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‚Operation Ursula‘: Wohin treibt die EU?

von Klaus Dräger

Mit großer Fanfare („Eine Union, die mehr erreichen will“) stellte die künftige Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen ihre politischen Leitlinien und die designierten Kommissionsmitglieder vor. Das neu gewählte Europäische Parlament (EP) soll im Oktober 2019 die vorgeschlagenen KommissarInnen anhören und prüfen. Bis zum 1. November soll die neue Kommission vom EP bestätigt werden. Wie in der Vergangenheit werden einzelne mögliche neue Kommissionsmitglieder von den EP-Abgeordneten scharf kritisiert.

‚Empört euch‘ – EP-Style …

Im Visier sind dabei vor allem die Vorschläge aus Osteuropa. Dem designierten Erweiterungskommissar Laszlo Trócsányi aus Ungarn wird seine Rolle bei der autoritären Justizreform von Viktor Orbàn vorgehalten. Der rumänischen Kandidatin Rovana Plumb wird eine mögliche Korruptionsaffäre von 2017 zur Last gelegt. Gegen den polnischen Kandidaten Janusz Wojciechowski von der PiS läuft ein Ermittlungsverfahren der EU-Anti-Betrugsbehörde OLAF wegen ungeklärter Reisekostenabrechnungen. Auch Macrons Kandidatin, die vormalige französische Verteidigungsministerin Sylvie Goulard, steht in der Kritik. Als frühere Europaabgeordnete beschäftigte sie EP-Mitarbeiter, die eigentlich zuhause nur für ihre Partei arbeiteten – was illegal ist.

Das EP interessierte sich hingegen nicht für die frühere Affäre der designierten Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde. Als Finanzministerin unter dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy hatte sie eine später als illegal verurteilte Entschädigung von mehr als 400 Mio. Euro an dessen befreundeten Geschäftsmann Bernard Tapie durch gewunken. Sie wurde von einem französischen Sondergericht dafür für schuldig befunden – allerdings ohne strafrechtliche Konsequenzen.

Zweierlei Maß

Dass Ursula von der Leyen wegen der Bundeswehr-Berater-Affäre vor einen Untersuchungsausschuss des Bundestages geladen wird – dies hat die Europaabgeordneten bei ihrer vorläufigen Bestätigung als Kommissionspräsidentin im Juli 2019 nicht gekümmert. Dem scheidenden Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker hatten damals die Luxemburg-Leaks Recherchen ja auch nicht geschadet. Als Finanzminister und Ministerpräsident von Luxemburg hatte er das Land zu einem Steuersenkungssparadies für multinationale Unternehmen gemacht, und bestehendes EU-Recht elegant dabei umgangen. Das Feuer von Medien und EP-Abgeordneten konzentriert sich jetzt auf die vorgeschlagenen Kommissionsmitglieder aus Osteuropa – aus Sicht des westlichen Publikums ist diese Region ohnehin ein ‚Hort der Korruption und Vetternwirtschaft‘.

Frei nach der Bibel (Matthäus 7,3) gilt aber: „Was siehst Du den Splitter im Auge deines Nächsten, aber den Balken in deinem Auge nimmst Du nicht wahr?‚Crony capitalism‘ – die Kumpanei von politischen Funktionsträgern mit dem Kapital und reichen Freunden- ist jedenfalls kein spezifisch osteuropäisches Problem. Auch im Westen und weltweit werden oligarchische Strukturen und die Vorteilsnahme daraus in öffentlichen Ämtern immer deutlicher sichtbar.

Möglicherweise wird das EP dem einen oder anderen aktuell umstrittenen Personalvorschlag nicht zustimmen. Im Großen und Ganzen wird von der Leyen ihr Team aber wohl durchbekommen. Spötter frotzeln bereits über die ‚Unschuldig-bis-zum-Beweis-des Gegenteils--Kommission‘. Unterhalten, kurzfristig das Interesse an Skandalen und Sensationen schüren, das ist ihr Geschäft. Strukturelle Analyse? Fehlanzeige. Bald wird die ganze Aufregung um die neue Kommission wohl wieder unter einem Mantel des Vergessens zugedeckt werden – wie damals bei Juncker, und wie bei den umstrittenen EU-Kommissionen zuvor (Santer, Barroso). Die bewältigten ähnliche Vertrauenskrisen erfolgreich: einige Fehler zugeben, einige nominierte Kommissare opfern – aber bitte die europäische Staatsräson berücksichtigen. Umstrittene Personen austauschen, dann ’sozial‘ blinken – und danach lief es wieder wie vorher.

Das ‚Ursula-Bündnis‘ – was steckt dahinter?

Im Europawahlkampf 2019 positionierten sich fast alle deutschen und westeuropäischen Parteien entlang der Linie: ‚Europa nicht den Nationalisten überlassen‘, gegen ‚Populismus‘, für die EU als ‚Friedensprojekt‘ und vieles mehr. Dazu waren die Botschaften von konservativ, sozialdemokratisch, liberal, grün bis zu großen Teilen der ‚radikalen Linken‘ ziemlich ähnlich. ‚Feinde‘ waren für all diese die Brexit Party in Großbritannien, die Lega in Italien, die PiS in Polen, Victor Orbán in Ungarn, Marine Le Pen in Frankreich, AfD und FPÖ, und auch die Fünf-Sterne Bewegung (M5S). Es ging dabei vereinfachend um ‚Pro‘ oder ‚Kontra‘ Europa – nicht um links und rechts.

Nach der Europawahl wollten sowohl das EP als auch Angela Merkel das ‚Spitzenkandidaten‘-Modell retten (Macron eher nicht). Das gelang nicht: im EP gab es weder eine Mehrheit für den konservativen Spitzenkandidaten Manfred Weber (EVP), noch für Frans Timmermanns (Sozis), noch für Margrethe Vestager (Liberale). Das EP konnte so das von ihm stets hoch gehaltene Spitzenkandidatenmodell nicht durchsetzen. Im Rat der EU (Regierungschefs) gelang das erst Recht nicht.

Dieses Modell ist vorerst tot. Viele WählerInnen fühlten sich betrogen – auch weil sie über die rechtlichen Hintergründe dazu von den Mainstream Medien nicht oder kaum verständlich informiert wurden. Sie glaubten an eine ‚europäische transnationale Demokratie‘, die es im wirklichen Leben nicht gibt.[1] Alles Wesentliche in der EU wird in erster Linie von nationalen Regierungen ausgehandelt.

Macron zauberte deshalb erst mal Frau von der Leyen aus dem Hut, um diese institutionelle Blockade aufzulösen. Viele Analysten außerhalb von Deutschland denken: das war ein intelligenter Coup. Damit habe er einen deutschen EZB-Präsident Jens Weidemann verhindert, der stets gegen die lockere Geldpolitik der EZB wetterte. Mag sein – aber Angela Merkel war stets zufrieden mit der ultra-lockeren EZB-Geldpolitik von Mario Draghi. Diese hat den Bundeshaushalt stark entlastet. Beide konnten Berlusconi 2011 in die Wüste schicken (was Protestbewegungen in Italien – mit ganz anderen Motiven – nicht schafften). Danach wurde erst mal eine Expertenregierung ‚Monti‘ installiert. Merkel und Draghi waren dazu ein gut eingespieltes Duo.

Sie hoffen, dass Lagarde auf dieser Linie weiter macht, was diese auch beteuert. Dies gefiel dem EP-Ausschuss für Wirtschaft und Währung, der Lagarde bereits grünes Licht erteilte. Unbequemen Fragen wegen der auch unter ihrer Ägide als IWF-Präsidentin drakonischen Austeritätspolitik gegen Griechenland musste sie sich dort kaum stellen.

Kräfteverhältnisse in der EU

Hinter Ursula von der Leyen als neuer Kommissionspräsidentin versammelten sich sehr heterogene politische Kräfte. Dies geschah entlang ’nationalstaatlicher Interessenlagen‘ – also der nationalen Kapitale, ihrer Fraktionen, und der jeweiligen Regierungen, die so was stets intern und ‚international‘ austarieren müssen. Ein klares ‚Links-Rechts‘ Schema gibt es in der EU dazu nicht.

In der entscheidenden Abstimmung im EP hatte sie die volle Unterstützung von Macrons gestärkten Liberalen. Kleinere Teile ihrer konservativen EVP und der Sozialdemokraten stimmten offenbar aber nicht für sie, allen voran die MEP der deutschen SPD. Sowie die EP-Fraktion der Grünen.

Diese Opposition ist für die Zukunft nicht Ernst zu nehmen. Die Führung der deutschen Grünen (Parteivorsitzende, Bundestagsfraktion) waren die Ersten, die von der Leyen zu ihrer Bestätigung durch das EP auch inhaltlich wegen ihres ‚mutigen Programms‘ gratulierten. Und damit ihr eigenes Spitzenteam im EP (Ska Keller, Sven Giegold) düpierten. Diese kamen zu dem (m.E. realistischen) Urteil, dass von der Leyens Green Deal und viele ihrer anderen Versprechen nach genauer Lektüre der Unterlagen nur heiße Luft seien. Dies wurde von den deutschen Grünen herunter gespielt. Diese Reaktion von den Bundesgrünen ist m.E. leicht zu deuten: Schwarz-Grün in Deutschland ist ihre bevorzugte Perspektive.

Wie auch immer: am Ende kam Ursula nur auf knappe 9 Stimmen über der absoluten Mehrheit im EP (dafür sind 374 Stimmen nötig). 383 MEP stimmten für sie; 327 dagegen. Unterstützt wurde sie unter anderem von Mitte-links: z.B. von den Sozis aus Spanien (Pedro Sanchez), aus Portugal (Antonio Costa), der PD aus Italien und sogar von den EP-Abgeordneten von Jeremy Corbyn’s Labour.

