre hat das Land seine industrielle Basis verloren und ist zu einer peripheren Dienstleistungsökonomie (Tourismus) mit chronischem Leistungsbilanzdefizit, nicht wettbewerbsfähiger Industrie und hoher struktureller Arbeitslosigkeit geworden. Daran ändern die wenigen international tätigen spanischen Vorzeige-Multis (z.B. Telefónica, Repsol) und der Immobilienboom 2000-2007 nichts. Das Land hat kein tragfähiges ökonomisches Modell. Die Globalisierung und seine europäische Form, die EU von Maastricht bis zum Fiskalpakt, haben es zu einem Peripherieland degradiert, in dem die sozioökonomische Erosion nun endlich zu einer ernsten politischen Krise geführt hat.

Wie diese Krise enden wird ist offen. Irgendjemand wird politisch sterben. Verkauft sich die PSOE der PP im Sinne der Regierbarkeit (wie es Ciudadanos-Chef Albert Rivera forderte, aber von der PSOE vorerst ausgeschlossen wurde) so droht ihr das Schicksal der griechischen PASOK. Verkauft sich Podemos zu billig der PSOE ist ihr Aufstieg schnell beendet – ein Szenario, das nach dem Erfolg vom Sonntag wenig wahrscheinlich ist. Doch selbst die Minimalforderungen von Pablo Iglesias für eine Koalitionsbildung – vor allem die Sicherung sozialer Rechte und eine Lösung der nationalen Frage im Sinne des Selbstbestimmungsrechts – sind kaum mit dem herrschenden politischen und ökonomischen Rahmen vereinbar. Und dieser ist europäisches Recht und in die spanische Verfassung gemeißelt. Ob sich die PSOE der Podemos-Idee eines verfassungsgebenden Übergangsprozesses anschließen wir ist eher unwahrscheinlich. Daher haben die bürgerlichen Kommentatoren wohl nicht ganz Unrecht, wenn sie das Gespenst der Unregierbarkeit an die Wand malen.

Trotzdem sollte man realistisch bleiben: Podemos wird wohl kaum die totalen Umwälzung anführen. Das hat Syriza nicht leisten können und von Beppe Grillo in Italien ist es auch nicht zu erwarten. All diese neuen Formationen sind teils politische Krisenprodukte mit unzureichender programmatischer Substanz, teils sind sie in den ideologischen Fesseln des traditionellen linken Diskurses eines sozialen Europas gefangen. (Es ist schwer zu sage, was schlimmer ist.) Und Griechenland hat nun einmal den steinharten Beweis der Unreformierbarkeit des Euro-Regimes erbracht. Nicht nur wegen der Unnachgiebigkeit der Deutschen, sondern aufgrund der Untragbarkeit der ökonomischen Struktur, die die EU und die Währungsunion hervorgebracht haben. Daran wird auch das größere Gewicht Spaniens nichts ändern. Selbst die elementare Forderung nach dem Ende der Austerität ist daher radikal und konfrontativ.

Wir hoffen, dass Pablo Iglesias‘ Podemos möglichst hart bleiben wird bei ihrem Anti-Austeritätskurs und bei ihrem Versprechen an die unterdrückten Nationen im spanischen Staat, dass sie über ihre Zukunft selbst entscheiden sollen. Wenn das so ist, dann wird Podemos sich früher oder später mit der Frage eines „neuen produktiven Modells“, wie sie es in ihrem Programm nennen, konfrontiert sehen und damit mit der Tragbarkeit der spanischen Mitgliedschaft im Euroraum. Auch Podemos wird sich mit dem Plan B auseinandersetzen müssen, den Alexis Tsipras für Griechenland verweigert hat.

Spanien – wie auch Portugal und in leider rechter Form Frankreich – sind in jedem Fall der nächste Weckruf an die europäische Linke, sich kollektiv dieser Frage des Plan B zu widmen. Hier liegen die Zukunft eines neuen politischen Projekts und auch die einer neuen sozialistischen Alternative.

Gernot Bodner