Ohne die Stimmen der ‚Populisten‘ – gegen die die CDU und andere ja hauptsächlich Wahlkampf machten – wäre sie krachend durchgefallen. Für Ursula stimmten die ‚Populisten‘ der Fünf-Sterne-Bewegung aus Italien (14 MEP), und auch mehrheitlich die EP-Mitglieder der ‚rechtspopulistischen‘ PiS aus Polen (26 MEP) und von Viktor Orbàns Fidez aus Ungarn (13 MEP). Insofern: von der Leyen wird Kommissionspräsidentin von Kaczyński’s und Orbàn’s Gnaden.

Das ist den deutschen Mainstream-Medien peinlich. Sie hatten ja die Kampagne ‚überzeugte Europäer gegen Nationalisten‘ maßgeblich vorangetrieben. Sie warnten stets auch vor einem angeblich anti-europäischen ‚Linkspopulismus‘ (z.B. DIE LINKE, Unidas Podemos in Spanien, Mélenchon in Frankreich usw.).

Dass ‚ihre Ursula‘ ohne Unterstützung der zuvor so gebrandmarkten ’nationalistischen Populisten‘ nicht bestätigt worden wäre – dies besser ausblenden. Auch ansonsten eher kritische Medien wie die Nachdenkseiten und andere hatten diesen Widerspruch zwischen CDU-Kampagne und deren ‚Realpolitik‘ kaum thematisiert.

Ein holpriger Beginn …

Von der Leyen hatte einen schwierigen Start als designierte EU-Kommissionspräsidentin. Kurz später hatte sie auch Glück. Die Koalition in Italien von Salvinis Lega und der 5-Sterne Bewegung (M5S) brach auseinander. Damit ist Ursula ein Problem los: den ansonsten eskalierenden EU-Haushaltsstreit mit Italien. Die neue PD-M5S Koalition gibt sich europapolitisch deutlich moderater. Dort wird dieses neue Bündnis von Freund und Feind als coalizione Ursula‘ betitelt, weil sowohl PD als auch M5S im EP für von der Leyen votierten. M5S verlangt jetzt nur, dass Italien etwas mehr ‚Flexibilität‘ bei den Regeln des ‚EU-Stabilitäts & Wachstumspakts‘ (SWP) erlaubt wird. Matteo Renzi (PD) forderte das stets zu seiner Zeit als Italiens Premierminister. ‚Flexibilität‘ beim SWP – für Deutschland und Frankreich wurde das zuvor ja auch schon mal gemacht – auf Druck von Schröder und Chirac. Am EU-Austeritätsregime (und dem Zwang zu weiteren neo-liberalen Strukturreformen) änderte das aber nichts, und sollte es auch nicht.

Die italienische Fünf-Sterne-Bewegung möchte sich jetzt übrigens der Fraktion der Grünen im EP anschließen. Deren Mehrheit ist dafür aufgeschlossen und verhandelt. Letztlich geht es dabei um Status und Geld: wenn die MEP der Grünen/EFA-Fraktion im EP aus Großbritannien wg. Brexit wieder weg wären, verlöre diese 11 Sitze aus dem UK (7 Grüne, 3 SNP Schottland, 1 Plaid Cymru Wales) von ihren derzeit insgesamt 75 EP-Sitzen. Da wären 14 Neuzugänge aus Italien schon willkommen. Früher hatten die Grünen übrigens auch kein Problem damit, dass die flämische ‚rechtspopulistische‘ N-VA aus Belgien lange Zeit zu ihrer EP-Fraktion gehörte. Der Wandel von M5S vom ‚populistischen‘ Saulus zum EU-freundlichen Paulus, die Grünen ohnehin von der CDU umworben? Das wäre doch viel versprechend für die Stabilisierung der ‚extremen Mitte‘ im EP …

Von der Leyen versucht andererseits alles, um die osteuropäischen Regierungen (und insbesondere die von Polen und Ungarn) in einen Konsens der ‚extremen Mitte‘ in der EU einzubinden. Ungarn’s Viktor Orbàn bekundete, sie verstehe die Haltungen Osteuropas besser als andere in der Juncker-Kommission zuvor. Frans Timmermanns soll nun EU-Kommissar für Klimaschutz werden (Green Deal im EU-Sprech). Zuvor war dieser in der Juncker-Kommission prominent gegen die Regierungen von Ungarn und Polen eher propagandistisch als rechtlich aktiv, um deren autoritäre Justiz- und Medienreformen anzuprangern. Von der Leyen schlug dann vor, ein Ressort in der Kommission „Schützen, was Europa ausmacht“ (Protecting the European Way of Life) zu schaffen – ein deutliches Signal an Orbàn und Kaczyński. Dies hat eine kontroverse Debatte selbst unter den Mainstream Parteien in der EU ausgelöst. Denn ‚Europa vor den Fremden schützen‘ – so wird dies m.E. zu Recht in ideologischer Hinsicht verstanden – war ja stets ein zentraler Slogan nicht nur der osteuropäischen harten Rechten. Im wirklichen Leben passt dazu allerdings schon lange kein Blatt mehr zwischen die Anti-Flüchtlings-Agenda von Orbàn und Konsorten und der offiziellen EU-Politik von Merkel, Macron und anderen EU-Granden.

Die Balkan-Route wurde mit dem EU-Türkei-Deal dicht gemacht, und die Mittelmeer-Route durch Druck auf afrikanische Länder weitgehend auch. Salvini wurde nie dafür sanktioniert (wie auch), dass durch seine Dekrete die zivile Seenotrettung kriminalisiert wurde und deren Schiffe italienische Häfen nicht anlaufen durften. Das dahinter stehende EU-Regime soll nach Macron, Merkel, von der Leyen so weiter gehen. Wer ein ‚begründetes Recht‘ auf Asyl nachweisen kann – o.k., dies solle man schon in ‚Afrika‘ prüfen. Ansonsten gilt: die als Wirtschaftflüchtlinge betrachteten Personen möglichst schnell zurück führen. Sollten welche dabei sein, die die EU wg. ‚Fachkräftemangel‘ usw. gebrauchen kann – auch gut. Das sind halt die (neoliberalen) Kriterien dafür, welche MigrantInnen rein dürfen und wer draußen bleiben soll.

„Strategische Souveränität“?

Um von der extremen Mitte im EP (Konservative, Liberale, Sozis und Grünen) erst mal als designierte Kommissionspräsidentin bestätigt zu werden, versprach Ursula von der Leyen den diversen Akteuren dort das Blaue vom Himmel. Gegenüber Macron: Ausbau der Aufrüstungsunion‘ und der etablierten Politik zur ‚Festung Europa‘. Den EU-Südländern: Man könnte ja den bestehenden Stabilitäts- und Wachstumspakt ‚flexibler‘ anwenden. Sozis und Grünen: Klimaschutzfonds bei der Europäischen Investitionsbank, EU-Regeln zum Mindestlohn, EU-Initiativen zu einer ‚EU-Arbeitslosen-Rückversicherung‘ und einiges mehr.

Eine bemerkenswerte Reaktion auf diese ‚Operation Ursula‘ kommt von Andrew Watt (vom Europäischen Gewerkschafts-Institut ETUI und dem Wirtschaftsforschungs-Institut der Hans-Böckler-Stiftung IMK). Folgt man dem Gewerkschafts-Experten Watt, so vertritt von der Leyen „die internationalistischste progressive Agenda, die seit vielen Jahren auf EU-Ebene präsentiert wurde.“

Na dann … – welchen ‚Internationalismus‘ strebt von der Leyen denn an? Ihr Leitbild ist ’strategische Souveränität‘ – ‚Europas Wille zur Macht‘. Dies wird von ihr, von Macron und europäischen Denkfabriken schon länger propagiert. Was ist damit gemeint?

Aufrüstungsunion, Festung Europa – wie gehabt, und Konsens in der EU. Die EU müsse ein ‚global player‘ werden, um zwischen USA, China und Russland nicht zerrieben zu werden. Sie benötige vor allem eine eigenständige Geo-Politik und Geostrategie, erst Recht nach einem möglichen ‚No-Deal-Brexit‘. Deshalb brauche sie auch eine neue Industriepolitik. Deren Ziel: größere ‚EU-Champions‘ schaffen, die im globalen Wettbewerb mit den USA und China mithalten können. Etwa so, wie der deutsche Wirtschaftsminister Altmaier und der französische Präsident Macron dies wegen der angestrebten Fusion von Siemens und Alstom schon längst forderten. Dafür sei das EU-Wettbewerbsrecht zu lockern. Die EU solle zudem eigene Standards zu Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz schaffen und dies massiv fördern. Die ‚internationale Wettbewerbsfähigkeit‘ von EU-Champions solle durch einen EU-Fonds gestärkt werden. Das Leitbild ‚Strategische Souveränität‘ beinhaltet somit sowohl wirtschaftliche, militärische, geo-politische und andere Aspekte. Diese weiter gehenden Visionen der EU-Denkfabriken werden auch in internen Diskussionspapieren der Kommission aufgegriffen.

Ob sich das durchsetzt? Flexiblere Regeln zum Stabilitätspakt, das EU-Wettbewerbsrecht lockern – dagegen sträubt sich die ‚Hanseatische Liga 2.0′ (ein von den Niederlanden geführtes Staatenbündnis mit Dänemark, Finnland, Schweden und den baltischen Staaten). Sie verteidigen eisern Schäubles und Scholz‘ Prinzip der ’schwäbischen Hausfrau‘ in der Haushaltspolitik (die ’schwarze Null‘). Sowie den freien Wettbewerb in einer ‚freien Marktwirtschaft‘. ‚Europäische Champions‘ fördern- das würde aus ihrer Sicht vor allem deutschen und französischen Unternehmen nutzen. Eine durchaus realistische Analyse, die auch von osteuropäischen Regierungen geteilt wird…

Auch in der CDU sind solche Ideen sehr umstritten. Von der Leyens‘ ’soziale Versprechen‘ wie z.B. zu einer EU-Arbeitslosen-Rückversicherung wurden dort stets abgelehnt. Ob diese wirklich ’sozial‘ wäre, steht noch mal auf einem anderen Blatt.

Aussichten

Insofern gilt für die ‚Operation Ursula‘ wie für die EU insgesamt: sich durchwursteln ist das Gebot der Stunde. Dass die neue Kommission bestätigt wird, könnte gelingen. Auch wenn mit dem einen oder anderen ‚blauen Auge‘.

Danach kommen aber härtere Probleme, die ihre Schönwetter-Agenda schnell zu bloßem bedruckten Papier machen könnten. Möglichweise ein No-Deal-Brexit zum 31. Oktober 2019 (weil kein Austrittsvertrag des UK mit der EU zustande kommt), neue Handelssanktionen von Trump (Flugzeuge, Autos) gegen die EU, eine internationale Rezession, Krieg gegen den Iran und vieles mehr. Die EU-internen Konflikte (z.B. um die künftige Osterweiterung um Balkanstaaten wie Albanien, Nord-Mazedonien, Kosovo usw., um Geopolitik gegenüber China, USA und Russland, um die Durchsetzung von ‚Rechtsstaatlichkeit‘, die Verteilung der noch ankommenden Flüchtlinge und die Migrationspolitik, um die künftige Wirtschafts- und Geldpolitik) – diese werden sich eher zuspitzen. ‚Operation Ursula‘ – eine ‚Mission impossible‘? Wir werden sehen …


[1] Siehe meinen Beitrag in Z 119, September 2019, zu ‚ Europawahl 2019 – Debakel für die EU-Linke ‚

Gefährliche antirussische und antikommunistische Resolution des EU-Parlaments

Rainer Brunath, Hamburg, 27.9.2019

[Bild: Gedenkkundgebung des „Komitees Frieden für die Ukraine“ am 2.5.2015 anlässlich des Jahrestages des Massakers von Odessa beim sowjetischen Denkmal in Wien, das staatsvertraglich geschützt ist. Wenn es nach dem EP geht, müsste dieses geschliffen und die Kundgebung verboten werden.]

Das EU-Parlament in Straßburg verabschiedete am 19. September eine Resolution, die sich mit der „Bedeutung der europäischen Vergangenheit für die Zukunft Europas“ befasste. Die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten stimmten für diese Entschließung, 66 dagegen und 52 enthielten sich der Stimme.

Die Entschließung kam auf auf Initiative der baltischen Staaten und Polens zustande. Die vier osteuropäischen Staaten behaupten entgegen wissenschaftlicher Erkenntnisse und der historischen Wahrheit, dass erst mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag „die Weichen für den Zweiten Weltkrieg gestellt wurden“.

Hier manifestiert sich in den Regierungen der vier genannten Staaten ein ideologischer und verbohrter Rückfall in die schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges. Leider haben sich im Baltikum und in Polen nach der Zeitenwende 1989 breitenwirksam antirussische Stimmungen entwickelt, oder sie wurden von interessierter Seite erfolgreich ertabliert. Dem liegen revanchistische und revisionistische Bestrebungen zugrunde.

Nach dem Ersten Weltkrieg musste die damals noch junge und vom Bürgerkrieg geschwächte Sowjetunion als Kriegsverlierer Territorien im Westen, die ehemals zum Zarenreich gehörten, an Polen abgeben, sowie die Entstehung der baltischen Staaten hinnehmen. In den an Polen abgetretenen Gebieten, die zur Ukraine und zu Belorussland gehörten, lebte auch eine polnische bourgeoise Minderheit, die nach der Okkupation begann die ostslawische ansässige Landbevölkerung auszubeuten oder sie ihres Landes zu berauben. Diesen Zustand beendete der Einmarsch der Sowjetarmee, die von weiten Kreisen der ostslawischen Urbevölkerung als Befreier begrüßt wurden.

Der Nichtangriffsvertrag enthielt ein geheimes Zusatzprotokoll „für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung“. Das gestattete der Sowjetunion, im Ersten Weltkrieg verlorene Territorien des Russischen Kaiserreiches wiederzugewinnen. Es erklärte Ostpolen, sowie die drei baltischen Staaten zur sowjetischen Interessenssphäre

Der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag wäre niemals zustande gekommen, hätten die Westmächete Großbritannien und Frankreich die vorher ausgesprochenen Allianz-Angebote der sowjetischen Führung angenommen. So kam es zum Schluss zum Stalin-Hitler-Pakt, den Stalin nutzte, um Zeit zu gewinnen, denn er sah den Krieg mit Hitler-Deutschland als unvermeidlich an.  Monate hat es ihm gebracht, die er genutzt hat, um wichtige Industrien nach Sibirien zu verlegen. 

Das zur Vergangenheit, die bestimmte regierungsnahe Bevölkerungsteile Polens und der Baltischen Staten mit einer Resolution auslöschen wollen, die die Unterdrücker und Unterdrückten, Opfer und Schlächter, Eindringlinge und Befreier gleichsetzt. Die Entschließung ist ein Text grober ideologischer Propaganda, die nicht auf Verständigung sondern auf Konfrontation setzt. Vollkommen absurd ist die Aussage in der Entschließung, dass „es von entscheidender Bedeutung für die Einheit Europas und seiner Bürger und für die Stärkung des Widerstands Europas gegen die gegenwärtigen Bedrohungen von außen ist, dass an die Opfer totalitärer und autoritärer Regime gedacht werde“. Da muss man fragen, welche aktuelle externe Bedrohung gemeint ist. An dieser Stelle entlarvt sich die Resolution als gegen Russland gerichtet. Jede andere Erklärung ist ein Eiertanz. Hat man an offizieller Stelle in Polen und den Baltischen Staaten vergessen wer sie vom Hitlerfaschismus befreit hat? Anscheinend ja. 

Die FIR (Internationale Föderation der Widerstandskämpfer) erklärte dazu: die Resolution ist ein Schlag ins Gesicht der FIR und aller anderen Verbände der Überlebenden der faschistischen Verfolgung, aller Kämpfer gegen die nationalsozialistische Barbarei. Die Antifaschisten sagen nein zu solchen historischen Fälschungen, sagen NEIN, dass sie mit diesem Beschluss in keiner Weise einverstanden sein können.

Die FIR lehnt diese jüngste Entschließung des Europäischen Parlaments ab, in der Nazi-Faschismus und Kommunismus gleichsetzt und verurteilt werden. Diese Entschließung steht im völligen Gegensatz zur antifaschistischen und antirassistischen Entschließung vom 25. Oktober 2018.  

Und weiter: Die FIR fordert das Europäische Parlament auf, seine eigene Autorität und Glaubwürdigkeit zu erläutern, zu schützen und zu bestätigen, anstatt gerade jetzt, wo die Gefahr von Faschismus, Rassismus und Nationalismus zunimmt, einen Weg der Spaltung einzuschlagen. […]

Wer allerdings auf dieser Gleichheit besteht, kann kein Demokrat sein; in Wahrheit und in seinem Herzen ist er bereits ein Faschist und er wird sich entwickelnden Faschismus nur mit Unaufrichtigkeit bekämpfen, den Sozialismus aber mit Hass und Verlogenheit.

Das EP, der EuGH für Sozialabbau und Entdemokratisierung und seine nationalen Helfer:

Die Institution des Imperiums und ihre Rollen

Das EP ist ein Pseudo-Parlament, das sich mit einem gewissen Erfolg auf die optische Täuschung von allgemeinen Wahlen und damit auf einen Anschein von Legitimität und Demokratie beruft. Es ist eine optische Täuschung, weil wir sehr wohl wissen: Alle Themen bei den sogenannten „Europa-Wahlen“ sind ausschließlich von nationaler Relevanz, und auch die Ergebnisse werden nur national interpretiert. Am Wahlabend wird dies von den supranationalen Protagonisten auch gar nicht bestritten. Am nächsten Morgen allerdings beginnt die Umdeutung in eine Legitimierung des Globalismus …

Dieses EP hat nun als Hauptfunktion den Flankenschutz der supranationalen Bürokratie für deren von einem wichtigeren Sachverhalt abzulenken. Gerade eben hat es eine Resolution beschlossen (2019/2819(RSP)) mit den üblichen ideologischen Stilübungen zu „Menschen¬rechten“ (!) und „Demokratie“ (!!! ausgerechnet!). In diesem speziellen Fall wärmt es die alte Totalitarismus-Ideologie wieder auf und vergisst auch nicht, auf ähnliche Resolutionen aus früheren Sitzungen hinzuweisen: Sozialismus und Faschismus sind nur zwei Formen des „Totalitarismus“ und müssen daher gleichermaßen bekämpft werden. Es war ein Schlachtross der US-amerikanischen systemfrommen Akademiker, das seine Kraft aus dem Stalinismus bezog. Heute wagen sie es eigentlich nicht mehr, dies zu wiederholen. Nur zurückgebliebene Politiker und Journalisten dürfen dies noch wiederholen, die aber mit größter Inbrunst. Für sie ist es eine Art Glaubensbekenntnis und politischer Katechismus geworden, den alle abbeten müssen, die man in den eigenen Kreis aufnimmt. Mich würde nicht wundern, wenn neben den konservativen Parteien, der EVP, der SP, den Liberalen und den Grünen, auch die deutsche LINKE mit gestimmt hätte. Die glauben ja immer noch, sie müssten ihre „demokratische Glaubwürdigkeit“ durch solche Exerzitien im politisch-korrekten Stil der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ legitimieren.

Das EP hat hauptsächlich eine ideologische Funktion, obwohl es mit bemerkenswerter Zähigkeit sich bemüht, sich reale Kompetenzen anzumaßen. Trotzdem finden die eigentlichen Entscheidungen anderswo statt. „Und die einen steh’n im Dunkeln, und die andern steh’n im Licht. Doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ Wir sollten uns also nicht durch diese Worthülsen dieser fragwürdigen Körperschaft ablenken lassen. Denn um Ablenkung geht es. Die Herrschafts-Institutionen müssen aber immer durch Hegemonie-Apparate ergänzt werden. Dazu gehört ziemlich weit oben, wenn auch insgesamt nicht so effizient, das EP.

finden gleichzeitig nämlich wesentlichere Prozesse statt. Und einen dieser Prozess können wir eben, gleichzeitig mit der Ideologie-Übung des EP, mitansehen:

Der EuGH für Sozialabbau hat wieder zugeschlagen. „Die im Dunkeln“ agieren und zwar mit schwerwiegenden Konsequenzen. Es ist dem EuGH unerträglich, dass auch Manager dazu gebracht werden, die noch geltenden nationalen Gesetze zu beachten. Sozialschutz – pfui! Da seien die vier Freiheiten davor!

Es ging um die Einhaltung minimaler Lohnstandards durch kroatische Arbeitskräfte in Österreich. Österreichische Führungskräfte wurden zu Geldstrafen dafür verurteilt, dass sie sich nicht an österreichische Gesetze gehalten hatten. Geklagt haben dann typischer Weise nicht nur die betroffenen österreichischen, sondern auch nichtösterreichische Manager, die von den Staaten Kroatien, Slowenien, Polen, Tschechien und Ungarn unterstützt wurden.

Dem EuGH für Sozialabbau scheint es unerträglich, „unverhältnismäßig“, dass die Österreicher zu fühlbaren Geldstrafen und im Nichteinbringungsfall zu Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt wurden, nur weil sie sich nicht an die gesetzlichen Standards hielten. Da gibt es zum Inhalt gar nichts zu sagen, denn das reiht sich ein in eine Fülle von Erkenntnissen in dieselbe Richtung. Das ist eben EU und EuGH. …

Das Ergebnis des Urteils ist nicht nur, dass der Strafbescheid gegen die Andritz-Manager aufgehoben werden muss. Auch bei zukünftigen Entsendungen dürfen die Behörden und Verwaltungsgerichte keine Strafen für die Nichteinhaltung der Aufbewahrungs- und Meldepflichten nach dem LSD-BG und dem AuslBG mehr verhängen. Damit würde aber eine wesentliche Abschreckungsfunktion des gesamten Lohndumping-Regimes wegfallen. Dieses ist zwar vor allem dazu gedacht, Entlohnungen unterhalb des Kollektivvertrags zu verhindern. Aber bisher haben die Behörden nur selten Strafen für Unterentlohnungen an sich verhängt; sie haben sich damit die mühsame Berechnungen erspart, ob der den ausländischen Arbeitskräften bezahlte Lohn dem inländischen KV entsprach. ….

STEFAN KÜHTEUBL ist Partner und Arbeitsrechtsexperte bei Schönherr.

Standard, 23. September 2019

Aber wir sollten ein paar Nebenaspekte ins Auge fassen.

Der erste davon ist eigentlich kein Nebenaspekt. Das EuGH-Verfahren wurde initiiert als Vorabentscheidung. Will ein nationales Gericht sich nicht an die gegebenen nationalen Gesetze halten, dann holt es vor seinem Urteil die verbindliche Meinung des EuGH ein. Ein Anlass findet sich immer, denn man kann immer mit den „Freiheiten“ argumentieren. Das ist eines der Haupteinfallstore des sogenannten europäischen Rechts. Damit wird von vorneherein die nationale Souveränität belanglos; eine auf nationaler Ebene getroffene politische Entscheidung in Rechtsform – das Hauptinstrument von Politik – verliert ihre Kraft und Wirkung. „Vorabentscheidungen“ wären vorab einmal zu verräumen, wollte man sich selbst noch ernst nehmen, etwa auch, wenn die Idee des „strategischen Ungehorsams“ wirklich seriös genommen würde, wie es attac vorgebracht hat. – Auch hier hat also die nationale Bürokratie, in diesem Fall die Justiz-Bürokratie, der steirische Verwaltungsgerichtshof, das Hölzl geworfen.

Und nun noch zwei wirklich eher nebensächliche, aber interessante und sogar ein wenig amüsante Details:

Das österreichische Zentralorgan der neoliberalen EU-Fanatiker, der „Standard“, bringt einen kurzen Bericht über diesen Fall, wo ein klein wenig Kritik anklingt. Wie das? Hat da der zuständige Redakteur geschlafen? Oder gibt es neuerdings im „Standard“ einen kritischen Maulwurf?

Zweites Zuckerl:

Vertreten wurde die Klage gegen den Bescheid der österreichischen Behörden gegen einen kroatischen Betroffenen von einer Kärntner Rechtsanwaltskanzlei. Sie wird vom ehemaligen Vorsitzenden des Rates der Kärntner Slowenen, M. Grilc, geleitet – er muss übrigens schon ziemlich alt sein. Und da scheint auch als Teilhaber auf: Rudi Vouk. Vouk hat seinerzeit durch bewusstes Schnellfahren jenes Erkenntnis des österreichischen Verfassungs-Gerichtshofs provoziert, welches dem verblichenen Jörg Haider über Jahre den Schaum vor den Mund trieb. Denn da war plötzlich von 10 % Minderheitenanteil die Rede, nicht mehr von 25 %.

Man kann da natürlich sagen: Das ist nun einmal der Job von Rechtsanwälten. Sie verteidigen ja auch Mörder und sonstige Schwerstverbrecher…

Die Resolution des EP ist im Einzelnen uninteressant. Diese überflüssige Versammlung von Ex- und Möchtegern-Politiker in ihrem bequemen Elfenbeinturm spricht vor allem für sich und ihre Polit-Kollegen. Es wäre vielleicht ganz günstig, sich einmal im Detail für ihre Funk¬tion zu interessieren – wäre eine sinnvolle Dissertation für kritische Politikwissenschafter (oder für solche, die gerade viel Zeit haben). Aber sehr wohl ist sie interessant im Zusammenhang mit der Politik des EuGH. Denn zur Politik gehören immer zwei Seiten: Die Diktatur, hier der Bürokratie, und die Hegemonie. Und um die will sich das EP kümmern.

Damit kommen wir zum Punkt, den beide Episoden gemeinsam haben. Die EU hat eine Kompradoren-Struktur auf nationaler Ebene hervorgebracht. Sie wird einerseits von jenem Teil der politischen Klasse angeführt, welche sich in erster Linie und hauptsächlich Brüssel verpflichtet fühlen und nicht ihrer nationalen Bevölkerung. Da aber „Brüssel“, die supranationale Bürokratie, nicht zuletzt auch im Interesse der Hegemone arbeitet, vor allem der BRD, haben wir da eine Situation, ,die nicht so unterschiedlich ist von der alten kolonia­len Kompradoren-Bourgeoisie. Das waren jene Gruppen in den Kolonien, die offen und ganz klar für die europäischen Kolonialmächte arbeiteten und so die Ausbeutung vor Ort ermöglichten.

Dazu gehören an erster Stelle die Abgeordneten zum EP. Sie haben ja üblicher Weise nach der EP-Wahl, die überall ein nationaler Wahlersatz ist, wo die Bevölkerung ihren Unmut über die nationale Politik kundtut, keinerlei Kontakt mehr mit der Bevölkerung – außer mit einigen Gruppen, welche systematisch zur Indoktrination nach Brüssel geschickt wird: Studenten, Höhere Schüler. Wenn diese Abgeordneten nach Hause kommen, sind sie sich meistens nicht zu blöd stolz zu erzählen, wie sehr sie von ihren Kollegen geschätzt werden – weil sie immer devot nicken.

Und dann gehören die mittleren und höheren Beamten zur Kompradoren-Bourgeoisie, die ständig nach Brüssel oder Luxemburg oder sonst wohin unterwegs sind, um dort direkt ihre Anordnungen abzuholen. Der Großteil der österreichischen Beamtenschaft steht nicht mehr im Dienst der Republik Österreich oder gar der österreichischen Bevölkerung. Er hat sich direkt dem supranationalen Imperium untergeordnet, und zwar meist freiwillig. Verwunderlich ist es nicht. Verkörpert doch dieses Imperium die unverantwortliche Herrschaft der Bürokratie, und davon träumt diese seit Josef II.

AFR, 25. September 2019

Brexit ist Voraussetzung für sozialistische Politik

Der Wirtschaftswissenschaftler Costas Lapavitsas, Professor an der Universität London und früherer Abgeordneter von Syriza in Griechenland, fordert Labour auf, den EU-Austritt Großbritannines zu unterstützen. Denn die EU würde jede sozialistische Politik verhindern.


Der Rücktritt von Theresa May, der Aufstieg von Nigel Farages Brexit-Partei und die Neuwahl der Tory-Führung haben ein grelles Licht auf die Entscheidungsmöglichkeiten geworfen, vor denen die Labour-Partei steht. Trotz gegenteiliger Behauptungen scheint sich das Gleichgewicht zwischen Leavers und Remainers seit dem Referendum nicht verändert zu haben. Sobald wieder politische Führung sichtbar wurde, verstärkte sich wieder die Massenunterstützung für den Brexit, einschließlich der Arbeiterhochburgen von Labour.

Farage sprach die allgemeine Frustration mit den parlamentarischen Trickserein über den Deal von May und den damit verbundene Bruch der Demokratie seit 2016 an. Es ist zutiefst bedauerlich, dass der Rechtspopulismus wieder in der Lage war, in die ureigensten Wahlbezirke der Linken vorzudringen. Sein Erfolg macht es für die Labourpartei entscheidend, eine neue Führung hervorzubringen, während die Wurzeln in der Arbeiterklasse gepflegt werden.

Blockade des demokratischen Willens des Volkes

Der Absturz von May und ihrem Deal ist nur teilweise der dem Brexit innewohnenden Komplexität des Brexit geschuldet. Die Schaltzentralen der ökonomischen und sozialen Macht in Großbritannien sind entschlossen, die engstmöglichen Beziehungen mit dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion beizubehalten. Die Londoner City ist das Finanzzentrum der EU, die danach strebt, bei Devisengeschäften, bei Derivat-Clearinggeschäften, Wertpapierausgabe usw. frei zu operieren. Die Industrie, die in den Bereichen Flugzeugbau, Pharma, Rüstung und Hochtechnologie wettbewerbsfähig ist, betrachtet die EU als ihr Terrain. Finanz- und Industriekapital haben wutentbrannt beim Parlament dafür lobbyiert, einen Bruch mit dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion zu vermeiden. Im Zuge dessen ist der demokratische Wille des britischen Volkes für zwei Jahre blockiert worden.

Jahrzehntelang war es die politische Strategie des britischen Establishments, die Position als Nettozahler zu akzeptieren – im Austausch für bedeutende Ausnahmeregelungen. Diese Strategie kam an ihr Ende, als David Cameron 2015-16 nicht mehr den „speziellen Status“ Großbritanniens abzusichern vermochte. Nach der Volksabstimmung versuchte May die Strategie umzudrehen, indem Großbritannien zwar aus der EU herausgeführt, aber in jenen Bereichen, die den Großkonzernen wichtig sind, drinnen bleiben sollte. Ihr Deal mit der EU war darauf ausgerichtet, formal dem Austritt zu entsprechen, während die britische Geschäftswelt enge Beziehungen mit der EU aufrechterhält. Sie scheiterte, weil – zusätzlich zu ihrer politischen Ungeschicktheit – sich das britische politische System in einer tiefen Krise befindet und nicht einmal die grundlegendsten Funktionen erfüllen kann.

Der wichtigste Aspekt dieser politischen Krise ist, dass die Konservativen de facto aufgehört haben, für die Interessen des britischen Big Business zu sprechen. Die berechtigten Bedenken in Bezug auf die Souveränität innerhalb der EU haben ein Eigenleben entwickelt, sie haben den nationalistischen Flügel der Torys fest im Griff. Vom Standpunkt des Establishments, wurden die Dinge noch unberechenbarer, nachdem Jeremy Corbyn die Labourparty deutlich nach links bewegt hatte. In diesem Zusammenhang hatte Mays Minderheitenregierung niemals eine Chance.

Farage hat den Zorn der Brexit-Befürworter beflügelt, kann aber keinen Weg anbieten, weil seiner Partei selbst das grundlegendste Programm fehlt. Was ihm gelang, ist, dass die Kandidaten, die um die Tory-Führung kämpfen, eine Sprache des „harten“ Brexit angenommen haben. Aber der neue Vorsitzende wird eine unlösbare Aufgabe ernten, weil die Konservative Partei gespalten und die Mehrheit im Unterhaus gegen einen „No Deal“-Brexit unverändert ist. Blumige Phrasen bringen da wenig. Wenn der 31. Oktober kommt, wird wahrscheinlich erneut eine scharfe politische Krise hervortreten, die den Ruf nach Neuwahlen laut werden lassen könnte.

Kampf um die Seele der Labour-Partei

Es ist daher nicht überraschend, dass der Kampf um die Seele der Labour-Partei erneut begonnen hat, besonders nach dem schlechten Abschneiden bei den Wahlen zu Europäischen Parlament. Das schlechteste Resultat für Labour wäre, wenn sie sich offen mit den Brexit-Gegnern (Remainern) ins Bett legt. Das würde sie von ihren historischen Wurzeln abschneiden, das sozialistische Projekt von Corbyn zugrunde richten und unmittelbar seine politische Führungsposition untergraben. Wahrscheinlich würde es auch die Wahlunterstützung für Labour genau in jenen Randbezirken zerstören, die Labour gewinnen muss. Das wurde von 26 Labour-Abgeordneten in einem Offenen Brief an Corbyn eindruckvoll herausgearbeitet. Es wäre der Sargnagel für Labour, die Widerrufung des Artikels 50 (EU-Austrittsverfahren) zu befürworten. Das wäre eine Beleidigung der Demokratie und eine riesige nationale Demütigung in einem.

Der radikale Wandel, der von Corbyn versprochen wird, ist unmöglich unter dem Regelwerk der EU zu erreichen. Die EU-Strukturen sind so gestaltet, dass sie den Interessen der Großbanken und Großkonzerne dienen. Brüssel würde keine sozialistische Politik in Großbritannien (oder sonstwo) tolerieren. Die EU würde ihre enorme Macht nützen, um diese Politik zu unterminieren und dabei gemeinsame Sache mit britischen Kräften, um so eine demokratische Erneuerung des Landes zu verhindern.

Die Möglichkeiten eines EU-Austritts nutzen!

In der EU zu bleiben und diese zu reformieren, ist ein fruchtloses Unterfangen. Die EU-Institutionen sind so konstruiert, dass sie abgeschottet sind gegenüber dem demokratischen Willen der Bevölkerung. Jede Vertragsreform erfordert Einstimmigkeit aller Mitgliedsstaaten, und jede Reform durch Sekundärrecht erfordert die Zustimmung der EU-Kommission, die Mehrheit der Regierungen und die Mehrheit der EU-Parlamentarier, bevor noch die Hürde des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) übersprungen werden muss. Da gibt es keine Chance.

Großbritannien und seine Bevölkerung brauchen einen Neustart. Die grundlegenden Veränderungen, die Corbyn – insbesondere den Jungen versprochen hat – sind nur möglich, wenn sich Labour nicht an das Remain-Lager kettet. Die Partei muss dabei bleiben, das Ergebnis der Volksabstimmung zu respektieren, aber sie sollte auch mutiger die fundamentalen Möglichkeiten öffentlich darstellen, die durch einen EU-Austritt entstehen. Bis jetzt war Labour nicht bereit, das zu tun. Dadurch verbreitete die Partei Konfusion und ließ es zu, dass die Basis in Richtung Remain abdriftete. Es ist nicht zu spät, diese Schieflage zu korrigieren, wenn Labour Macht will.

Erschienen in: Guardian, 25.6.2019
Übersetzung: Solidarwerkstatt

Befreien wir Italien – international(istisch)e Unterstützung für Demo

Erklärung der Europäischen Koordination für den Austritt aus dem Euro, der EU und der Nato

Matteo Salvini, Innenminister und Anführer der Lega, hat de facto die italienische Koalitionsregierung aus Fünfsternen und Lega gestürzt.

Staatspräsident Sergio Mattarella, die neoliberalen Eliten Italiens und die europäischen Oligarchien jubeln über den „Zusammenbruch der populistischen Regierung“. Das gibt ihnen die Möglichkeit an die Macht zurückzukehren und ihre Politik der Verwüstung fortzusetzen.

Mit dem Fall der Regierung M5S-Lega wurde der Wunsch nach einem Wandel, so wie er von den Italienern bei der Wahl vom 4. März 2018 ausgedrückt wurde, verraten. Die Demütigung in die Opposition verwiesenen europäistischen Parteien scheint zurückgenommen.

Doch der Wille des Volkes mit der Unterordnung unter die Europäische Union Schluss zu machen, geht damit nicht zu Ende. Der Aufruf von mehreren Hundert Intellektuellen für eine nationale Demonstration in Rom am 12. Oktober legt davon Zeugnis ab. „Liberiamo l’Italia“ (befreien wir Italien), das von zahlreichen Bewegungen und Parteien unterstützt wird, erhebt folgende Forderungen:

  • Austritt aus der EU
  • Wiedererlangung der Währungssouveränität
  • Wiederherstellung der Demokratie
  • Anwendung der Verfassung von 1948
  • Arbeit und Würde für alle

Die Europäische Koordination für den Austritt aus Euro, EU und Nato kämpft seit ihrer Gründung für die nationale Souveränität der Völker und für soziale Gerechtigkeit unterstützt die Demonstration. Wir rufen zur Teilnahme auf und werden mit einer internationalen Delegation teilnehmen.

Beitritterklärung zu den „Omas gegen rechts“ – doch gegen die AfD braucht es die EU-Kritik

Omas gegen Rechts  – eine Initiative mit Breitenwirksamkeit?

Rainer Brunath, Hamburg – Neugraben, 31.8.2019

Es geht um die Erhaltung der parlamentarischen Demokratie in einem gemeinsamen Europa, um den Einsatz für die gleichen Rechte aller in Deutschland lebenden Frauen, Männer und Kinder, um die sozialen Standards, die von Eltern und Großeltern zum Teil bitter erkämpft wurden, um den Respekt und die Achtung gegenüber anderen Mitbürgerinnen und Mitbürgern unabhängig von ihrer Religion und ethnischer Zugehörigkeit. [….]

Wir setzen uns ein für eine demokratische, rechtsstaatlich organisierte, freie Gesellschaft. Wir sind gegen faschistische Tendenzen, Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzungen  […] , Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Sozialabbau, und wir wollen diesbezügliche Missstände in Politik und Gesellschaft mit geeigneten Methoden öffentlich machen.

Das ist gut und richtig. Aber reicht es gegen die Rechtsentwicklung, die den meisten  Menschen Angst einflößt, besonders jenen, die in strukturschwachen, ländlichen Gebieten wohnen? M. E. reichen  Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit oder Demokratie allein nicht mehr aus, schon gar nicht gut gemeinte, aber fast wirkungslose Bekenntnisse gegen Rechts und die neoliberale Ökonomie, die Reiche immer reicher macht und Arme immer ärmer. Wir haben es wieder einmal nach den Wahlen in  Brandenburg und Sachsen gesehen, dass die AfD mit Themen, die eigentlich jene der linken politischen Seite sind, dort punktet, wo die Menschen das Gefühl brauchen, gehört zu werden. Dies Menschen haben es satt, sich unverbindliche Bekenntnisse der Sytemparteien anzuhören, um immer wieder festzustellen, „wir werden über den Tisch gezogen“.

Es verwundert daher nicht mehr, dass die AfD-Wähler den Parolen der Werber für diese Partei glauben, trotz solcher  Aussagen wie „wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet …(Markus Fronmeier, MdB) oder … das große Problem ist, dass Hitler als absolut böse dargestellt wird …(Björn Höcke, Landtagsfraktion Thürinen). Dagegen stehen viele AfD-Parteigänger, die sich hüten solches zu verkünden, vielleicht sogar, weil sie nicht wirklich wissen, was sie wollen. Aber eines haben sie begriffen: „unaussprechliches“ auszusprechen, das  niemals in solch einer Offenheit von den Systemparteien artikuliert wird, bringt Wählerstimmen. Dazu gehören z.B. EU-kritische Reden die eine Sehnsucht nach Heimat bedienen. Der EU-Rahmen, Globalisierung, der Weltmarkt ist jenen Menschen zu monströs in denen sich  keine  patriotischen Gefühle entwickeln lassen oder gar absterben.

Warum, so frage ich mich, jaulen die Mainstream-Medien über die der ex-DDR unterstellte Gleichmacherei und die dort angeblich  zwangsweise eingeführte homogene Gemeinshaft und schweigen gegenüber der AfD, die offen eine eine homogene Gemeinschaft  fordert.  Sie schweigen, weil sie es wissen. Sie brauchen die AfD,  um sie als Schwert gegen ein demokratisches Aufmucken zu verwenden. 

Daneben hat sich die AfD Themen angeeignet, z.B. über soziale Fragen, die eigentlich auf der linken politischen Seite angesiedelt sein müssten. Und was tun die „linken Systemparteien“? Sie lassen das zu. Kein Aufschrei. Im Gegenteil: müde Reden von Gewerkschaftsseite oder der SPD oder den Linken – immer mit einem Hintertürchen versehen, um ggf wieder zurückrudern zu können. Ach es ist zum …

Hier liegt ein Feld brach, dass bearbeitet werden kann, nein muss. 

Protest und Bekenntnisse müssten sich offener und breitenwirksam gegen die Institutionen richten, die Träger dieses System sind:  das neoliberale (EU-)Regime ( das  sich der demokratischen Entscheidungsfindung entzogen hat. Die Demokratie stirbt in der EU, weil im EU-Rahmen demokratische Verhältnisse nicht angelegt sind. Dabei ist es egal wer in Deutschland die Nase vorn hat, schwarz, hellrot, grün oder gelb) oder gegen die Sanktionspolitik der USA (gegenüber dem Iran oder Russland), welcher sich auch Deutschland sklavisch unterwirft. 

Das und vieles mehr führt und führte zur Unzufriedenheit der Menschen mit ihrer sozialen Situation, mit der Regierung. Der Stau der Unzufriedenheit, insbesondere in der arbeitenden Altersgruppe zwischen 25 und 60 Jahren,  ist also gewaltig angewachsen und ich glaube, dass dieser Missstand nicht zu beheben ist mit einer einfachen  Erklärung gegen Rechts, mit Aufrufen für Solidarität oder eine bunte multikulturelle Gesellschaft.  Da muss mehr geschehen, denn bei keinem einzigen der Probleme, die den Menschen auf den Nägeln brennen, wurde bisher eine substantielle Lösung angegangen, ja nicht einmal in Aussicht gestellt. Die miserablen Umfragewerte für die sogenannten Volksparteien fallen nicht vom Himmel. Und der neue grüne Hoffnungsträger  – das sage ich voraus – wird die Menschen, ebenfalls enttäuschen. Seine Unschuld hatte diese Hyphe schon im Krieg gegen Jugoslavien verloren, als die ehemals „Gewaltlosen“ (Joschka Fischer als Außenminister) für den Krieg plädierten. 

Nennen  wir also einige Fakten beim Namen, die die Menschen berühren und die sie veranlassen sich politisch rechten Vereinigungen und Parteien zuzuwenden.

1:Der selbstproduzierte Klimawandel, (dazu in einer separaten Abhandlung ein paar Gedanken)

2: die selbstproduzierte Altersarmut – das auf Profit getrimmte Gesundheitssystem,

3: die miserabel ausgestatteten Schulen,

4: die verfallende Infrastruktur,

5: die agro-industriell dominierte Landwirtschaft mit Glyphosatverseuchung und antibiotika-kontaminierter Turbofleischproduktion.

6: Schöngerechnete  strukturelle Arbeistlosigkeit, Harz IV.

7: Bezahlbarer Wohnraum für alle.

Das sind seit Jahren, ja seit Jahrzehnten ungelöste Probleme. Aber die Aufzählung ist unvollständig: Welcher Autofahrer hat sich nicht schon mal gesagt, dass es mit den gravierenden Verkehrsproblemen, ausgelöst durch den hemmungslosen Ausbau des motorisierten Individualverkehrs nicht so weitergehen kann. Abgelenkt wurde die Öffentlichkeit durch den sog. Dieselskandal.

Welcher Mensch, der auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen ist, hat sich nicht schon gesagt, dass Tickets viel zu teuer sind, oder dass er Wartezeiten und Umwege, die durch den strukturellen Rückbau des Bahnverkehrs verursacht sind, in Kauf nehmen muss,

Wo führt die soziale und ethnische Teilung der Städte hin, wem nützen die Nobel-Sanierungen ganzer Stadtteile, erkauft durch das Verschwinden bezahlbaren Wohnraums und  durch die Einstellung des sozialen Wohnungsbaus, ja sogar durch das Verschleudern kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungsbestände an Investmentgesellschaften (Beispiel Berlin) 

usw, usw … 

Stattdessen wird über Aufrüstung der Bundeswehr zur Interventionsstreitmacht debattiert. Über neue Kampfflugzeuge, Panzer, ja sogar einen Flugzeugträger. Die Kriegsausgaben sollen auf 80 Mrd. Euro heraufgeschraubt werden. Dafür ist Geld da!! (Mit Zustimmung auch der Grünen) Wem ist bewusst, dass das Militär und Kriege die schlimmsten Klimakiller überhaupt sind. Dagegen gilt es sich zu erheben und sichtbar für Frieden mit allen Völkern und für Abrüstung statt Aufrüstung einzutreten. Auch diese Tatsache ist ein gravierender Sachverhalt, der die Rechtsentwicklung befördert. Und das ist von den Eliten (politische oder wirtschaftliche) so gewollt. Das findet auf gesamteuropäischer Ebene statt.

Was ist also nach der EU-Wahl geschehen und was wird nach den nächsten Wahlen passieren? Nichts von Bedeutung, nichts was überzeugend wäre. Statt dessen verfällt die „GroKo“ in Aktionismuss, tut so als hatte man verstanden und beschließt, die ohnehin fast wirkungslose Mietpreisbremse soll bis 2025 weiter gelten. Ach wie wunderbar!  Mieter sollen zuviel gezahlte Miete, rückwirkend bis zu 30 Monate, auch im Nachhinein zurückfordern können. Wer macht denn das und wie soll das denn gehen?  Breitenwirksam wird das nicht sein. Es sind Beschlüsse, die nichts kosten und nichts bringen. Dadurch wird Wohnraum nicht bezahlbarer.

Ich finde, die Initiative Omas gegen Rechts ist inzwischen so bekannt, dass sie offensiver auftreten kann, dass sie ihr Bekenntnis gegen Rechtsentwicklung und mehr Demokratie mit einer Kritik an  der EU, das sich  demokratischer Entscheidungsfindungen entzieht, verbindet. 

Italien: Matteo Salvini öffnete die Tore zur Restauration

Am 9. August beendete Matteo Salvini mit einem Misstrauensantrag die Koalitionsregierung mit der Fünf-Sterne Bewegung von Luigi Di Maio. Getragen von einem Allmachst-Delirium nach seinem Sieg bei den Europawahlen, einem anhaltenden Umfragenhoch (im Juli 38 %) auf Kosten der Fünf-Sterne (17 % bei den EU-Wahlen im Mai), aber auch unter dem Druck des padanischen Bürgerflügels in der Lega (Giorgietti), forderte Salvini baldige Neuwahlen im Herbst.


Das Ergebnis war jedoch ein ganz anderes, nämlich der Sieg des „dritten Flügels“ in der „Populistenregierung“, jenes der Pro-EU Männer von Staatspräsident Mattarella. Dieser hatte sich zu Regierungsbeginn zwei strategischen Positionen gesichert, das Ministerium für Wirtschaft und Finanzen (Giovanni Tria) und das Außenministerium (Enzo Moavero). Nach anfänglichem hin und her gesellte sich auch Ministerpräsident Conte zu diesem Flügel, was die neoliberalen System-Medien schon seit einiger Zeit wohlwollend als „Emanzipation“ von seinen beiden populistischen Vizepremiers kommentierten. Geradezu begeistert war man über die „intensive Ansprache“ (Die Presse), den „starken Aufritt“ (Tagesspiegel) Contes gegenüber Salvini bei dessen Rücktrittrede am 20. August.


Italiens Wirtschaftseliten und Altparteien sowie die Machtzentren in Brüssel/Berlin sahen nach Salvinis Vorpreschen den Moment der Revanche und Restauration gekommen. Unter den Warnrufen des unsäglichen Ex-Premier Matteo Renzi vor der heraufziehenden faschistischen Gefahr einer Lega-Regierung – das erprobten Rezept neoliberaler Herrschaftssicherung mit garantiertem Konsens von links – zimmerten Mattarella, Conte/Di Maio und die Demokratische Partei (PD, Zingaretti) eine Regierungskoalition unter dem Motto „Loyalität zu Europa“. Getroffen hatte man sich in Sachen EU ja bereits beim Votum für Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin.

Alle weiteren Bedingungen der beiden Neo-Koalitionäre (die „Fünf Forderungen“ der PD, die „10 Punkte“ der Fünf-Sterne und das Theater ihres online-Mitgliederreferendums) zur Bildung einer gemeinsamen EU-hörigen „Ursula-Regierung“ sind die übliche Makulatur des politischen Schauspiels, das ohnehin niemanden mehr interessiert (38 % der Fünf-Sterne Wähler von 2018 hatten sich bei den EU-Wahlen enthalten, 14 % votierten für die Lega). Vor allem die Fünf-Sterne meinen wohl, damit ihren wenigen noch nicht verprellten Anhängern ein letztes Mal Prinzipientreue und Basisdemokratie vorgaukeln zu müssen, bevor sie mit diesem Schritt endgültig ins Establishment eingemeindet werden (und/oder untergehen).

Die Elemente des Scheiterns waren, trotz der für Brüssel/Berlin ärgerlichen und anfänglich besorgniserregenden Unwägbarkeiten, bereits seit langem vorhanden: die Mattarella-Leute in den zentralen Ministerien, der Budget-Kompromiss mit der EU, die „Abwehr“ des Defizitverfahrens. In allen wirtschafts- und sozialpolitischen Auseinandersetzungen, die die eigentliche Daseinsberechtigung der „Populistenregierung“ unter den Wählern waren und sofort die Frage des Umgangs mit den Brüsseler Budgetregeln aufs Tapet brachten, setzte sich der Mattarella-Flügel durch. Zunehmend reduzierte sich die Politik von Salvini und Di Maio darauf, von diesen Kernfragen abzulenken. Immer wenn es hart auf hart mit der EU wurde, wie zuletzt mit der Idee der Mini-Bots, duellierten sich die beiden Parteichefs zu zweitrangigen Fragen. Salvini twitterte autoritäre Sicherheits- und Antimigrationsprovokationen und Di Maio packte wieder das alte Lieblingsthema der Bewegung zur Verringerung der Parlamentsabgeordneten aus. Die Medien griffen diese Nebelgranaten bereitwillig auf, um den siegreichen Vormarsch von Mattarellas Fünfter Kolonne zu decken, die die Wogen mit Brüssel glättete und die neoliberale Kontinuität sicherte.

Ausgelöst durch Salvinis Macht-Allüren, mit Giorgettis rechtsliberaler Substanz im Gepäck, und exekutiert durch Di Maio als Totengräber der oppositionellen Seele der Fünf-Sternen, haben die beiden „Populisten“ so alles Denkbare getan, um eine Restauration des EU-Austeritätsregimes in Italien zu ermöglichen.

Die Lehre daraus: Ohne ausreichende Klarheit über Bedeutung und politischen Implikationen einer Konfrontation mit der EU ist kein alternativer Staat in einem krisengeschüttelten Land wie Italien zu machen. Das Establishment wusste von Anfang an, was auf dem Spiel stand und wo die wirklichen Frontlinien waren, an denen es zu siegen galt.

Nur am Rande sei erwähnt, dass sich in dem Konflikt auch so mancher demokratische EU-Gegner in Italien durch Salvinis Getöse täuschen ließ, ohne zu sehen, wie dieser in der Substanz der Restauration Vorschub leistete. Auf der Linken aber war es nicht nur so mancher, sondern leider wieder einmal der Großteil, der sich hinter dem heuchlerischen Antifaschismus und Humanitarismus der Neoliberalen einreihte. Es ist schon beinahe müßig zu wiederholen, dass damit zum wiederholten Male dem Rechtspopulismus (und der politischen Resignation) in die Hände gespielt, die kaum noch steigerungsfähige linke Bedeutungslosigkeit verlängert und jede demokratische Alternative in den Augen der Bevölkerung diskreditiert wird.

Es ist daher umso bemerkenswerter, dass Italiens demokratische und linke Souveränisten dennoch ein erfolgreiches Bündnis für eine Großdemonstration am 12. Oktober unter dem Motto „Befreien wir Italien“ auf die Beine gestellt haben. Palastrevolten ändern eben nur wenig an der strukturellen Brisanz der italienischen Situation.

Gernot Bodner

Befreien wir Italien

Demo, 12. Oktober 2019, Rom

  • Raus aus der EU-Falle
  • Rückkehr zur eigenen Währung
  • Demokratie wiedergewinnen
  • Anwendung der Verfassung von 1948
  • Arbeit und Würde für Alle

Italien befindet sich an einem Wendepunkt: Entweder werden die EU-Forderungen entschieden zurückgewiesen, oder der Abstieg des Landes wird unaufhaltsam.

Armut, Arbeitslosigkeit und Zeitarbeit müssen beendet werden, doch die EU-Regeln hindern uns daran. Während sie die Privilegien der privaten und spekulativen Finanz beschützen, untersagen sie den Staaten für das Gemeinwohl zu sorgen.

Dem italienischen Volk wird so das Recht genommen, aus der Krise herauszukommen. Die EU erlaubt nur die Politik der Opfer, während die Verfassung von 1948 von den rechtlichen und finanziellen Euro-deutschen Panzern niedergerollt wird.

Wir müssen aus dieser Falle befreien. Italien hat die Ressourcen und Mittel dieser Situation Herr zu werden, in die es seit fast dreißig Jahren seiner unverantwortlichen und korrupten herrschenden Klasse geführt wird.

Italien muss und kann sich befreien und es gibt genug Ideen und Vorschläge zur Überwindung der Krise. Es ist Zeit alle verfügbaren Kräfte für einen großen Wurf zur Wiedergeburt zu vereinen. Es ist Zeit die von den Eliten verbreitete Ängste (zum Beispiel vor dem Spread) zu überwinden, die uns vom Handeln abhalten sollen.

Die Befreiung ist möglich, wenn wir daran glauben. Und sie bedarf der Mobilisierung des Volkes.

Wir laden alle, die sich zu den Werten des demokratischen Verfassungspatriotismus bekennen, dazu ein, an der Demonstration vom 12. Oktober teilzunehmen. Es ist eine offene und einschließende Mobilisierung, die zwei Dinge zum Ausdruck bringen soll: zu kämpfen ist notwendig, zu gewinnen möglich!

Befreien wir Italien!

www.liberiamolitalia.org

BREXIT: Johnson und seine Strategie

Boris Johnson ist der Lieblingsfeind aller EU-Enthusiasten. Das gilt für Großbritannien wie für den Kontinent. Als Mensch, der Tag für Tag auch unter dem Einfluss der hegemonialen Medien steht, fragt man sich natürlich auch bisweilen: Was will er eigentlich wirklich?

Ein bisschen Parteien-Theorie und das im Kontext allgemeiner politischer Theorie kann vielleicht ein weiter helfen. Für einen auch gewesener Politikwissenschafter sollte das nicht so schwer sein. Man darf sich manchmal auch nicht fürchten, eher den Überbau zu analysieren. Der direkte Kurzschluss von den Klassenverhältnissen auf die laufende Politik ist sowieso trügerisch. Parteien sind die politischen Vertreter von Klassen, Klassen-Verbänden und gesellschaftli¬chen Gruppen. Sie sind die Vertreter der unmittelbaren, kurzfristigen, der Alltags-Interessen solcher Gruppen. Belassen sie es dabei, dann allerdings scheitern sie sehr schnell. Gramsci hat im „Machiavelli“, mit Blick auf alle Parteien, nicht nur die Arbeiter-Parteien, einmal geschrieben: Parteien sind die kollektiven Intellektuellen ihrer Klassen. Sie müssen also strategisch, über den Alltag hinaus denken.

Theresa May war die einzig Erwachsene unter den britischen Politikern (a grown up, at least), und Boris Johnson ist ein Scharlatan (a serial fatasist), und Corbyn schließlich ein schreckli¬cher Radikaler (a man whose life-time passion has been left-wing, anti-American politics) schimpft der Leitartikler der Financial Times am 12. Juli 2019, des direkten Organs der britischen Finanzkapitalisten, der City und der TNCC (Transnational Capitalist Class). Aber da hat er den Salat: May, die einfach ihre Orders in der City abgeholt hat, ist damit völlig gescheitert. Ihr langes Ausharren trotz ihrer völligen Unfähigkeit kann überhaupt nur dadurch erklärt werden, dass die City beinahe um jeden Preis ihre Politik durchsetzen wollte.

Und hier tritt Boris Johnson auf:

Der Preis war ihm und seinen Unterstützern zu hoch: näm¬lich das völlige Auseinanderbrechen der Konservativen Partei und ihr Abtauchen in die Bedeutungslosigkeit. Das nächste Ziel Johnsons ist durchaus erkennbar: Er will die Konservative Partei als Machtinstrument des britischen Machtblocks retten. Das geht nur, wenn Farage verschwindet.

Der aber wird nur beim echten Brexit verschwinden. Es ist eine Strategie mit einigem Risiko. Johnson ist eine Spielernatur und hat einiges vom Charakter der berühmt-berüchtigten britischen Exzentriker an sich. Aber im Moment scheint er das Spiel zu beherrschen. Er gibt die Züge vor und seine Gegner schauen mit Schreck und mit Abscheu hin, aber gleichzeitig wie das Karnickel auf die Schlange. Corbyns Misstrauens-Antrag kommt ihm sicher gelegen. Überhaupt ist Labour noch viel jämmerlicher beisammen als die Bürgerlichen. Die 40 % der Umfragen vor einem Jahr sind weg. Die Partei ist wieder weit hinter die Torys zurück gefallen, so wie vor Corbyn. Die Fraktion wirft ihrem Vorsitzenden einen Prügel nach dem anderen in den Weg. Und dieser Vorsitzende verhält sich schlicht und einfach unbeholfen. Labour ist kein Gegner für Boris Johnson.

Es hat in diesem Augenblick den Anschein, als ob Johnsons Strategie funktionieren würde. Nicht nur Labour hilft ihm, auch die EU. Der backstop wäre eigentlich eine Kleinigkeit. Er ist ein Problem der EU, nicht der britischen Regierung. Denn wenn die EU nicht auf strikte Grenzkontrollen beharren würde, wenn sie einer pragmatischen Lösung zugänglich wäre, gäbe es das Problem kaum. Würden sie darauf verzichten, säße Johnson in der Bredouille. Denn dann hätte er die May’sche Lösung, und die ist schlimmer als eine volle Mitgliedschaft. Mit der Mitgliedschaft hat das Land immerhin eine gewisse, bescheidene Veto-Macht. Aber das Imperium ist stur. Es will zeigen: Wir verhandeln nur zu unseren Bedingungen. Vielleicht glauben sie auch an ihre eigenen Märchen, von den katastrophalen Folgen des Brexit für das UK usw. – so wie auch die österreichischen Zeitungen ihren Lesern die Wirklichkeit ausdeuten: Die EU habe Johnson „abblitzen lassen“ – als ob er was Anderes gewollt hätte.

Und die Geschichte mit der Vertagung des Parlaments? Nun, Johnson wendet schlicht die legalen Tricks an, die zum Werkzeugkasten jedes nicht nur britischen Politikers gehören. Bei anderen Ländern und Politikern, die dasselbe im Interesse der EU taten und tun, haben sich diese sonderbaren Wächter der Demokratie nicht gerührt. Im Grund kommt die Wut daher, dass jetzt einer gegen die EU die Verfahren anwendet, die doch sonst immer von der EU eingesetzt werden. Klar. Als Heinz Fischer eine Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag verhinderte („das brauchen wir nicht“) und damit den wesentlichen Schritt zur Abschaffung der österreichischen Demokratie sanktionierte, war dies – natürlich – „verantwortungsvolle Politik“.

Von unseren Freunden P101 in Rom :

„Besser ein Exit mit der Rechten als im Käfig mit der Linken!“

Brexit ist noch nicht gelaufen. Wir müssen uns auf die Sturheit der EU einerseits und auf das Ungeschick des Jeremy Corbyn andererseits verlassen. Doch im Moment sieht es so aus, als ob das Undenkbare doch passieren könnte.

Albert F. Reiterer, 30. August 2019

Fundstücke 5: Sie müssen ganz schön verzweifelt sein, die Neoliberalen

Die neoliberale Presse macht sich Mut. Einige Journalisten glauben, weil die pro-EU-Janitscharen in Wales eine Nachwahl gewonnen haben, könnten sie den Brexit noch abwenden. Das ist zwar keineswegs abgeschlossen, da sie ziemlich alles einsetzen werden in den nächsten Wochen. Sie werden nicht zögern, auch die Parteien zu zerschlagen, wenn nötig. Aber um aus der Nachwahl diese Hoffnung zu schöpfen, muss man schon blind sein.

Was schreibt der Standard, 3. August 2019? Gleich in einer Reihe von Artikeln, Karikaturen und Kommentaren macht er sich und der EU Mut:

„Boris Johnson hat sich ins Eck manövriert. … Die Schlappe ist schlimm für Johnson.“ (S. 7). Der Schreiber ist ein Journalist aus London, der sich offenbar ausschließlich unter seinesgleichen, unter EU-Fanatikern bewegt.

Und auf S. 40 unter einer Karikatur, die der Qualität des Zeichner – nun ja: keine hohe Anerkennung einbringen wird (aber vielleicht einen Journalisten- Preis für die richtige Gesinnung?), ein Loblied auf die neue liberale Abgeordnete, „Johnsons Antithese“, die schon zweimal die Wahl verlor und überdies auch noch jene ins Regionalparlament verpasste, bis der lokale Konservative korrupt wurde und daher seinen Sitz verlor. Dass also ihr nicht sonderlich eindrucksvoller Sieg etwas mit dieser Tatsache zu tun haben könnte, scheint dem Standard nicht in den Sinn zu kommen …

Und ähnlich lesen wir es in der offiziellen Regierungs-Zeitung, der

Wiener Zeitung, 3. / 4.August 2019

„Tory-Blues statt Johnson-Hype

Er hat einen Vorgeschmack von der Hölle bekommen…“

Aber dann heißt es: „Nach den jüngsten Umfragen kämen die Konservativen derzeit landesweit auf 32 % der Stimmern. Für Labour sprachen sich 22 % der Befragten aus, für die Liberaldemokraten 19 %. Der Brexit-Partei würden 13 % ihre Stimme geben. Die Brexit-Parteien wären damit noch immer stärker als die Gegner.“

Die anderen geistesverwandten Zeitungen sind nicht unbedingt so sanguinisch wie der „Standard“, auch wenn sie nicht weniger pro-EU sind, gleich ob liberal oder konservativ.

Frankfurter Rundschau, 3. August 2019 – (Die Zeitung ist sozialdemokratisch, pro SPD)

Ein Pyrrhussieg in Wales

Die Nachwahlschlappe der Torys schwächt die Position von Brexit-Premier Boris Johnson im Unterhaus – aber nur auf den ersten Blick: Neuwahlen im Königreich könnten ihm wieder nützen. … Sie verfehlte die Rückeroberung des Wahlkreises nur knapp. In den wenigen Tagen, die Johnson nun an der Regierung ist, ist es ihm bereits gelungen, Wähler zurückzugewinnen, die unter Theresa May zu Nigel Farages Brexit-Partei abgewandert waren. Kein Wunder, dass man in Downing Street Parlamentswahlen noch für dieses Jahr erwägt – hoffend auf eine satte Mehrheit. Schon jetzt sehen Umfragen die Torys landesweit bei 34 Prozent, zehn Punkte vor der Labour-Opposition. Kann Johnson seine Situation noch verbessern? Hält der gegenwärtige ‚Boris Bounce‘ an? Mit seinem neuen Alles-oder-nichts-Stil stößt ‚der Neue‘ zwar auf starke Ablehnung bei vielen seiner Landsleute. Konservative Wähler aber, die schon zu Farage abgedriftet waren, hat er mit seiner harten Brexit-Linie offenbar beeindruckt. Unentschlossene Tories hat er neu mobilisiert.“

Bei der „Presse“ steckt man in der Zwickmühle, weil man einerseits erzkonservativ ist und daher den Konservativen einen Erfolg wünscht; andererseits ist man natürlich EU-phorisch.

Presse, 4. August 2019 (Kommentar zur Ausrichtung überflüssig)

Seine erste Wahlniederlage tut Premier Boris Johnson nicht weh

Nach der Schlappe bei der Nachwahl in Wales rücken vorzeitige Neuwahlen des britischen Unterhauses noch ein Stück näher. … Dennoch hat er Grund zur Zuversicht: In Summe gewann das EU-Lager in Brecon and Radnorshire 48,8 Prozent, die EU-Gegner kamen auf 50,3 Prozent. Nach drei Jahren Warnungen vor dem Brexit war das Ergebnis damit verblüffend ähnlich dem Ergebnis der Volksabstimmung von 2016.“

Realpolitisch bedeutet die Wahl gar nichts, denn Johnson hat sowieso keine Mehrheit. Eine beträchtliche Gruppe der Konservativen stimmt in Brexit-Fragen mit der Opposition. Und ob es eine symbolische Niederlage war, steht offenbar auch nicht so ganz fest.

Apropos Symbolik: Es wird nach dem Brexit – so es ihn gibt – neben den Gewinnern im Einzelnen natürlich auch britische Verlierer geben. Ob dazu die walisische Landwirtschaft gehört, kann ich nicht beurteilen. Aber zum Einen wird es neben den Gewinnern für Großbritannien insgesamt einen entscheidenden Gewinn geben, und diesmal ist es ausnahmsweise einmal gerechtfertigt, von „Großbritannien“ insgesamt zu sprechen: Das Land wird sein Schicksal wieder selbst bestimmen können. Alles Andere ist eine Frage der internen Kräfte-Verhältnisse. Es dürfte sich, wenn nicht Sabotage im großen Stil betrieben wird, global-wirtschaftlich kurzfristig nicht allzuviel ändern. Natürlich wird sich auch für die Rest-EU nicht allzuviel ändern. Die düsteren Prognosen der „Wirtschaftsforscher“ sind reine Scharlatanerie.

Aber in einem Punkt wäre die Niederlage für die EU gar nicht zu überschätzen. Zum ersten Mal zeigt eine Gesellschaft, dass die Entwicklung der EU nicht „unumkehrbar“ ist – das Lieblingsvokabel der politischen Klasse und der EU-Bürokratie in all ihren Dokumenten. Und hier wird die Symbolik zur Realpolitik.